DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN -...

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Universiteit Gent Academiejaar 2006-2007 DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN Auf der Suche nach der historischen und sprachlichen Funktion Verhandeling voorgelegd aan de Faculteit Letteren en Wijsbegeerte voor het verkrijgen van de graad van licentiaat in de taal- en letterkunde: Germaanse talen, door Promotor: Dr. Torsten Leuschner Sarah Vanparys

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DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN

Auf der Suche nach der historischen und sprachlichen Funktion

Verhandeling voorgelegd aan de

Faculteit Letteren en Wijsbegeerte

voor het verkrijgen van de graad

van licentiaat in de taal- en

letterkunde: Germaanse talen, door

Promotor: Dr. Torsten Leuschner Sarah Vanparys

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Dankeswort

Zu Beginn möchte ich einigen Personen danken, die mich beim Verfassen der

vorliegenden Arbeit unterstützt haben. An erster Stelle geht mein herzlicher Dank

an Herrn Dr. Torsten Leuschner. Er hat nicht nur mein Interesse für dieses Thema

geweckt und somit unmittelbar Anstoß zu dieser Diplomarbeit gegeben, sondern er

hat mich auch in allen anderen Phasen der Untersuchung stets freundlich und

hilfsbereit unterstützt und fachkundig korrigiert.

Ein Wort des herzlichen Dankes gilt auch Herrn Prof. Dr. Luc De Grauwe und

Herrn Prof. Dr. Walter De Cubber, die mir auf begeisternde Weise die notwendigen

Deutschkenntnisse vermittelt und mir während der vier Studienjahre immer großes

Vertrauen entgegengebracht haben. Auch Frau Martine Rottier möchte ich für ihre

Hilfe in der Seminarbibliothek danken.

Besonderer Dank geht ebenfalls an Edgar, der diese Arbeit sorgfältig auf Fehler

nachgelesen und auch inhaltliche Vorschläge zur Verbesserung gegeben hat.

Nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Familie und bei meinen Freunden

bedanken: besonders meiner Mutter und Pierre, die mein Studium ermöglichten, bin

ich zu Dank verpflichtet. Meine Mutter hat mich während des ganzen Studiums

unterstützt und ermutigt, sowie darauf geachtet, dass ich den nötigen Abstand zu

meiner Arbeit bewahren konnte. Pierre möchte ich insbesondere danken für die

‘Krisenmomenten’, in denen er sich um mich gekümmert und mich beruhigt hat. Ich

möchte auch meinem Freund Diego für seine fortwährende Unterstützung, meinem

Bruder Wouter für die vielen ermutigenden Telefongespräche, meiner Tante Moniek

und Onkel Eric für die willkommene Ablenkung im Blumenladen und meinen

Freunden und Freundinnen für die entspannenden Online-Gespräche danken.

Schließlich danke ich auch meinem Vater.

Gent, den 18. Mai 2007

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Inhalt

KAPITEL I: EINLEITUNG 1

1. DER AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN 1

2. ZIEL UND METHODE 3

3. AUFBAU DIESER ARBEIT 4

KAPITEL II: DER DRANG NACH OSTEN ZWISCHEN IDEOLOGIE UND

WIRKLICHKEIT 6

1. BEDEUTUNG DES WORTES DRANG 6

2. HISTORISCHER GEHALT UND IDEOLOGISCHE FUNKTION DES AUSDRUCKS

DRANG NACH OSTEN 7

2.1 Mittelalterlicher Kontext 8

2.1.1 Die Ostsiedlung 8

2.1.2 Der Deutsche Ritterorden als Spezialfall 10

2.2 Die Teilungen Polens als Ausdruck der “negativen Polenpolitik” 11

3. ENTLARVUNG DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN IN DER FORSCHUNG

SEIT DEN FÜNFZIGER JAHREN 12

3.1 H.C. Meyer: Der “Drang nach Osten” in den Jahren 1860-1914 13

3.2 G. Labuda: A historiographic analysis of the German Drang nach Osten 13

3.3 H. Lemberg: Der “Drang nach Osten”. Schlagwort und Wirklichkeit 16

3.4 W. Wippermann: Der “deutsche Drang nach Osten”. Ideologie und

Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes 17

3.5 H.C. Meyer: Drang nach Osten. Fortunes of a Slogan-concept in

German-Slavic Relations, 1849-1990 18

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KAPITEL III: DRANG NACH OSTEN ALS INDIKATOR UND FAKTOR

EINER MISSLINGENDEN BEZIEHUNGSGESCHICHTE 19

1. METHODOLOGISCHER AUSGANGSPUNKT 19

1.1 Begriffsgeschichte 19

1.2 Drang nach Osten als Faktor und Indikator der geschichtlichen Erfahrung 21

2. ENTSTEHUNGSKONTEXT 21

2.1. Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten 22

2.1.1 Wortfeldzugehörigkeit 22

2.1.2 Drang als Teil einer naturalisierenden Metaphorik 23

2.2 Zur Frage des Erstbelegs 24

2.2.1 Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an Herrn Georg

Gervinus 25

2.2.2 Jadwiga i Jagiełło 1374-1412 27

2.3 Drang nach Osten als Indikator einer misslingenden deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte 29

2.3.1 Gegensätzliche Wirkungen des Novemberaufstands 29

2.3.2 Stimmungsumschwung: Polendebatte der Paulskirche 30

3. VERBREITUNG DES AUSDRUCKS DRANG NACH OSTEN 33

3.1 Drang nach Osten im deutschbaltisch-russischen Kontext 33

3.1.1 Entstehung nationalistischer Gefühle 33

3.1.2 Drang nach Osten als Faktor: Rolle der Publizistik 34

3.1.3 Der Ausdruck Drang nach Osten bei den Deutschbalten 36

3.1.4 Erweiterung zu einem deutsch-russischen Konflikt 37

3.2 Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg 38

3.2.1 Einfluss der Reichsgründung auf die deutsch-polnischen Beziehungen 38

3.2.2 Betonung des spezifisch deutschen Drangs nach Osten in der russischen

Publizistik 40

3.2.3 Einführung in neue nicht-deutsche Kontexte 42

3.2.4 Verherrlichung des Drangs nach Osten in deutschen Veröffentlichungen 43

3.3 Erster Weltkrieg 45

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3.4 Nachwirken des Ersten Weltkrieges in der Zwischenkriegszeit 47

3.4.1 Mythologisierung in Deutschland 47

3.4.2 Objektivierungs- und Mystifizierungstendenzen in Polen 48

3.4.3 Verschwinden des Ausdrucks Drang nach Osten in einigen Bereichen 50

3.5 Zweiter Weltkrieg 51

3.5.1 Deutschland im Bann des Nationalsozialismus 51

3.5.2 Wirkung des Nationalsozialismus in den anderen Ländern. 53

3.6 Nachkriegszeit 54

3.6.1 Weiterführen der ideologischen Analyse des Drangs nach Osten in Polen,

in der Sowjetunion und in der DDR 54

3.6.1.1 Schwanken in Polen 54

3.6.1.2 Sowjetunion 56

3.6.1.3 DDR 56

3.6.2 Kontinuität(sbruch?) in Westdeutschland und Verschwinden in den anderen

westlichen Ländern 56

4. FAZIT 57

KAPITEL IV: SPRACHFUNKTIONALE ANALYSE 60

1. VORBEMERKUNGEN 60

2. DER TERMINUS BEGRIFF 61

2.1. Der Terminus Begriff in den Geschichtlichen Grundbegriffen 62

2.2 Ist eine theoretische Abgrenzung notwendig? 63

2.3 Eigene praktische Lösung 64

2.3.1 Begriffe als kollektiv - kognitive Einheiten 66

2.3.2 Begriffe als ideologische Instrumente 67

2.3.3 Die zeitliche Binnenstruktur von Begriffen 68

2.3.4 Schlussfolgerung 69

3. DRANG NACH OSTEN ALS BEGRIFF 69

3.1 Begriffliche Aspekte des Ausdrucks Drang nach Osten 70

3.1.1 Bedeutung vs. Bezeichnung 70

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3.1.2 Ideologisierbarkeit 72

3.1.3 Temporale Vielschichtigkeit 74

3.2 Drang nach Osten als zeitweiliger Begriff 75

3.3 Verlust des Begriffscharakters 76

4. DRANG NACH OSTEN ALS SCHLAGWORT 77

4.1 Allgemeine Merkmale eines Schlagwortes und Anwendung auf den

Ausdruck Drang nach Osten 78

4.2 Drang nach Osten als zeitweiliges Schlagwort 81

5. DRANG NACH OSTEN ALS WORTGRUPPENLEXEM 82

6. GEGENWÄRTIGER UMGANG MIT DEM AUSDRUCK DRANG NACH OSTEN 85

KAPITEL V: ZUM SCHLUSS … 87

1. DIE GESCHICHTLICHE UND SPRACHLICHE FUNKTION DES AUSDRUCKS

DRANG NACH OSTEN 87

2. FORSCHUNGSAUSBLICK: EINE DISKURSANALYTISCHE PERSPEKTIVE 88

LITERATURVERZEICHNIS 92

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Kapitel I: Einleitung

1. Der Ausdruck Drang nach Osten

Schwarzes Kreuz auf weißen Mänteln: Symbol für den deutschen Drang nach

Osten, ewiger Feind des weißen Adlers auf dem Banner eines stolzen und oft

gequälten Polen.(Deutsche und Polen, 2002)

Mit diesen aus dem Off gesprochenen Worten beginnt die vierteilige

Filmdokumentation, Deutsche und Polen. Eine Chronik des Ostdeutschen Rundfunks

Brandenburg (ORB) aus dem Jahre 2002, die das historische Verhältnis von Deutschen

und Polen behandelt. Die Szene, die diese Worte begleitet, zeigt wie Kreuzritter des

deutschen Ritterordens und eine polnische Armee einander gewaltsam und aggressiv

zum Kampf entgegenreiten. Sowohl die Worte als auch die Bilder entsprechen dem

traditionellen Geschichtsbild Polens im Verhältnis zu Deutschland: Der deutsche Orden

wird als Symbol einer kontinuierlichen Aggression der Deutschen Richtung Osten

dargestellt und die Taten des Ritterordens werden an den Anfang einer

jahrhundertelangen Feindschaft zwischen Deutschen und Polen gestellt, für den ein

unbestimmter deutscher Drang nach Osten verantwortlich gemacht wird. Im weiteren

Verlauf der Dokumentation stellt sich jedoch bald heraus, dass sich die Autoren der

Klischeehaftigkeit dieser Vorstellungen völlig bewusst sind und dass sie eher

distanzierend die Gedanken wiedergeben, die den Polen bei diesen Bildern im Großen

und Ganzen durch den Kopf gehen. Damit geben die Autoren jedoch gleichzeitig an,

dass die vielen Ansätze zu einer objektiveren Darstellung der deutsch-polnischen

Beziehungen, die es vor allem in Polen aber in den letzten Jahren auch in Deutschland

innerhalb der Wissenschaft, Publizistik und Politik gegeben hat (vgl. Zernack 1991

[1976]: 23ff), offensichtlich noch nicht hinreichen, um das Geschichtsbild des gemeinen

Mannes vollkommen zu de-ideologisieren und die mit dem deutsch-polnischen

Verhältnis verbundenen “Stereotype der langen Dauer” (Übersetzung n. Orłowski 2003:

269 von Kula 2000) im öffentlichen Bewusstsein Polens auszulöschen.

Die Geschichtswissenschaft hat sich schon seit Jahrzehnten mit dem Ausdruck

Drang nach Osten und den damit verknüpften Vorstellungen auseinandergesetzt und es

hat sich gezeigt, dass der Drang nach Osten keiner eindeutigen Wirklichkeit entspricht,

sondern eher im Bereich der Ideologie anzusiedeln ist. In der heutigen Historiografie

lehnt man folglich den Ausdruck Drang nach Osten im Allgemeinen ab. Ein gutes

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Beispiel für eine populärwissenschaftliche Darstellung, die den Anfang der deutsch-

polnischen Beziehungsgeschichte gemäß den aktuellen Forschungsergebnissen

präsentiert und folglich den Ausdruck Drang nach Osten und andere klischeehafte

Ausdrucksweisen konsequent vermeidet, ist der Artikel Besuch aus der Grauzone von

Manfred Ertel im Geschichte-Special der Wochenzeitschrift Der Spiegel vom

20.02.2007. Darin wird beschrieben wie das deutsche Reich im 10. Jahrhundert ein

“Multikulti-Gemisch” war: “Friesen und Franken zählten dazu, Alemannen, Thüringer

oder Bayern, Sachsen und eben auch Slawen” (Ertel 2007: 36). Es wird den ganzen

Aufsatz hindurch betont, dass die unterschiedlichen Stämme neben- und miteinander

lebten und dass sie von diesem multi-ethnischen Zusammenleben “gegenseitig

profitierte[n]” (Etler 2007: 38). Diese Beschreibungsweise wird auf die spätere Periode

der sogenannten deutschen Ostsiedlung ausgedehnt. So wird beispielsweise der

Kreuzzug Heinrichs des Löwen und Albrecht des Bären nicht als ein Zeichen der

Eroberungssucht des ganzen deutschen Volkes bezeichnet, sondern es wird eben betont,

dass viele Kreuzzügler mit diesen Verheerungen nicht einverstanden waren, da sie auf

einmal die Leute, mit denen sie schon seit Langem zusammenlebten, als Feinde

betrachten sollten.

Diese differenzierte Sicht auf die Anfänge der deutsch-slawischen Beziehungen

steht ganz deutlich im Kontrast zum Geschichtsklischee, das in der Anfangsszene der

Dokumentation Deutsche und Polen beschrieben wird. Es ist, als gäbe es heutzutage

zwei unterschiedliche, einander entgegengesetzte Betrachtungsweisen der deutsch-

polnischen Beziehungsgeschichte: Einerseits eine pessimistische, die die gegenseitigen

Beziehungen, die von Prinzipien wie dem eines unumkehrbaren und schicksalhaften

Drangs nach Osten bestimmt werden, als unveränderlich betrachtet und andererseits

eine optimistische, die vor allem den gegenseitigen Nutzen der Beziehungen betonen

will, damit die interkulturelle Zusammenarbeit der beiden Nationen auch in Zukunft

gewährleistet ist.

Drang nach Osten ist, wie angedeutet, ein Ausdruck der vor allem von den

Anhängern der pessimistischen Sicht benutzt wird. Es ist meiner Meinung nach eines

der Ausdrücke, die im stereotypen Denken über das deutsch-polnische Verhältnis eine

wichtige Rolle gespielt hat – und manchmal immer noch spielt. Eine Arbeit, die sich

mit dem ideologischen Gehalt, der historischen Verbreitung und der sprachlichen

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Funktion des Ausdrucks auseinandersetzt, könnte m.E. zur De-Ideologisierung der

deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beitragen.

2. Ziel und Methode

Die vorliegende Arbeit hat zwei Intentionen. Zum einen möchte ich anhand der wenigen

existierenden Arbeiten, die den Drang nach Osten zum Thema haben, den heutigen

Forschungsstand synthetisierend darstellen. Im Großen und Ganzen gibt es in der

Forschung zwei verschiedene Gesichtspunkte, unter denen der Drang nach Osten bisher

betrachtet worden ist: Einen “faktographische [n], [der] sich mit der Geschichte und

Verbreitung des Ausdrucks […] befasst” und einen “ideologiekritische[n], [der] sich mit

seiner semantischen und ideologischen Analyse […] beschäftigt.” (Leuschner 2002: 1).

In meiner Synthese möchte ich beide Gesichtspunkte zusammenbringen und zeigen,

dass die eine Tradition ohne Rücksicht der anderen in eine Sackgasse gelangt. Dies

zeigt sich beispielsweise im begriffsgeschichtlichen Werk Meyers (1996). Meyer

beschreibt den Ausdruck Drang nach Osten aus faktographischer Sicht und untersucht

seine Verbreitung in den unterschiedlichen historischen Kontexten ausführlich. Er

nimmt dabei jedoch keine Rücksicht auf die ideologische Dekonstrukion des Ausdrucks

Drang nach Osten, die seit den sechziger und siebziger Jahren sowohl in der polnischen

als auch in der deutschen Geschichtswissenschaft stattgefunden hat1 und vertritt am

Ende seines Werkes die Ansicht, dass Drang nach Osten ein gültiger Begriff sei, der

einen realen Grundzug der deutschen Geschichte korrekt auf den Punkt bringe. In dieser

Arbeit, in der auch ich begriffsgeschichtlich vorgehe, möchte ich zeigen, dass das

Ergebnis einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung ganz anders aussieht, wenn man

schon die ideologiekritischen Forschungsergebnisse berücksichtigt.

Zum anderen möchte ich, indem ich als zukünftige Sprachwissenschaftlerin die

Funktionsweise des Ausdrucks Drang nach Osten linguistisch zu analysieren versuche,

das linguistische Interesse für die deutsch-polnischen Beziehungen im Allgemeinen

wecken. Anhand des Beispiels Drang nach Osten möchte ich die Aufmerksamkeit auf

die gegenseitigen sprachlichen Ideologisierungen und bewussten Manipulationen im

deutsch-polnischen Diskurs richten. Weitere begriffsgeschichtliche und

diskursanalytische Untersuchungen können meiner Meinung nach in Zukunft zu einem

1 Vgl. u.a. Labuda (1964), Zientara (1983 [1974]), Lemberg (1976), Wippermann (1981).

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besseren Verständnis und zur Entschärfung des deutsch-polnischen Verhältnisses

beitragen.

3. Aufbau dieser Arbeit

In vorliegender Arbeit möchte ich im nachfolgenden zweiten Kapitel zunächst die

Bedeutung des Ausdrucks Drang nach Osten und die historischen Vorstellungen, die

hinter dem Ausdruck stecken, allgemein darstellen. Dabei werde ich vor allem den

Unterschied zwischen dem historischem Gehalt und der ideologischen Funktion dieses

Ausdrucks betonen und anhand einer Übersicht über die existierenden Studien zum

Thema kurz den heutigen Forschungsstand skizzieren. Im dritten Kapitel werde ich

mittels eines begriffsgeschichtlichen Verfahrens die Entstehung, die Verwendung und

die Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten beschreiben und werde dabei

versuchen, die Ergebnisse unterschiedlicher Historiker zu einer Synthese

zusammenzufügen. Ansatzpunkt ist dabei die begriffsgeschichtliche These, dass die

Sprache sowohl als Indikator als auch als Faktor der Geschichte fungieren kann. Die

Aufmerksamkeit wird besonders auf den Zusammenhang zwischen historisch-

politischen Ereignissen und der zu- oder abnehmenden Verwendung des Ausdrucks

Drang nach Osten gerichtet. Auf diese Weise wird untersucht, ob die Sprache eine

beziehungsgeschichtliche Rolle gespielt hat und was diese Rolle beinhaltet hat.

Nach der Darstellung der Kontexte, in denen der Ausdruck Drang nach Osten

verwendet wurde, werde ich den Ausdruck im vierten Kapitel linguistisch zu bestimmen

versuchen. Dabei wird Meyers These, aus dem Schlagwort habe sich ein Begriff Drang

nach Osten entwickelt, der seitdem als gültiger Begriff der deutschen Geschichte

betrachtet werden könne, mittels der Ergebnisse des dritten Kapitels überprüft. Ich

werde zeigen, dass die These Meyers historisch zu relativieren ist, indem auf die im

dritten Kapitel beschriebene Entstehung des Ausdrucks in einer Zeit nationaler

Spannungen und auf die Ursachen der zeitweiligen politischen Attraktivität dieses

Ausdrucks hingewiesen wird. Ich werde dabei, die Kriterien, die Begriffe und

Schlagwörter auszeichnen, auf den Ausdruck Drang nach Osten anzuwenden

versuchen. Da mit diesen Bezeichnungen besondere funktionale Kriterien verbunden

sind, glaube ich, dass sie nicht auf die ganze Verwendungsgeschichte des Ausdrucks

Drang nach Osten anwendbar sind und deswegen werde ich nachgehen, inwieweit

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Drang nach Osten aufgrund seiner Struktur und Bedeutung als Wortgruppenlexem

betrachtet werden kann. Der linguistische Terminus Wortgruppenlexem könnte m.E.

schon auf die ganze Geschichte des Ausdrucks zutreffen. Zum Schluss wird die

gegenwärtige Funktionsweise des Ausdrucks Drang nach Osten kurz betrachtet. Dies ist

deshalb von Interesse, da dieser Ausdruck, obwohl er von der Geschichtswissenschaft

abgelehnt wird, auch heute noch gelegentlich in den Schlagzeilen deutscher Zeitungen

und Zeitschriften benutzt wird, als wäre es von selbst klar, was mit ihm gemeint sein

soll2. Anhand der linguistischen Beschreibung des Ausdrucks Drang nach Osten werde

ich solche gegenwartssprachlichen Verwendungen zu erklären versuchen, und

abschließend die Empfehlung aussprechen, diesen Ausdruck nur dann einzusetzen,

wenn man sich seiner historischen Bedeutung und Konnotationen völlig bewusst ist und

in der Lage ist, ihn gewissermaßen kontrolliert, ohne die Gefahr historischer

Manipulation oder Stereotypisierung zu verwenden.

2 Auf der Website Deutscher Wortschatz findet man u.a. folgende Beispiele: “Republikaner : Drang nach

Osten” (Der Spiegel 29/1990), “Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration" (Neues

Deutschland 2002), “Liebesdrang nach Osten” (FAZ 02.02.2004).

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Kapitel II: Der Drang nach Osten zwischen Ideologie und Wirklichkeit

Bevor ich mich mit der Verbreitung und Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten

befasse, möchte ich zunächst ganz allgemein darstellen, was dieser Ausdruck beinhaltet

und worauf er verweist. Eine Definition, die m.E. alle wesentlichen Elemente des

Ausdrucks Drang nach Osten umfasst, findet man bei Lemberg (2003). Wenn man den

Deutschen einen Drang nach Osten vorwerfe, dann drücke man damit eigentlich

Folgendes aus:

Aus dem deutschen Volk breche – das sei Teil seines Nationalcharakters -

dumpf und unerklärlich der Trieb hervor, erobernd und “germanisierend” im

Lauf seiner Geschichte sich nach Osten zu bewegen. (Lemberg 2003: 34)

Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werde ich zeigen, dass dumpf, unerklärlich und

Trieb Bedeutungskomponenten des Wortes Drang sind. Im zweiten Teil werde ich

darstellen, worauf “im Lauf seiner Geschichte” sich bezieht und am Ende dieses

Kapitels werde ich anhand einer kurzen Übersicht über den heutigen Forschungsstand

nochmals deutlich machen, dass - wie auch Lemberg (2003) selbst meint - der Ausdruck

Drang nach Osten in einer wissenschaftlich verantwortbaren Darstellung der deutsch-

polnischen Beziehungsgeschichte keinen Platz hat.

1. Bedeutung des Wortes Drang

Auf der Website des Projektes Deutscher Wortschatz der Universität Leipzig kann man

sich leicht ein Bild vom Wortfeld machen, zu dem das Wort Drang gehört. Synonyme

wie Instinkt, Trieb, Impetus, Impuls usw. geben an, dass das Wort Drang ein

innerliches, unbewusstes Verlangen zum Ausdruck bringt. Die Liste der oft

vorkommenden Kollokationen, z.B. unwiderstehlich, zwanghaft, unbezwingbar usw.,

zeigt, dass dieses Verlangen nicht von der Vernunft unterdrückt oder kontrolliert

werden kann. Ins Auge springt auch, dass man unter den 21 signifikanten rechten

Nachbarn von Drang an fünfter Stelle nach Osten findet, während z.B. nach Süden erst

auf Platz 18 steht und die anderen Himmelsrichtungen in dieser Liste sogar nicht

vorkommen. Zusammenfassend kann man die Bedeutung des Wortes Drang als “starker

innerer Antrieb” (DUW 2003 auf Cd-Rom: Art.“Drang”) umschreiben.

Wenn man diese Bedeutungsumschreibung vergleicht mit denjenigen, denen

man in Wörterbüchern aus der Entstehungszeit des Ausdrucks Drang nach Osten oder

in etymologischen Wörterbüchern begegnet, so stellt man eigentlich keine auffallenden

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Unterschiede fest. Man findet im Großen und Ganzen dieselben Synonyme und

Attribute vor. Nur im Wörterbuch der Deutschen Sprache (1876) von D. Sanders findet

man neben den Erklärungen “Gedränge” und “das Bedrängende” eine dritte Bedeutung,

die als “das zu etwas Drängende” (Sanders 1876: 311) umschrieben wird. Obwohl ein

Drang immer von einem Subjekt ausgeht, wird die Subjektbezogenheit durch diese

Formulierung besonders hervorgehoben. Auch Lemberg (1976) geht bei seiner

semantischen Analyse des Ausdrucks Drang nach Osten auf diesen Punkt ein. Er ist

nämlich der Meinung, dass bei einigen slavischen Übersetzungen des Drangs nach

Osten nicht das Subjekt, sondern das Objekt in den Mittelpunkt gerückt wird. Er nennt

beispielsweise die russische Übersetzung “natisk na Vostok” (Lemberg 1976: 3), wobei

natisk mit Andrang zu übersetzen sei. Während Drang eher das innere Streben des

Subjektes zum Ausdruck bringe, richte Andrang die Aufmerksamkeit viel mehr auf das

vom Drang bedrohte Objekt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird im Ausland

jedoch die deutsche Fassung Drang nach Osten bevorzugt.

Wenn man sich der Bedeutung des Wortes Drang bewusst ist, kann man sich

fragen, ob es sich für die Beschreibung historischer Erscheinungen eignet. Insofern als

Drang einen naturwüchsigen, unbewussten und nicht steuerbaren Prozess bezeichnet,

stellt es historische Ereignisse und Vorgänge, die sich aufgrund dieses Dranges

vollziehen, als Notwendigkeiten und nicht als Entscheidungen einzelner historischer

Akteure dar.

2. Historischer Gehalt und ideologische Funktion des Ausdrucks

Drang nach Osten

In seiner Definition gibt Lemberg an, dass mit Drang nach Osten auf eine historische

Kontinuität in der Bewegung der Deutschen Richtung Osten verwiesen wird. Mit “im

Lauf seiner Geschichte” (Lemberg 2003: 34) sind m.E. im Grunde zwei

unterschiedliche Perioden gemeint, zwischen denen oft zu Unrecht eine Verbindung

hergestellt wird. Diese Verbindung bewirkt, dass man den Eindruck bekommt, dass „die

Deutschen‟ mit der Zeit eine kontinuierliche Bewegung Richtung Osten verfolgt haben.

Die erste Periode, auf die man mit dem Ausdruck Drang nach Osten verweist, ist das

Mittelalter. Drang nach Osten bezieht sich dabei vor allem auf Phänomene des Hoch-

und Spätmittelalters, nämlich die Ostsiedlung und die Rolle des Deutschen Ordens. Die

zweite Periode fängt mit den Teilungen Polens an und endet mit dem Ausgang des

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Zweiten Weltkrieges. In dieser zweiten Periode hat sich der Ausdruck als solcher

gebildet und bereits beim ersten Beleg wurde auf die historische Kontinuität

hingewiesen. Dieser Kontinuitätsgedanke hat sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg

halten können und führte nach dem Soziologen J.Majcherek “im polnischen

Bewusstsein [zu] eine[r] logische[n] Kette von historischen Ereignissen: die

mittelalterlichen Markgrafen, die Kreuzritter, die preußische Teilungsmacht, Bismarck,

Hitler” (Interview in Deutsche und Polen, 2002). Ich werde im Folgenden sowohl die

eine als auch die andere Periode beschreiben, weil sich im weiteren Verlauf der Arbeit

zeigen wird, dass Einsicht in diese Perioden für das Verständnis des Ausdrucks Drang

nach Osten wesentlich ist.

2.1 Mittelalterlicher Kontext

Obwohl der Ausdruck Drang nach Osten erst Jahrhunderte später gebildet wurde, wird

mit ihm oft auf einige Vorgänge der hoch- und spätmittelalterlichen Geschichte

verwiesen, nämlich die Ostsiedlung und die „Kreuzzüge‟ des Deutschen Ritterordens.

Der Ausdruck Drang nach Osten wurde zur Beschreibung beider Phänomene benutzt,

weil man diese somit fast als Naturereignisse darstellen konnte.

2.1.1 Die Ostsiedlung

Nach der Christianisierung, die die römisch-katholische Kultur seit dem 9. und 10.

Jahrhundert in verschiedenen Ländern Osteuropas einführte, gab es mit dem

Landesausbau zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert einen zweiten großen

“Verwestlichungsimpuls” (Zernack 1992: 394). Die Ostsiedlung war dabei ein Teil

dieses von West nach Ost fortschreitenden Prozesses des Landesausbaus. Im

Wesentlichen verweist die Ostsiedlung auf die Phase des Landesausbaus, in der der

“west-östliche Akkulturationsprozess” (Zernack 1992: 398) sich seit dem 13.

Jahrhundert vom deutschen Reich aus als Siedlung “mit vornehmlich deutschem

Charakter” (Conze 1993: 66) in die Länder östlich des Reiches fortsetzte (vgl. Zernack

1977²: 51, Conze 1993: 62ff). Der Landesausbau beschränkte sich nicht auf die

Ansiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen, sondern umfasste auch allerhand

agrartechnische, wirtschaftliche, rechtliche und kulturelle Entwicklungen, die in den

besiedelten Ländern eingeführt wurden (vgl. Zernack 1977²: 52ff).

Nach Zernack (1991 [1980]) können vor allem die Unterschiede im

Kulturniveau, die Rechtsunterschiede und die demografischen Unterschiede zwischen

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den “Auswanderungs- und Aufnahmegebieten” (Zernack 1991 [1980]: 191) die

Siedlung erklären. Die traditionelle Einteilung in ethnische Kategorien, wobei die

Deutschen als Kolonisatoren und die unterschiedlichen slavischen Völker als Opfer

dieser Kolonisation aufgefasst werden, ist dabei im Grunde unmöglich, zumal wenn

man beispielsweise die Neustammbildung in der Germania Slavica-Zone

berücksichtigt. Mit dem Terminus Germania Slavica wird auf die Gebiete östlich von

Elbe und Saale verwiesen, die im 7. und 8. Jahrhundert slawisch besiedelt worden

waren. Seit dem 8. Jahrhundert siedelten sich in diesen Gebieten jedoch zunehmend

deutsche Stämme wie die Franken und die Sachsen an (vgl. Lübke 2003). Aus dieser

Mischung unterschiedlicher Stämme entwickelten sich mit der Zeit neue Stämme, die

aber weder als „deutsch‟ noch als „slavisch‟ bezeichnet werden konnten. Bei der

Darstellung der Akkulturations- und Transformationsprozesse, die sich im Laufe des

hochmittelalterlichen Landesausbaus vollzogen haben, muss die Aufmerksamkeit somit

nicht auf die ethnische Zugehörigkeit der Siedler gerichtet werden. Es muss vielmehr

auf die gegenseitige Beeinflussung geachtet werden und auf die Art und Weise, wie die

gegenseitigen Berührungen und Beziehungen bestimmte regionale Eigenheiten

veranlasst haben. Im Fall Schlesiens plädiert Zernack (1991 [1980]) zum Beispiel für

die Anerkennung seines “Zwischenlandcharakters” (Zernack 1991 [1980]: 189). Man

solle nicht versuchen, Schlesien eindeutig zu der Geschichte Polens oder Deutschlands

zu zurechnen, sondern man solle Schlesien als ein “geschichtliche[s] Berührungsfeld

mehrerer Nationen” (Zernack 1991 [1980]: 189) betrachten.

