Klinische Psychoonkologie

1
krankheiten, u. a. Krebs. Dem Sport, d. h. eine der individuel- len Situation angepasste körperliche Aktivität, kommen als wichtigste Aufgaben zu: Prävention (Vorbeugung): Regelmäßige körperliche Aktivität kann das Risiko für Krebserkrankungen deutlich senken [10, 20, 43]. Rehabilitation: Wiederherstellen von Körperfunktionen, Be- weglichkeit, Kraſt, Ausdauer. Individuell angepasste körper- liche Aktivität kann das Immun-, Hormon-, Herz-Kreislaufsystem stabilisieren, die psychische Befindlichkeit/Lebensqualität verbessern, die psychosoziale Integration erleichtern bzw. verbessern, das Selbstwertgefühl wieder herstellen bzw. stabilisieren. Die derzeitige Studienlage bezüglich Prävention von Krebs durch Sport belegt den Wert von regelmäßiger körperlicher Ak- tivität [10, 20, 42, 43]. Als Wirkmechanismen werden insbeson- dere diskutiert: Aktivierung des Immunsystems, Regulation der Sexualhormon-, Insulin- und Prostaglandin- freisetzung, Körpergewichtoptimierung durch Anpassung der Nahrungs- aufnahme an den Kalorienverbrauch [20]. Sportliche Aktivitäten sollen in Anlehnung an Empfehlungen der Deutschen Landessportbünde zur Erhaltung bzw. Verbes- serung der physischen, psychischen und sozialen Leistungsfä- higkeit beitragen. Je nach individueller Situation können mode- rate, aber durchaus auch anstrengende Bewegungseinheiten gesundheitlichen Effekt haben. Diesbezüglich kann beispiels- weise mäßiges Ausdauertraining im aeroben Bereich („ohne aus der Puste zu geraten“) erfolgen. Orientierend entspricht dies dem Erreichen einer Herzfrequenz von 180 Schlägen pro Minu- te minus Lebensalter für die Dauer der Belastung. Studienlage. Die krebspräventive Wirkung von mäßiger, aber regelmäßiger körperlicher Aktivität ist durch kontrollierte kli- nische Studien belegt. Insbesondere das Risiko, an Brust-, Dick- darm- oder Prostatakarzinom zu erkranken, könnte durch re- gelmäßige körperliche Aktivität um bis zu 40 % reduziert werden [10, 39, 42]. Seelische Balance (Psyche) Auch wenn eine ausgeglichene seelische Balance Wohlbefinden und Gesundheit stabilisieren kann, konnte in kontrollierten Stu- dien bislang kein Zusammenhang zwischen seelischem Befin- den und Krebsentstehung gefunden werden. Da klinische Stu- dien dieses Fachbereiches allerdings Nachbeobachtungszeiten von mehr als 10 Jahren erfordern, bleiben wissenschaſtlich fun- dierte Ergebnisse abzuwarten. Für das subjektive Empfinden von erapeuten und Patien- ten, dass es Beziehungen zwischen der Psyche und der Krebsent- Klinische Psychoonkologie M. Kusch, H. Labouvie, B. Hein-Nau Springer-Verlag GmbH, Heidelberg, 2013, 49,99 Euro ISBN 978-3-642-31747-7 Jährlich erkranken über 400.000 Menschen in Deutschland an Krebs, darunter circa 1800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jah- ren. Von ihnen werden 80% geheilt – sind sie aber auch gesund? Insbesondere der Bereich „Posttraumati- sche Belastungsstörung/somatoforme Störungen“ bedarf in Zukunft ei- ner höheren Aufmerksamkeit: Die Diagnose Krebs mit der Folge einer äu- ßerst invasiven onkologischen Behandlung, wird von den Betroffenen und deren Familien nicht nur als schwere Belastung mit der Folge von Verhaltens- und Anpassungsstörungen erfahren, sondern sehr häufig als existentielle Bedrohung erlebt und deshalb traumatisch verarbeitet. Wird der traumatische Hintergrund dieser Störungen nicht gesehen, werden nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen immer wieder angetriggert, retraumatisieren die Patienten, verstärken psychische Störungen und ver- hindern eine angemessene Krankheitsbewältigung und damit Integration der chronischen Erkrankung in das Selbstkonzept. Die Nichtbehandlung dieser PTBS behindert nicht nur gravierend eine ädäquate Krankheitsbe- wältigung, sondern führt langfristig als „Spätfolge“ zu komorbiden Erkran- kungen wie Angststörung, Depression, Somatoformen – Dissoziativen Stö- rungen, Suchterkrankungen und Essstörungen. Viele Nebenwirkungen einer Krebstherapie sind erforscht und werden in der Nachsorge berücksichtigt. Dies trifft leider für den Bereich der Psy- choonkologie noch nicht zu. Das Buch „Klinische Psychoonkologie“ von Kusch, Labouvie und Hein- Nau beschreibt vom stationären Bereich kommend präzise und praxiso- rientiert die Problematik. Diese sind u.a. körperliche Symptome, Fatigue, Übelkeit, Schmerzen, Fertilität, Kognition, Delir, Suizidalität, sowie seeli- sches Leid. Besprochen werden praxisrelevante Einflussfaktoren auf die Krankheits- verarbeitung und Krankheitsbewältigung und der Stellenwert der psy- chologischen Faktoren in der Patientenversorgung. Aufgrund der beson- deren Wichtigkeit für die Nachsorge ist die Beschreibung der Lebenssituation von Krebspatienten mit den Behandlungsphasen und – situationen hervorzuheben. Als Herzstück ist das Management der psychoonkologischen Versorgung zu sehen. Sehr praxisnah und mit konkreten Darstellungen von Modellen und psychoonkologischen Screeninginstrumenten ist dies für den Nach- sorgebereich beschrieben, z.B. im „Stepped Care“-Ansatz. Die Psychoonkologie ist ein obligater Bestandteil einer Krebsbehandlung. Besonders im stationären Bereich sind wesentliche Strukturen, geschaf- fen worden. Wir sollten diese Entwicklung nutzen und den Ausbau der psychoonkologischen Behandlung im ambulanten/ Nachsorge-Bereich auch mit Hilfe dieses Werkes in Angriff nehmen. T. Langer (Erlangen) Aktuell Topic Krebsprävention 10 best practice onkologie 5 •  2013

Transcript of Klinische Psychoonkologie

Page 1: Klinische Psychoonkologie

krankheiten, u. a. Krebs. Dem Sport, d. h. eine der individuel-len Situation angepasste körperliche Aktivität, kommen als wichtigste Aufgaben zu: • Prävention (Vorbeugung): Regelmäßige körperliche Aktivität

kann das Risiko für Krebserkrankungen deutlich senken [10, 20, 43].

• Rehabilitation: Wiederherstellen von Körperfunktionen, Be-weglichkeit, Kra�, Ausdauer. Individuell angepasste körper-liche Aktivität kann

• das Immun-, Hormon-, Herz-Kreislaufsystem stabilisieren, • die psychische Be�ndlichkeit/Lebensqualität verbessern, • die psychosoziale Integration erleichtern bzw. verbessern, • das Selbstwertgefühl wieder herstellen bzw. stabilisieren.

Die derzeitige Studienlage bezüglich Prävention von Krebs durch Sport belegt den Wert von regelmäßiger körperlicher Ak-tivität [10, 20, 42, 43]. Als Wirkmechanismen werden insbeson