Eine solche objektive und rationale Sicht auf die Ostsiedlung hat sich jedoch erst

seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts durchsetzen können. Bei der

„Entdeckung‟ des historischen Phänomens „mittelalterliche Ostsiedlung‟ zu Beginn des

19. Jahrhunderts (vgl. Wippermann 1981: 21) wollte man dieses Phänomen an erster

Stelle erklären und dazu eignete sich der Ausdruck Drang nach Osten. Anhand dieses

Ausdrucks konnte die Ostsiedlung, die man damals meistens als Ostkolonisation

bezeichnete, in den Ländern Osteuropas als das erste Zeichen der angeborenen

Aggressivität der Deutschen, gedeutet werden. In Deutschland wurde die Ostsiedlung

als Teil der Erfüllung einer deutschen Mission betrachtet, bei der barbarischen Völkern

die Kultur gebracht werden sollte. Trotz der entgegengesetzten Interpretation wurde die

Ostsiedlung sowohl im nicht-deutschen als im deutschen Kontext fast als ein

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Naturereignis aufgefasst, d.h. sie wurde als ein natürlicher, nicht-steuerbarer und

unwiderstehlicher Prozess beschrieben.

Ähnliche Bewertungen gab es nach Piskorski (1991) bis nach dem Zweiten

Weltkrieg. Am Anfang eines Aufsatzes stellt Piskorski sich die Frage, welche

Vorstellungen “ein durchschnittlich gebildete[r] Pole oder Deutsche” in der

Zwischenkriegszeit von der Ostsiedlung gehabt hätte. Seiner Meinung nach hätten diese

wie folgt ausgesehen:

Von beiden Seiten hätten wir von dem ewigen deutschen Drang nach Osten

erfahren können, nur daß der Pole damals gemeint hätte, damit sei die

Plünderung der slawischen Gebiete und die unmenschliche Behandlung der

unterjochten Bevölkerung verbunden gewesen, während der Deutsche das

Heldentum seiner Nation hervorgehoben hätte, die im Osten einen neuen

Lebensraum zu finden vermutete, zugleich aber glaubte, unter den wenig

kultivierten Nachbarn […] höhere Kultur zu verbreiten. (Piskorski 1991: 203)

Wenn man diese Vorstellungen mit den aktuellen Forschungsergebnissen vergleicht, die

ich am Anfang dieses Abschnittes dargestellt habe, wird gleich klar, dass ein Ausdruck

wie Drang nach Osten perfekt die damaligen Vorstellungen der Ostsiedlung als

Naturereignis auf den Punkt bringt, mit dem heutigen Forschungsstand jedoch nicht

länger in Einklang zu bringen ist.

2.1.2 Der Deutsche Ritterorden als Spezialfall

Seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts hat die Expansion des Deutschen Ritterordens im

Baltikum unter dem Vorwand der Heidenbekämpfung begonnen. Zwischen 1221 und

1223 hatte der piastische Fürst Konrad I. von Masowien unterschiedliche Kreuzzüge

gegen die heidnischen Prußen unternommen und dabei das Kulmer Land erobert. Die

Prußen unternahmen jedoch Gegenzüge und zur Unterdrückung dieser wurde der

Deutsche Ritterorden, der 1198 im Heiligen Land gegründet worden war, von Konrad I.

zu Hilfe gerufen. Es gelang dem Deutschen Ritterorden die Prußen zu unterwerfen und

demzufolge bekam der Orden das ihm im Tausch versprochene Kulmer Land. Der

Deutsche Ritterorden entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer eigenständigen

Militärmacht und gründete einen modern organisierten fast pre-absolutistischen

Territorialstaat. Von diesem Staat aus versuchte der Orden seine Position nicht nur in

den baltischen Gebieten, sondern auch in Polen zu verstärken (vgl. Jaworski et al. 2000:

76ff). Es kam dabei schon ab 1308 zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen

dem Orden und Polen.

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Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Deutschen Orden und

Deutschland, denn der Orden kämpfte nur im eigenen Interesse. Dennoch ist eine

Verknüpfung zwischen den beiden seit Anfang des 19. Jahrhunderts hergestellt worden.

Dabei wurde der Orden oft als ein Vertreter des deutschen Drangs nach Osten

aufgefasst und die Eroberungen der Kreuzritter wurden oftmals grundlos mit der

deutschen Ostsiedlung gleichgestellt.

2.2 Die Teilungen Polens als Ausdruck der “negativen Polenpolitik”

Eine zweite Periode, die für das Verständnis der Bedeutung und Verbreitung des

Ausdrucks Drang nach Osten äußerst wichtig ist, fängt mit den polnischen Teilungen an

und dauert bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Während dieser Periode entwickelte

sich als Folge der “negativen Polenpolitik” (Zernack) ein deutsch-polnischer

Antagonismus.

Die Teilungen Polens, die zwischen 1772 und 1795 vollzogen wurden, gelten als

der erste und bedeutsamste Ausdruck einer negativen Polenpolitik. Seit dem Ende des

letzten nordischen Krieges, in dem Russland auf Kosten Schwedens und Polens eine

Vormachtstellung im östlichen Europa gewann (vgl. Zernack 1992²), wurde “die

Ausnutzung der geopolitischen Zwischenlage Polens” (Zernack 1992: 418)

systematisch in die Politik der Großmächte (Preußen, Russland und Österreich)

einbezogen. Während in Preußen, Österreich und Russland der Absolutismus

vorherrschte, war Polen zu dieser Zeit formell ein Königreich, faktisch aber eine

Adelsrepublik ohne jegliche effektive zentrale Staatsverwaltung. Der Aufbau der

polnischen Adelsrepublik bewirkte, dass zentrale Entscheidungen nur unter größten

Schwierigkeiten getroffen werden konnten. Bereits 1732 gingen die Großmächte, die

sich der Vorteile der politischen Lage Polens bewusst waren, ein Bündnis zur

Aufrechterhaltung der polnischen Handlungsunfähigkeit ein (vgl. Zernack 1992: 418).

In den folgenden Jahrzehnten genügte dieses Bündnis den “Drei Adlern” nicht mehr,

und 1772 einigten sich die drei Großmächte auf die erste Teilung Polens, bei der Polen

an jede Teilungsmacht bestimmte Gebiete abtreten musste. Dieses Verfahren wurde

1792 und 1795 wiederholt, bis Polen von der Landkarte Europas verschwunden war.

Mit den Teilungen Polens verschwand nicht nur der einzige nicht-absolutistische

Staat Osteuropas, sondern änderten sich auch die europäischen Staatenbeziehungen

grundlegend. Es war ein Machtkomplex dreier Staaten entstanden dessen Stabilität und

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Haltbarkeit mit der Aufrechterhaltung der Teilungen Polens stand oder fiel (vgl. Müller

1984: 8ff). Für Preußen war die negative Polenpolitik vollends unverzichtbar, denn nur

durch sie hatte Preußen seine Position als Großmacht erlangt und konnte es diese

sichern.

Entgegen den Erwartungen der drei Teilungsmächte hat der Verlust eines

eigenen Staates in Polen gerade das nationale Bewusstsein gesteigert statt unterdrückt.

Die “Resistenzfähigkeit der polnischen Gesellschaft” (Müller 1984: 63) bewirkte, dass

die Teilungsmächte die polnischen Gebiete niemals völlig unter Kontrolle halten

konnten (vgl. Zernack 1996: 124, Müller 1984: 63). Die unterschiedlichen preußischen

Versuche zur Integration und Assimilation der polnischen Bevölkerung scheiterten

jedes Mal an dem starken Widerstandswillen der Polen. Zwischen Preußen und den

Polen entwickelte sich auf diese Weise eine Konfliktsituation, die sich immer weiter

verschärfte und die sich seit der Reichsgründung sogar zu einem deutsch-polnischen

Antagonismus erweiterte (vgl. Lawaty 1986). Hierauf komme ich im dritten Kapitel

jedoch ausführlich zurück, denn die Entscheidung der Paulskirche zur Fortsetzung der

negativen Polenpolitik Preußens hat wahrscheinlich den ersten Gebrauch des Ausdrucks

Drang nach Osten veranlasst.

Bei der Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten im 19. und im 20.

Jahrhundert wurde, wie oben schon erwähnt, zwischen den Teilungen Polens und der

mittelalterlichen Ostsiedlung und Kreuzzüge eine Verbindung hergestellt. Man glaubte

dabei an eine Kontinuität der deutschen Aggressivität gegen den Osten und die

Teilungen Polens wurden dabei als eine erneute Phase des deutschen Drangs nach

Osten aufgefasst. Es wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass die Ursachen und Folgen

der Teilungen Polens sich völlig von denjenigen der mittelalterlichen Ostsiedlung und

Kreuzzüge unterschieden.

3. Entlarvung des Ausdrucks Drang nach Osten in der Forschung seit den

fünfziger Jahren

Wie ich bereits angedeutet habe, sind sich die Forscher heutzutage im Allgemeinen

darüber einig, dass Drang nach Osten eher im Bereich der Ideologie als im Bereich der

Wirklichkeit anzusiedeln ist. Das hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass mit

dem Ausdruck Drang nach Osten einem ganzen Volk, nämlich „den Deutschen‟, ein

bestimmter angeborener, identischer und gleichbleibender Charakterzug unterstellt

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wird. Eine solche These kann aber nur vertreten werden, wenn man an die Existenz

eines bestimmten Volks- oder Nationalcharakters im Herderschen Sinne glaubt. Diese

Gedanken sind heutzutage jedoch längst überholt und demzufolge hat ein Ausdruck wie

Drang nach Osten keinen Sinn mehr.

In der Geschichtswissenschaft ist der Ausdruck Drang nach Osten schrittweise

als Ideologie entlarvt worden. Diese Entwicklung kann man den Werken, auf die ich

mich für diese Untersuchung gestützt habe, gut entnehmen. Die einzige Ausnahme

hierauf bildet das Werk Meyers, das ich trotzdem wegen seines begriffsgeschichtlichen

Ansatzes benutzt habe.

In diesem Abschnitt wird die Entwicklung der Ansichten in Bezug auf den

Ausdruck Drang nach Osten anhand der existierenden Arbeiten, die den Drang nach

Osten zum Thema haben, dargestellt. Im Zuge dieser Übersicht werde ich den weiteren

Inhalt der Werke, deren Bewertung anderer Forscher und meine eigene Kritik an ihnen

kurz beschreiben.

3.1 H.C. Meyer: Der “Drang nach Osten” in den Jahren 1860-1914

1957 erschien ein erster Aufsatz von Meyer, der den Ausdruck Drang nach Osten zum

Thema hatte. Die zentrale Frage dieses Aufsatzes war, wie man erklären könnte, dass

der Ausdruck Drang nach Osten sich gerade in der Zeit zwischen 1860 und 1914

verbreitet habe. Gerade in dieser Zeit habe es, Meyer (1957: 6) zufolge, wenig Spuren

eines deutschen Druckes gegen Osten gegeben. Meyers Schlusssatz war, dass man in

den anderen Ländern die zunehmende Macht des kaiserlichen Deutschlands fürchtete

und dass auch die zunehmenden nationalistischen Gefühle den Gebrauch des Drangs

nach Osten erklären könnten.

Obwohl dieser Aufsatz Meyers durch sein späteres Buch überholt worden ist

und obwohl sehr viel Kritik an ihm geübt wurde, ist dieser Aufsatz wichtig gewesen,

weil er die Aufmerksamkeit auf die Problematik gerichtet hat und weil die meisten

anderen Autoren sich für ihre eigene Arbeit auf Meyers Aufsatz basiert haben oder

wenigstens auf diesen Aufsatz hingewiesen haben.

3.2 G. Labuda: A historiographic analysis of the German Drang nach Osten

Die erste Arbeit, in der ein wichtiger Schritt zur Relativierung des Ausdrucks Drang

nach Osten gemacht wird, ist die 1964 veröffentlichte Abhandlung A historiographic

analysis of the German Drang nach Osten von G. Labuda. Darin stellt Labuda zunächst

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dar, wie die slavische und die deutsche Geschichtsschreibung sich gegen Ende des 19.

Jahrhunderts voneinander entfernten, weil die Darstellung der Geschichte mehr und

mehr im Dienst der eigenen nationalistischen Politik stand. Labuda richtet dabei die

Aufmerksamkeit besonders auf die Art und Weise, wie die mittelalterliche Ostsiedlung

beschrieben wurde und welche Rolle der Ausdruck Drang nach Osten dabei spielte. Im

dritten Teil seines Aufsatzes präsentiert Labuda seine eigene Ansichten hinsichtlich der

zukünftigen Darstellungsweise des Drangs nach Osten. Dabei macht er einige

Verallgemeinerungen, die in Zukunft systematische Beschreibungen des Drangs nach

Osten ermöglichen sollen. Die deutsche Expansion in Zentral- und Osteuropa hatte

Labuda zufolge vier Hauptformen: wirtschaftlich, demografisch, politisch und

ideologisch (1964: 256). Diese vier Hauptformen seien in unterschiedlichen Varianten

aufgetreten und verschiedenartig realisiert worden, daher sei es schwierig, diese

Expansion auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen (1964: 256). Dennoch gebe

es Kriterien, die eine objektive Bewertung der Expansion möglich machen. Nach diesen

Kriterien habe die deutsche Kultur in gewissen Bereichen einen positiven Beitrag zur

slavischen Kultur geliefert. Dieser positive Beitrag sei jedoch von der Historiografie

nicht wahrgenommen worden, denn die Zeit, in der die Geschichtsschreibung sich zu

entwickeln begann, sei von gesteigerten nationalistischen Gefühlen gekennzeichnet

worden, wodurch eine objektive Beschreibung der historischen Ereignisse unmöglich

gewesen sei:

The tragedy of the science of history is that the moment it started to record these

mutual relations coincided with growing waves of nationalism and chauvinism

on both sides, which did not allow of an objective evaluation of the relative

facts. (Labuda 1964: 257)

Neben diesem positiven und friedlichen kulturellen Beitrag unterscheidet Labuda in der

Periode des Feudalismus und Kapitalismus aber auch eine aggressive Form der

Expansion: den “sogenannten Drang nach Osten”(1964: 258). An diesem eigentlichen

Drang nach Osten seien nur diejenigen Schichten der Bevölkerung beteiligt gewesen,

die die ortsansässige Bevölkerung ausbeuteten. Diese Ausbeutung sei vor allem in

wirtschaftlichen und politischen Bereichen vorgekommen. Nach Labudas Vorstellung

war der Drang nach Osten also nicht nur auf eine bestimmte Periode beschränkt,

sondern bekam er auch einen Klassencharakter.

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Labuda kann, insofern er den Gedanken der historischen Kontinuität zugunsten

einer differenzierteren Sicht aufgegeben hat, sicherlich zu der Gruppe der polnischen

Historiker gezählt werden, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Historiografie der

deutschen mittelalterlichen Geschichte vom mythischen Ballast befreien wollten. Es

fällt aber auf, dass er immer noch an einigen überholten Kategorien festhält und an die

realhistorische Existenz eines Drangs nach Osten glaubt3:

The historic Drang nach Osten is a reality and it would be difficult to deny its

existence; its diversity is also beyond any doubt. Of course, Drang nach Osten

as a historic phenomenon should be distinguished from the theory of Drang nach

Osten as a political ideology […]. (Labuda 1964: 254)

Autoren wie Zientara (1983 [1974]: 173ff) und Wippermann4 (1981: 79) haben bei

Labuda vor allem diese Aspekte kritisiert. Zientara (1983 [1974]: 175ff) stellt sich die

Frage - gesetzt es habe, wie Labuda behauptet, einen Drang nach Osten gegeben -,

worin dieser sich dann von der Expansion in andere Himmelsrichtungen unterscheide.

Das Argument Labudas (1964: 256), es handle sich beim Drang nach Osten nicht nur

um eine territorial-politische, sondern auch um eine demografische Expansion, wird von

Zientara (1983 [1974]: 175) zurückgewiesen, dadurch dass er darauf hinweist, dass

Labuda gerade die demografische Expansion aus seiner Definition des Drangs nach

Osten herausgenommen habe, weil er die Siedlung der Bauern und Handwerker davon

ausgeschlossen habe. Überdies fragt Zientara (1983 [1974]: 175) sich, ob man die Rolle

der Bauern überhaupt von der der Feudalherren trennen könne, denn ohne den

“Massenzustrom” (Zientara 1983 [1974]) deutscher Bauern wäre die Veränderung des

ethnischen Charakters der Gebiete unmöglich gewesen. Im Übrigen war der

Antagonismus zwischen den deutschen Bauern und der bodenständigen Bevölkerung

eher religiöser als nationaler Art. Zum Schluss verweist Zientara (1983 [1974]: 176f)

auf die damalige politische Lage im Reich und auf die Tatsache, dass diejenigen

deutschen Fürstentümer, die angeblich den Drang nach Osten vorantrieben, im eigenen

Interesse handelten und nicht für die des ganzen Reiches. Zientaras Schlussfolgerung

3 In seiner später veröffentlichten Abhandlung Les slaves et l‟Historiografie allemande du XIXe siècle

(1969) scheint Labuda diese These nicht mehr zu vertreten, denn in der Behandlung des Drangs nach

Osten fügt er ständig hinzu, dass es sich dabei um eine Ideologie handle (vgl. Labuda 1969: 234ff). Da er

sich in dieser Abhandlung nicht an erster Stelle mit dem Ausdruck Drang nach Osten beschäftigt,

verzichte ich hier auf eine ausführliche Beschreibung dieser Arbeit. 4 Da Wippermann (1981) sich in großem Maße den Thesen Zientaras (1983 [1974]) anschließt,

beschreibe ich im Folgenden lediglich die Kritik Zientaras (1983 [1974]).

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ist, es habe im Mittelalter zwar eine Expansion der deutschen Fürstentümer in die

Gebiete östlich der Oder und Neiße gegeben, aber diese sei weder instinktiv oder

typisch deutsch, noch Teil einer planmäßigen Aggression der Deutschen Richtung

Osten gewesen. Nach Zientara bedarf diese Expansion dann auch keiner eigenen

Bezeichnung wie z.B. Drang nach Osten.

3.3 H. Lemberg: Der “Drang nach Osten”. Schlagwort und Wirklichkeit

1976 beschäftigt auch H. Lemberg sich mit der Frage, inwieweit der Ausdruck Drang

nach Osten einer historischen Wirklichkeit entspricht. Nach einer äußerst kurzen

Beschreibung der Verbreitung des Ausdrucks versucht Lemberg den Ausdruck

semantisch zu analysieren. Im dritten Teil seiner Arbeit stellt er fest, dass der Ausdruck

Drang nach Osten von der deutschen Historiografie kaum benutzt worden sei, da er

bereits von der anderen Seite, d.h. von denjenigen, die sich von diesem Drang bedroht

fühlten, besetzt worden sei. Nachdem Lemberg den Kontinuitätsgedanken und den

Glauben an bestimmte nationale Charakterzüge als falsch zurückgewiesen hat,

bezeichnet er den Ausdruck Drang nach Osten als ein Heterostereotyp. Anhand von

Heterostereotypen werden “einer anderen Gruppe oder Nation […] vorurteilhaft

bestimmte Eigenschaften zugeschrieben” (Lemberg 1976: 9). Mit dem Ausdruck Drang

nach Osten schreibe man den Deutschen “ein bestimmtes, undifferenziert-einfaches

Verhaltensmuster” (Lemberg 1976: 9) zu. Lemberg gesteht aber ein, dass der Begriff

Heterostereotyp, der aus der Sozialpsychologie stammt, sich für die

Geschichtswissenschaft nicht eigne, und schlägt somit die Bezeichnung “historischer

Mythos” (Lemberg 1976: 9) vor.

Lemberg distanziert sich in diesem Aufsatz deutlich von der These Labudas,

indem er behauptet, dass der Ausdruck Drang nach Osten überhaupt keinen

historischen “Wahrheitsgehalt” (Lemberg 1976: 13) habe. Auf diese Weise stellt seine

Arbeit einen weiteren Schritt in der Relativierung des Wertes eines Drangs nach Osten

dar. Trotz dieser weitgehenden Relativierung weist Lemberg (1976) am Anfang und am

Ende seines Aufsatzes kurz darauf hin, dass, dadurch dass so “viele Menschen an seine

Existenz glaubten” (Lemberg 1976: 13), der Ausdruck doch einen bestimmten “Grad

von Wirklichkeit” (Lemberg 1976: 1) erlangt habe. Diese These Lembergs werde ich im

dritten Kapitel überprüfen, denn auch ich glaube, dass der Ausdruck Drang nach Osten,

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auch wenn er keiner Realität entspricht, doch die realhistorischen Beziehungen

unterschiedlicher Länder als Faktor hat beeinflussen können.

3.4 W. Wippermann: Der “deutsche Drang nach Osten”. Ideologie und Wirklichkeit

eines politischen Schlagwortes

In seinem 1981 veröffentlichten Werk Der „deutsche Drang nach Osten‟ will W.

Wippermann anhand einer Untersuchung des “Ursprung[s], [der] Genese und [der]

Funktion, [der] Träger und [der] Adressaten des Schlagwortes” (Wippermann 1981: 1)

zeigen, dass es sich beim Drang nach Osten “nicht um eine historische Realität, sondern

um eine Ideologie” (Wippermann 1981: 6) handle. Als Ideologie könne der Drang nach

Osten aber trotzdem “Faktor und Indikator von realhistorischen Entwicklungen”

(Wippermann 1981: 6) gewesen sein. Zur Unterstützung seiner These benutzt

Wippermann hauptsächlich Zitate aus der Historiografie.

Die Kritik, die man an diesem Werk üben kann, ist vor allem struktureller Art,

insofern als Wippermann die deutsche, russische und polnische Historiografie gesondert

betrachtet, geht der chronologische Zusammenhang, der – wie ich im dritten Kapitel

noch ausführlich zeigen werde - für den Ausdruck Drang nach Osten äußerst wichtig

ist, verloren. Die Historiografie war vor allem seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in

den verschiedenen Ländern ein wesentlicher beziehungsgeschichtlicher Faktor, d.h. die

Geschichtsschreibung hat, indem sie die Geschichte anhand von Ausdrücken, wie

beispielsweise Drang nach Osten, beschrieb, die Beziehungen zwischen den

verschiedenen Nationen beeinflusst. Die Historiografie stand im Dienst der damaligen

nationalistischen Politik und sollte diese unterstützen und rechtfertigen. Gerade wegen

des beziehungsgeschichtlichen Zusammenhanges zwischen der Politik und der

Historiografie der unterschiedlichen Nationen, wäre eine gesamte chronologische

Beschreibung der Historiografie in Deutschland, Polen und Russland ergiebiger

gewesen. So wie Wippermann es jetzt darstellt, bleibt auch unklar, von welchen

historischen Ereignissen der Ausdruck Drang nach Osten Indikator und Faktor gewesen

sein könnte. Ich werde im nachfolgenden Kapitel zeigen, dass der Ausdruck Drang

nach Osten an erster Stelle Indikator der misslingenden deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte gewesen ist, dass die Rolle des Ausdrucks als Faktor hingegen

nicht so eindeutig festzulegen ist.

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3.5 H.C. Meyer: Drang nach Osten. Fortunes of a Slogan-concept in German-

Slavic Relations, 1849-1990

Die bisher letzte Arbeit, die sich ausführlich mit dem Thema Drang nach Osten

auseinandergesetzt hat, ist Drang nach Osten (1996) von H.C. Meyer. Hauptthese

dieses Buches ist, dass der Ausdruck Drang nach Osten, der zunächst als publizistisches

Schlagwort (“slogan”) benutzt worden sei, sich im Laufe der Zeit zu einem

historiografischen Begriff (“concept”) entwickelt habe. Nach einer chronologischen

Beschreibung der Geschichte und Verbreitung des Ausdrucks, ist Meyer am Ende

seines Werkes der Meinung, dass Drang nach Osten ein gültiger historischer Begriff

sei, der in der Geschichtsschreibung als zutreffende Beschreibung einer Grundtendenz

der deutschen Geschichte verwendet werden dürfe und sollte.

In methodologischer Hinsicht bedeutet das Buch Meyers einen Rückschritt,

denn er scheint an der realhistorischen Existenz eines Drangs nach Osten nicht zu

zweifeln:

Under these combined historiographical and geographical initiatives the way

could be found finally to establish Drang nach Osten as a valid historical

concept, as a proper Begriff for German history. (Meyer 1996: 142)

An verschiedenen Stellen scheint er sogar zu bedauern, dass die gegenwärtige deutsche

Historiografie sich wegen einer “psycho-political blockage” (Meyer 1996: 141) immer

noch nicht mit der Realität eines Drangs nach Osten habe versöhnen können.

Ob die Verschiebung von Schlagwort zu Begriff tatsächlich zutrifft, werde ich

im vierten Kapitel ausführlich behandeln. Im jetzigen Zusammenhang ist vor allem

wichtig, dass Meyers These, der Ausdruck Drang nach Osten könne und sollte

legitimerweise in der Geschichtschreibung verwendet werden, einen Rückfall in den

Forschungsstand der Vorkriegszeit bedeutet. Dafür spricht auch die Tatsache, dass

Meyer sich kaum mit den aktuellen Forschungsergebnissen5 auseinandersetzt. Dennoch

ist seine Arbeit wegen der Unmenge von Zitaten, vor allem aus dem Bereich der

Publizistik, eine Bereicherung und eine Ergänzung zum Werk Wippermanns (1981),

denn dessen Zitate stammen fast alle aus historiografischen Veröffentlichungen.

Bedauernswert ist aber, dass Meyer dieser ausführlichen Quellenauswertung kein

Quellen- und Literaturverzeichnis hinzugefügt hat (vgl. Leuschner 2002).

5 Meyer (1996: 18f) erwähnt zwar das Werk Wippermanns (1981), weist aber dessen These ohne

wirkliche Argumentation zurück und erhält seine eigenen Thesen uneingeschränkt aufrecht.

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Kapitel III: Drang nach Osten als Indikator und Faktor einer

misslingenden Beziehungsgeschichte

1. Methodologischer Ausgangspunkt

In diesem Kapitel stehen die Entstehung, die Entwicklung und die Verbreitung des

Ausdrucks Drang nach Osten im Mittelpunkt. Die Ausgangsfragen bei dieser

Darstellung sind, ob und inwieweit der Ausdruck als Indikator die Entwicklung der

deutsch-polnischen Beziehungen und im weiteren Sinne der Beziehungen Deutschlands

zu Osteuropa widergespiegelt hat und ob er als Faktor auf diese Beziehungen auch

einen Einfluss ausgeübt hat. Dies wird anhand des Zusammenhanges zwischen den

historisch-politischen Kontexten und der Verwendung des Ausdrucks Drang nach

Osten untersucht. Das Ziel dieses Überblickes ist ein zweifaches. Zum einen möchte ich

die bisherigen Forschungsergebnisse zu einer einheitlichen Darstellung

zusammenführen. Zum anderen möchte ich anhand des Ausdrucks Drang nach Osten

zeigen, dass auch die Sprache eine beziehungsgeschichtliche Rolle spielen kann.

Der Aufbau dieses Kapitels sieht wie folgt aus: Nach einer Beschreibung des

begriffsgeschichtlichen Ausgangspunktes wird der Entstehungskontext des Ausdrucks

Drang nach Osten ausführlich untersucht, und danach werden die weitere Verbreitung

und die Kontexte, in denen Drang nach Osten im Laufe der Zeit benutzt worden ist,

skizziert.

1.1 Begriffsgeschichte

Für diese Arbeit habe ich mich, wie erwähnt, von der Begriffsgeschichte inspirieren

lassen. Vor allem in den beiden folgenden Kapiteln werde ich mehrfach auf Thesen,

Ideen und Ergebnisse dieser Disziplin verweisen. Es scheint mir deswegen angebracht,

zunächst kurz Ziel und Methode der Begriffsgeschichte zu erläutern.

Die seit den fünfziger Jahren aufkommende Begriffsgeschichte forscht nach

zentralen, politisch oder sozial relevanten Ausdrücken und untersucht ihre Entwicklung

im Laufe der Zeit. Die Begriffsgeschichte kann somit als Teil der historischen Semantik

eingeordnet werden, denn Ziel der historischen Semantik ist es:

[...] mit Hilfe der Bedeutungsanalyse von sprachlicher Verständigung über

historische Erfahrung an die darin enthaltene Wirklichkeitskonstruktion

heranzukommen. (Busse 1987: 57)

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Auch die Begriffsgeschichte geht davon aus, dass die geschichtliche Erfahrung der

Wirklichkeit und die sprachliche Gestaltung der Wirklichkeit engstens miteinander

verbunden sind. Der dahinter liegende Gedanke ist, dass die Sprache zum einen eine

Indikatorenfunktion hat, d.h. in der Sprache kommen die politischen und sozialen

Phänomene und ihre Veränderung zum Ausdruck, dass sie aber auch zum anderen als

Faktor wirksam ist, denn die Sprache übt einen Einfluss auf die Wahrnehmung und das

Bewusstsein dieser Phänomene aus (vgl. Koselleck 1972). Deshalb charakterisiert

Koselleck (1998) die Begriffsgeschichte als “Medium zwischen realer Geschichte und

Bewußtseinsgeschichte” (Koselleck und Dipper 1998: 188).

Das Eigentümliche der Begriffsgeschichte ist, dass sie die Vermittlung zwischen

Sprache und Geschichte anhand von Begriffen untersucht. Worin der spezifische Wert

eines Begriffes besteht, wird im vierten Kapitel ausführlich behandelt. Hier möchte ich

deswegen nur ganz kurz angeben, was in der Begriffsgeschichte allgemein als Begriff

gilt. Begriffe, z.B. Staat, Herrschaft, Kapital, Adel usw., vereinen in sich nach

Koselleck “die Fülle eines politisch-sozialen Bedeutungszusammenhanges” (1972:

XXII). Sie seien “Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte” (Koselleck 1972: XXII) und

seien folglich immer vieldeutig. Der Begriff Demokratie kann beispielsweise auf einen

Staat, auf ein politisches System, auf ein Prinzip der Gleichberechtigung usw.

verweisen.

Die Aufgabe der Begriffsgeschichte besteht darin, zu untersuchen, wann, wo, von

wem und für wen welche Erfahrungen oder Ereignisse wie begriffen und sprachlich

kondensiert werden (vgl. Koselleck 2002: 41). Nachdem man die Begriffe als solche hat

destillieren können, wird ihre eigene Geschichte und ihre Vernetzung in eine

Gesamtheit von Gegenbegriffen, Ober- und Unterbegriffen, Begleit- und

Nebenbegriffen untersucht (vgl. Koselleck 2002: 43).

Dass diese Angaben zur Begriffsgeschichte ziemlich allgemein und abstrakt

bleiben, hat damit zu tun, dass je nach dem untersuchten Problem und dem spezifischen

Erkenntnisziel, Methode und Ergebnis recht verschieden ausfallen können. Sogar

innerhalb des Lexikons Geschichtliche Grundbegriffe (1972-1997), in dem der

Übergang von der alten zur modernen Welt anhand der sich ändernden Begriffe im

deutschen Sprachraum wiedergegeben wird, gibt es große Unterschiede zwischen den

verschiedenen Beiträgen. Die Unterschiede hängen nach Busse (1987: 61ff) u.a. mit

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dem interdisziplinären Charakter der Begriffsgeschichte, mit der unterschiedlichen

theoretischen Herkunft der Autoren, mit der unterschiedlichen Betonung der Rolle des

Kontextes, mit der differenzierten Auffassungen von Begriffen, mit der verschiedenen

Quellenauswahl usw. zusammen. Diese Unbestimmtheit macht m.E. sowohl die Stärke

als auch die Schwäche der Begriffsgeschichte aus. Da sie methodologisch nicht

eindeutig festgelegt ist, kann sie von verschiedenen Wissenschaften (z.B. der

Geschichte, der Linguistik, der Soziologie) benutzt werden und ständig an das jeweilige

Erkenntnisziel angepasst werden. Andererseits bewirkt der Mangel an einer soliden

theoretischen Grundlage, dass sie als (Teil-) Disziplin nicht immer ernst genommen

wird und dass man in bestimmten Zweifelsfällen nicht auf eine theoretische Grundlage

zurückgreifen kann.

In dieser Arbeit werde ich vor allem die Stärke der Begriffsgeschichte, d.h. ihre

Flexibilität, ausnutzen und nachgehen inwieweit einige ihrer Grundgedanken auf den

Ausdruck Drang nach Osten zu übertragen sind.

1.2 Drang nach Osten als Faktor und Indikator der geschichtlichen Erfahrung

Mithilfe einiger Fragestellungen der Begriffsgeschichte wird im Folgenden die

Geschichte des Ausdrucks Drang nach Osten analysiert. Trotz meiner

begriffsgeschichtlichen Vorgehensweise glaube ich aber, dass es schwer zu entscheiden

ist, ob Drang nach Osten als Begriff betrachtet werden kann. Auf diese Problematik

werde ich im vierten Kapitel eingehen. Die Flexibilität der Begriffsgeschichte lässt es

aber zu, dass man ihre Fragestellungen auch auf andere sprachliche Phänomene

anwenden kann.

Die begriffsgeschichtliche Frage, wann, wo und für wen welche historischen

Ereignisse sich im Ausdruck Drang nach Osten sprachlich kondensierten, wird im

Laufe dieses Kapitels beantwortet. Außerdem glaube ich, dass Drang nach Osten ein

Indikator und Faktor der misslingenden Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland

und Polen (und in weiterem Sinne Osteuropa) gewesen ist; diese These wird in diesem

Kapitel überprüft.

2. Entstehungskontext

Zunächst werde ich mich mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen historischen

Umständen sich der Ausdruck Drang nach Osten hat bilden können. Dabei werde ich

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die Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten aus einem Wortfeld alternativer

Ausdrucksmöglichkeiten unter die Lupe nehmen, die Forschungsergebnisse zum ersten

Gebrauch des Drangs nach Osten darstellen und zum Schluss werde ich den historisch-

politischen Kontext, in dem sich der Ausdruck zunächst gebildet hat, genauer

untersuchen.

2.1. Kristallisation des Ausdrucks Drang nach Osten

2.1.1 Wortfeldzugehörigkeit

Der Ausdruck Drang nach Osten hat sich nicht auf einmal in dieser Formulierung im

Sprachgebrauch etabliert. Vielmehr wurde der Inhalt dieses Ausdrucks schon eine Zeit

lang anhand unterschiedlicher Substantive und Verben, die zum selben Wortfeld

gehörten, sprachlich zum Ausdruck gebracht. Aus dieser Menge alternativer

Ausdrucksweisen hat Drang nach Osten sich allmählich als verfestigte nominale

Kollokation in Form eines Wortgruppenlexems (vgl. unten IV, 5) herausbilden können.

In Texten, in denen die inhaltlichen Komponenten des Drangs nach Osten

anwesend waren, wurden zunächst allerhand andere Substantive und Verben benutzt. In

der deutschen Historiografie und Publizistik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

findet Wippermann (1981: 38ff) neben den Verben dringen und drängen mit ihren

verschiedenen Präfixen wie z.B. ein-, vor-, zurück- usw. auch die Wortgruppe

drängendes Deutschtum und das Substantiv Vordringen. Nicht nur in deutschen

Veröffentlichungen, sondern beispielsweise auch im Werk des slovakischen Autors L.

Štúr Das Slaventhum und die Welt der Zukunft (1853) werden neben Drang die

Substantive Andrang und Vordringen benutzt (vgl. Wippermann 1981: 52ff). Neben

diesen Wörtern, die alle zur selben Wortfamilie gehören, wurden teilweise auch

Substantive wie z.B. Zug oder Beruf verwendet. Diese sind zwar anderer

etymologischer Herkunft, bringen dennoch einen ähnlichen Inhalt, nämlich das

Befolgen eines bestimmten Triebes, zum Ausdruck. Auf diese Weise wurde das

Substantiv Beruf u.a. von G. Waitz benutzt: “Wenn man erkennt, daß deutsche Cultur,

deutsche Bevölkerung den Beruf [meine Hervorhebung, SV] haben, sich gegen den

Osten hin auszubreiten, […]” (Waitz 1860: 14).

Von diesen unterschiedlichen Ausdrucksweisen haben sich mit der Zeit vor

allem die Kollokationen Drang nach Osten in nicht-deutschen Kontexten und Zug nach

(dem) Osten im deutschen Kontext durchsetzen können. Dazu könnte die Tatsache

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beigetragen haben, dass Drang im 19. Jahrhundert ein sehr beliebtes Modewort war,

denn in schlagwortartigen Formulierungen werden öfters Modewörter verwendet.

Drang war ein Stichwort der romantischen Literatur, die es von Sturm-und-Drang-

Autoren übernommen hatte. Die romantischen Helden führten oft einen Kampf gegen

ihre inneren Dränge, die sie als tierisch, dunkel und geheimnisvoll erlebten. Auch in den

damaligen philosophischen Wortschatz wurde das Wort Drang mit Betonung derselben

inhaltlichen Komponenten übernommen. Nach dem Historischen Wörterbuch der

Philosophie (1972) benennt Drang ein “Antriebsgeschehen”, das von einem “inneren,

sehr intensiven Spannungserleben” und von der “Erlebnisqualität des Dunklen,

Dumpfen” (HWP 1972: 290) gekennzeichnet ist. Unter anderem A. Schopenhauer und

M. Scheler bezeichneten in ihrer Philosophie mit Drang die unterste Stufe des Willens

(vgl. HWP 1972: 290f). Die ersten Verwendungen des Ausdrucks Drang nach Osten in

nicht-deutschen Kontexten sind vor allem als Ironisierung des von deutschen Autoren

überbenutzten Wortes Drang zu verstehen. Die Tatsache, dass im deutschen Kontext

der Ausdruck Zug nach (dem) Osten bevorzugt wurde, kann man vor allem dadurch

erklären, dass Drang nach Osten als Teil der gegnerischen Ideologie aufgefasst wurde

(vgl. oben II, 3.3).

2.1.2 Drang als Teil einer naturalisierenden Metaphorik

Ich werde im Folgenden noch mehrmals darauf hinweisen, dass der Ausdruck Drang

nach Osten in Deutschland selber auffallend wenig benutzt wurde. Dies bedeutet aber

keineswegs, dass die inhaltlichen Komponenten fehlten, es fehlte lediglich der exakte

Ausdruck. Beim Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde in unterschiedlichen

deutschen Veröffentlichungen eine naturalisierende Metaphorik verwendet, bei der

anstatt des Wortes Drang andere Worte, die einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck

brachten, benutzt wurden. Anhand von Wörtern wie Ausbreiten, Ausdehnen, Ziehen,

Treiben, Strömen, Fließen und Drängen (Wippermann 1981: 95) wurde beschrieben,

wie der Lauf der Geschichte von “organisch-naturwüchsige[n] und daher

unaufhaltsame[n] Vorg[ä]ng[en]” (Wippermann 1981: 95) bestimmt werde.

Diese Metaphorik wurde nicht nur auf die deutsche Expansion Richtung Osten,

sondern auf jegliche Migration von Menschen angewandt. Einige deutsche Historiker

stellten sogar den ganzen Lauf der Geschichte anhand einer riesigen Flut-und-Ebbe-

Metaphorik dar:

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[…] bis zum Gestade des Ärmelkanals hatte die Völkerflut die Germanen

getragen; in einer Hochwelle gleichsam war sie daran gebrandet. Die große

Oszillation nach Westen war vollendet […]. (Lamprecht 1913: 311)

So wie man sich einem Drang nur schwer widersetzen kann, kann man sich auch gegen

eine Flut oder Welle nur schwer wehren. Nicht nur K. Lamprecht, sondern u.a. auch A.

Wäber (“slavische Flut”), M. Beheim-Schwarzbach (“Wellen des Deutschtums”) und K.

Hampe (“slavische Flutwelle” alle zit.n. Wippermann 1981: 98ff) hatten eine Vorliebe

für Metaphern aus dem Bereich des Meeres. Auffallend ist, dass Wäber und Hampe

diese Metaphorik auch auf die Slaven anwandten: Nicht nur das deutsche Volk, sondern

auch die anderen Völker bewegten sich in der Geschichte wie Wellen. Eine derartige

Vorstellung der Geschichte findet man 1958 noch bei P.E. Schramm:

[…], dass es sich um zwei Flutbewegungen handelt, die so ineinander greifen,

dass jeweils einer Westflut eine Ostebbe und einer Ostflut eine Westebbe

entsprach. (Schramm 1958: 322 zit.n. Labuda 1964: 236)

Zu dieser Flut-und-Wellenmetaphorik passt auch das Verb dringen, zumal wenn man

bedenkt, dass dem Wort Drang im Historischen Wörterbuch der Philosophie ein

wellenartiger Charakter zugeschrieben wird. Ein Drang manifestiere sich “in Form

eines «Hinzu» und «Hinweg»” (HWP 1972: 291) und habe “einen phasischen,

wellenartigen Verlauf” (HWP 1972: 292). Auf diese Weise scheint es, als ob das Wort

Drang diese Flut-und-Welle-Metaphorik automatisch mit sich bringt.

2.2 Zur Frage des Erstbelegs

Wenn man weiß, dass der Ausdruck Drang nach Osten sich erst nach längerer Zeit aus

einer ganzen Menge gleichwertiger Ausdrücke hat herauskristallisieren können, kann

man sich auch leicht vorstellen, dass man bei der Suche nach dem ersten Gebrauch des

Ausdrucks Drang nach Osten in genau dieser Form mit unterschiedlichen Problemen

konfrontiert wird. Oftmals ist es so, dass alle inhaltlichen Komponenten vorliegen, dass

der Ausdruck als solcher jedoch fehlt. Manchmal begegnet man einer Ausdrucksweise,

die sich nur in einem Element vom Ausdruck Drang nach Osten unterscheidet, z.B.

“Drang nach Ostland” (Treitschke 1897: 234 zit.n. Meyer 1996: 61), oder der Ausdruck

steht in Anführungszeichen, oder er wird einem anderen Autor zugeschrieben. Daher

vermuten die unterschiedlichen Forscher übereinstimmend, dass der Erfinder und somit

der erste Beleg des Ausdrucks Drang nach Osten bis jetzt noch nicht gefunden worden

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sei6. Trotzdem haben (fast) alle versucht, dem ersten Gebrauch auf die Spur zu

kommen. Diese Suche hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt, allerdings ohne

dass die Autoren dabei viel Rücksicht auf die Ergebnisse anderer genommen hätten.

2.2.1 Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an Herrn Georg

Gervinus

Die Stelle, die auch heute noch als frühester Beleg des Ausdrucks Drang nach Osten

betrachtet wird, findet sich in einem Werk des polnischen Historikers und Publizisten J.

Klaczko aus dem Jahre 1849. In Die deutschen Hegemonen. Offenes Sendschreiben an

Herrn Georg Gervinus äußert Klaczko seine Enttäuschung über die Abkehr der

deutschen Nationalversammlung vom Ziel der Wiederherstellung Polens (vgl. unten III,

2.3.2). Er richtet sich dabei besonders an G. Gervinus, der Herausgeber der Deutschen

Zeitung war und der in den vorangehenden Jahren eine Artikelserie von Klaczko zur

polnischen Emigration in Form von Leitartikeln in seiner Zeitung veröffentlicht hat.

Obwohl Gervinus mehrmals deutlich machte, dass er für den Inhalt dieser Artikel keine

Verantwortung übernehmen wollte, hatte Klaczko das Gefühl, dass Gervinus ihn

bedingungslos unterstützte (vgl. Hahn 1979: 89f). Als Gervinus im Jahre 1848 seine

Haltung gegenüber Polen änderte, seine Sympathien für eine deutsche Expansion

äußerte und dabei die Polen dazu aufforderte, ihre Aufmerksamkeit nicht auf “das

polnische Preußen” (Meyer 1996: 41), sondern auf den Osten zu richten (vgl. Meyer

1996: 41), war dies für Klaczko unerwartet und fühlte er sich demzufolge persönlich

betrogen. Im offenen Sendschreiben geht ein emotionaler und enttäuschter Klaczko in

der deutschen Geschichte auf der Suche nach einer Erklärung für diese

Meinungsänderung. Dies alles bildete den Hintergrund für den ersten Gebrauch des

Ausdrucks Drang nach Osten.

Nach einer Darstellung der Ostsiedlung, die nur als Kreuzzug und nicht als

Siedlungsvorgang beschrieben wird, vergleicht Klaczko die Verbrechen des deutschen

Ritterordens mit dem nationalistischen Expansionismus des Frankfurter Parlaments.

Beide benutzten den Drang nach Osten als Mittel der Rechtfertigung:

[...] bei dem deutschen Orden damals, wie bei dem deutschen Parlament jetzt,

entschuldigte der “Drang nach dem Osten” alle Verbrechen. (Klaczko 1849: 30)

6 Vgl. u.a. Labuda (1969: 236), Lemberg (1973: 1), Zientara (1983 [1974]: 172).

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Da diese Stelle bis heute noch als frühester Beleg für den Ausdruck Drang nach Osten

gilt, scheint es mir interessant, sie mit Rücksicht auf den Rest des Textes genauer zu

untersuchen. Erstens hat Meyer (1996) auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass

bereits beim ersten Gebrauch des Ausdrucks auf die historische Kontinuität in der

Aggression der Deutschen Richtung Osten hingewiesen wird. Klaczko macht keinen

Unterschied zwischen den Taten der Kreuzritter im Mittelalter – die er umstandslos als

Deutsche behandelt - und den Entscheidungen des Frankfurter Parlaments im 19.

Jahrhundert. Beide seien Exponenten des Drangs nach Osten.

Zweitens fällt auf, dass Klaczko durch die Verwendung von Anführungszeichen

die Wortgruppe als Zitat präsentiert und somit suggeriert, er habe diesen Ausdruck nicht

erfunden, sondern nur einer anderen, namentlich nicht genannten Quelle entnommen. Es

ist jedoch sonderbar, dass er im selben Text auch den Ausdruck Zug nach dem Osten

zweimal in Anführungszeichen verwendet und dabei doch seine jeweilige Quelle beim

Namen nennt: Die liberalen Politiker Gagern und Wuttke sollen diesen Ausdruck im

Frankfurter Parlament benutzt haben. Da Klaczko den Ausdruck Drang nach Osten

auch in Anführungszeichen, aber ohne Namensnennung erwähnt, könnte es also sein,

dass er den Ausdruck selbst geprägt hat und zugleich angeben möchte, dass er genauso

gut von einem Deutschen hätte stammen können. Ein weiteres Argument zugunsten

dieser Hypothese ist, dass Klaczko den mystischen, vagen und geheimnisvollen

Sprachgebrauch des Frankfurter Parlaments ironisiert, indem er Folgendes behauptet:

[…] uns [d.h. die Polen, meine Hinzufügung, SV] hat dieser “Zug nach dem

Osten”, wie Herr v. Gagern es nannte, dieser Drang nach Drängen [meine

Hervorhebung, SV], dieses allumfassende Weltgefühl immer gefehlt. (Klaczko

1849: 7)

Mit dem Ausdruck Drang nach Drängen ironisiert Klaczko die Überbenutzung des

Wortes Drang, das zu dieser Zeit in Deutschland ein sehr beliebtes Modewort war (vgl.

oben III, 2.1.1), und formuliert er den Ausdruck Zug nach dem Osten einige Seiten

später konsequenterweise als Drang nach dem Osten um.

Trotz dieser Ironisierung des mystifizierenden Sprachgebrauchs stellt man im

weiteren Verlauf des Textes fest, dass Klaczko im Grunde nicht über ein sehr ähnliches

Geschichtsbild hinauskommt und im Drang des “Germane[n] nach dem Osten”

(Klaczko 1849: 24) sogar eine historische Wahrheit sieht:

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[…] von jenem dunkeln Dämonen getrieben, den schon Alarich in sich verspürt,

voll jenes politischen Mystizismus, der, wie sein religiöser oft, nur solchen

frivolen Egoimus barg, drang der Germane nach dem Osten und machte den

Slawen zum Sclaven. (Klaczko 1849: 24)

Klaczko schwankt also zwischen der Entlarvung des Ausdrucks Drang nach Osten als

einem “Rechtfertigungsbegriff” (Lemberg 1976: 12) der deutschen Expansion Richtung

Osten und der Annahme des Drangs nach Osten als einer realen Macht in der deutsch-

polnischen Beziehungsgeschichte. Die letztere Interpretation ist für den weiteren

Gebrauch des Ausdrucks entscheidend gewesen.

Ein letztes Element, das in Bezug auf Klaczkos Text auffällt, ist, dass sowohl bei

Zug nach dem Osten als auch bei Drang nach dem Osten, der Benennung der

Himmelsrichtung der bestimmte Artikel vorausgeht. Ten Cate et al. (2004) haben in

Bezug auf die Verwendung des Artikels bei Himmelsrichtungen in der deutschen

Gegenwartssprache Folgendes feststellen können: Wenn im Deutschen der bestimmte

Artikel vor der Bezeichnung der Himmelsrichtung verwendet wird, so ist mit der

Himmelsrichtung ein bestimmtes Gebiet gemeint, wie beispielweise im Satz „Im

Norden wird es kalt‟. Wenn der bestimmte Artikel jedoch fehlt, so wird lediglich eine

Richtung bezeichnet, wie im Satz „Das Gewitter kam von Norden‟ (vgl. Ten Cate et al.

2004: 183). Inwieweit diese sprachliche Regel schon im 19. Jahrhundert galt, muss in

sprachhistorischen Untersuchungen mithilfe von Korpusdaten noch erörtert werden.

Wenn wir im jetzigen Zusammenhang davon ausgehen, dass diese Regel auch damals

schon galt, ist in der Verwendungsgeschichte des Ausdrucks Drang nach Osten eine

Entwicklung erkennbar. Indem Klaczko, nach dem Vorbild des Frankfurter Parlaments,

konsequent den bestimmten Artikel hinzufügt, macht er m.E. klar, dass „mit dem Osten‟

an erster Stelle ein bestimmtes Gebiet, nämlich Polen, gemeint ist. Im Laufe seiner

Geschichte, wird der Ausdruck Drang nach Osten jedoch immer weniger

gebietsspezifisch verwendet, was dazu führte, dass der bestimmte Artikel

konsequenterweise wegfiel.

2.2.2 Jadwiga i Jagiełło 1374-1412

Bevor Lawaty (1986) auf das Werk Klaczkos aufmerksam machte, galt ein anderes Zitat

als früheste Belegstelle für den Ausdruck Drang nach Osten. Es handelt sich um ein

Zitat aus Jadwiga i Jagiełło 1374-1412 des polnischen Historikers K. Szajnocha. In

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dieser Beschreibung des Jagiełłonenreiches aus dem Jahre 18617 kann man nach Labuda

(1964: 239) den Ausdruck Drang nach Osten in der polnischen Formulierung (parcie

na wschód) lesen. Szajnocha gibt dabei selber an, dass er diesen Ausdruck nicht

erfunden, sondern deutschen Quellen entnommen habe: “What the Germans of today

call in selfjustification the drive to the east” (Übersetzung n. Labuda 1964: 239f von

Szajnocha 1861: 10f). Auch Wippermann (1981: 48) hebt hervor, dass Szajnocha über

einen ungenannten deutschen Kollegen vom Drang nach Osten erfahren haben will.

Meiner meinung nach könnte er den Ausdruck aber auch von einem polnischen

Kollegen z.B. Klaczko übernommen haben.

Obwohl das Zitat seinen Wert als Erstbeleg verloren hat, scheint es mir aus

mehreren Gründen interessant und deshalb möchte ich kurz darauf eingehen. Erstens

fallen die vielen Ähnlichkeiten mit dem Zitat von Klaczko auf. In den beiden Fällen

handelt es sich um polnische Historiker, die in ihrem Umgang mit dem Ausdruck Drang

nach Osten ein Schwanken aufweisen. Zum einen entlarven sie den Ausdruck als

Rechtfertigungsideologie (vgl. “selfjustification”) und spotten über den Gebrauch des

Ausdrucks als Erklärung für das Verhalten der Deutschen. Zum anderen verknüpfen sie

aber den Drang nach Osten mit der geschichtlichen Wirklichkeit und wird er als eine

reale geschichtliche Macht erfahren, z.B. wenn Szajnocha schreibt:

Was die Deutschen [...] unter irgendeinem sozusagen vom Schicksal verhängten

Drang nach Osten verstehen, das war und ist [meine Hervorhebung, SV]

eigentlich ein Drang nach allen Seiten, wohin auch immer die Habgier

durchdringen wollte und konnte. (Übersetzung n. Lemberg 1976: 1 von

Szajnocha 1861: 10f)

In diesem Zitat wird Drang nach Osten nicht gebietsspezifisch verwendet, sondern als

“ein Drang nach allen Seiten” bezeichnet, demzufolge ist der bestimmte Artikel

unnötig.

Eine weitere Ähnlichkeit zwischen Klaczko und Szajnocha ist, dass sie angeben,

sie hätten die Idee eines Drangs nach Osten nicht selber erfunden, sondern von den

Deutschen übernommen. Es lässt sich aber vermuten, dass, obwohl der Gedanke zu

dieser Zeit in deutschen Quellen geläufig war, der exakte Ausdruck Drang nach Osten

von polnischen Historikern geschaffen wurde.

7 Piskorski (1997: 2) behauptet, dass Buch Jadwiga und Jagiełło ist im Jahre 1855/56 veröffentlicht

worden, weil er jedoch der einzige ist der diese Jahreszahle angibt, behalte ich das Jahr 1861 bei.

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Der Beleg bei Szajnocha ist auch noch aus einem anderen Grund interessant,

denn nach Labuda (1964: 239) hat Szajnocha die Verbreitung des Ausdrucks bei den

Polen in den unterschiedlichen Teilungsgebieten bewirkt. Szajnocha sei zu dieser Zeit

ein erfolgreicher polnischer Schriftsteller gewesen, dessen Ideen gerne in die damalige

Literatur aufgenommen worden seien. Wippermann (1981: 49) seinerseits betont

jedoch, dass der Einfluss Szajnochas sich auf die Literatur beschränkt habe und dass der

Ausdruck Drang nach Osten damals noch nicht in der polnischen Historiografie

verbreitet gewesen sei.

2.3 Drang nach Osten als Indikator einer misslingenden deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte

Es fällt auf, dass die beiden frühesten Belege, in denen der exakte Ausdruck Drang

nach Osten verwendet wird, sich in derselben Periode und im selben deutsch-polnischen

Kontext situieren. Deswegen werde ich die politischen Entwicklungen dieser Zeit und

einige Faktoren, die die Angst der Polen vor einem erneuten Drang nach Osten erklären

könnten, untersuchen. Der historisch-politische Kontext, in dem diese beiden Belege

situiert sind, zeigt nämlich, dass der Ausdruck Drang nach Osten als Indikator der sich

verschlechternden deutsch-polnischen Beziehungen entstanden ist.

2.3.1 Gegensätzliche Wirkungen des Novemberaufstands

Als 1815 nach dem Wiener Kongress das Königreich Polen in einer Personalunion mit

Russland geschaffen wurde – als selbstständiger Staat war Polen seit der letzten Teilung

Polens (1795) von der Landkarte Europas verschwunden -, bekam Polen von Zar

Alexander I. weitgehende Eigenständigkeit und Möglichkeiten zur Entwicklung seiner

eigenen Kultur (vgl. Jaworski et al. 2000: 260ff). Diese positive Haltung Russlands

weckte bei den Polen die Hoffnung auf eine Umkehr in der russischen Außenpolitik, die

vorher die Entwicklung eines polnischen Nationalbewusstseins und einer polnischen

Kultur weitgehend verhindert hatte. Die positiven Erwartungen wurden jedoch 1825

beim Thronwechsel enttäuscht, denn der neue Zar Nikolaus I. schränkte die Rechte und

Freiheiten Polens in hohem Maße ein. Die polnisch-russischen Spannungen nahmen

infolgedessen wieder zu und erreichten 1830 ihren Höhepunkt im polnischen

Novemberaufstand. Dieser Aufstand führte zu einem polnisch-russischen Krieg und

endete mit der völligen Niederlage der polnischen Aufständischen, die sich gegen die

militärischen Kräfte nicht wehren konnten. Bemerkenswert ist, dass Preußen in diesem

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Krieg die negative Polenpolitik der Teilungsmächte abermals unter Beweis stellte,

indem es auf der Seite Russlands stand und auf diese Weise die nationale

Wiederherstellung Polens zu verhindern half (vgl. Broszat 1978: 92ff).

Anders als in Preußen veranlasste der Novemberaufstand in Deutschland eine

Welle der Polenbegeisterung, insofern als der Kampf der Polen für nationale

Selbstständigkeit mit dem der Deutschen für eine einheitliche Nation identisch zu sein

schien. Zudem hatten beide anfänglich dieselben Feinde, nämlich Russland, Preußen

und Österreich, d.h. die drei Teilungsmächte (vgl. Lawaty 1986: 18f). Die

Polenfreundschaft, die in Deutschland ein Instrument der Opposition wurde, richtete

sich gegen den Einfluss Russlands und plädierte für eine Änderung in der preußischen

und österreichischen Politik (vgl. Müller 1984: 84). Auch von Seiten der Polen fand

eine Annäherung an die Deutschen statt, indem man das deutsche Volk von den

halbdeutschen Mächten (Preußen und Österreich) unterschied und Hoffnungen auf eine

deutsche Revolution hegte, die eine Änderung in der Mächtekonstellation veranlassen

konnte (vgl. Lawaty 1986: 22ff). Im März 1848 hat die deutsche Revolution

stattgefunden, deren erhoffte Wirkung blieb jedoch aus, weil eine Lösung der deutschen

und der polnischen Frage nur über die Teilung Preußens hätte erreicht werden können.

Solange keine Revision der Teilung Polens stattfand und die “Drei Adler” den

polnischen Staat immer noch von außen beherrschen wollten, konnten die beiden

nationalen Fragen jedoch nicht gleichberechtigt gelöst werden (vgl. Zernack 1992: 390).

Die gegenseitigen deutsch-polnischen Sympathiebekundungen werden von den

meisten Autoren, die sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen auseinandersetzen,

jedoch als oberflächlich bezeichnet8. So hebt Müller (1979, 1981) zum Beispiel hervor,

dass die Polenbegeisterung “eine eher sozialpsychologische denn […] politisch deutbare

Erscheinung” (Müller 1979: 101) war, die sich trotz einiger materieller Hilfsleistungen

vor allem als “literarisch-publizistische Solidarisierung” (Müller 1981: 87)

manifestierte.

2.3.2 Stimmungsumschwung: Polendebatte der Paulskirche

Während vor und zu Beginn der Märzrevolution in bestimmten liberalen Kreisen

Deutschlands noch von einer Polenfreundschaft die Rede sein konnte, änderte diese

Stimmung sich völlig im Sommer 1848 während der sogenannten Polendebatte der

8 Vgl. u.a. Broszat (1978: 98), Müller (1981), Wippermann (1981: 31) und Zernack (1992: 433).

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Nationalversammlung in der Paulskirche, in der man sich über die Grenzziehung

zwischen den Nationen im Großherzogtum Posen einigen musste (vgl. Zernack 1996:

128). Zur Entscheidung stand, gänzlich auf das Großherzogtum zu verzichten, es zu

teilen oder es als „Provinz Großherzogtum Posen‟ in das zu schaffende deutsche Reich

einzugliedern (vgl. Broszat 1978: 113). Die Befürworter der zweiten Möglichkeit

verwendeten zur Verteidigung ihrer Meinung einen neuartigen9 Sprachgebrauch, der die

Möglichkeit einer Annäherung zwischen Deutschen und Polen völlig ausschloss. Dies

zeigt sich am deutlichsten in der Rede des “demokratischen” Abgeordneten Jordan:

Wer da sagt, wir sollen diese deutschen Bewohner von Posen den Polen

hingeben und unter polnische Regierung stellen, den halte ich mindestens für

einen unbewußten Volksverräter. […] Es ist wohl Zeit für uns, endlich einmal zu

erwachen, aus jener träumerischen Selbstvergessenheit, in der wir schwärmten

für alle möglichen Nationalitäten, während wir selbst in schmachvoller

Unfreiheit darniederlagen, zu erwachen zu einem gesunden Volksegoismus.

(Jordan 24.7.184810

zit.n. Broszat 1978: 113f)

Die Paulskirche hat sich für die letzte Möglichkeit und somit für die Nicht-Lösung der

polnischen Frage entschieden. Auf diese Weise stellte sie sich auf die Seite Preußens

und wurde die negative Polenpolitik nun auch Teil der Politik der Frankfurter

Nationalversammlung. Man wollte das Bündnis der drei Teilungsmächte aufrecht

erhalten und verhinderte folglich die Errichtung eines polnischen Nationalstaates.

Müller (1981: 83), Lawaty (1986: 23) und Zernack (1992: 434) erklären die

Entscheidung der Paulskirche gleichermaßen. Sie heben hervor, dass es im deutschen

Nationalismus zwei unterschiedliche Tendenzen gab: einerseits eine emanzipatorisch

und politisch-partizipatorische, die im Zeichen des republikanischen Prinzips für

erhöhte politische Partizipation strebte, und andererseits eine integrativ-restaurative, die

aufgrund ethnisch-kultureller Gemeinsamkeiten einen Nationalstaat errichten wollte

(vgl. Müller: 1981: 73ff). Nach 1848 habe jedoch vor allem das Konzept des

integrativen Nationalismus sich durchsetzen können, während der emazipatorische

Nationalismus in den Hintergrund trat (vgl. Müller 1981: 83). Der integrative

Nationalismus, der nach dem Novemberaufstand eine Zeit lang von einer

9 Hahn (1979: 99f) hebt hervor, dass dieser Sprachgebrauch “nicht vom Himmel fiel” (Hahn 1979: 100),

sondern schon seit der Mitte der vierziger Jahre in der konservativen Presse anwesend war. Das neue war

aber, dass dieser Sprachgebrauch nach der Märzrevolution von den Liberalen übernommen wurde. 10

Die Rede von Jordan, sowie die Rede von Dmowski (vgl. unten IV. 3.1.2) werden in der Bibliografie

nicht im einzelnen nachgewiesen. Dasselbe gilt für Zitate aus Zeitschriften und Zeitungen, die ich anderer

Autoren entnommen habe.

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“funktionalen” (Müller 1981: 88) Polenfreundschaft, mit Russland als gemeinsamen

Feind, gekennzeichnet wurde, stand seit 1848 völlig im Zeichen der Integration: Man

wollte den preußischen Staat als Ganzheit, d.h. auch mit den preußischen

Teilungsgebieten, in den neu zu schaffenden deutschen Nationalstaat aufnehmen. Der

Kampf der Polen für Unabhängigkeit sei also von den Deutschen nur noch solange

unterstützt worden, wie die Deutschen selber dadurch nicht benachteiligt wurden.

Dieser Stimmungsumschwung bei den Deutschen von der Polenfreundschaft zur

Übernahme der negativen Polenpolitik hatte selbstverständlich Folgen für die deutsch-

polnischen Beziehungen. Indem die deutschen Liberalen sich auf die Seite Preußens

stellten, wurde der preußisch-polnische Antagonismus zu einem deutsch-polnischen

erweitert (vgl. Lawaty 1986: 15). Bei den Polen im preußischen Teilungsgebiet wurde

die Entscheidung der Frankfurter Paulskirche nämlich als eine tiefe Enttäuschung

erfahren. Wenn man die emotionell aufgeladene Beschreibung Klaczkos liest, merkt

man, wie die gescheiterte Revolution und die darauffolgende Polendebatte als

Hochverrat betrachtet wurden:

Hatte das Jahr 1848 nicht eben so kolossale Aufgaben zu lösen, nicht eben so

große Hindernisse zu bekämpfen, wie das Jahr 1789. [...] Aber der Hercules traf

auf Pygmäen, statt Engelsschwingen erhielt die Freiheit Fledermaushäute, am

saufenden Webstuhl der Zeit stand der Krämer mit seiner Elle, der Eid der

Völkerverbrüderung war nur ein Fasanenschwur [...]. (Klaczko 1849: 3)

Es darf also nicht verwundern, dass der älteste bekannte Beleg des Ausdrucks Drang

nach Osten gerade aus dem Jahre 1849 stammt: Er spiegelt ganz deutlich das

Misslingen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte am Ende der

“Völkerverbrüderung” wider. Wie im Zitat auf die mythische Vergangenheit verwiesen

wird, so wird anhand des Ausdrucks Drang nach Osten auf einen ebenso mythischen

Charakterzug der Deutschen hingewiesen. Klaczko suchte eine Erklärung für den

Umschwung in der Meinung der Deutschen und fand sie im unveränderlichen

“deutschen” Charakter. So wie die Deutschen im Mittelalter von den Polen profitiert

hätten, so würden sie dies auch in Zukunft tun. Die Entscheidung der Paulskirche ließ

sich in dieser Perspektive als Anzeichen einer neuen Phase des Drangs nach Osten

deuten.

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3. Verbreitung des Ausdrucks Drang nach Osten

Nachdem ich im vorigen Abschnitt die Entstehung des Ausdrucks Drang nach Osten

ausführlich beschrieben habe, werde ich jetzt die zeitliche und räumliche Verbreitung

des Ausdrucks weiter verfolgen und dabei vor allem die Aufmerksamkeit auf seine

Funktion als Faktor bzw. Indikator der historischen Ereignisse richten.

Ich habe bereits angedeutet, dass der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach

Osten sich nicht auf den deutsch-polnischen Kontext beschränkte. Nach Meyer (1996:

25) ist der Ausdruck in nicht weniger als fünf Kontexten verwendet worden: in Bezug

auf die deutsch-russischen Beziehungen in den baltischen Provinzen, in Bezug auf den

deutsch-polnischen Konflikt in Preußen, in Bezug auf die deutsch-tschechischen

Beziehungen in Böhmen, in Bezug auf die habsburgische Politik in Südosteuropa und in

Bezug auf den Expansionismus des Deutschen Reiches im Mittleren Osten. Ich werde

mich nicht mit allen Bereichen auseinandersetzen, da einige nur eine beschränkte Rolle

bei der Entwicklung des Ausdrucks gespielt haben. Überdies haben auch die anderen

Forscher sich nicht mit allen diesen Bereichen beschäftigt. In der folgenden Darstellung

werden nur die Kontexte, in denen der Drang nach Osten am meisten benutzt worden

ist und die historischen Ereignisse, die die Verwendung des Ausdrucks beeinflusst

haben, beschrieben. Der Schwerpunkt wird folglich auf den deutsch-polnischen und auf

den deutsch-russischen Beziehungen liegen.

3.1 Drang nach Osten im deutschbaltisch-russischen Kontext

Ein erster Bereich, auf den ich eingehen möchte, ist der der deutsch-russischen

Beziehungen. Nach Meyer (1957: 6) ist der Ausdruck seit der Mitte der sechziger

Jahren des 19. Jahrhunderts in der panslavistischen Presse Russlands verbreitet worden.

Chronologisch betrachtet ist der deutschbaltische Kontext also der zweite Bereich, in

dem der Ausdruck Fuß fassen konnte. Es erstaunt, dass die anderen Forscher die Rolle

des deutschbaltischen Kontexts im Hinblick auf die Entwicklung des Ausdrucks Drang

nach Osten kaum beachten, denn Meyer (1996) widmet dem deutschbaltisch-russischen

Konflikt nicht nur sehr viel Aufmerksamkeit, sondern untermauert seine Thesen auch

mit Belegstellen.

3.1.1 Entstehung nationalistischer Gefühle

Meyer (1996: 27ff) beschreibt die Entwicklung eines Antagonismus zwischen den

Deutschbalten und den Russen seit der auf den Westen gerichteten Politik Peters des

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Großen. Anfang des 18. Jahrhunderts setzte Peter der Große verschiedene Reformen zur

“Europäisierung” der russischen Kultur durch, führte einen Kampf gegen den

Aberglauben und für die Aufklärung (vgl. Torke 1997: 120) und stattete die deutsche

Elite in den Baltischen Provinzen und in St.- Petersburg mit verschiedenen Vorrechten

aus (vgl. Meyer 1996: 27f). Als Reaktion auf diese Politik Peters des Großen

entwickelte sich eine konservative Opposition unter dem alten Adel, den Bauern und

auch in der Kirche, aus der nach Kappeler (1993) das “moderne, russische

Nationalbewusstsein” (Kappeler 1993: 199) hervorgegangen ist. Die Eigenheit der

russischen Identität und des russischen Volkes wurde aufgrund der gemeinsamen

russischen Sprache und der russischen Geschichte besonders hervorgehoben. Das

Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft wurde dagegen

problematisiert und das hat auch bei den Bevölkerungsgruppen deutscher Herkunft die

nationalistischen Gefühle gesteigert.

3.1.2 Drang nach Osten als Faktor: Rolle der Publizistik

Der deutsch-russische Antagonismus sollte sich in den kommenden Jahrzehnten vor

allem in den baltischen Provinzen verschärfen. Der Streit um das Baltikum habe sich

seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts vor allem in den unterschiedlichen

Presseorganen abgespielt, denn die großen politischen Aktoren dieser Zeit, Alexander

II. und Bismarck, interessierten sich kaum für die baltischen Provinzen, weil sie vor

allem die russisch-preußischen Beziehungen nicht stören wollten (vgl. Meyer 1996:

58f). M. Katkov, Herausgeber der Zeitung Moskovskie Vedomosti, war Befürworter

einer weitgehenden Russifizierung des Baltikums, während Zeitungen wie das Dorpater

Tageblatt oder die Rigasche Zeitung eine möglichst gründliche Germanisierung

anstrebten (vgl. Meyer 1996: 56ff).

In der Zeitung Moskovskie Vedomosti ist am 25. November 1865 ein Brief von

M.S. Semenov veröffentlicht worden. Semenov hat, obwohl er für eine schnelle

Russifizierung plädierte, die Deutschen nicht als Feinde betrachtet und hat Folgendes

geschrieben:

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But when the Poles begin to talk about the boundaries of 1772 and these

Germans start preaching about their Drang nach Osten, we turn indignantly from

them. (Übersetzung n. Meyer 1996: 60 von der Moskovskie Vedomosti, 25.

November 186511

)

In diesem Zitat wird der bestimmte Artikel ausgelassen, weil Drang nach Osten hier

nicht als ein konkretes Ziel der deutschen Außenpolitik betrachtet wird, sondern eher als

Schwärmerei der Deutschen abgetan wird. Der Ausdruck wird jedoch abermals den

Deutschen selbst in den Mund gelegt, während er bisher in keiner deutschen

Veröffentlichung die aus dieser Zeit datiert gefunden worden ist. In welcher Sprache

Drang nach Osten hier benutzt wurde, gibt Meyer (1996) leider nicht an. Ich vermute

aber, dass Semenov ihn auf Deutsch verwendet hat, weil er so den Eindruck erwecken

konnte, dass er den Ausdruck deutschen Quellen entnommen hatte.

Als im Jahr 1865 die Presse der baltischen Provinzen einer strengeren Zensur

unterworfen wurde, die alles in Bezug auf die Germanisierung strich, hat Katkov den

Deutschbalten vorgeworfen, sie transportierten ihren Gedanken in die Zeitungen

Deutschlands (vgl. Meyer 1996: 62f). Katkov selber hat aber bewirkt, dass der

Ausdruck Drang nach Osten sich in der Moskovskie Vedomosti etablierte, indem er die

aggressive Eroberung des Baltikums durch die Kreuzritter wieder in Erinnerung rief und

diese mit der angeblichen Aufmerksamkeit der deutschen Presse für die Problematik der

baltischen Provinzen zu verknüpfen versuchte.

Meyers Meinung nach ist der Ausdruck nach dem 1866 von Bismarck geführten

Krieg Preußens gegen Österreich, der von den russischen Nationalisten als Zeichen des

deutschen Drangs nach Osten aufgefasst worden war, auch von der gemäßigteren

Zeitung Golos übernommen worden:

It is well known that annually a large number of Germans migrate to Russia in

response to their Drang nach Osten. […] [I]t appears that these Germans are

nothing but parasitic fungi living off the Great Russian tree. (zit. n. Meyer 1996:

6412

)

Es scheint, als wollten die Zeitungen den Ausdruck Drang nach Osten im Interesse

einer Steigerung des deutschbaltisch-russischen Antagonismus einsetzen. Die

Verwendung des Ausdrucks stand im Dienst der russischen nationalistischen

Propaganda und wurde somit von einem bloßen Indikator zu einem Faktor der

11

Vgl. Fußnote 10. 12

Meyer (1996) verzichtet auf weitere Auskünfte bzgl. des genauen Datums und der Ausgabe der Zeitung

Golos, aus der dieses Zitat stammt.

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Beziehungsgeschichte. Inwieweit der Ausdruck Drang nach Osten als Faktor

tatsächlich die antagonistischen Gefühle gesteigert hat, ist jedoch schwer zu bestimmen.

3.1.3 Der Ausdruck Drang nach Osten bei den Deutschbalten

Laut Meyer (1996: 61) stammt der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten im

deutschbaltisch-russischen Kontext von den Deutschbalten selber, er liefert dafür jedoch

keine schlüssigen Beweise. Er verweist auf A. von Richter, der 1857 bei einer

Beschreibung der Eroberungen der Kreuzritter von einem “Tatendrang […] nach Osten

und Norden” (Richter 1857: ii zit.n. Meyer 1996: 61) berichtet hat. Es fällt jedoch auf,

dass man den genauen Ausdruck Drang nach Osten in der damaligen deutschbaltischen

Presse nicht finden kann, während er in der russischen Presse bereits 1865 benutzt

wurde. Die erste von Meyer erwähnte Belegstelle des Ausdrucks Drang nach Osten in

genau dieser Form in der deutschbaltischen Presse stammt aus der Baltischen

Monatsschrift. 1867 habe die Baltische Monatschrift den Russen vorgeworfen, sie

verwiesen ständig auf den sogenannten Drang nach Osten der Deutschbalten, während

es eigentlich die russischen Politiker seien, die die Deutschen nach Russland gelockt

hätten (vgl. Meyer 1996: 65). Auffallend ist, dass die Deutschbalten den Drang nach

Osten nicht als etwas betrachten, worauf sie Stolz sein dürfen, vielmehr kritisieren sie,

dass die Russen den Ausdruck benutzen.

Durch die ständige Zunahme der Russifizierungsmaßnahmen, die u.a. mit einer

strengen Zensur einhergingen, konnten die Deutschbalten ihre Gedanken kaum noch in

den baltischen Presseorganen zum Ausdruck bringen und versuchten sie, die

Reichsdeutschen auf ihre Problematik aufmerksam zu machen. Die Deutschbalten

fanden dabei aber kaum Resonanz und wenn dann doch ausnahmsweise die

Aufmerksamkeit auf ihre Problematik gerichtet wurde, geschah das auf eine Weise, die

kaum ihren Erwartungen entsprach. Dies war beispielsweise der Fall im Werk E.

Kattners Preußens Beruf im Osten (1868), in dem er die baltischen Provinzen mithilfe

eines preußisch-russischen Krieges von den Russen zu befreien vorschlug. Kattners

aggressiver Vorschlag ging den Deutschbalten jedoch zu weit und sie wollten

demzufolge nicht mit den Ideen Kattners assoziiert werden. Auch Bismarck hat nach

Meyer (1996: 71) klargemacht, dass die Ansichten Kattners deutlich von denen der

preußischen Regierung abwichen, denn diese wollte das gute preußisch-russische

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Verhältnis nicht stören. Das strategische Zusammenarbeiten zwischen Preußen und

Russland spielte also auch in diesem Kontext eine nicht unbedeutende Rolle.

Die obige Beschreibung macht meiner Meinung nach deutlich, dass es

unwahrscheinlich ist, dass die Deutschbalten die Verbreitung des Ausdrucks Drang

nach Osten stimuliert haben. Ich leugne nicht, dass es im Folge der jeweiligen

Germanisierungs- und Russifizierungsversuchen zu einer Konfliktsituation zwischen

Deutschbalten und Russen gekommen ist; in diesem Konflikt wurde der Ausdruck

Drang nach Osten jedoch eher von den Russen als von den Deutschbalten selber

benutzt. Die einzige ungelöste Frage dabei bleibt, woher die russischen Publizisten

diesen Ausdruck – wenn nicht von den Deutschbalten - kannten.

3.1.4 Erweiterung zu einem deutsch-russischen Konflikt

Indem die Problematik der baltischen Provinzen allmählich die Aufmerksamkeit der

deutschen Publizistik erregte, wurde der Konflikt zwischen den Deutschbalten und den

Russen von einigen panslavistischen Publizisten bald zu einem deutsch-russischen

Konflikt hochstilisiert. Obwohl der panslavistische Gedanke, d.h. die Idee einer

Einigung aller slavischen Länder unter der Leitung Russlands, schon seit den vierziger

Jahren vertreten worden war, gab es nach Lemberg (1976) erst in den siebziger Jahren

eine Bewegung in Russland, die sich als solch bezeichnete.

In panslavistischen Veröffentlichungen sei nicht nur von einem deutsch-

russischen Konflikt die Rede gewesen. In “l‟évangile du mouvement panslaviste”

(Labuda 1969: 247) Russland und Europa (1867) sei N. Danilevskii noch einen Schritt

weiter gegangen. Seiner Meinung nach handelte es sich um einen Konflikt zwischen

Europa einerseits und der nicht-europäischen Welt andererseits, wobei mit Europa

eigentlich Westeuropa und mit der nicht-europäischen Welt eigentlich Russland

gemeint gewesen sei (vgl. Meyer 1996: 69f). Nicht nur in Russland, sondern auch im

Ausland gab es panslavistische Presseorgane wie z.B. die Zeitschrift Slavïanskaïa

Zarïa, die seit 1867-1868 in Wien herausgegeben wurde (vgl. Labuda 1969: 248). In

einem Artikel des Herausgebers Klimkovič konnte man Folgendes lesen:

[…] ils [die Deutschen, meine Hinzufügung, SV] répètent constamment leur

célèbre Drang nach Osten qui pour eux constitue une couverture à leur slogan

fictif de propagation de la culture. (zit. n. Labuda 1969 : 248, ohne

Quellenangabe)

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Außer der Tatsache, dass dieses Zitat zeigt, dass der Ausdruck Drang nach Osten in

einen neuen Kontext, nämlich in eine panslavistische Zeitung in Wien, eingeführt

wurde, bringt es nichts Neues. Es wird den Deutschen nochmals vorgeworfen, dass sie

ständig den Ausdruck Drang nach Osten in den Mund nähmen.

Auch Wippermann (1981) hat sich mit dem Gebrauch des Ausdrucks Drang

nach Osten in panslavistischen Veröffentlichungen auseinander gesetzt, und ihm

zufolge wurde Drang nach Osten seit den sechziger Jahren sogar “zu einem Topos

innerhalb der panslavistischen Publizistik” (1981: 55). Er gibt dabei jedoch keine

genauen Belegstellen an.

3.2 Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg

In einer Anfangsphase wurde Drang nach Osten also vorwiegend in zwei Kontexten

benutzt, in einem polnisch-deutschen und in einem russisch-deutschen. In diesen

Kontexten war er vor allem als Indikator wirksam, d.h. er zeigte, wie die gegenseitigen

Beziehungen als problematisch aufgefasst wurden. Manchmal spürt man auch, dass er

wegen seines Faktor-Gehaltes benutzt wurde. In solchen Fällen wurde er zur Steigerung

der sich entwickelnden Antagonismen eingesetzt.

Eine zweite Periode, in der ich die weitere Entwicklung und Verbreitung des

Ausdrucks verfolgen werde, dauert von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg.

Die meisten Forscher besprechen nach der Beschreibung der Kontexte, in denen der

Drang nach Osten anfangs gebraucht wurde, die Zeit um den Ersten Weltkrieg herum

als zweite Periode, die für die Entwicklung des Ausdrucks wichtig gewesen sei. Ich bin

der Meinung, dass es in der Zeit unmittelbar nach der Reichsgründung bereits einige

auffallende Entwicklungen in den zwei Kontexten, in denen Drang nach Osten bereits

benuzt wurde, gegeben hat und außerdem wurde der Ausdruck in dieser Periode in

einige neue Kontexte eingeführt.

3.2.1 Einfluss der Reichsgründung auf die deutsch-polnischen Beziehungen

Die Reichsgründung hat eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des polnisch-

deutschen Verhältnisses gespielt, denn sie hat zum Beispiel die Ausweitung des

preußisch-polnischen zu einem deutsch-polnischen Antagonismus verursacht (vgl.

Lawaty 1986: 15). Lawaty (1986) betont, dass indem das preußische Territorium völlig

in das neue Reich aufgenommen wurde, man sich für die Nichtlösung der polnischen

Frage entschieden hat und die negative Polenpolitik somit zur Reichspolitik wurde.

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Dieser integrative Nationalismus der Deutschen hatte laut Zernack (1992: 436) zur

Folge, dass der polnische Nationsgedanke weitestgehend unterdrückt werden musste.

Dazu wurden vor allem in den preußischen Provinzen Posen und Westpreußen

unterschiedliche Germanisierungsmaßnahmen durchgeführt (vgl. Wippermann 2003:

124ff). Zunächst beschränkten diese sich auf das Verbot der polnischen Sprache in

öffentlichen Bereichen, sie wurden im Verlauf der Jahre jedoch extremer, wie die

massenhaften Ausweisungen von Polen aus Preußen von 1885 bis 1887 belegen.

Insgesamt haben dabei mehr als 25.000 Polen das Land verlassen müssen. Diese

Polenausweisungen haben das polnische Bild der Deutschen selbstverständlich alles

andere als günstig beeinflusst (vgl. Broszat 1978: 147ff). Nach der Enttäuschung über

das Scheitern der Revolution in Deutschland und der darauffolgenden Polendebatte der

Paulskirche war die Reichsgründung in dieser Hinsicht ein zweiter Schlag ins Gesicht

der Polen, deren Nationalgefühl auf diese Weise gerade stimuliert statt unterdrückt

wurde.

Die Reichsgründung hat also deutlich zur Entwicklung des polnischen

Feindbildes der Deutschen beigetragen und wahrscheinlich ist der Ausdruck Drang

nach Osten zur Rechtfertigung und zur Steigerung dieser feindlichen Gefühle in

polnischen Veröffentlichungen benutzt worden. Es ist aber bemerkenswert, dass gerade

die Arbeiten, in denen sehr viele Belegstellen für den Drang nach Osten (z.B. Meyer

1996, Wippermann 1981) angeführt werden, nicht ausführlich auf die Rolle der

Reichsgründung eingehen, während andere Autoren (z.B. Zernack 1992, Lawaty 1986),

die sich allgemein mit dem deutsch-polnischen Verhältnis auseinandersetzen, das

durchaus tun.

Labuda (1964: 241f) richtet seine Aufmerksamkeit auf die gegen Ende des 19.

Jahrhunderts intensivierten anti-deutschen Gefühle der Polen, die zu einem gesteigerten

Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten sogar bei professionellen Historikern

geführt haben. Er erwähnt jedoch leider keine konkreten Belege. Meyer (1996: 89) ist

der Meinung, dass der Konflikt zwischen Deutschen und Polen sich bereits in den

siebziger Jahren verschärft hat. Als Hauptursache dieses Konfliktes betrachtet er den

bismarkschen Kulturkampf gegen den Katholizismus. Ohne weitere Gründe oder

Quellen anzugeben, schließt er:

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No doubt the expression, indeed by now a conception for the Poles, could by

then be found randomly scattered in various Polish tracts, periodicals, and papers

- materials simply not available to this distant American researcher. (Meyer

1996: 90)

Für Meyer besteht offensichtlich kein Zweifel, dass Drang nach Osten von den Polen

bereits zu dieser Zeit als Begriff aufgefasst wurde. Der einzige konkrete Beweis, den er

dazu erwähnt, ist eine polnische Enzyklopädie aus dem Jahre 1896, in der der Ausdruck

als Lemma, mit der Begriffserklärung “the drive of the Germans eastward to de-

nationalize the Polish people” (Meyer 1996: 90), aufgenommen worden sei. Diese

einzige Stelle genügt jedoch nicht als Beweis für den angeblichen Begriffswert des

Ausdrucks zu dieser Zeit.

Nach Meyer (1996: 90f) nahmen die Spannungen zwischen Deutschen und

Polen als Folge eines gesteigerten Nationalismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts und

vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr zu. Deutscherseits nennt er in

diesem Zusammenhang die Entstehung der Hakatisten, die die Eroberungen der

Kreuzritter heraufbeschworen. Auf der Seite der Polen erwähnt er R. Dmowski, einen

polnischen Nationalisten, der für eine Annäherung an Russland plädierte. Meyer stellt

sich dabei nur in beschränktem Maße die Frage, wieso der Nationalismus sich gerade zu

dieser Zeit intensivierte.

Wippermann (1981: 99) geht auch kurz auf den Antagonismus zwischen

Deutschen und Polen zu dieser Zeit ein; wenn auch aus deutscher Sicht. Er nennt

beispielsweise ein Werk von A. Wäber, in dem dieser 1907 zu weiteren

Germanisierungsmaßnahmen aufrief, um die angebliche “Polenflut” (Wäber 1907: 359

zit. n. Wippermann 1981: 99) abzuwehren.

3.2.2 Betonung des spezifisch deutschen Drangs nach Osten in der russischen

Publizistik

In der Zeit nach der Reichsgründung ändert sich auch einiges im deutsch-russischen

Kontext. Wippermann (1981) weist auf die Tatsache hin, dass in der Öffentlichkeit in

Russland zu Beginn der achtziger Jahre mehr und mehr von einem spezifisch deutschen

Drang nach Osten die Rede war. Er erwähnt dabei das Beispiel des Vortrages von

General Skobelev in Paris (vgl. Wippermann 1981: 56). Anlass dieses Vortrages war

die Erneuerung des Drei-Kaiser-Abkommens von 1873 im Jahre 1881, wobei

Deutschland, Russland und Österreich einander gegenseitige Unterstützung

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versprachen. Panslavistische Kreise waren mit dieser Erneuerung unzufrieden und

suchten deswegen Annäherung an die nationalistische Presse in Frankreich. In seinem

Vortrag im Jahre 1882 vor serbischen Studenten in Paris hat Skobelev die Deutschen als

Erfinder des Drangs nach Osten bezeichnet:

And if you wish that I reveal the name of this stranger, this intruder, this

intriguer, this enemy so dangerous for Russians and all Slavs, let me identify

him! It is the originator of the “Drang nach Osten”. You all know who he is – it

is the German! (Übersetzung n. Meyer 1996: 83 von der Veröffentlichung des

Vortrages Skobelevs in La France 18.2.188213

)

In diesem Zitat ist Drang nach Osten m.E. als Faktor eingesetzt worden, denn nach

Meyer (1996: 83) hat J. Adam, die Herausgeberin der französischen chauvinistischen

Zeitung Nouvelle Revue, Skobelev gebeten, das ganze in dieser Form, wegen seiner

gesteigerten emotionalen Wirkung, zu formulieren. Ob der Ausdruck wirklich

historische Ereignisse veranlasst hat, ist fraglich, aber Adam, die den Vortrag

vollständig in ihre Zeitung Nouvelle Revue veröffentlichte, hoffte auf jeden Fall, dass er

einen Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein der französischen Jugend und der

französischen Armee ausüben würde (vgl. Meyer 1996: 83). Mit dem Erscheinen des

Vortrages von General Skobelev in unterschiedlichen französischen Zeitungen im Jahre

1882 wurde der Ausdruck Drang nach Osten auch in Frankreich eingeführt (vgl. Meyer

1996: 81ff).

Im Russland der Mitte der achtziger Jahre kann laut Meyer (1996) eine weitere

Verschiebung des Ausdrucks wahrgenommen werden:

[…] the term, Drang nach Osten, was generally moving out of the chauvinist

press towards conceptualization in serious professional work and official

governmental statements. (Meyer 1996: 84)

Zur Bestätigung seiner These erwähnt Meyer zwei Beispiele: eine Karte mit dem Titel

Drang nach Osten von A.R. Rittikh und ein Bericht einer kaiserlichen Kommission. In

diesem Bericht werde auf die historische Mission hingewiesen, die die deutsche Rasse

habe und die sie dazu treibe, ihren Drang nach Osten zu befolgen (vgl. Meyer 1996:

84). Neben diesen zwei Beispielen erwähnt Meyer nur noch Belegstellen aus der

nationalistischen Presse und gibt sogar an, dass der deutsch-russische Antagonismus

wegen der russischen Interessen im Fernen Osten in den Hintergrund des öffentlichen

Interesses rückte (vgl. Meyer 1996: 85). Ob in diesem Kontext also wirklich von einer

13

Vgl. Fußnote 10.

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Begriffswerdung (“conceptualization”) in professionellen Veröffentlichungen die Rede

sein kann, ist meiner Meinung nach – genauso wie im Falle der polnischen

Veröffentlichugen (vgl. oben III, 3.2.1) - unklar. Wippermann (1981) hebt nämlich

auch ausdrücklich hervor, dass der Ausdruck vor allem in der Publizistik verwendet

wurde und dass die russische Historiografie den Ausdruck Drang nach Osten kaum

benutzte. Die These Wippermanns beruht u.a. auf dem Werk Noltes “Drang nach

Osten.” Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion. (1976). Nolte

(1976: 59ff) weist zwar auf die Tatsache hin, dass die russische Geschichtsschreibung

vor 1917 deutlich im Dienst der panslavistischen Ziele gestanden hat, er gibt aber auch

an, dass diese Art von Historiografie in Russland selber auf Kritik stieß, z.B. von D.N.

Egorov.

3.2.3 Einführung in neue nicht-deutsche Kontexte

Meyer (1996: 109) zufolge wurde Drang nach Osten in der Vorkriegsperiode in drei

neuen Zusammenhängen verwendet, nämlich in Bezug auf slavische Minderheiten, die

von der habsburgischen und hohenzollernschen Politik unterdrückt wurden, in Bezug

auf die habsburgische Politik im Balkan und in Bezug auf die Berlin-Bagdad-

Eisenbahn. Ich werde nur die ersten zwei neuen Bereiche kurz besprechen, denn was die

Berlin-Bagdad-Eisenbahn betrifft, gibt Meyer nicht eindeutig an, welchen Einfluss diese

Pläne auf den Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten hatten.

Wie oben erwähnt ist der Ausdruck Drang nach Osten in Frankreich als Folge

des Vortrages des russischen Generals Skobelev, eingeführt worden, und

unterschiedliche französische Autoren haben ihn ihrerseits in weiteren Kontexten

verbreitet. L. Leger, E. Denis, Leroy-Beaulieu und andere französische Autoren haben

den Konflikt in Böhmen beschrieben. Sie haben dabei den Ausdruck Drang nach Osten

verwendet und ihn infolgedessen in den tschechischen Kontext eingeführt (vgl. Meyer

1996: 94ff). Seit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 hegten vor

allem die Tschechen in Böhmen anti-österreichische Gefühle, weil sie eine ebenso

weitreichende Autonomie wie die Ungarn erhalten wollten (vgl. Meyer 1996: 66). Nach

der Reichsgründung fühlte sich auch die deutsche Bevölkerung in Böhmen, wie die

Tschechen seit 1867, ausgeschlossen. In dieser Konfliktlage hätten sich die

nationalistischen Gefühle gesteigert und sei der Ausdruck Drang nach Osten über

französische Publikationen in Böhmen eingeführt worden (vgl. Meyer 1996: 94ff).

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Nach der Bosnienkrise im Jahre 1908-1909 sei Drang nach Osten auch in Bezug

auf die österreichisch-ungarische Politik in Südosteuropa verwendet worden und sei er

demzufolge in verschiedenen serbischen Veröffentlichungen aufgenommen worden

(vgl. Meyer 1996: 99ff). Auffallend dabei war, das man oft „Berlin‟ verantwortlich

machte für die „Wiener‟ Politik, wie beispielsweise in einem Gespräch zwischen dem

serbischen und dem britischen Botschafter:

[…] the decision for the annexation [von Bosnien und Herzegowina, meine

Hinzufügung, SV] was really not Vienna‟s, but will be found de facto leading

back to Berlin. (Übersetzung n. Meyer 1996: 107 von Boghitschewitsch 1928:

67)

Es wird also kein Unterschied mehr gemacht zwischen Österreich-Ungarn und

Deutschland; beiden wird ein Drang nach Osten unterstellt. Dabei wird dem Ausdruck

nach Meyer (1996: 107) oft das Adjektiv germanisch beigefügt.

Es sieht also aus, als ob der Ausdruck Drang nach Osten zu dieser Zeit

eingesetzt wurde, sobald man anti-deutsche Gefühle hegte oder diese verstärken wollte.

Man versuchte das gegenwärtige Unrecht mit dem Hinweis auf die deutsche

Vergangenheit zu deuten und zu erklären.

3.2.4 Verherrlichung des Drangs nach Osten in deutschen Veröffentlichungen

In der Zeit um die Reichsgründung herum ist der Ausdruck Drang nach Osten nicht nur

im Ausland weiter verbreitet worden, sondern auch in Deutschland selber hat es zu

dieser Zeit zum ersten Mal ganz deutlich Ansätze zum Gebrauch des Drangs nach

Osten gegeben. Wippermann (1981: 85ff) beschreibt die Werke unterschiedlicher

deutscher Autoren, die gegen Ende der achtziger Jahre für eine erneute Kolonisation

Ost- und Südosteuropas plädierten und dazu die mittelalterliche Ostsiedlung

verherrlichten. Während unterschiedliche Autoren, z.B. H. Simonsfeld, anhand der

mittelalterlichen “Kolonisation” die damalige Kolonisationspolitik von Bismarck zu

legitimieren versuchten, habe es andere gegeben wie z.B. P. de Lagarde, die mit

demselben Hinweis eine neue Kolonisation Richtung Osten rechtfertigen wollten (vgl.

Wippermann 1981: 88).

Solche expansionistischen Gedanken konnte man seit 1890 auch in den

Alldeutschen Blättern finden. 1894 konnte man beispielsweise folgenden Aufruf lesen:

“Der alte Drang nach dem Osten soll wieder lebendig werden” (Alldeutsche Blätter

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189414

zit.n. Kruck 1954: 38). Obwohl Wippermann diesem Zitat keine besondere

Aufmerksamkeit widmet, ist es, soweit ich weiß, die früheste schriftliche Belegstelle

des Ausdrucks Drang nach Osten in dieser Form in einer deutschen Veröffentlichung,

in der der Drang nach Osten verherrlicht wird. Zuvor wurde er bereits im Werk

Kattners sowie in einigen deutschbaltischen Publikationen verwendet; er wurde dabei

jedoch jeweils abgelehnt. Wipperman (1981: 92ff) geht aber davon aus, dass der

Ausdruck schon früher u.a. von den Nachfolgern H. von Treitschkes benutzt worden ist.

Er verzichtet dabei jedoch auf eine genaue Quellenangabe.

Der Beleg in den Alldeutschen Blättern ist auch aus einigen anderen Gründen

interessant: Erstens ruft er die Frage hervor, wieso Drang nach Osten gerade zu dieser

Zeit in einer deutschen Veröffentlichung auftaucht. Eine mögliche Antwort auf diese

Frage könnte in der sich ändernden beziehungsgeschichtlichen Konstellation liegen.

Seit dem Teilungsbündnis war das Verhältnis der drei Adler an erster Stelle auf das

Beibehalten des Status quo des Kräfteverhältnisses gerichtet. In diese stabile

Konstellation kamen jedoch seit Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts

allmählich Risse. So wurde 1887 das Drei-Kaiser-Bündnis nicht mehr verlängert und

1890 wurde auch der als Ersatz aufgestellte Rücksicherungsvertrag zwischen

Deutschland und Russland nicht erneuert (vgl. Torke 1997: 170f). Die Verschlechterung

des deutsch-russischen Verhältnisses hatte zur Folge, dass Russland Annäherung an

Frankreich suchte und somit der “erste Schritt zur Konstellation des Ersten

Weltkrieges” (Torke 1997: 171) machte. In Deutschland bewirkte das Ende des

Bündnisses, dass die Bestrebungen zur Bildung der Nation und die Stabilisierung des

Reiches nach Innen hinter bestimmte Expansionspläne zurücktreten mussten:

Aus dem Zerbrechen der preußischen Rußlandsolidarität resultierte eine

gefährliche Dynamisierung des ostpolitischen Denkens in Deutschland, das im

Ablauf des Ersten Weltkrieges nun auch vor völlig fantastischen Visionen von

Ostraum-Hegemonie des Deutschen Reiches nicht halt machte und die

Orientierung an überkommennen Grenzverläufen verlor. (Zernack 1993: 155)

Man konnte sich mit dem Status quo nicht mehr abfinden und wollte den Nationalstaat

u.a. Richtung Osten ausbreiten. Diese historisch-politische Änderung könnte erklären

wieso der Alldeutsche Verband gerade in dieser Zeit gegründet wurde und solche

expansionistischen und imperialistischen Gedanken zum Ausdruck brachte. Der

14

Vgl. Fußnote 10.

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Alldeutsche Verband betrachtete die Reichsgründung nicht als Endpunkt der deutschen

Geschichte, sondern laut Kruck (1954) vertrat er die Ansicht, dass “den Deutschen mit

der 1870/71 errungenen Stellung neue und große Pflichten und Aufgaben zugewachsen

seien”.

Die Belegstelle in den Alldeutschen Blättern ist auch noch aus einem zweiten –

mit dem ersten eng zusammenhängenden - Grund interessant: Hauptziel des

Alldeutschen Verbandes war es, „das Deutschtum‟ in der Welt zu bewahren und zu

verbreiten. Für die Verbreitung kamen einerseits einige Gebiete in Afrika und

andererseits die Gebiete östlich des Reiches in Betracht. Zur Propagierung des Letzteren

wurde u.a. der Ausdruck Drang nach Osten eingesetzt. Man hoffte, dass er die

Deutschen in Richtung Osten und nicht in Richtung Nordamerika, das nach Kruck

(1954) als “Grab des deutschen Volkstums” (Kruck 1954: 35) bezeichnet wurde,

bewegen konnte. Der Ausdruck Drang nach Osten hat aber offensichtlich als

Mobilisierungsbegriff versagt, denn Kruck (1954: 35) weist darauf hin, dass zu Beginn

der neunziger Jahre 97% der Auswanderer nach Nordamerika gezogen sind. Der

Alldeutsche Verband wollte Drang nach Osten also eindeutig als Faktor der historischen

Ereignisse einsetzen; der Ausdruck hat diese Funktion jedoch nicht ausüben können.

3.3 Erster Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges gewann die These einer sich im Laufe der Geschichte

schrittweise ausbreitenden Expansion der Deutschen Richtung Osten immer mehr

Anhänger. Man fürchtete die Realisierung einer deutschen Mitteleuropa-Politik, die

darauf gerichtet sei, einen mitteleuropäischen Staat unter deutscher Kontrolle zu

schaffen. Auf diese Weise würde man die unterschiedlichen deutschen Minderheiten im

Osten vereinen können. Vor allem der Tscheche T. Masaryk, der in Großbritannien von

R.W. Seton-Watson gefördert wurde und zusammen mit ihm die Zeitschrift The New

Europe als Reaktion auf das Mitteleuropa-Projekt gründete, verbreitete die Angst vor

der Realisierung dieses Projektes (vgl. Meyer 1996: 114ff). Es gab in Deutschland

tatsächlich Befürworter einer solchen Mitteleuropa-Idee, z.B. F. Naumann, wobei man

den Blick nicht länger auf die Länder in Übersee richtete, was seit der Weltpolitik

Wilhelms des II. der Fall war, sondern sich auf die Länder Zentral- und Mitteleuropas

konzentrierte. Das erstrebte Ziel war dabei “eine Zone halbselbständiger Pufferstaaten

unter deutscher Hegemonie” (Broszat 1978: 185). Inwieweit solche Gedanken auch

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Teil der offiziellen Berliner Politik gewesen sind, ist, wie so oft, unklar. Meyer (1955)

weist aber darauf hin, dass sowohl in deutschen als auch in nicht-deutschen

Veröffentlichungen mit dem Ausdruck Mitteleuropa auf recht unterschiedliche Sachen

verwiesen wurde:

In a political-geographic sense it designated anything from strengthening the

alliance between Vienna and Berlin to establishment of a coalition of states from

the North Cape to Bagdad. (Meyer 1955: 3)

Gerade weil das Mitteleuropa-Projekt nie eindeutig definiert wurde und unterschiedlich

interpretiert werden konnte, glaube ich, dass solche Gedanken eher in der Publizistik

propagiert wurden, als dass sie realpolitische Ziele zum Ausdruck brächten.

Während der Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten sich in Frankreich und

in den Vereinigten Staaten - denn die Werke unterschiedlicher französischer Autoren

wurden auch in den Vereinigen Staaten oft gelesen - vor allem auf popularisierende

und polemische Publikationen beschränkt habe, etablierte sich der Drang nach Osten in

Großbritannien “as an accepted and proven historic concept” (Meyer 1996: 117) in

verschiedenen Veröffentlichungen mit wissenschaftlichem Charakter (vgl. Meyer 1996:

117ff). Das hing vor allem mit den Befürchtungen der Realisierung eines Mitteleuropa-

Projektes zusammen, das als Beweis für den angeborenen deutschen Drang nach Osten

dargestellt wurde.

Im Gegensatz zu Meyer (1996), der die damaligen Entwicklungen vor allem

anhand der Mitteleuropa-Ideologie zu erklären versucht, hebt Wippermann (1981: 90)

hervor, dass die deutschen Expansionspläne nicht nur auf den Osten fokussierten. Seiner

Meinung nach, haben die slavischen, französischen und englischen Publizisten die

Politik Deutschlands vor und während des Ersten Weltkrieges unterschätzt. Während

man in der ausländischen Publizistik vor einem erneuten Drang nach Osten gewarnt

habe, bildete dieser nur “einen Teil des fast globalen imperialistischen Programms

innerhalb der deutschen Kriegszielpropaganda” (Wippermann 1981: 90). Man wollte

das Reich nicht nur Richtung Osten ausbreiten, sondern wünschte auch die

Annektierung einiger Industriegebiete Belgiens und Frankreichs und eine Ausdehnung

des Kolonialbesitzes in Afrika und Asien (vgl. Wippermann 1981: 89). Wippermann

suggeriert somit, dass die ausländische Fixierung auf den deutschen Drang nach Osten

bewirkt haben kann, dass man die realen politischen Pläne nicht richtig eingeschätzt hat.

Wenn man die damalige Lage so interpretiert, könnte man behaupten, dass der

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Ausdruck zu dieser Zeit als Faktor wirksam gewesen ist: Er hat zu einer bestimmten

Wahrnehmung der politischen Ereignisse geführt, die sich als Fehleinschätzung der

Wirklichkeit herausgestellt hat.

Diese Weltpolitik könnte nach Wippermann (1981: 90f) erklären, wieso in

deutschen Publikationen während dieser Zeit nur selten auf den Drang nach Osten

verwiesen wurde. Eine “globale imperialistische” (Wippermann 1981: 90) Politik hatte

man nämlich nur schwer mit dem Hinweis auf die mittelalterliche Ostsiedlung

rechtfertigen können.

Bei der Beschreibung der Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten zu

dieser Zeit ist es m.E. schade, dass Wippermann (1981) und Meyer (1996) sich nur mit

einigen ideologischen Aspekten beschäftigen und somit nicht nachgehen inwieweit die

realen Kriegsereignisse den Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten beeinflusst

haben.

3.4 Nachwirken des Ersten Weltkrieges in der Zwischenkriegszeit

Während des Ersten Weltkrieges hat es eigentlich nur ein auffallendes Phänomen

gegeben, nämlich den zunehmenden Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in

Großbritannien. Nach dem Ersten Weltkrieg kann man schon einige besondere

Tendenzen wahrnehmen: Zum einen wird in der deutschen Historiografie an die

Vorkriegstradition des Verherrlichens der mittelalterlichen Geschichte angeknüpft, zum

anderen verschwindet der Ausdruck in unterschiedlichen Kontexten, weil Deutschland

nicht länger als Gefahr betrachtet wurde. Zwischen diesen beiden Extremen befindet

sich der besondere Umgang mit dem Ausdruck in Polen.

3.4.1. Mythologisierung in Deutschland

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Bestimmungen des Versailler Vertrages

wurden in Deutschland als eine Demütigung erfahren. Nach Labuda (1964: 231) waren

die Bestimmungen des Versailler Vertrages für die Deutschen einfach unannehmbar,

denn aus deutscher Sicht wurde Deutschlands Osten auf einmal Polens Westen. Ein

Zitat aus dieser Zeit mag diese Empörung verdeutlichen:

Die gegenwärtigen Grenzen sind für das Deutschtum schlechthin unmöglich.

Das neue Polen ist weit über seine nationalen Rechte hinausgedehnt worden.

Abgehackte Glieder des Deutschtums strarren uns überall blutig entgegen.

(Marcks 1920: 57 zit.n. Labuda, 1964: 231)

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Infolgedessen haben Historiker wie z.B. D. Schäfer, K. Hampe und H. Aubin die

mittelalterliche Ostsiedlung verherrlicht, weil diese ihrer Meinung nach den sich

anbahnenden Weg einer erneuten deutschen Expansion vorzeichnete (vgl. Labuda 1964:

231f). Der Höhepunkt der Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Ostexpanion

sei während der dreißiger Jahre erreicht worden, als “the mythology of the German

east” (Labuda 1964: 232) in die imperialistische Ideologie aufgenommen worden sei.

Wippermann (1981: 104ff) schließt sich in großen Zügen diesen Ansichten an

und schreibt in Bezug auf obengenanntes Zitat von Marcks sogar Folgendes:

Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß fast alle deutschen Historiker

in der Zeit der Weimarer Republik der Bemerkung von Erich Marcks

zustimmten, wonach die neue Ostgrenze des Deutschen Reiches “schlechthin

unmöglich” sei. (Wippermann 1981: 105)

Wippermann (1981: 104ff) betont außerdem, dass der Erste Weltkrieg keinen Bruch in

der deutschen Geschichtsschreibung veranlasst habe, sondern dass man im Wesen nur

die Thesen weitergeführt habe, die seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts

formuliert wurden (vgl.oben III 3.2.4). Bei den von Wippermann erwähnten Beispielen

fällt jedoch erneut auf, dass der Ausdruck Drang nach Osten kaum wortwörtlich

verwendet wurde. In Deutschland schien man Zug nach dem Osten zu bevorzugen, weil

der Ausdruck Drang nach Osten bereits von den „Gegnern‟ eingenommen war.

Wippermann (1981: 104f) erwähnt u.a. das Werk Hampes Der Zug nach dem Osten.

Die kolonisatorische Großtat des deutschen Volkes im Mittelalter, in dem von einem

“Zug nach dem Osten, der bald stärker, bald schwächer durch die ganze deutsche

Geschichte hindurchgeht” (Hampe 1921: 10 zit. n. Wippermann 1981: 105) die Rede

ist.

3.4.2 Objektivierungs- und Mystifizierungstendenzen in Polen

Im Gegensatz zur Mythologisierung und Ideologisierung der eigenen Geschichte in

Deutschland wurde der Drang nach Osten nach Labuda (1964) im Polen der

Zwischenkriegszeit gerade de-ideologisiert, d.h. Historiker wie K. Tymieniecki haben

versucht, den ideologischen und historiosophischen Ballast des Ausdrucks abzuwerfen

und Drang nach Osten in dem größeren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen

Zusammenhang zu sehen (vgl. Labuda 1964: 243f). Labuda (1964: 244ff) stellt weiter

fest, dass der Drang nach Osten nicht nur ein Forschungsobjekt der Historiografie

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geblieben ist, sondern dass auch andere Disziplinen wie die Soziologie sich mit

unterschiedlichen Aspekten des Ausdrucks auseinandergesetzt haben.

Wippermann (1981: 70f) seinerseits betont, es habe zwar Historiker wie

Tymieniecki gegeben, die den Drang nach Osten von einigen mythischen Aspekten

befreien wollten, an der “realhistorischen Existenz dieses Phänomens” (Wippermann

1981: 73) sei jedoch nicht gezweifelt worden. Die Tatsache, dass die unterschiedlichen

Regierungen der Weimarer Republik die neue Westgrenze nicht anerkennen wollten,

habe die wiedererstandene Republik Polen dazu veranlasst, sich an erster Stelle vor dem

deutschen Drang nach Osten zu schützen und zweitens diesem einen “polnischen Drang

nach Westen” (Wippermann 1981: 71) entgegenzusetzen. Solche Ansprüche seien vor

allem in Zeitungen und Manifesten geäußert worden. Ein auffallendes Phänomen, das

damit einhergegangen sei, sei die Gründung unterschiedlicher nationalistischer und

imperialistischer Organisationen nach deutschem Vorbild gewesen. So habe man zum

Beispiel einen polnischen „Westmarkenverein‟ parallel zum deutschen

„Ostmarkenverein‟ errichtet. Zudem hat es nach Wippermann (1981: 70ff) auch

professionelle Historiker gegeben, die anhand eines ideologisierten Bildes der

Vergangenheit eine historische Grundlage für die gegenwärtigen politischen

Zielsetzungen liefern wollten, wobei die Wiederherstellung Polens als eine

Wiedergutmachung interpretiert wurde. Dabei wurden nach Piskorski (1996²: 382) oft

Ausdrücke wie z.B. Wiedergewinnung eingesetzt, deren Verwendung man aber bei den

Deutschen kritisierte. Dieses „Spiegelbild-Verhalten‟ hat sich bis in die Zeit nach dem

Zweiten Weltkrieg durchgesetzt. Piskorski (1996²) bezeichnet die polnische Forschung,

die sich mit dem Thema polnischer Westen beschäftigte, als “polnische Westforschung”

parallel zur “deutschen Ostforschung” (Piskorski 1996²), eben weil die beiden anhand

ähnlicher „historischer‟ Argumente Anspruch auf den polnischen Westen bzw. den

deutschen Osten erhoben.

In Bezug auf die deutsche und polnische Historiografie in der

Zwischenkriegszeit kommt Piskorski (1997) zu folgendem Schluss:

Die Art, die mittelalterliche Kolonisation vom jeweils aktuellen Standpunkt aus

zu beurteilen, setzte sich in der Zwischenkriegszeit durch, als die deutsche und

die polnische Historiographie zu Verteidigern der politischen Interessen der

eigenen Völker und Staaten wurden. (Piskorski 1997: 3)

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Der zunehmende Gebrauch des Ausdrucks Drang nach Osten in Deutschland und Polen

in der Zwischenkriegszeit war eindeutig ein Indikator des deutsch-polnischen

Grenzkampfes, bei dem die negativen Gefühle sich gegenseitig verstärkten. Dabei

wurden anhand entgegengesetzter Interpretationen identische Ideologeme - wie Drang

nach Osten - zur Unterstützung der Außenpolitik eingesetzt. Obwohl es immer schwer

einzuschätzen ist, glaube ich, dass Drang nach Osten zu dieser Zeit auch als Faktor

gewirkt hat. Dies zeigt sich meiner Ansicht nach am deutlichsten in der polnischen

Aufforderung, dem deutschen Drang nach Osten einen polnischen Drang nach Westen

entgegenzusetzen. Man glaubte an die realhistorische Existenz dieses Phänomens und

war der Meinung, dass man dieses mit einem “realen” Drang nach Westen aufhalten

müsse.

3.4.3 Verschwinden des Ausdrucks Drang nach Osten in einigen Bereichen

Das Thema „deutsche Ostsiedlung‟, dass auch in der Vorkriegszeit kaum in der

russischen Geschichtsschreibung aufgenommen wurde, wurde laut Meyer (1996: 121)

in der sowjetischen Historiografie der Zwischenkriegszeit völlig fallengelassen. Die

wichtigsten Gründe dafür seien, dass eine solche These nicht in den Rahmen des

Marxismus passte und dass die Weimarer Republik von der Sowjetunion nicht als

Bedrohung erfahren wurde.

Auch in Frankreich und Großbritannien sei der Drang nach Osten nur noch in

Einzelfällen benutzt worden. Meyer schließt daraus:

The war was over, the German threat had been defeated, and historical analysts

apparently no longer found the Drang nach Osten to be significantly pertinent.

(Meyer 1996: 123)

Drang nach Osten konnte in diesen Ländern nicht mehr mit der damaligen Aktualität

verknüpft werden und wurde somit kaum noch verwendet. Die Abwesenheit des

Ausdrucks scheint hier eine Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland zu

indizieren.

Meyer (1996) weist dennoch auf einen besonderen Fall hin, in dem der Drang

nach Osten in den Vereinigten Staaten weiterlebte, nämlich in unterschiedlichen

Lehrbüchern, die unter anderem an den Universitäten benutzt wurden. Diese enthielten

allerhand einprägsame Sätze und Ausdrücke, die das Erlernen der historischen Fakten

erleichtern sollten. Obwohl es sich nur um einen einzelnen Bereich handelt, darf der

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Einfluss dieses Bereiches nicht unterschätzt werden, denn die Tatsache, dass der

Ausdruck gerade im Unterricht weiterlebte, bewirkte, dass eine ganze Generation junger

Leute mit diesem Ausdruck und dem darin „indizierten‟ Geschichtsbild bekannt wurde.

3.5 Zweiter Weltkrieg

3.5.1 Deutschland im Bann des Nationalsozialismus

Im Laufe der dreißiger Jahre wurden in Deutschland die Stimmen, die für eine Revision

der Ostgrenze plädierten, immer lauter. Dieses Thema wurde in das

nationalsozialistische politische Programm aufgenommen und hat sicherlich zur

Popularität der NSDAP beigetragen. Hierzu muss jedoch bemerkt werden, dass die

NSDAP sich kaum für Polen interessierte, denn Hitler richtete den Blick nicht auf die

kleineren Grenzprobleme, sondern auf den gesamten Osten (vgl. Broszat 1978: 234f).

Gegen Ende der dreißiger Jahre erschienen unterschiedliche Werke, in denen der

Drang nach Osten15

als eine ostwärtsgerichtete Urbewegung der deutschen und sogar

der europäischen Geschichte dargestellt wurde, dessen treibende Kraft das Volk sei

(vgl. Wippermann 1981: 108ff). Wippermann (1981: 109f) führt Werke von H. Aubin

und M.H. Boehm als Beispiel an. Boehm habe dabei zu einem neuen Drang nach dem

Osten aufgefordert. Dieser sollte sich nicht gegen Polen richten, sondern im Gegenteil:

Dank der Mitarbeit der Polen werde man im Stande sein, umso größere Gebiete im

Osten zu erobern. Wenn man weiß, dass das Werk von Boehm 1936 veröffentlicht

wurde, kann man darin ganz deutlich die damaligen Pläne der Nazi-Führung

wiedererkennen. Hitler hatte nämlich Annäherung an Polen gesucht, um Deutschland

aus seiner isolierten Stellung in Europa zu befreien. Dies kam 1934 im

Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Polen zum Ausdruck (vgl. Broszat 1978:

240ff). Dieser Pakt hielt aber nicht lange stand, denn als Polen nicht länger nützlich

war, suchte Hitler erneut Annäherung an Russland. Die beiden einigten sich im August

1939 über eine erneute Teilung Polens, die September 1939 durchgeführt wurde (vgl.

Jaworski 2000: 320).

Obwohl Labuda (1964: 232) behauptet, während der gesamten Periode der

Herrschaft der NSDAP habe es in Deutschland “an abundance of literature on the

15

Wippermann hat dabei kein Auge für den subtilen Unterschied zwischen Drang nach Osten und Drang

nach dem Osten, denn er verwendet immer Drang nach Osten, während in den von ihm zitierten Werken

immer Drang nach dem Osten steht und das, obwohl damit nun kein bestimmtes Gebiet mehr gemeint

war.

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subject” (Labuda 1964: 232) gegeben, ist Wippermann (1981) der Meinung, dass man

erst nach 1939 “ohne Umschweife” (Wippermann 1981: 111) zum Ausdruck gebracht

habe, was man schon Jahre zuvor dachte. Ich neige dazu, mich Wippermann

anzuschließen, weil es meiner Meinung nach einen deutlichen Unterschied im Ton der

Arbeiten gibt. Vor 1939 verwies man auf mystifizierende und geheimnisvolle Weise auf

die mittelalterliche Vergangenheit:

Mit der wachsenden Erkenntnis, dass im deutschen Osten [meine Hervorhebung,

SV] ein Schauplatz von geschichtlicher Grösse liegt, wendet sich das Trachten

unseres Volkes wieder den Überlieferungen des Mittelalters zu, spannt sich in

der Vorstellungswelt unserer Jugend eine Brücke von jener Zeit in die

Gegenwart über die Jahrhunderte deutscher Irrung hinweg. (Hillen-Ziegfeld

1936: 602 zit.n. Labuda 1964: 233)

Bemerkenswert ist, dass A. Hillen-Ziegfeld immer wieder die Umschreibung “deutscher

Osten” benutzt. Jeder weiß offensichtlich, welche Gebiete damit gemeint sind und

deswegen braucht er die Einzelheiten nicht darzulegen. Bei diesen Verweisen auf das

Mittelalter kann ich mir leicht vorstellen, dass auch der Ausdruck Drang nach Osten

manchmal benutzt worden ist. Wenn man dieses Zitat mit einem aus der Zeit nach der

Zerschlagung Polens vergleicht, merkt man, dass der Ton sich geändert hat:

Der Sieg über die Bolschewiken aber ist zugleich ein Sieg über die Polen. Dies

zu begründen ist nicht nötig; wer den Osten kennt, weiß das es so ist. Er weiß

auch, daß die Lösung der Judenfrage notwendig ist, in Europa und ganz

besonders in Osteuropa. Alle diese Dinge stehen in einem inneren

Zusammenhang. (Lüdtke 1941: 8 zit. n. Wippermann 1981: 112)

Gestärkt durch die Kriegserfolge scheint F. Lüdtke äußerst selbstsicher und demzufolge

richtet er den Blick nicht mehr auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft. Dabei

denkt er weit über den Drang nach Osten hinaus und richtet die Aufmerksamkeit eher

auf rassische als auf nationalistische Aspekte.

Im Allgemeinen kann man feststellen, dass die “deutsche Ostforschung, wie sie

sich selbst nannte” (Wippermann 1981: 112) einerseits die Lebensraumpolitik Hitlers

legitimierte, insofern sie diese als eine Fortsetzung des deutschen Drangs nach Osten

darstellte. Andererseits bemerkt man, dass einige politische Ideen gar nicht mithilfe des

Drangs nach Osten rechtfertigt werden konnten. Dies gilt insbesondere für alle

Gedanken und Pläne, die mit der Vernichtung der Rassen und die Schaffung einer

einzigen reinen arischen Rasse zusammenhingen (vgl. Wippermann 1981: 112f). Dazu

verwendete man, nach Wippermann (1981: 113) eher eine biologisch-rassische als eine

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nationalistisch-völkische Erklärung. Auch in diesem Fall ist die Abwesenheit des

Ausdrucks Drang nach Osten „indikativ‟, d.h. das Verschwinden des Ausdrucks deutet

darauf hin, dass Drang nach Osten nicht mit der damaligen politischen Aktualität

verknüpft werden konnte.

3.5.2 Wirkung des Nationalsozialismus in den anderen Ländern.

Der Zweite Weltkrieg hatte zur Folge, dass Drang nach Osten in Polen und in der

Tschechoslowakei16

ein vielverwendeter Ausdruck wurde, dass in Russland, West-

Europa und Amerika Drang nach Osten wiederbelebt wurde und dass er in Bulgarien,

Rumänien und Jugoslawien erstmals eingeführt wurde (vgl. Meyer 1996: 125ff). Diese

Tendenzen zeigen, dass Drang nach Osten zu dieser Zeit ein unlösbarer Teil des

Feindbildes der Deutschen geworden war. Eine Verschlechterung der Beziehungen zu

Deutschland brachte fast automatisch den Ausdruck Drang nach Osten mit sich.

Die verschiedenen Autoren gehen nicht weiter auf die Entwicklung und

Ausbreitung des Ausdrucks zu dieser Zeit ein. Russland stellt in diesem Zusammenhang

insofern eine Ausnahme dar, als Nolte (1976) ausführlich darauf eingeht. Einige seiner

Thesen sind sowohl von Wippermann (1981) als auch von Meyer (1996) übernommen

worden. Die Art und Weise, wie der Drang nach Osten in Russland in unterschiedlichen

Perioden entweder bewusst eingesetzt oder bewusst vermieden wurde, zeigt ganz

deutlich, dass er auch in Russland der Legitimierung der eigenen Politik diente. 1937

habe eine Regierungskommission einen Wettbewerb um das beste Lehrbuch für die

Geschichte der Sowjetunion ausgeschrieben. Der erste Preis sei jedoch nicht verliehen

worden, da kein einziger Autor die Schlacht auf dem Peipussee (1242) als Erfolg der

Russen darstellte, obwohl dadurch der deutsche Drang nach Osten zum Stillstand

gebracht worden sei (vgl. Nolte 1976: 200). Solche offiziellen Forderungen ließen in

der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes selbstverständlich nach. Nach dem deutschen Überfall

auf die Sowjetunion sei das Thema des russischen Sieges bei der Schlacht auf dem

Peipussee alsbald in der Kriegspropaganda eingesetzt worden (Nolte 1976: 119) und sei

die Vorstellung des deutschen Drangs nach Osten als Teil des deutschen Feindbildes in

den historischen Kanon aufgenommen worden (Nolte 1976: 155). Nolte zieht über den

16

Der Ausdruck Drang nach Osten gelangte sogar in einen tschechoslowakisch-sowjetischen

Beistandspakt (vgl. Lemberg 1976: 2).

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Einfluss des Zweiten Weltkrieges auf den Umgang mit dem Ausdruck Drang nach

Osten in der Sowjetunion diese Schlussfolgerung:

Der 2. Weltkrieg ist die tiefste Zäsur […], da das Feindbild Deutschland in

seinem Verlauf (z.T. Vorgeschichte) gebildet und da es mit dem Abschluß des

Krieges zu einem großen Teil “festgefroren” und in den Kanon festen

Lernwissens für die sowjetische Gesellschaft aufgenommen wurde. (Nolte 1976:

158)

Der Umgang mit Drang nach Osten in russischen Veröffentlichungen stellt abermals

das von Anfang an herrschende Pingpong-Spiel zwischen Ablehnung und Beibehalten

des Ausdrucks unter Beweis. In der deutsch-russischen Beziehungsgeschichte hat der

Ausdruck Drang nach Osten eine klare Indikatorenfunktion. Sobald das gegenseitige

Verhältnis sich verschlechterte, tauchte der Ausdruck Drang nach Osten in

unterschiedlichen Veröffentlichungen auf. Eine Verbesserung der Beziehungen hatte

dagegen immer das Verschwinden des Ausdrucks zur Folge.

3.6 Nachkriegszeit

3.6.1 Weiterführen der ideologischen Analyse des Drangs nach Osten in Polen,

in der Sowjetunion und in der DDR

3.6.1.1 Schwanken in Polen

Die nationalsozialistische Politik stellte für die Anhänger des Kontinuitätsgedankens

den Höhepunkt der jahrhundertelangen Aggression und Expansion der Deutschen

Richtung Osten dar. Sie waren der Meinung, dass sich an dieser Aggression auch in den

kommenden Jahren nichts ändern würde. Solche pessimistischen und fatalistischen

Gedanken herrschten vor allem in Polen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vor.

Es gab unterschiedliche Arbeiten, die die Ursache für den Krieg in der deutschen

Geschichte suchten und dabei feststellten, dass diese Aggression schon seit

Jahrhunderten teil des deutschen Charakters sei (vgl. Labuda 1964: 248ff). Labuda

(1964) und Wippermann (1981) weisen in diesem Zusammenhang beide auf das Werk

von J. Feldman hin. Wippermann fasst die Gedanken Feldmans folgendermaßen

zusammen:

Hitler habe mit seinem nationalistischen und rassistischen Programm bei den

Deutschen deshalb so große Erfolge gehabt, weil diese Elemente sich seit

Jahrhunderten im Kampf gegen Polen entwickelt hätten und zu bestimmenden

Faktoren des deutschen Charakters geworden seien. (Wippermann 1981: 75)

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Hoffnung auf eine Änderung in der Mentalität der Deutschen habe man nach dem

Zweiten Weltkrieg kaum gehegt. Nur geeignete politische Aktion hätte laut Feldman

eine solche Änderung veranlassen können (vgl. Labuda 1964: 252).

Im Gegensatz zu dieser pessimistischen Tendenz wurde in Polen aber auch an

die Ansätze zur De-Ideologisierung, die es in der Zwischenkriegszeit gegeben hat,

angeknüpft. Bereits 1950 gab es Historiker, die das stereotype Denken hinter sich

ließen. Die erste Historikerin, die die Aufgabe der polnischen Historiografie in diesem

Sinne neu formuliert habe, war E. Maleczyńska:

One of the most urgent tasks of Polish historiography as regards Polish-German

relations is to explain the genesis of the Polish-German conflict as a

phenomenon that came into being in the concrete historic conditions of the past

epoch and is disappearing in changed historical conditions; […]. (Übersetzung n.

Labuda 1964: 253 von Maleczyńska 1950: 22f)

Die Folge war eine Änderung der Sicht der deutschen Ostexpansion, die bei A.

Gołubiew deutlich zum Ausdruck kam: Für ihn sei Drang nach Osten ein ideologischer

Begriff, der keiner historischen Realität entsprach. Man kam in Polen also zur Einsicht,

dass Drang nach Osten ein Kind der im Dienst der Politik stehenden

Geschichtsschreibung gewesen war und dass ein solcher Ausdruck nicht in eine

objektive Beschreibung der Geschichte gehörte. Für Labuda (1964) gingen die

Ansichten Gołubiews jedoch einen Schritt zu weit, denn nach Labuda (1964: 254) stellt

der Drang nach Osten sehr wohl eine historische Realität dar. Diese Realität müsse aber

deutlich von der ideologischen Komponente, die erst im 19. Jahrhundert

hinzugekommen sei, unterschieden werden (vgl. oben II, 3.2)

Wippermann (1981: 76ff) zufolge konnten sich die Ansichten Maleczyńskas und

Gołubiews in Polen jedoch nicht unmittelbar durchsetzen, weil das “sowjetpatriotische

Bild der deutsch-slavischen Beziehungen” (Wippermann 1981: 76) auch in Polen zu

stark verbreitet war. Überdies habe die Verbreitung der Kontinuitätsthese eine klare

politische und sozialintegrative Funktion gehabt: Sie habe nämlich die Vertreibung der

Deutschen aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze legitimieren sollen. So

wurde “ein selektives Geschichtsbild” (Bachmann 1996: 53) propagiert, das auf einer

Kette deutscher Verbrechen aufgebaut war und bis zum Deutschen Orden zurückführte.

Diese Kette diente zur Legitimierung der “Umkehrung des Verlaufs der Geschichte”

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(Zernack 1995: 6), wobei die deutsche Bevölkerung aus den ehemaligen preußischen

Ostprovinzen vertrieben wurde.

3.6.1.2 Sowjetunion

In der sowjetischen Historiografie ändert sich in der Darstellung des deutschen Drangs

nach Osten nach dem Zweiten Weltkrieg kaum etwas. Die These einer

epochenübergreifenden Expansion der Deutschen Richtung Osten wurde weiter

vertreten, ohne dass dabei, im Gegensatz zur Historiografie in Polen, kritische

Bemerkungen und Einschränkungen zum Ausdruck gebracht wurden. Nach

Wippermann (1981: 69f) war das Beibehalten des Ausdrucks Drang nach Osten ähnlich

wie in Polen in einem Bedürfnis nach Rechtfertigung und Integration begründet.

3.6.1.3 DDR

Der Einfluss der Sowjetunion war auch in der Geschichtsschreibung der DDR spürbar.

Unter anderem die Politiker W. Ulbricht und A. Abusch verurteilten in ihren

Veröffentlichungen den deutschen Drang nach Osten und riefen zu einer Besinnung auf

die Voraussetzungen auf, die diesen Drang ermöglicht haben. Darüberhinaus würden in

der DDR die polnischen und sowjetischen Thesen weitgehend übernommen. Die DDR-

Historiker versuchten zum Beispiel die Oder-Neiße-Grenze als eine Wiedergutmachung

für die deutschen Verbrechen zu rechtfertigen und zweifelten nicht an der

realgeschichtlichen Existenz der Erscheinung Drang nach Osten. Sie warnten sogar vor

einem erneuten Drang der Westdeutschen, der darauf gerichtet sei, zunächst ganz

Deutschland und danach den Rest des ehemals deutschen Ostens wieder zu erobern

(vgl. Wippermann 1981: 116ff).

3.6.2 Kontinuität(sbruch?) in Westdeutschland und Verschwinden in den

anderen westlichen Ländern

Labuda (1964) und Wippermann (1981) drücken sich beide vorsichtig aus, wenn sie das

Weiterleben des Audrucks Drang nach Osten und die damit zusammenhängenden

ideologischen Komponenten in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945

beschreiben. Ihrer Ansicht nach, gab es sowohl Werke, in denen eher kritische

Gedanken zum Ausdruck gebracht wurden, als auch Werke, in denen die

nationalistisch-völkischen Thesen nach wie vor vertreten wurden. In der ersten Gruppe

weist Wippermann (1981: 124f) auf das Werk G. Ritters hin, in welchem Ritter

behauptet, dass die Deutschen keinen angeboren Drang nach Osten hätten und, dass es

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in der deutschen Politik keine Kontinuität vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg

gegeben habe. Labuda (1964: 237f) verweist unter anderem auf die Historiker R.

Riemeck, I. Geiss, M. Broszat und G. Bluhm, die die Beschreibung der deutschen

Vergangenheit zu objektivieren versucht haben. Auf der anderen Seite erwähnen beide

die Arbeit P.E. Schramms, der 1958 die Geschichte immer noch anhand der Flut-und-

Wellenmetaphorik analysiert habe (vgl. Labuda 1964: 235f, Wippermann 1981: 127ff).

Ein anderes frappierendes Beispiel für unkritischen Umgang mit der Geschichte ist,

dass der damalige Bundeskanzler K. Adenauer sich im selben Jahr (1958) in den

Ritterorden, der für viele das Symbol des deutschen Drangs nach Osten war,

aufnehmen ließ (vgl. Escher und Vietig 2002: 187).

Diese Zweiteilung und das Schwanken zwischen Kontinuität oder

Kontinuitätsbruch hat man laut Wippermann (1981: 129ff) auch in ein und demselben

Werk finden können. In Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen

Ostbewegung (1957) von W. Schlesinger werde einerseits Kritik an der Darstellung der

Vergangenheit mit Wörtern wie drängen oder strömen geübt aber andererseits werde

behauptet, dass dem deutschen Drang nach Osten ein slavischer Drang nach Westen

entsprach (vgl. Wippermann 1981: 129ff)17

.

Meyer (1996: 129ff) weicht abermals von den Ansichten Labudas (1964) und

Wippermanns (1981) ab, indem er behauptet, dass man sich in West-Deutschland nach

1945 kaum mit dem Begriff Drang nach Osten auseinandergesetzt hat. Er fügt hinzu,

dass der Drang nach Osten auch in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten,

abgesehen von einigen Ausnahmen, nicht weiter verwendet worden sei.

4. Fazit

Am Ende dieser Übersicht über die Entwicklung und die Verbreitung des Ausdrucks

Drang nach Osten möchte ich kurz die wichtigsten und auffallendsten Ergebnisse

zusammenfassen. In den verschiedenen Kontexten gibt es einen deutlichen

Zusammenhang zwischen der historischen Realität und einem zu- oder abnehmenden

Gebrauch des Drangs nach Osten. Außerdem wurde der Ausdruck meistens zur

Rechtfertigung der jeweiligen politischen Ziele eingesetzt. Nach seiner Herausbildung

im polnischen Kontext, bei der er als Indikator der misslingenden deutsch-polnischen

17

Wippermann (1981: 131) gibt jedoch an, dass Schlesinger diesen Standpunkt später revidiert hat.

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Beziehungen fungierte, hat der Ausdruck sich in verschiedenen anderen Kontexten

verbreitet. In Polen selber ist er seit seiner Einführung nicht mehr aus der Öffentlichkeit

verschwunden. Erst seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er immer weniger

benutzt und heutzutage kommt er m.E. nur noch selten vor. In den anderen Ländern,

u.a. in Frankreich, in Großbritannien, in Russland usw., in denen Drang nach Osten

benutzt worden ist, hat es eine solche Kontinuität nicht gegeben. Abhängig von den

jeweiligen politisch-historischen Ereignissen wurde der Ausdruck entweder bewusst

eingesetzt oder vermieden, d.h. er hatte eine deutliche Indikatorenfunktion. Was die

Lage in Deutschland betrifft, ist festgestellt worden, dass alternative Ausdrucksweisen

(u.a. Zug nach dem Osten) gegenüber Drang nach Osten bevorzugt wurden. Obwohl

diese noch nicht ausführlich untersucht worden sind, glaube ich, dass sie seit dem Ende

des 19. Jahrhunderts regelmäßig in deutschen Publikationen zu finden sind. Auch im

deutschen Kontext hat Drang nach Osten eine Indikatorenfunktion ausgeübt, denn die

Texte, in denen die inhaltlichen Komponenten des Ausdrucks anwesend sind, bringen

meistens expansionistische Gedanken zum Ausdruck.

Diese Übersicht hat meiner Meinung nach somit klargemacht, dass es eine

“ideologiegeschichtliche Kontinuität” (Wippermann 1981: 84) in der Verwendung des

Ausdrucks Drang nach Osten gibt, wobei Drang nach Osten als Indikator der

verschlechternden ausländischen Beziehungen Deutschlands fungierte.

Obwohl Wippermann (1981: 81) davon ausgeht, dass Drang nach Osten zwar

keiner Wirklichkeit entspricht, als Ideologie jedoch die Realität beeinflusst habe, bleibt

es m.E. schwierig einzuschätzen, inwieweit der Ausdruck als Faktor wirksam gewesen

ist. Das hat vor allem damit zu tun, dass man dazu zahlreiche Quellen in Betracht ziehen

muss. Bisher sind vor allem die Geschichtsschreibung und die Publizistik untersucht

worden, es bleibt aber die Frage offen, wie viele Menschen von diesen Bereichen

erreicht und beeinflusst worden sind. Auch die Literatur, der Unterricht, Manifeste,

Pamphlete, politische Debatten und allerhand mündliche Quellen sollten näher

betrachtet werden. Nur so wird man wirklich herausfinden können, ob der Ausdruck die

Wahrnehmung historischer Ereignisse beeinflusst hat und demzufolge vielleicht auch

andere Ereignisse mitveranlasst hat. Die Daten, die bisher erforscht worden sind, lassen

jedoch vermuten, dass Drang nach Osten vor allem eine Änderung in der

Wahrnehmung der Realität bewirkt hat. Mithilfe des Ausdrucks hat man in den

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allermeisten Fällen auf die Kontinuität in der Aggression der Deutschen Richtung Osten

hingewiesen, wodurch aktuelle Vorgänge in eine historische Kette eingereiht und nicht

mehr als einzelne, unabhängige Phänomene wahrgenommen wurden. Ich bin der

Meinung, dass es beim Ausdruck Drang nach Osten eine Diskrepanz gibt zwischen den

historischen Ereignissen, auf denen mit diesem Ausdruck verwiesen wurde, und der

Perzeption dieser Ereignisse, wenn sie anhand dieses Ausdrucks beschrieben wurden.

So veranlasste die Bezeichnung eines Ereignisses als “eine neue Phase des deutschen

Drangs nach Osten ” eine ganze Reihe Assoziationen, die an und für sich nur wenig mit

der Realität übereinstimmten. Ich glaube, dass man hieraus schließen kann, dass der

Ausdruck Drang nach Osten vor allem in nicht-deutschen Kontexten die Funktion eines

Faktors ausgeübt hat oder wenigstens, dass diejenigen, die ihn benutzten, sicherlich eine

solche Wirkung von ihm erwarteten. Im deutschen Kontext dagegen hat es ein

deutliches Zeichen dafür gegeben, dass Drang nach Osten als Faktor des realen

Geschichtsverlaufs versagte. Der Alldeutsche Verband hoffte, dass der Ausdruck eine

gewisse Mobilisierungskraft ausüben würde. Diese hat sich aber als nichtig erwiesen.

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Kapitel IV: Sprachfunktionale Analyse

1. Vorbemerkungen

Es gibt, wie im Einführungskapitel bereits erwähnt, inhaltlich große Unterschiede

zwischen den Arbeiten, die den Ausdruck Drang nach Osten untersuchen. In den

meisten Fällen stehen die Geschichte und die Verbreitung des Ausdrucks im

Mittelpunkt. Manchmal werden dabei jedoch Ansätze zu einer linguistisch-funktionalen

Analyse gegeben. Während im dritten Kapitel vor allem die Geschichte und die

Verbreitung des Ausdrucks zentral standen, werde ich mich in diesem Teil besonders

mit einigen sprachfunktionalen Aspekten des Ausdrucks beschäftigen.

Bisher haben vor allem drei Forscher, nämlich Lemberg (1976, 2003),

Wippermann (1981) und Meyer (1996) versucht, den Ausdruck Drang nach Osten nach

seiner Funktion zu katalogisieren. Nach Lemberg handelt es sich beim Ausdruck Drang

nach Osten um ein Heterostereotyp und sogar um einen historischen Mythos. Lembergs

Bezeichnungen des Drangs nach Osten als “Begriff” (2003: 33), “Schlagwort” (2003:

33), “Formel” (2003: 36), “Vokabel” (2003: 36) und als “Floskel” (2003: 37) zeigen

jedoch eine Ungenauigkeit, wenn es um die sprachliche Bezeichnung des Ausdrucks

geht. Auch Wippermann (1981) stellt sich die Frage nach Wirkung und Funktion des

Ausdrucks und meint, dass Drang nach Osten als Ideologie Faktor und Indikator

geschichtlicher Prozesse gewesen ist (vgl oben III). Obwohl Wippermanns Verfahren

u.a. begriffsgeschichtlich ist, bezeichnet er Drang nach Osten in seinem gesamten Werk

als Schlagwort und nicht als Begriff. Er setzt sich mit diesen Bezeichnungen und ihren

Bedeutungen weiter nicht auseinander. Meyer (1996) verwendet ebenfalls eine

begriffsgeschichtliche Methode, unterscheidet aber systematisch zwischen Schlagwort

und Begriff. Seiner Meinung nach stellt der Ausdruck Drang nach Osten einen Fall der

Begriffswerdung (“conceptualisation”) dar: Nachdem er anfangs als Schlagwort

(“slogan”) benutzt wurde, ist er nach einiger Zeit in der Historiografie als Begriff

(“concept”) aufgefasst und verwendet worden. Anders als Lemberg (1976, 2003) und

Wippermann (1981) verzichtet Meyer (1996) jedoch auf jede ideologiekritische

Hinterfragung des Ausdrucks Drang nach Osten. Deswegen betrachtet er Drang nach

Osten auch heutzutage noch als ein gültiger Begriff der Historiografie, der die deutsche

Geschichte zutreffend charakterisiert. Die These Meyers, dass Drang nach Osten sich

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mit der Zeit zu einem Begriff entwickelt habe und diese Funktion bis heute ausübe, wird

in diesem Kapitel anhand der Ergebnisse des dritten Kapitels überprüft werden.

Die erste Frage, auf die in diesem Kapitel eine Antwort gesucht wird, ist, ob der

Ausdruck Drang nach Osten als Begriff im wissenschaftlichen Sinne gelten kann. Dazu

werde ich zunächst erläutern, worin der spezifische Wert eines Begriffs besteht. Danach

werde ich untersuchen, ob Drang nach Osten im Laufe der Geschichte als Begriff

funktioniert hat und ob er heutzutage noch als Begriff betrachtet werden kann. Nachher

werde ich dieselben Fragen in Bezug auf die Bezeichnung des Ausdrucks als

Schlagwort stellen. Nach Meyer (1996) hat der Ausdruck Drang nach Osten eine

Begriffswerdung durchgemacht, das impliziert, dass er weder die Funktion eines

Schlagwortes noch die eines Begriffes seine ganze Verwendungsgeschichte hindurch

ausgeübt hat. Deswegen gehe ich abschließend auf die Suche nach einer linguistischen

Bezeichnung, die auf die ganze Geschichte des Ausdrucks anwendbar ist. Seiner

Struktur und Bedeutung nach wäre er dann am ehesten als Wortgruppenlexem zu

betrachten. Zum Schluss werde ich mich kurz zum gegenwärtigen Umgang mit dem

Ausdruck äußern.

2. Der Terminus Begriff

Im umgangssprachlichen Gebrauch wird oft kein Unterschied zwischen Wort (engl.

word) und Begriff (engl. concept) gemacht und auch viele Historiker drücken sich

unpräzise aus und benutzen manchmal Begriff, wenn sie eigentlich Wort meinen. Diese

Unsicherheit kann man dadurch erklären, dass, zwar schon seit Plato die Frage nach

dem spezifischen Wert eines Begriffs gestellt wird, eine eindeutige definitorische

Abgrenzung des wissenschaftlichen Terminus Begriff - soweit ich weiß – aber bis heute

noch nicht geliefert worden ist:

Concepts are more than words, but how they fit between words, discourses,

languages and vocabulary is an unresolved issue. (Van Gelderen 1998: 233)

Das Fehlen einer eindeutigen Definition erstaunt jedoch, denn wenn man die Lemmata

Wort und Begriff im Wörterbuch Duden nachschlägt, bemerkt man, dass die jeweiligen

Beschreibungen sich deutlich voneinander unterscheiden. Während ein Wort als eine

“selbstständige sprachliche Einheit” (DUW 2003 auf CD-ROM: Art. “Wort”)

umschrieben wird, wird ein Begriff eher als eine kognitive Einheit aufgefasst. Bei

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einem Begriff handele es sich um “[eine] Gesamtheit wesentlicher Merkmale in einer

gedanklichen Einheit; [ein] geistiger, abstrakter Gehalt von etw[as]” (DUW 2003 auf

CD-ROM: Art.“Begriff”). Trotz des klaren Unterschiedes ist diese Zweiteilung in eine

sprachliche und eine kognitive Einheit, bei der ein Wort als äußere Form eines Begriffes

aufgefasst wird, nicht unproblematisch. Wenn man Begriffe nämlich nur als kognitive

Einheiten betrachtet, besteht die Gefahr, dass sie zu individuellen und privaten

Vorstellungen reduziert werden. Auf diese Weise wird laut Busse (1987: 80) eigentlich

die Aufgabe der Begriffsgeschichte in Frage gestellt, denn diese gehe auf die Suche

nach der „kollektiven‟ sprachlichen Gestaltung der Wirklichkeit und brauche dazu eben

kollektiv objektivierbare Begriffe.

2.1. Der Terminus Begriff in den Geschichtlichen Grundbegriffen

Der Pionier der Begriffsgeschichte als wissenschaftliche Disziplin im

deutschsprachigen Raum, R. Koselleck setzt sich in der Einleitung zu den

Geschichtlichen Grundbegriffen (1972-1997) mit dieser Problematik auseinander und

versucht, den wissenschaftlichen Terminus Begriff irgendwo zwischen einer reinen

kognitiven und einer sprachlichen Einheit anzusiedeln. Damit das Lexikon keine

“Geistesgeschichte als Geschichte der Ideen” (Koselleck 1972: XXIV) werde, solle es

die Sprache als ein intersubjektives und objektivierendes Medium betrachten. Nach

Koselleck können Begriffe diese objektivierende Funktion ausüben, denn sie seien

sprachliche Einheiten, die

[...] die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eine Summe von theoretischen

und praktischen Sachbezügen in einem Zusammenhang [bündeln], der als

solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird.

(Koselleck 1972: XXIII)

Anders formuliert bedeutet dies, dass ein Begriff die unterschiedlichen individuellen

historischen Erfahrungen zusammenfasst und sprachlich zum Ausdruck bringt. Hinter

einem Begriff stecken demzufolge verschiedene Bedeutungen und Vorstellungen und

deswegen ist er immer vieldeutig, d.h. er ruft immer mehr hervor als das, was das

einzelne Wort aussagt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Begriff, der immer

vieldeutig bleibt, von einem Wort, das in einem bestimmten Kontext eindeutig werden

kann (vgl. Koselleck 1972: XXII).

Dieses auf Mehrdeutigkeit basierte Unterscheidungskriterium scheint mir aus

mehreren Gründen zweifelhaft. Erstens kann man sich fragen, ob auch ein Begriff in

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einem spezifischen Kontext nicht notwendigerweise eindeutig wird oder wenigstens

einen Teil seiner Mehrdeutigkeit verliert. Wenn er immer in seiner ganzen

“Bedeutungsfülle” (Koselleck 1972: XXII) benutzt würde, so könnte er “in einer

konkreten kommunikativen Situation seinen Zweck [nicht] erfüllen” (Busse 1987: 55),

denn der Empfänger wüsste nicht, worauf mit dem Begriff dann jeweils verwiesen wird.

Andererseits ist es aber so, dass sowohl Begriffe als auch Wörter auf mehr verweisen

können, als sie mittels des sprachlichen Zeichens zum Ausdruck bringen. Es bleibt

dabei aber die Frage offen, ob dieses „mehr‟ dem Wort inhärent ist oder vom Wissen

der Kommunikationsbeteiligten bestimmt wird (vgl. Busse 1987: 55). Schultz (1979)

verweist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Denotation (d.h.

demjenigen, worauf verwiesen wird) und Konnotation (d.h. den – oft emotional

besetzten - Assoziationen, die hervorgerufen werden). Die Denotation haftet dem

sprachlichen Ausdruck an, während die Konnotation vom Sprecher, Hörer, Kontext

usw. abhängt. Dies gilt jedoch sowohl für Begriffe als auch für Wörter; deswegen

scheint mir Mehrdeutigkeit kein gutes Kriterium, um zwischen Wörtern und Begriffen

unterscheiden zu können. Außerdem ist die Einteilung somit aufs Neue auf einem

kognitiven und nicht auf einem sprachlichen Unterschied aufgebaut. Dies zeigt sich

deutlich in einem zusammenfassenden Satz Kosellecks:

Wortbedeutungen können durch Definitionen exakt bestimmt werden, Begriffe

können nur interpretiert werden. (Koselleck 1972: XXIII)

2.2 Ist eine theoretische Abgrenzung notwendig?

Ein sprachliches Kritierium, dass zwischen dem Wert eines Wortes und dem eines

Begriffs unterscheiden könnte, hat Koselleck also nicht finden können. Eben dieser

Aspekt wird von verschiedenen Kritikern der Koselleckschen Methode (u.a. Schultz

1979 und Busse 1987) dann auch stark hervorgehoben. Eine eindeutige Lösung dieses

Problems ist aber auch von ihnen nicht formuliert worden. So schreibt Busse in einer

Fußnote:

Eine allgemeine, alle theoretische Interessen abdeckende Definition von

„Begriff‟ und „Wort‟ ist nicht notwendig, vielleicht nicht einmal möglich. [...]

Die Weigerung, klar zu bestimmen, ob es nun um reine Ideengeschichte oder um

Wortgeschichte geht, und der Versuch, zwischen beiden überkommenen, aber

als unzureichend angesehenen Polen zu jonglieren, scheint der Grund für das

Fehlen einer eindeutigen Definition von „Wort‟ und „Begriff‟ in den wichtigsten

Beiträgen zur Methodendiskussion der Begriffsgeschichte zu sein. (Busse 1987:

80)

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Die Begriffsgeschichte und andere Bereiche der historischen Semantik können laut

Busse (1987) ebenso gut ohne eine endgültige Definition von Begriff auskommen. Eine

Abgrenzung zwischen Wort und Begriff soll, so Busse (1987: 80), nur durchgeführt

werden, wenn es der jeweilige Zweck und das theoretische Modell verlangen; sie hat

dann nur in diesem bestimmten Modell seine Gültigkeit.

Busse hat insofern recht, als bisher - trotz der fehlenden theoretischen

Untermauerung - in der Praxis ziemlich leicht zwischen Wörtern und Begriffen

unterschieden werden konnte. Auch wenn Wort und Begriff manchmal verwechselt

werden, intuitiv spüren wir, dass es einen Unterschied zwischen beiden gibt. So wird

beispielsweise niemand das Wort Stuhl als Begriff bezeichnen. Noch deutlicher zeigt

unsere Intuition sich im englischen Sprachgebrauch, denn niemand der word meint,

wird stattdessen concept sagen. Wir wissen somit, dass Wort und Begriff nicht

gleichgesetzt werden können. Wo die Grenze zwischen beiden liegt, ist uns weniger

klar und gerade deswegen benutzen wir teilweise das eine, wenn eigentlich das andere

gemeint ist. In der Umgangssprache werden Wörter, laut Busse (1987: 77f), an erster

Stelle als materielle, d.h. sprachliche Zeichen aufgefasst, während bei Begriffen der

geistige Aspekt hervorgehoben wird (vgl. ganz ähnlich die jeweilige

Bedeutungsumschreibung im DUW). Auch in der Forschung hat die Abgrenzung von

demjenigen, was als Begriff gelten kann, vor allem auf der Grundlage kognitiver

Kriterien stattgefunden.

Begriffe können aber nicht nur kognitive Einheiten sein, sonst könnten sie von

der Begriffsgeschichte nicht untersucht werden. Meiner Meinung nach haben sie auch

noch eine andere wichtige Qualität: Sie sind kollektiver Besitz. Im Folgenden werde ich

kurz meine Sicht der wichtigsten Eigenschaften von Begriffen präsentieren. Ich werde

dabei vor allem ihre besondere kognitive und kollektive Qualität, sowie ihre typische

temporale Binnenstruktur erläutern und werde dabei versuchen, die aktuellen

Forschungsergebnisse soweit wie möglich zu berücksichtigen. Auf diese Weise hoffe

ich, einen praktischen Begriffs-Begriff, den ich in dieser Arbeit anwenden kann,

herausarbeiten zu können.

2.3 Eigene praktische Lösung

Bei meiner Suche nach demjenigen, was einen Begriff zu einem Begriff macht, werde

ich zunächst ein Eliminierungsverfahren anwenden. Wenn danach gefragt wird, worin

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sich Wörter von Begriffen unterscheiden, so sind mit Wörtern im Grunde nur

Substantive gemeint, denn in den allermeisten Fällen sind Begriffe Substantive. Den

anderen Wortarten, z.B. Adjektiven, Verben, Artikeln, wird man nicht so leicht den

Wert eines Begriffs beimessen, es sei denn sie werden ihrerseits substantiviert (z.B. das

Gute, das Denken, das Eine). Obwohl dies selbstverständlich scheint, ist die

Aufmerksamkeit in der Forschung noch nicht auf diesen Aspekt gerichtet worden. Es ist

m.E. jedoch kein bloßer Zufall, dass Begriffe (fast) immer Substantive sind, denn

gerade Substantive haben eine große präsupponierende Macht. Wenn ein Sprecher mit

einem Substantiv oder mit einem Namen auf etwas verweist, so glaubt er

normalerweise, dass der Name sich auf einen realen Gegenstand bezieht (vgl. Franck

1973: 14). Ein Substantiv präsupponiert einen Referenten und eignet sich zur

Rhematisierung, d.h., dass mittels des Substantivs allerhand Aussagen über den

präsupponierten Referenten gemacht werden können. Darin liegt die Wichtigkeit der

Tatsache, dass unterschiedliche Ausdrücke in einer bestimmten Bezeichnung Drang

nach Osten zusammengekommen sind. Mit diesem Namen konnte ein Referent

konstruiert werden, dessen Existenz dann im Diskurs nicht mehr hinterfragt werden

musste.

Zu der Kategorie Begriff gehören also im Grunde nur Substantive. Im Bereich

der Substantive kann jedoch noch weiter differenziert werden. Es kann nämlich

zwischen konkreten Substantiven, die auf einen bestimmten Gegenstand verweisen, und

abstrakten Substantiven, die sich auf etwas Nicht-Gegenständliches oder etwas

Gedachtes beziehen, unterschieden werden (vgl. Duden Die Grammatik 1998).

Konkrete Substantive können demnach auch ausgeschlossen werden, denn wie abstrakte

Substantive beziehen Begriffe sich nicht auf konkret gegenständliche Objekte in der

Wirklichkeit. Auch Landwehr (2004) ist der Meinung, dass vor allem abstrakte

Substantive sich zu Begriffen entwickeln können:

Substantive erlauben es nicht nur, konkrete Dinge und Gegenstände zu bezeichnen,

sondern vor allem bestimmte Gegebenheiten, Ideen und Überzeugungen in einem

Wort zu fassen, so dass sie zum “Begriff” im Sinne von Konzept werden können.

(Landwehr 2004: 125)

Die eigentliche Frage ist also, worin sich abstrakte Substantive wie Jahr, Meter und

Krankheit, von Begriffen wie Staat, Freiheit und Kapitalismus, unterscheiden. Es ist

diese Frage, die bisher in der Forschung nur in der Praxis beantwortet worden ist.

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Deswegen werde ich dieses Problem auch vor allem praktisch zu lösen versuchen, d.h.

die Frage nach dem Unterschied wird in den Hintergrund gerückt und ich werde zu

beschreiben versuchen, worin Begriffe für mich bestehen.

2.3.1 Begriffe als kollektiv - kognitive Einheiten

Begriffe beziehen sich nicht auf konkrete Gegenstände in der Wirklichkeit, sondern

bringen immer eine Interpretation der Verhältnisse in der Wirklichkeit zum Ausdruck.

Die Tatsache, dass es sich um Interpretationen handelt, hat zur Folge, dass Begriffen

immer eine gewisse Subjektivität anhaftet. Sie können aber nicht nur eine subjektive

Bedeutung haben, da sie sonst nicht in einer sprachlichen Gemeinschaft verstanden

werden könnten. Sprachliche Zeichen sind nämlich immer konventionalisierte Zeichen

und können nicht gleich welchen Inhalt zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für

Begriffe: Sie entstehen und entwickeln sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer

bestimmten Sprachgemeinschaft und haben in dieser Gemeinschaft eine kollektive

Bedeutung:

[...] they [= Begriffe, meine Hinzufügung, SV] are neither arbitrary, nor simply

stipulative, models that the theorist invites us to adopt, but constructs that reflect

social and historical usage. (Freeden 1996: 52)

In einen Begriff gehen zwar verschiedene Bedeutungen und Inhalte ein, diese werden

aber u.a. vom jeweiligen sozialen und politischen Kontext bestimmt, in dem der Begriff

entsteht und benutzt wird. Man kann einem Begriff eine persönliche Bedeutung

beimessen; die wesentlichen Bedeutungskomponenten sind m.E. jedoch immer

dieselben. Jeder kann zum Beispiel eine eigene spezifische Vorstellung vom Begriff

Liebe haben, es gibt aber auch bestimmte Assoziationen (Wärme, Zuneigung,

Zärtlichkeit usw.) die wir in einer Kulturgemeinschaft gemein haben. Ich stimme

Koselleck (1972: XXIII) also zu, wenn er behauptet, dass Begriffe nicht definiert,

sondern interpretiert werden müssen. Die Interpretationsmöglichkeiten werden dabei

aber von den verschiedenen historischen und kollektiven Verwendungsweisen des

Begriffs in einer Sprachgemeinschaft begrenzt. Wenn man einen Begriff verwendet,

reiht man sich in eine bestehende “Begriffstradition” ein. Man nimmt Bezug auf frühere

Aussagen, veranlasst selbst auch neue Behauptungen und es wird demnach ein

bestimmtes “Begriffs- oder Aussagengefüge” (Busse und Teubert 1994: 23) geschaffen.

Jeder “Begriffsanwender” entwickelt dabei “seinen eigenen, zeit- und

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interessegebundenen epistemischen Zusammenhang in Form seiner (privaten)

Verwendungsgeschichte sprachlicher Zeichen” (Busse 1987: 72). Diese private

Verwendungsgeschichte ist aber von äußeren Faktoren bestimmt, insofern als zu einem

bestimmten Zeitpunkt zu einem bestimmten Thema nur eine begrenzte Anzahl

Aussagen möglich sind, d.h. nicht alles ist Sagbar (vgl. Landwehr 2004: 7).

Hieraus glaube ich schließen zu können, dass Begriffe zwar immer auf eine

persönliche und private Weise verwendet werden, dass sie andererseits aber auch immer

kollektive Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Ich betrachte Begriffe daher als

sprachliche Einheiten mit einem „kollektiv-subjektiven‟ Inhalt, und zwar aus zwei

Gründen. Der erste Grund ist, dass sie immer aus einer Mischung kollektiver und

privater Vorstellungen bestehen. Der zweite Grund ist, dass Begriffe immer

Kulturprodukte einer bestimmten Gemeinschaft sind und unter anderen sozio-

politischen Umständen ihre Gültigkeit verlieren. Begriffe sind somit immer nur zu einer

bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft Begriffe.

2.3.2 Begriffe als ideologische Instrumente

Dieser zwiespältige Begriffs-Begriff kann erklären, wieso Begriffe z.B. für Politiker

ideologisch interessant sind. Da ihre Bedeutung niemals hundertprozentig vorgegeben

ist, kann man eine Bedeutungskomponente besonders betonen und sie auf diese Weise

bei der Interpretation dominant werden lassen. Man kann sich auch hinter ihrer

Unbestimmtheit verstecken, denn ihr Abstraktionsgrad bewirkt, dass sie von Situation

zu Situation anders erklärt werden können. Günther (1979) ist der Meinung, dass

Begriffe wegen ihrer Allgemeinheit immer konkretisiert werden müssen, denn ohne

Zusammenhang haben sie etwas “Unerfülltes” (Günther 1979: 103) und können sie

somit auf Verschiedenes verweisen. In dieser Referenzoffenheit liegt m.E. gerade der

strategische Wert von Begriffen. Sie sind verschieden deutbar, ihre Bedeutung liegt

nicht fest und sie sind folglich strittig und umstritten. Wenn Begriffe unter allen

Umständen eindeutig, klar und selbstverständlich wären, würde man nicht um und für

sie kämpfen können. Man könnte Begriffe dann definitorisch festlegen, und es hätten

sich beispielsweise nicht zwei einander entgegengesetzte Staatssysteme wie die BRD

und die DDR gleichzeitig als “Demokratien” bezeichnen können.

Dieser Kampf um Begriffe ist nicht nur Folge ihrer Unbestimmtheit, sondern

auch ihrer Unaustauschbarkeit:

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- weil sie unaustauschbar sind, erheben natürlich mehrere Sprechergruppen

Anspruch darauf, was der wahre Staat sei, was die Gesellschaft sei, was die

Klasse sei – (Koselleck und Dipper 1998: 193)

Laut Koselleck (1998: 193) sind vor allem die sogenannten Grundbegriffe

unaustauschbar, weil sie die politische, soziale und ökonomische Realität ordnen und

ihr Bedeutung geben. Ohne diese Grundbegriffe könne keine Gesellschaft auskommen.

Meiner Meinung nach sind jedoch alle Begriffe unersetzbar, zumindest wenn man einen

synchronen Standpunkt einnimmt, d.h. sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer

gewissen Gesellschaft betrachtet. Begriffe weisen ja eine interne Komplexität auf und

bündeln eine Vielfalt von Erfahrungen und Vorstellungen “in einem Zusammenhang,

der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist” (Koselleck 1972: XXIII). Diachron

betrachtet stellt man aber fest, dass Begriffe sehr wohl durch andere ersetzt werden

können. Das hängt damit zusammen, dass u.a. die sozialen und politischen Umständen

sich im Laufe der Zeit ändern und Begriffe somit einen anderen Inhalt bekommen oder

ihre gesellschaftliche Bedeutung verlieren und folglich ersetzt werden.

2.3.3 Die zeitliche Binnenstruktur von Begriffen

Eine letzte Eigenschaft, die Begriffe auszeichnet, ist ihre temporale Vielschichtigkeit.

Begriffe beziehen sich nach Koselleck (2006 [2002]) in unterschiedlichem Maße

sowohl auf die Vergangenheit und die Gegenwart, als auch auf die Zukunft. Laut

Koselleck (2006 [2002]: 90f) sind zu einem Begriff wie bürgerliche Gesellschaft in der

Antike (societas civilis), im Mittelalter und in der frühen Neuzeit jeweils

Bedeutungsnuancen hinzugekommen, während andere dagegen verschwunden sind.

Unser heutiger Begriff bürgerliche Gesellschaft bestehe demzufolge aus einem

Gemisch dieser Bedeutungsnuancen. Daneben werde die Bedeutung des Begriffs auch

an die gegenwärtige sozio-politische Lage angepasst. In dieser Hinsicht kommen in der

Bedeutung eines Begriffs “vergangene Erfahrung” und “gegenwärtige Realität”

(Koselleck 2006 [2002]: 92) zusammen. Begriffe können sich aber auch auf die Zukunft

beziehen, indem sie bestimmte Erwartungen zum Ausdruck bringen. In diesem

Zusammenhang weist Koselleck (2006 [2002]: 91f) auf die vielen „- ismus‟-Bildungen

wie Republikanismus, Demokratismus, Kommunismus usw. hin. Er bezeichnet diese als

Bewegungsbegriffe, weil sie alle eine zukünftige gesellschaftliche Organisation

präsentieren, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aber keiner Wirklichkeit entspricht.

Die besondere Wirkung dieser Begriffe gehe dabei aus der Spannung zwischen

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gegenwärtiger Erfahrung und Erwartung für die Zukunft hervor. Zusammenfassend

betrachtet haben sozio-politische Begriffe Koselleck (2006 [2002]: 92) zufolge eine

vielschichtige zeitliche Binnenstruktur, die bewirkt, dass sie “über die jeweilige

zeitgenössische Realität voraus[-] oder zurück[verweisen]” (Koselleck 2006 [2002]:

92).

2.3.4 Schlussfolgerung

Ich glaube, dass ich die wichtigsten Besonderheiten, die für Begriffe kennzeichnend

sind, behandelt habe. Es ist vor allem festzubehalten, dass Begriffe in einer Gesellschaft

historisch wachsen und dass sie trotz ihrer ideologischen Interpretierbarkeit gewisse

kollektive Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Begriffe kann man m.E. nicht

unabhängig vom jeweiligen sozio-historischen Kontext, in dem sie benutzt werden,

verstehen. Vielleicht liegt in diesem Zusammenhang von Begriff und Gesellschaft der

Unterschied zwischen Begriffen und abstrakten Substantiven. Abstrakte Substantive

sind weniger abhängig von der Gesellschaft, in der sie verwendet werden.

3. Drang nach Osten als Begriff

Für Meyer (1996) steht fest, dass der Ausdruck Drang nach Osten im Laufe der Zeit zur

“Konzeptualisierung historischen Verhaltens” (1996: 18) benutzt worden ist und

seitdem als “gültiger Begriff der deutschen Geschichte” (1996: 142) gilt. Es sei folglich

die Aufgabe der deutschen Historiker, sich endlich mit diesem Begriff zu versöhnen und

ihn bei der Beschreibung der “eigenen” Geschichte einzusetzen. Bedauernswert ist aber,

dass Meyer (1996), der sich des Begriffswertes des Ausdrucks Drang nach Osten ganz

sicher ist, seine Begriffsauffassung nicht ausführlich beschreibt. Am Anfang seines

Werkes verweist er kurz auf die Geschichtlichen Grundbegriffen (1972-1997), setzt sich

mit der darin entwickelten Methode jedoch nicht auseinander und schreibt zum Wert

eines Begriffs nur Folgendes:

[...] as the slogan continues over the years and decades to make its impact upon

public emotion and the scholarly mind, and as it also develops a reverberating

international usage, it does become a rewarding subject for historical

investigation. In such circumstances a slogan has metamorphosed into a concept.

It has, indeed, become a Begriff. (Meyer 1996: 14)

Ein Begriff muss nach Meyer (1996) sowohl in der Öffentlichkeit als in

wissenschaftlichen Arbeiten oft benutzt werden und ist eine historische Untersuchung

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wert. Der Unterschied zu einem Schlagwort liege dann darin, dass Schlagwörter nur im

öffentlichen Bereich aufträten. Meyer (1996) verzichtet jedoch auf weitere Angaben in

Bezug auf seine Begriffsauffassung, weshalb es fast unmöglich ist, herauszufinden, ob

er für die Katalogisierung des Drangs nach Osten - zunächst als Schlagwort und danach

als Begriff - noch andere Kriterien berücksichtigt hat. Daher werde ich anhand meiner

oben beschriebenen Begriffsauffassung überprüfen, inwieweit der Ausdruck Drang

nach Osten jemals als Begriff aufgefasst worden ist und ob er diesen Wert heutzutage

noch hat.

3.1 Begriffliche Aspekte des Ausdrucks Drang nach Osten

Bei der Betrachtung des Ausdrucks Drang nach Osten als Begriff muss zunächst

bemerkt werden, dass ein Begriff in den allermeisten Fällen nur aus einem Wort,

meistens einem Substantiv, besteht, während der Ausdruck Drang nach Osten drei

Wörter enthält. Dies ist meiner Meinung nach aber kein gültiger Grund dafür, Drang

nach Osten nicht als Begriff zu katalogisieren, denn er ist in dieser Form zu einer

verfestigten nominalen Kollokation geworden, die als sprachliche Einheit im Gehirn

gespeichert worden ist und zu jeder Zeit abgerufen werden kann. Außerdem übt der

Ausdruck Drang nach Osten im Satz die Funktion eines einzigen nominalen Satzgliedes

aus, denn es handelt sich im Grunde nur um ein Substantiv Drang mit seiner

Bestimmung nach Osten. Das formale Begriffs-Kriterium ist somit erfüllt worden. Der

Fokus kann nun auf inhaltliche Aspekte gerichtet werden.

3.1.1. Bedeutung vs. Bezeichnung

Die Bedeutung des Ausdrucks Drang nach Osten kann klar definiert werden (vgl. die

Definition Lembergs zu Beginn des zweiten Kapitels). Sie ist seit ihrer Entstehung im

Grunde genommen immer dieselbe geblieben, nämlich, dass die deutsche Bevölkerung

einen inneren Trieb in sich spüre, Richtung Osten zu expandieren. Man merkt dabei

aber gleich, dass der Referent des Ausdrucks, ein bestimmter Charakterzug, der allen

Deutschen innewohnt, gar nicht vorhanden ist. Es sei denn, man glaubt an die Existenz

eines Volks- oder Nationalcharakters, wie J.G. Herder am Ende des 18. Jahrhunderts.

Da solche Gedanken jedoch längst überholt sind, hat der Referent des Ausdrucks Drang

nach Osten keine reale Existenz, sondern ist eher eine geistige Konstruktion. Während

die Bedeutung des Ausdrucks relativ fest liegt, kann man in Bezug auf seine Referenz

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feststellen, dass diese je nach Kontext aktualisiert worden ist und dass die

Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks sich folglich mit der Zeit erweitert haben.

Eine erste Bezeichnungserweiterung, die im Laufe der Zeit stattgefunden hat, ist,

dass nicht nur den Deutschen, sondern einer jeden Gruppe, von der eine gewisse

Drohung ausging, ein Drang unterstellt werden konnte (vgl. Meyer 1996: 120).

Manchmal wurde dabei ganz explizit auf die Ähnlichkeit mit dem „deutschen‟ Drang

nach Osten hingewiesen:

Poland turned to the East and began her Drang nach Osten, a momentous

expansion which presents many analogies to, and was the direct result of, the

Germanic movement called by that name. (Temperley 1924: 221-222 zit.n.

Meyer 1996: 120)

Eine zweite Ausdehnung der Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks bezieht sich

auf die Himmelsrichtung. So ist Russland im Laufe der Geschichte nicht nur eine

“Version of a Drang nach Osten” (Übersetzung n. Meyer 1996: 84 der Russkii

Vestnik18

August 1888: 340), sondern auch ein “Drang nach Süden” (Delbrück 1918-

19: 6-16 zit.n. Meyer 1996: 108) und ein “Drang nach Westen” (Alldeutsche Blätter

1914: 185 zit.n. Meyer 1996: 111) zugeschrieben worden. Meiner Ansicht nach sind die

Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks auf vergleichbare Situationen ausgedehnt

worden und verwies das Wort Drang dabei auf jegliche nationalistische und

expansionistische Politik.

Eine letzte Bezeichnungserweiterung, die ich habe finden können, ist eine, bei

der der Ausdruck Drang nach Osten ohne jegliche konkrete Referenz benutzt wird. Im

Roman Die Kavaliere von Illuxt. Erinnerungsblätter von einem alten Kurländer (1949)

von Alexis von Engelhardt stehen die Erinnerungen eines Kurländers, der in Litauen die

Tochter eines wohlhabenden polnischen Grundbesitzers heiratet, im Mittelpunkt (vgl.

Meyer 1996: 90). Der polnische Grundbesitzer kann nur wenig Deutsch, benutzt aber

ständig den Ausdruck Drang nach Osten, ohne dass er damit einen bestimmten Inhalt

zum Ausdruck bringen will:

Sometimes it occurred as a curse, ofttimes just as an emphatic interjection […]

Thus Koriewo (= der polnische Grundbesitzer, meine Hinzufügung, SV) would

exclaim „Drang nach Osten!‟ making the Drang sound like Drank! And so it

would occur when he poured a drink or offered a smoke.„Drang nach Osten!

Der Schnapps ist gut!‟ or „Die Zigarre habe ich aus Riga, Drang nach Osten!‟

(Engelhardt 1949: 28 zit. n. Meyer 1996: 90)

18

Vgl. Fußnote 10.

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In diesem Zitat fungiert Drang nach Osten als “Leer- und Blindformel” (Koselleck

1972: XVII). In den verschiedenen Arbeiten, die ich als Grundlage benutzt habe, ist dies

jedoch die einzige Stelle, in der der Ausdruck völlig sinnentleert verwendet worden ist.

Das Zitat stammt aber aus der Belletristik und ich habe bereits darauf hingewiesen

(vgl.oben III, 4), dass diese zu den Quellentypen gehört, die bisher nur wenig erforscht

worden sind. Ich vermute, dass weitere Untersuchungen, sowohl der hohen und der

trivialen Literatur als der Umgangssprache, weitere Belege zu Tage fördern würden.

Dieses Zitat ist aber an und für sich schon ein klares Zeichen dafür, dass die Referenz

des Ausdrucks so weit ausgedehnt wurde, bis im Grunde keine Bezeichnung mehr übrig

blieb.

Diese drei Bezeichnungserweiterungen zeigen, dass der Ausdruck Drang nach

Osten mit der Zeit einen Verallgemeinerungsprozess durchgemacht hat. Zunächst

konnte man mit ihm nur auf einen spezifisch deutschen Trieb, sich Richtung Osten zu

verbreiten, verweisen. Mit der Zeit konnte er aber sowohl in Bezug auf andere

Nationen, als auch in Bezug auf andere Himmelsrichtungen verwendet werden. Dieser

Verallgemeinerungsprozess ging letztendlich so weit, dass der Ausdruck sogar

„referenzlos‟ verwendet werden konnte. Die Tatsache, dass man mit dem Ausdruck auf

Unterschiedliches verweisen konnte, ist ein wichtiges Indiz dafür, ihn als Begriff zu

bezeichnen. Mit der Zeit haben sich unterschiedliche Vorstellungen an ihm festgemacht,

wodurch der Referent des Ausdrucks nicht mehr deutlich definiert werden konnte.

3.1.2 Ideologisierbarkeit

Einen zweiten Aspekt, den ich in Bezug auf den Begriffswert des Ausdrucks Drang

nach Osten behandeln möchte, ist die Ideologisierbarkeit. Bei der Beschreibung meiner

Begriffsauffassung habe ich betont, dass Begriffe wegen ihrer Allgemeinheit und

Referenzoffenheit gerne zu ideologischen Zwecken eingesetzt werden. Obwohl ich im

dritten Kapitel mehrfach darauf hingewiesen habe, dass der Ausdruck Drang nach

Osten vor allem aus ideologischen Gründen benutzt worden ist, ist es im Falle Drang

nach Osten schwierig zu bestimmen, ob dies mit seinem Wert als Begriff verknüpft

werden kann. Es ist zwar so, dass der Ausdruck ein nützliches Mittel für ideologisch

motivierte Manipulationen wurde, weil hinter ihm kollektive Vorstellungen steckten,

die nur in dieser bestimmten sprachlichen Form zum Ausdruck gebracht werden

konnten und mit ihm allerhand Assoziationen (u.a. Angst, Bedrohung, Aggression)

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hervorgerufen wurden; ideologisch noch interessanter war aber, dass mit ihm gerade ein

bestimmter – zwar abstrakter, aber darum geistig nicht weniger präsenter - Referent

geschaffen wurde.

Bereits die ersten polnischen Historiker, die den Ausdruck benutzten, spotteten

über die Verwendung des Drangs nach Osten als Rechtfertigungsmittel in Deutschland

und sahen ein, dass es so etwas wie einen verhängnisvollen Drang nach Osten im

Grunde nicht geben konnte. Trotzdem haben sie den Ausdruck beibehalten und den

Drang nach Osten als eine reale geschichtliche Macht betrachtet. Dieses Pingpong-

Spiel wurde während der ganzen Verwendungsgeschichte des Ausdrucks beibehalten:

Obwohl er ab und zu ironisiert wurde, ist der Drang nach Osten sowohl in

verschiedenen Ländern Osteuropas als auch in Deutschland vor allem aus ideologischen

Gründen als realexistentes Phänomen betrachtet worden. Ich glaube, dass sogar eine

Hypostasierung des Drangs nach Osten stattgefunden hat. Ein deutliches Beispiel dafür

ist das folgende Zitat von R. Dmowski:

[...] nowhere does the Drang nach Osten relent, neither in the Baltic Provinces,

nor in western Russia and Poland, nor towards Turkey (Übersetzung n. Meyer

1996: 91 von Dmowski (11.07.1908)19

)

Im Zitat werden allerhand unterschiedliche historische Ereignisse auf einen Nenner

Drang nach Osten gebracht und es wird auf diese Weise über alle Unterschiede Hinweg

ein gemeinsamer Feind, den es gemeinsam zu bekämpfen gilt, geschaffen. Jede

Bedrohung, Gefahr, Expansion usw. Richtung Osten, die von Deutschland oder den

Deutschen auszugehen schien, wurde als Ausdruck des Drangs nach Osten aufgefasst,

wodurch zwischen den verschiedensten Phänomenen und Figuren (vgl. oben I, 1: die

Kette der angeblichen Exponenten des Drangs nach Osten von Friedrich II. über

Bismarck zu Hitler) ein Zusammenhang hergestellt wurde. Zudem wurden in der

Vergangenheit so viele Beweise für einen Drang nach Osten gefunden, dass an der

Existenz dieses Phänomens nicht mehr gezweifelt wurde und dass er sich fast zu einer

Art „self-fulfilling prophecy‟entwickelte. Anhand der vielen konkreten historischen

Ereignisse, mit denen der Drang nach Osten verknüpft wurde, wurde auch der

Ausdruck selber konkretisiert, denn wenn etwas als “neue Phase des Drangs nach

Osten” beschrieben wurde, stellte man die aktuellen Ereignisse sofort auf die gleiche

19

Vgl. Fußnote 10.

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Linie mit verschiedenen Vorgängen der Vergangenheit und hatte man sofort ein

Deutungsmuster für die aktuellen Ereignisse bereit.

Diese Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, wobei aktuelle

Ereignisse gleich in eine historische Kette eingereiht werden konnten, hatte m. E. zur

Folge, dass trotz der Tatsache, dass Drang nach Osten im Grunde auf etwas Abstraktes

verweist, man doch eine konkrete Vorstellung davon hatte. Diese konkrete Vorstellung

konnte dadurch entstehen, dass die Existenz des Referenten des Drangs nach Osten im

Diskurs präsupponiert wurde, d.h. er wurde als Tatsache hingestellt, die scheinbar nicht

weiter hinterfragt zu werden brauchte.

3.1.3 Temporale Vielschichtigkeit

Mit der oben beschriebenen Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit,

bekam der Ausdruck Drang nach Osten eine vielschichtige temporale Binnenstruktur.

Anhand des Ausdrucks wurden vergangene Erfahrungen mit der gegenwärtigen Realität

in Verbindung gebracht.

Man hat mit der Zeit auch versucht, den Ausdruck eine Zukunftsdimension zu

geben. In Deutschland hat beispielsweise der Alldeutsche Verband, den Ausdruck als

Erwartungsbegriff für die Zukunft einzusetzen versucht. Es wurde eine Verbindung

zwischen Vergangenheit und Zukunft gemacht, bei der die vergangenen Erfahrungen,

auf die mit dem Ausdruck Drang nach Osten verwiesen wurde, in die Zukunft projiziert

wurden. Diese Verknüpfung ist jedoch misslungen, denn wie ich im dritten Kapitel (vgl.

oben III, 3.2.4) gezeigt habe, hat die deutsche Bevölkerung ihre Zukunftspläne gerade

nicht von einem Drang nach Osten bestimmen lassen und ist sie stattdessen vor allem

nach Nordamerika gezogen.

Der Ausdruck Drang nach Osten hat sich auf verschiedene Zeitebenen bezogen

und ist somit als Begriff zu betrachten. Es muss dabei aber bemerkt werden, dass er mit

der Zeit nur noch auf die Vergangenheit Bezug nehmen konnte, denn die Beziehung

zwischen dem Ausdruck Drang nach Osten und den Erwartungen für die Zukunft ist nie

richtig zu Stande gekommen und nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er kaum noch mit

der damaligen Aktualität verknüpft werden. Letztendlich ist in den sechziger und

siebziger Jahren sogar gezeigt worden, dass er auch auf die vergangene Ereignisse nicht

angewandt werden konnte, wodurch er den Bezug auf jede Zeitebene verloren hat.

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3.2 Drang nach Osten als zeitweiliger Begriff

Aus den Begriffskriterien, die ich auf den Ausdruck Drang nach Osten angewandt habe,

glaube ich schließen zu können, dass Drang nach Osten für gewisse Akteure zu einer

bestimmten Zeit ein Begriff gewesen ist. Bei der Entwicklung des Ausdrucks gab es

zwei interessante Tendenzen: Einerseits eine Verallgemeinerungstendenz, wobei die

Bezeichnungsmöglichkeiten des Ausdrucks immer weiter ausgedehnt wurden und

andererseits eine Tendenz zur Konkretisierung, wobei er immer wieder mit konkreten

historischen Ereignissen verknüpft wurde. Diese Konkretisierung konnte nur dadurch

stattfinden, dass der Referent des Ausdrucks nicht mehr in Frage gestellt wurde und

demzufolge die Aufmerksamkeit nicht auf sich lenkte. Obwohl der Ausdruck einen

Referenten präsupponierte, der in der Wirklichkeit nicht vorhanden war, bewirkte die

Verknüpfung mit unterschiedlichen konkreten historischen Ereignissen, dass der

präsupponierte Referent dennoch als sehr reell erfahren wurde.

Ich kann Meyer (1996) also nur beipflichten, wenn er behauptet, dass Drang

nach Osten sich zu einem Begriff entwickelt habe. Es ist dabei leider fast unmöglich, zu

bestimmen, wann diese Begriffsentwicklung genau stattgefunden hat, weil das ein

Prozess war, der allmählich vor sich ging und weil es die ganze Zeit hindurch auch

kritische Stimmen gegeben hat, die den Drang nach Osten nicht ohne Weiteres

akzeptierten. Meyer (1996) jedoch hat eine genaue Vorstellung von der zeitlichen

Entwicklung des Ausdrucks Drang nach Osten zum Begriff. Nach ihm muss die

Begriffswerdung in der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum situiert werden. Zu Beginn

des 20. Jahrhunderts entwickelte der Drang nach Osten sich zu:

[...] a magical and winning encapsulation of all the apprehensions and pressures

that many Slavs in different areas of Middle Europe felt about the Germans

living among them, and those to the northwest and west of them. (Meyer 1996:

98)

Der Erste Weltkrieg habe die Begriffswerdung beschleunigt und habe den “Drang nach

Osten in einen Begriff kristallisiert” (Meyer 1996: 108). Als Begriff habe Drang nach

Osten sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in den slavischen Ländern

durchsetzen können (vgl. Meyer 1996: 13). In der Zeit unmittelbar nach dem Ersten

Weltkrieg merkt man tatsächlich, dass der Ausdruck Drang nach Osten auftaucht,

sobald es in der Aktualität einen Anlass dazu gibt, „die Deutschen‟ als aggressive

Eroberer zu bezeichnen. Diese Tendenz hielt sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich

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sehe darin aber lediglich eine Tendenz und kann mich mit Meyers (1996) klaren,

eindeutigen, zeitlichen Bestimmung nicht abfinden. Eine solche eindeutige Bestimmung

der Zeit der Begriffswerdung berücksichtigt die vielen Unterschiede nicht, die es

zwischen den unterschiedlichen Ländern gegeben hat (vgl. die Darstellung im dritten

Kapitel). So wurde der Ausdruck beispielsweise nach dem Ersten Weltkrieg in der

Sowjetunion völlig fallengelassen, während er in Polen zu dieser Zeit noch verwendet

wurde. Zudem war die Lage in Polen selber kompliziert: Es gab sowohl Stimmen, die

für einen Verzicht auf den Ausdruck plädierten, als Stimmen, die den Ausdruck

unbedingt beibehalten wollten. Ohne Weiteres behaupten, dass der Drang nach Osten

sich nach dem Ersten Weltkrieg als Begriff etablierte, hat m.E. somit keinen Sinn. Die

Frage nach der Zeit der Begriffswerdung muss viel differenzierter beantwortet werden,

gerade weil Drang nach Osten nur zeitweilig und jeweils nur für bestimmte Leute als

Begriff gegolten hat.

3.3 Verlust des Begriffscharakters

Im Gegensatz zu Meyer (1996) glaube ich nicht, dass der Ausdruck Drang nach Osten

sich heutzutage noch zur Beschreibung der Geschichte Deutschlands eignet. Meyer

(1996) berücksichtigt nämlich nicht, dass der Ausdruck sich nur aufgrund seiner

ideologischen Deutung und Verwendung als Begriff hat durchsetzen können. Außerdem

muss auch Meyers Kriterium, das zwischen Begriffen und Schlagwörtern unterscheidet,

in Frage gestellt werden. Laut Meyer werden Schlagwörter nur in der Publizistik

verwendet, während Begriffe auch in wissenschaftlichen Arbeiten vorkommen. Bei der

Verwendung des Ausdrucks Drang nach Osten muss aber immer berücksichtigt werden,

dass die Wissenschaft - in diesem Falle meistens die Historiografie - zu dieser Zeit oft

im Dienst der Politik stand und die Geschichte somit recht häufig ideologisch

interpretierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben verschiedene Historiker den Drang

nach Osten dann mit den Mitteln der Ideologiekritik dekonstruiert und damit seinen

Wert als Begriff zunichtegemacht. Auch die Tatsache, dass der Ausdruck Drang nach

Osten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch mit vergangenen Ereignissen

verknüpft werden konnte, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Ausdruck mit der

Zeit seinen Begriffswert verloren hat. Ernsthafte deutsche Historiker betrachten den

Ausdruck Drang nach Osten heutzutage nicht als Begriff. In modernen historischen

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Begriffslexika, wie beispielsweise Geschichte griffbereit (1993) von I. Geiss, taucht

Drang nach Osten demzufolge nicht mehr auf.

Meyer (1996) seinerseits berücksichtigt diese Einsichten nicht und hält

unvermindert an der Existenz eines Drangs nach Osten fest:

- could not these phenomena in sequence invoke the convincing perception of an

enduring pattern of German engagement with Eastern Europe, increasing or

decreasing in intensity over changing times and circumstances, but seldom

wholly absent? (Meyer 1996: 19)

Er ist also der Meinung, dass Drang nach Osten einen Grundzug der deutschen

Geschichte korrekt auf den Punkt bringt und plädiert demzufolge für das Beibehalten

des Begriffs Drang nach Osten. Er missachtet dabei jedoch sein eigenes Begriffs-

Kriterium, denn trotz der Tatsache, dass Drang nach Osten heutzutage kaum noch in

wissenschaftlichen Arbeiten verwendet wird, hat er für Meyer immer noch den Wert

eines Begriffs.

4. Drang nach Osten als Schlagwort

Meyer (1996) hat Drang nach Osten nicht nur als Begriff, sondern auch als Schlagwort

bezeichnet. Nachdem ich untersucht habe, inwieweit die Bezeichnung Begriff zutrifft,

werde ich gleiches auch für die Bezeichnung Schlagwort tun. Hierzu muss jedoch

zunächst bemerkt werden, dass der Terminus Schlagwort bisher genauso wenig wie der

Terminus Begriff eindeutig definiert worden ist. 1906 kam bereits O. Ladendorf in der

Einleitung zum Historischen Schlagwörterbuch, das bezeichnenderweise den Untertitel

Ein Versuch trägt, zur Einsicht, dass ein Schlagwort “ein sehr vielseitiges Produkt”

(Ladendorf 1906: VII) und “ein Allerweltsding” (Ladendorf 1906: VIII) sei und dass es

deshalb schwierig sei, hierfür Unterscheidungskriterien herauszuarbeiten. Die meisten

Forscher beschreiben deswegen einige auffallende Kennzeichen von Schlagwörtern,

heben dabei aber oft unterschiedliche Aspekte hervor. Aus Platzmangel wird hier auf

die weitere Beschreibung der Unterschiede, die es in der Forschung in Bezug auf den

spezifischen Wert eines Schlagwortes gibt, verzichtet. Die Aufmerksamkeit wird vor

allem auf die allgemeinen Merkmale gerichtet, die in den meisten Arbeiten auftauchen.

Anders als bei der Darstellung des Begriffswertes werde ich hier direkt untersuchen, ob

die jeweils beschriebenen Eigenschaften auch beim Ausdruck Drang nach Osten

vorzufinden sind.

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4.1 Allgemeine Merkmale eines Schlagwortes und Anwendung auf den Ausdruck

Drang nach Osten

Syntaktisch ist man sich darüber einig, dass ein Schlagwort im Satz die Position eines

Lexems einnimmt, d.h. das Schlagwort muss sich nicht unbedingt auf ein Wort

beschränken, darf aber andererseits auch kein Satz oder satzwertiger Ausdruck20

sein

(vgl. Kaempfert 1990: 1200). Dieses Kriterium ist meiner Ansicht nach auf den

Ausdruck Drang nach Osten anwendbar, denn Drang nach Osten ist kein Satz und ist

auch nicht satzwertig.

Was die Semantik der Schlagwörter betrifft, wird oft hervorgehoben, dass sich in

diesen sprachlichen Einheiten Programme kondensieren (vgl. u.a. Dieckmann 1975:

103). Schlagwörter reduzieren das “Komplizierte auf das Typische” (Dieckmann 1975:

103) und müssen notwendigerweise “verallgemeinern, vergröbern und verzerren”

(Gollwitzer 1982: 8). Auch das ist eine Eigenschaft, die beim Ausdruck Drang nach

Osten vorliegt, denn ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass anhand dieses

Ausdrucks allerhand unterschiedliche historische Ereignisse auf einen Nenner gebracht

werden konnten. Nach Sittel (1990) besitzen Schlagwörter die Besonderheit, dass sie

“scheinbare Klarheit” mit “inhaltliche[r] Unschärfe” (1990: 182) kombinieren. Gerade

das macht sie m.E. ideologisch interessant, denn man hat das Gefühl, dass man weiß,

worauf sie verweisen, während sie im Grunde in den verschiedensten Kontexten und

Situationen eingesetzt werden. Dieses Merkmal haben Schlagwörter mit Begriffen

gemein, denn Kaempfert (1990) macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass auch

Schlagwörter wegen ihrer Vagheit eine Tendenz zur “Sinnentleerung” (1990: 1203)

aufweisen. Ein anderes inhaltliches Kennzeichen von Schlagwörtern, das auch den

Ausdruck Drang nach Osten charakterisiert, ist, dass sie sich meistens auf politische

Gegebenheiten beziehen (vgl. u.a. Freitag /1974/, Bachem /1979/ und Sittel /1990/) und

dass sie das “politische Denken erleichtern oder ersetzen” (Gollwitzer 1982: 9), indem

sie vereinfachen und verallgemeinern. Kaempfert (1990: 1201) weist in diesem

Zusammenhang darauf hin, dass Schlagwörter im politischen Diskurs oft eine ganze

Argumentationskette verkürzt zum Ausdruck bringen. In Bezug auf den Inhalt von

Schlagwörtern wird zum Schluss von verschiedenen Forschern (u.a. Ladendorf /1906/

und Dieckmann /1975/) betont, dass sie eine emotionelle Komponente enthalten. Die

20

Wenn es sich um Sätze oder satzwertige Ausdrücke handelt, bevorzugt Kaempfert (1990: 1200) die

Bezeichnungen Losung, Parole oder Slogan.

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emotionelle Bedeutung kommt meiner Ansicht nach jedoch erst als eine Folge der

besonderen kommunikativen Funktion der Schlagwörter hinzu.

Schlagwörter haben laut Gollwitzer (1982) eine deutliche pragmatische

Funktion:

Schlagwörter können beruhigen oder, wie in den meisten Fällen, aufstacheln,

Hoffnungen und Zuversicht, aber auch Befürchtungen und Ängste hervorrufen

oder vertiefen. (Gollwitzer 1982: 8)

Alle Aspekte, die Gollwitzer in diesem Zitat nennt, sind beim Ausdruck Drang nach

Osten zu bestimmten Zeitpunkten vorhanden gewesen. Das hängt vor allem mit der im

dritten Kapitel beschriebenen Funktion des Ausdrucks als Faktor zusammen. Es gibt

mehrere deutliche Beispiele, in denen Drang nach Osten zum “Aufstacheln” benutzt

wurde. Deutscherseits wurde dabei meistens zu einer neuen Expansion aufgerufen. In

nicht-deutschen Kontexten wollte man beispielsweise eine panslavistische Front gegen

eine (angebliche) deutsche Expansion aufrichten. “Hoffnung und Zuversicht” wollte

man u.a. in Deutschland mit dem Drang nach Osten hervorrufen; die Vergangenheit

sollte Vertrauen in die Zukunft erwecken. Das Schaffen von “Befürchtungen und

Ängste[n]” spielte andererseits eine Rolle für diejenigen, die sich als Opfer des Drangs

nach Osten betrachteten. Mithilfe einer Warnung vor einer erneuten Phase dieses

Drangs konnte leicht Angst hervorgerufen worden. Hierin liegt meiner Meinung nach

der emotionelle Wert von Schlagwörtern: Sie veranlassen allerhand Emotionen bei den

Zuhörern und werden von den Sprechern gerade wegen dieser – erhofften – Wirkung als

Faktor benutzt.

Außerdem werden Schlagwörter wegen ihrer emotionellen Wirkung besonders

in Diskussionen verwendet und bringen einen deutlichen “Standpunkt für oder wider ein

Streben” (Ladendorf 1906: VII) zum Ausdruck. Daher wird meist zwischen

Fahnenwörtern, die positiv konnotiert sind und einen Standpunkt der eigenen Gruppe

zum Ausdruck bringen, und Stigmawörtern, die negative Assoziationen veranlassen und

einen Standpunkt der gegnerischen Partei negativ bewerten, unterschieden (vgl.

Burkhardt 1998: 101). Dabei ist es oftmals so, dass ein- und dasselbe Schlagwort zu

beiden Zwecken eingesetzt wird, weil die eine Gruppe die Bezeichnung der

gegnerischen Ideologie übernimmt (vgl. Freitag 1974: 122). Auch der Ausdruck Drang

nach Osten ist zu beiden Zwecken verwendet worden: Er hat überwiegend die Funktion

eines Stigmawortes ausgeübt, ist aber beispielsweise vom Alldeutschen Verband auch

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als Fahnenwort benutzt worden. Wenn ein Schlagwort sowohl als Fahnenwort, als auch

als Stigmawort fungiert, ist es oftmals so, dass die von der gegnerischen Partei

übernommene Bezeichnung ironisiert, überbenutzt und typografisch (mittels Sperrdruck

oder Anführungszeichen) hervorgehoben wird. Auch dieses Phänomen ist beim

Ausdruck Drang nach Osten zu finden. Die Ironie wurde dabei mittels Epitheta wie

“fameux” (Übersetzung n. Meyer 1996: 96 von Kramár 1899: 596) und “sogenannten”

(Übersetzung n. Nolte 1976: 139 von Gracianskij 1943: 9) ausgedrückt. Ebenso

distanzierte man sich unmissverständlich vom Drang nach Osten mit der Hinzufügung

des Possessivpronomens21

. Dies ist z.B. der Fall im bereits erwähnten Zitat von M.S.

Semenov (vgl. oben III, 3.1.2), in dem er Folgendes schreibt:

But when […] these Germans start preaching about their [meine Hervorhebung,

SV] Drang nach Osten, we turn indignantly from them. (Übersetzung n. Meyer

1996: 60 von der Moskovskie Vedomosti, 25. November 186522

)

Typografisch wurde Drang nach Osten von Anfang an (vgl. oben u.a. III, 2.2.1 das

Zitat von Klaczko) oft mithilfe von Anführungszeichen hervorgehoben.

In der Schlagwort-Forschung wird jedoch betont, dass Schlagwörter ihre

besondere Funktion in argumentativen Reden nur ausüben können, wenn sie sich auf

Themen beziehen, die in der Gesellschaft oder in der Gruppe eine besondere Aktualität

haben (vgl. Kaempfert 1990²: 199). Das erklärt, weshalb Schlagwörter oft verschwinden

und nach einer Weile wieder auftauchen. Beim Ausdruck Drang nach Osten merkt man

auch, dass er nur dann benutzt wird, wenn es in der Aktualität einen bestimmten Anlass

dazu gibt, sobald es diesen nicht gibt, verschwindet der Ausdruck wieder. Dies hängt

deutlich mit der im dritten Kapitel erwähnten Indikatorenfunktion des Ausdrucks

zusammen. Nach Nunn (1974) kann ein Schlagwort sich demzufolge in drei Richtungen

entwickeln:

Entweder es verschwindet aus dem Sprachgebrauch, da die Umstände, aus denen

es geboren wurde, nicht länger bestehen, oder es erwirbt einen gesicherten Status

als etablierter Schlüsselbegriff in den Geschichtsbüchern, oder es wird zu einem

normalen unscheinbaren Bestandteil der Alltagssprache. (Nunn 1974: 15)

Wenn man diese Behauptung auf den Ausdruck Drang nach Osten anwendet, kann man

wie Meyer (1996) annehmen, dass sich aus dem Schlagwort ein Begriff entwickelt hat.

21

Nicht nur Wippermann (1981) und Meyer (1996) erwähnen Zitate, in denen das Possessivpronomen

ausdrücklich hinzugefügt worden ist, sondern auch auf der Website des Projektes Deutscher Wortschatz

der Universität Leipzig wird “ihrem” immer noch als signifikanter linker Nachbar von Drang angegeben. 22

Vgl. Fußnote 10.

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Ich habe jedoch bereits gezeigt, dass diese Entwicklung zum Begriff tatsächlich in

einigen Bereichen und zu einer gewissen Zeit stattgefunden hat, dass sie aber niemals

definitiv und allumfassend gewesen ist, weil von der Geschichtswissenschaft gezeigt

wurde, dass der Begriff eigentlich keinen Referent hatte.

4.2 Drang nach Osten als zeitweiliges Schlagwort

Es fällt auf, dass alle wesentlichen Kennzeichen von Schlagwörtern auf Drang nach

Osten zutreffen. Deswegen neige ich dazu, Meyers Katalogisierung des Drangs nach

Osten als Schlagwort zu akzeptieren. Problematisch an einer allzu allgemeinen

Beschreibung von Schlagwörtern ist, dass sie auf diese Weise sehr viel Ähnlichkeiten

mit Begriffen aufweisen. Sie unterscheiden sich aber von Letzteren, da sie nicht in allen

Bereichen, in denen Begriffe verwendet werden, auftauchen können. Schlagwörter

gehören an erste Stelle in den Bereich der Öffentlichkeit, genauer gesagt in den Bereich

der (polemischen) Publizistik. Sie werden somit in Texten benutzt, deren Hauptziel es

ist, mittels Beeinflussung der Meinung des Publikums mehr Anhänger für die im Text

geäußerten Thesen zu gewinnen. Dabei muss die rationale Argumentation oft der

emotionalen Wirkung weichen23

. Während (politische) Schlagwörter immer zu

ideologischen Zwecken benutzt werden, haben Begriffe differenziertere

Verwendungsmöglichkeiten; sie können ideologisiert werden, können aber auch neutral,

d.h. ohne dass eine Meinungsänderung beabsichtigt ist, verwendet werden.

Es springt jedoch ins Auge, dass Drang nach Osten fast ausschließlich in

agitatorischen Texten verwendet worden ist. Dazu rechne ich auch die vielen

Verwendungen in der Geschichtsschreibung, denn diese lieferte, indem sie Teil der

politischen Propaganda war, eher eine Interpretation mit dem Hinblick auf eine

Meinungsänderung beim Publikum, als eine objektive Beschreibung der Geschichte.

Vor allem deswegen scheint es mir angebracht, Drang nach Osten als Schlagwort zu

bezeichnen. Wie bei der Bezeichnung Begriff glaube ich aber, dass auch die

Bezeichnung Schlagwort sich heutzutage nicht mehr für den Ausdruck Drang nach

Osten eignet. Der Ausdruck bringt nicht länger etwas zum Ausdruck, was in einer

23

Die Verwendung des Ausdruckes Drang nach Osten wegen seiner emotionalen Wirkung könnte für

Lemberg (1976) der Grund gewesen sein, ihn als “historische[n] Mythos” (1976: 9) zu bezeichnen, denn

nach Dehli (2002) ist mit Mythos eine Sprachform gemeint, die eher “symbolisch-emotional” wirken will,

als dass sie “rational überzeugen” (Dehli 2002: 223) möchte.

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bestimmten Gesellschaft eine gewisse Aktualität hat und ist deswegen als Schlagwort

funktionslos geworden.

5. Drang nach Osten als Wortgruppenlexem

Der Ausdruck Drang nach Osten hat sowohl die Funktion eines Begriffes, als auch die

eines Schlagwortes nur zeitweilig ausgeübt. Wenn man auf der Suche ist nach einer

linguistischen Bezeichnung, die auf die ganze Verwendungsgeschichte des Ausdrucks

anwendbar ist, kommt u.a. die Bezeichnung Wortgruppenlexem in Betracht.

Bei Wortgruppenlexemen, z.B. Schwarzes Meer, Erste Hilfe, Ewiger Jude usw.,

handelt es sich nach Elsen und Michel (2007) um:

[…] Syntagmen, die nicht als freie Fügungen bezeichnet werden können, da sie

mit relativ fester Struktur und fester Bedeutung wiederholt vorkommen und in

dieser Hinsicht den eigentlichen Lexemen gleichen. (Elsen und Michel 2007: 3)

In dieser Erklärung des Terminus Wortgruppenlexem werden nur zwei besondere

Kriterien genannt: Wortgruppenlexeme haben eine feste Struktur und eine feste

Bedeutung vorzuweisen. Diese Kriterien sind m.E. auf den Ausdruck Drang nach Osten

anwendbar. Die Struktur des Ausdrucks liegt relativ fest, d.h. zwischen den

verschiedenen Lexemen können keine modifizierenden Elemente eingeschoben werden.

So findet man beispielsweise eher „der deutsche Drang nach Osten‟ als „der Drang der

Deutschen nach Osten‟. Außerdem können die einzelnen Lexeme normalerweise nicht

ausgetauscht werden. Dies hat man beim Ausdruck Drang nach Osten schon gemacht,

indem z.B. in Polen zu einem „Drang nach Westen‟ aufgerufen wurde. Elsen (2007)

zufolge sind solche “abgrenzende[n] Kontrastbegriffe” (Elsen 2007: 7) jedoch typisch

für Wortgruppenlexeme. Das unterscheide sie von Phraseologismen, bei denen die

einzelnen Lexeme unaustauschbar seien und bringe sie in die Nähe der Komposita, bei

denen man solche Kontrastbegriffe auch finden kann (z.B. Rotkohl/Weißkohl). Bei

Wortgruppenlexemen kann das modifizierende Lexem durch ein kontrastives ersetzt

werden und deswegen wird ihre Struktur als relativ fest bezeichnet (vgl. Elsen 2007: 7).

Auch die Bedeutung liegt beim Ausdruck Drang nach Osten relativ fest, d.h. im Grunde

ist die Bedeutung immer dieselbe geblieben, es gab aber ein bleibender

Aktualisierungsspielraum, der bewirkte, dass die Bezeichnungsmöglichkeiten des

Ausdrucks erweitert werden konnten.

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Neben diesen im Zitat genannten Kriterien haben Wortgruppenlexeme nach

Elsen (2007) noch einige andere typische Eigenschaften, wodurch sie sich von anderen

Kollokationsmustern unterscheiden: Erstens weist Elsen (2007: 2) darauf hin, dass

Wortgruppenlexeme im Gegensatz zu den meisten Phraseologismen eine nicht-

idiomatische Bedeutung haben, d.h. wenn man die Bedeutung der Einzelwörter

zusammenfügt, bekommt man die Bedeutung des gesamten Ausdrucks. Dieses

Kriterium gilt auch für den Ausdruck Drang nach Osten, denn aus der Lembergschen

Definition stellt sich deutlich heraus, dass die Bedeutung beim Ausdruck Drang nach

Osten motiviert oder nicht-idiomatisiert ist. Zweitens fällt bei Wortgruppenlexemen laut

Elsen (2007: 9) die lexikalische und/oder graphische Hervorhebung auf. Solche

Hervorhebungen finde man vor allem bei neuen Wortgruppenlexemen, weil man sie auf

diese Weise als Wortgruppe hervorheben und auf ihren Lexemstatus aufmerksam

machen könne. Für solche Hervorhebungen beim Ausdruck Drang nach Osten habe ich

in dieser Arbeit unterschiedliche Beweise geliefert, z.B. der sogenannte Drang nach

Osten (lexikalische Hervorhebung) und die Verwendung von Anführungszeichen

(graphische Hervorhebung). Drittens und letztens haben Wortgruppenlexeme nach

Elsen (2007: 16) einen Terminuscharakter, der bewirke, dass ihre Referenz “per

definitionem” (Elsen 2007: 16) eindeutig sei. Dieses Kriterium ist für den Ausdruck

Drang nach Osten problematisch, denn bei der Beschreibung des Begriffscharakters

(vgl. oben IV, 3.1.1) habe ich darauf hingewiesen, dass es nicht immer deutlich ist,

worauf mit dem Ausdruck verwiesen wird. Trotz der Tatsache, dass Elsen (2007: 16)

dieses Merkmal besonders wichtig findet, glaube ich, dass das Fehlen dieses Aspektes

beim Ausdruck Drang nach Osten kein ausreichender Grund dafür ist, ihn nicht als

Wortgruppenlexem zu bezeichnen. Elsen (2007: 16ff) hebt nämlich hervor, dass es

zwischen unterschiedlichen Kollokationsmustern einen fließenden Übergang gibt und

dass man die verschiedenen Typen demzufolge nicht eindeutig definitorisch festlegen

kann. Für jeden Typus kann nur ein bestimmtes Kriterienbündel aufgestellt werden.

Abhängig von der Anzahl Kriterien, die auf einen bestimmten sprachlichen Ausdruck

zutreffen, kann man den Ausdruck dann einer gewissen Kategorie zuordnen. Wenn alle

Kriterien erfüllt werden, dann gehört ein Ausdruck zum Kern einer Kategorie. Wenn

nur einige Kriterien anwendbar sind, dann ist er eher in ihre Peripherie einzuordnen

(vgl. Elsen und Michel 2007: 12f). Der Übergang vom Zentrum zur Peripherie macht es

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Elsen und Michel (2007) zufolge möglich, auch Phänomene der Parole, die bei den

bisherigen systemlinguistischen Definitionen unberücksichtigt blieben, in Kategorien

einzuteilen. Da dem Ausdruck Drang nach Osten nur ein Merkmal eines

Wortgruppenlexems fehlt, glaube ich, dass er diesem Kollokationsmuster zuzuorden ist.

Abhängig von der Gewichtung, die man diesem fehlenden Kriterium beimisst, kann

Drang nach Osten eher in die Nähe des Zentrums oder in die Peripherie der

Wortgruppenlexeme eingestuft werden.

In ihrem Plädoyer für eine mehr gebrauchsbezogene Wortbildungsforschung

schlagen Elsen und Michel (2007) vor, in der Wortbildungsforschung u.a. auch text-,

sozio-, gesprächs- und pragmalinguistische Fragestellungen zu bearbeiten. Aus

Platzmangel wird hier auf eine Beschreibung des Nutzens all dieser Fragestellungen für

die Wortbildungsforschung verzichtet und werden nur die soziopragmatischen

Fragestellungen näher betrachtet, weil diese für den Ausdruck Drang nach Osten von

besonderem Interesse sind. Pragmatische Fragestellungen sind u.a. auf den “Einfluss

ko- und kontextueller Faktoren auf den Sprachgebrauch” (Elsen und Michel 2007: 10)

gerichtet. Beim Ausdruck Drang nach Osten haben sowohl der Kotext als der Kontext

meiner Ansicht nach einen Einfluss auf dessen Gebrauch ausgeübt. Die Tatsache, dass

Drang nach Osten sich aus einer Menge gleichwertiger Ausdrücke herauskristallisiert

hat und dass er auch zur damals beliebten Metaphorik passte, beweist, dass die

kotextuelle Umgebung zur Formung dieses Wortbildungsproduktes beigetragen hat.

Was mir aber bemerkenswerter scheint, ist, dass sich im dritten Kapitel deutlich

herausgestellt hat, dass die Verwendung des Ausdrucks kontextuell bestimmt war. Der

Kontext einer national-teleologischen Interpretation der Beziehungsgeschichte

stimulierte nicht nur den Gebrauch des Ausdrucks, sondern war sogar eine

Voraussetzung für seine Verwendung: Sobald nicht mehr an eine “national-

geschichtliche Teleologie” (Zernack 1992: 397) geglaubt wurde, verschwand nämlich

auch der Ausdruck Drang nach Osten. Elsen und Michel (2007: 10) zufolge müssen

bestimmte Wortbildungsphänomene mittels eines morphosoziopragmatischen

Verfahrens analysiert werden. Eine solche Verknüpfung von Morphologie, Pragmatik

und Soziolinguistik sei

[…] insofern angemessen und sprachrealitätsnah, als für die ko- und

kontextuelle Realisierung morphologischer Strukturen pragmatische und

soziologische Gründe angeführt werden. (Elsen und Michel 2007: 10)

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Die Forderung von Elsen und Michel (2007) nach einer mehr gebrauchsbezogenen

Wortbildungsforschung lässt sich auch sehr gut auf die Analyse von

Kollokationsmustern übertragen: Das besondere ist nicht, dass eine bestimmte

Kollokation zu Stande kommt, sondern dass im Falle des Ausdrucks Drang nach Osten

die nationale Beziehungsgeschichte zu den prägenden Gebrauchsbedingungen gehört.

Sowie Elsen und Michel (2007) in ihrem Artikel jedoch selbst angeben gibt es im

Bereich der Parole noch manches zu erforschen. Die Analyse des Ausdrucks Drang

nach Osten bestätigt aber, dass es durchaus einen Sinn hat, Faktoren der Parole in

Betracht zu ziehen.

6. Gegenwärtiger Umgang mit dem Ausdruck Drang nach Osten

Wenn der Ausdruck Drang nach Osten heutzutage noch verwendet wird, dann kann

man ihn weder als Begriff, noch als Schlagwort bezeichnen, weil er nur zeitweise und

nur für bestimmte Akteure so fungiert hat. Wenn man ihn linguistisch genau benennen

möchte, dann kann man ihn aufgrund seiner Struktur und Bedeutung als

Wortgruppenlexem bezeichnen. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch ist diese

Bezeichnung jedoch zu umständlich und deswegen scheinen mir in solchen Fällen nur

generelle Bezeichnungen wie Ausdruck und Formulierung geeignet. Mit diesen

Bezeichnungen sind keine besonderen inhaltlichen oder funktionalen Kriterien

verknüpft, weshalb sie auf Drang nach Osten angewandt werden können.

In der Einführung habe ich darauf hingewiesen, dass der Ausdruck Drang nach

Osten gelegentlich noch in der Publizistik und dabei vor allem in Schlagzeilen

verwendet wird, z.B. “Vom Drang nach Osten zur peripheren EU-Integration" (Neues

Deutschland 2002)24

. In diesen Fällen übt er meiner Ansicht nach weder die Funktion

eines Begriffes noch die eines Schlagwortes aus, sondern fungiert er nur als “Fangwort”

(Dieckmann 1975: 106), um die Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn Drang nach Osten

als Fangwort in Schlagzeilen benutzt wird, muss jedoch darauf geachtet werden, dass er

nur als solcher vom Publikum aufgefasst wird. Im weiteren Verlauf des Textes muss

klargemacht werden, dass der Ausdruck nur eingesetzt wurde, um die Aufmerksamkeit

zu erregen und dass man sich weiter vom klischeehaften Geschichtsbild, dass von

diesem Ausdruck hervorgerufen wird, distanziert. Dabei muss man sich ständig dessen

24

Ich habe dieses Beispiel der Website Deutscher Wortschatz entnommen.

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bewusst sein, dass der Ausdruck mit Mitteln der Ideologiekritik dekonstruiert worden

ist und deswegen von der Geschichtswissenschaft abgelehnt wird.

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Kapitel V: Zum Schluss…

1. Die geschichtliche und sprachliche Funktion des Ausdrucks Drang nach

Osten

Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Tatsache, dass der Ausdruck Drang nach Osten

heutzutage trotz seiner ideologiekritischen Dekonstruktion gelegentlich noch immer bei

der Beschreibung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte auftaucht. Deswegen

schien es mir angebracht, anhand einer Synthese der bisherigen Arbeiten zum Thema

Drang nach Osten die beziehungsgeschichtliche Rolle des Ausdrucks genauer zu

untersuchen. Dazu habe ich ein begriffsgeschichtliches Verfahren angewandt, das

untersucht, in welchen Kontexten Ausdrücke zu welchen Zwecken benutzt werden. Auf

diese Weise habe ich die Verbreitung und die Entwicklung des Ausdrucks Drang nach

Osten skizziert und dabei untersucht, ob er im Laufe der Zeit als Indikator und als

Faktor fungiert hat.

Die Indikatorenfunktion zeigte sich vor allem darin, dass die Verwendung des

Ausdrucks seit seiner Entstehung im deutsch-polnischen Kontext jeweils ein Misslingen

der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte indizierte. Auch in den anderen

Kontexten, in denen der Ausdruck mit der Zeit benutzt wurde, war sein Auftauchen

immer ein Zeichen dafür, dass die Beziehungen zu Deutschland sich verschlechterten.

Umgekehrt wies das Verschwinden des Ausdrucks jedes Mal auf eine Verbesserung der

gegenseitigen Beziehungen hin.

Ob der Ausdruck auch als Faktor gewirkt hat, war nicht so eindeutig zu

bestimmen. Konkrete Beweise dafür, dass er historische Ereignisse veranlasst hat, habe

ich nicht finden können. Allerdings kann ich mir jedoch leicht vorstellen, dass die

Verwendung des Ausdrucks zu einer Änderung in der Wahrnehmung der Wirklichkeit

geführt hat. Ob solche Bewusstseinsänderungen beim gemeinen Mann tatsächlich

stattgefunden haben, muss m.E. jedoch noch näher untersucht werden. Die Frage, ob der

Ausdruck Drang nach Osten jemals als Faktor der Geschichte fungiert hat, ist somit

noch nicht beantwortet worden. Andererseits habe ich einen deutlichen Beweis für das

Versagen des Ausdrucks als Faktor finden können: Der Aufruf des Alldeutschen

Verbandes zu einer modernen Erneuerung des mittelalterlichen Drangs nach Osten ist

von den deutschen Auswanderern nicht befolgt worden.

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Bei dieser Übersicht über die Geschichte des Ausdrucks Drang nach Osten ist

eine faktografische Darstellung mit den Ergebnissen der ideologiekritischen Forschung

kombiniert worden. Vor allem dieses letzte Element hat bewirkt, dass in dieser Arbeit,

im Gegensatz zu Meyer (1996), die These vertreten worden ist, dass die geschichtliche

Rolle des Ausdrucks Drang nach Osten heutzutage ausgespielt ist. Es hat sich nämlich

herausgestellt, dass der Ausdruck nicht nur zu ideologischen Zwecken missbraucht

wurde, sondern dass es so etwas wie einen Drang nach Osten in Wirklichkeit überhaupt

nicht gegeben hat. Der Ausdruck hat nur aus der Perspektive einer

“nationalgeschichtlichen Teleologie” (Zernack 1992: 397) einen Sinn, denn sobald nicht

mehr an angeborene, national bestimmte und unwiderstehliche Triebe geglaubt wird,

hat auch Drang nach Osten seine Gültigkeit verloren.

Im letzten Teil dieser Arbeit habe ich anhand der Ergebnisse des dritten

Kapitels die These Meyers (1996), aus dem Schlagwort habe sich ein Begriff Drang

nach Osten entwickelt, überprüft. Ich habe dabei versucht, die unterschiedlichen

Kriterien für Begriffe und Schlagwörter auf den Ausdruck Drang nach Osten

anzuwenden und habe feststellen können, dass beide Bezeichnungen auf Drang nach

Osten anwendbar sind, sofern hinzugefügt wird, dass sie diese Funktionen nur temporär

und nur für bestimmte Akteure ausgeübt haben. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch

schlage ich aber vor, Drang nach Osten als Ausdruck oder Formulierung zu bezeichnen.

Wenn man den Ausdruck linguistisch jedoch genau katalogisieren möchte, dann glaube

ich, dass er seiner Struktur und Bedeutung nach als Wortgruppenlexem einzustufen ist.

2. Forschungsausblick: Eine diskursanalytische Perspektive

In dieser Arbeit habe ich anhand des Ausdrucks Drang nach Osten gezeigt, dass auch

Sprache eine beziehungsgeschichtliche Rolle spielen kann. Meine

begriffsgeschichtliche Analyse ist jedoch nur als Ansatzpunkt für künftige

Untersuchungen zu betrachten. Das begriffsgeschichtliche Verfahren stößt nämlich

schnell an seine Grenzen, und deswegen möchte ich zum Ende dieser Arbeit kurz auf

die Möglichkeiten anderer Methoden – vor allem die der Diskursanalyse – eingehen.

Nach dem Vorbild der Begriffsgeschichte ist in der Forschung mehr und mehr

folgende These vertreten worden,

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daß es sich bei Sprache nicht, wie vielfach angenommen, um ein transparentes

Phänomen handelt, das Welt einfach abbildet, sondern daß sie Strukuren,

Beziehungen, Kausalitäten, Identitäten und Wissensformen jeglicher Art produziert,

reproduziert und transformiert. (Landwehr 2004: 169)

Gerade wenn man mit einer vielfach problematisierten Beziehungsgeschichte wie der

zwischen Deutschland und Polen konfrontiert wird, so muss “die sprachliche Gestaltung

historischer Wirklichkeiten” (Daniel 2001: 345) genau untersucht werden. Diese

sprachliche Gestaltung ist nämlich nie eine objektive Abspiegelung der

außersprachlichen Welt, sondern immer eine subjektiv gefärbte Konstruktion. Dieser

Gedanke lag der Begriffsgeschichte zu Grunde. Ihre Kritiker, allen voran Busse (1987),

werfen ihr aber vor, sie richte die Aufmerksamkeit zu sehr auf einzelne Begriffe, auf das

“alles konzentrierende Wort” (Busse 1987: 64), und vernachlässige somit den größeren

textuellen Zusammenhang, in dem vielleicht der untersuchte Begriff als solcher fehlt,

dieselben Gedanken aber möglicherweise mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht

werden. Nach dem Vorbild Wittgensteins behauptet Busse (1987), dass wir uns nicht

mit “Wörter[n] und Begriffe[n]”, sondern mit “Sätze[n] und Gedanken” (Busse 1987:

86) auf die Wirklichkeit beziehen. Diese Kritik hat bewirkt, dass die Forschung den

Schwerpunkt mehr und mehr von Wörtern und Sätzen auf ganze Diskurse verlegt hat.

Auch der Terminus Diskurs ist noch nicht eindeutig definitorisch festgelegt

worden, ich übernehme hier aber den Diskurs-Begriff, wie er von Busse und Teubert

(1994) entwickelt worden ist. Sie betrachten Diskurse als “virtuelle Textkorpora, deren

Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien

bestimmt wird” (Busse und Teubert 1994: 14); unter Diskursen verstehen sie somit alle

Aussagen zu ein und demselben Thema. Diese Äußerungen werden in unterschiedlichen

Texten realisiert, nehmen aber über die Textgrenzen hinaus aufeinander Bezug (vgl.

Jung und Wengeler 1999: 146f). Der Zusammenhang mit dem Diskurs-Begriff

Foucaults ist dabei offenbar, denn auch Foucault betone, dass “Beziehungen zwischen

einzelnen Aussagen oder Aussageelementen [...] quer durch eine Vielzahl einzelner

Textexemplare“ (Busse und Teubert 1994: 15) für Diskurse konstitutiv sind. Ziel der

Diskursanalyse ist es, die Regeln, die diese Beziehungen je nach Diskurs festlegen,

herauszufinden und zu untersuchen:

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[D]ie historische Diskursanalyse [will] die Regeln und Regelmäßigkeiten des

Diskurses, seine Möglichkeiten zur Wirklichkeitskonstruktion, seine

gesellschaftliche Verankerung und seine historische Veränderungen zum Inhalt der

Untersuchung machen. (Landwehr 2004: 7)

Obwohl die Begriffsgeschichte durchaus die Rolle des historischen Kontextes in

Betracht zieht, merkt man, dass ihr Blickwinkel sich von dem der Diskursanalyse

unterscheidet. Die Diskursanalyse geht von einem bestimmten Thema aus und

untersucht möglichst viele Äußerungen, die sich auf dieses Thema beziehen, während

bei der Begriffsgeschichte ein bestimmter Begriff samt seiner Rolle in gewissen

historischen Kontexten im Mittelpunkt steht. Auch ich habe in dieser Arbeit eine

begriffsgeschichtliche Vorgehensweise verwendet, wollte damit aber lediglich die

Aufmerksamkeit auf die Rolle der Sprache in der deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte lenken. Anhand des Ausdrucks Drang nach Osten habe ich

nämlich zeigen können, dass die Sprache in dieser Beziehungsgeschichte einerseits als

Indikator auf gewisse historische Prozesse hinweist, die im Gang sind, jedoch noch

nicht von jedem wahrgenommen wurden, während sie andererseits die Wahrnehmung

dieser Prozesse als Faktor auch mitbeeinflusst hat. Auf diese Weise wollte ich darauf

aufmerksam machen, dass es sich lohnt, in zukünftigen, diskursanalytischen

Untersuchungen die Rolle und die Möglichkeiten der Sprache und des Sprachgebrauchs

in historisch-politischen Kontexten weiter zu untersuchen.

Ausgehend vom Ausdruck Drang nach Osten könnte in künftigen

Untersuchungen, zunächst die Quellenbasis auf Alltagstexte wie beispielsweise

Tageszeitungen und Trivialliteratur erweitert werden. Busse (1987) hat in seiner Kritik

an der Begriffsgeschichte nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass sie “hauptsächlich

theoretische, philosophische, betrachtende und konzipierende Texte” (Busse 1987: 65)

untersuche und dass man eine differenziertere Quellengrundlage brauche, wenn man

den gesamten Einfluss sprachlicher Zeichen beschreiben will. In vorliegender Arbeit bin

ich selber auch mehrmals zu der Einsicht gekommen, dass vor allem in Bezug auf die

Rolle des Ausdrucks Drang nach Osten als Faktor die Untersuchung mehrerer und

anderer Quellen notwendig ist. Neben einer Erweiterung der Quellengrundlage könnten

auch Untersuchungen von Text-Bild-Beziehungen zu interessanten Ergebnissen führen.

Arbeiten, in denen der Zusammenhang zwischen Wörtern und Bildern zentral steht, hat

es bisher vor allem in Bezug auf die Malerei gegeben (vgl. Hampsher-Monk et al.

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1998). Was den konkreten Fall des Ausdrucks Drang nach Osten betrifft, so könnte ich

mir vorstellen, dass bildliche und insbesondere kartografische Darstellungen25

u.a. der

Ostsiedlung untersuchenswert sind. Auch für die deutsch-polnische

Beziehungsgeschichte im Allgemeinen könnte der Zusammenhang zwischen Text und

Bild ein ergiebiges Forschungsobjekt sein. Ich denke dabei beispielsweise an eine

Analyse des Kupferstiches von J. E. Nilson26

aus dem Jahre 1773, auf dem die erste

Teilung Polens allegorisch vorgestellt wird.

Mit diesen konkreten Forschungsvorschlägen möchte ich zeigen, dass weitere

semantische und semiotische Analysen sicherlich zu fruchtbaren Ergebnissen führen

und zu einem besseren Verständnis der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte

beitragen werden.

25

So könnte man unterschiedliche Karten mit Titeln wie Drang nach Osten oder Ostsiedlung und

dergleichen miteinander vergleichen. 26

Dieses Bild findet man u.a.bei Zernack (1991 [1981]: 56).

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In solchen Fällen verwende ich diese Abkürzung [o.V.a.].

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1995 “Zwanzig Jahre danach”. In: Ursula Becher (Hg.): Empfehlungen für die

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Braunschweig: Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, S.

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Zientara, Benedykt

1983 [1974] “Zum Problem des geschichtlichen Terminus «Drang nach Osten»”. In:

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Original 1974].

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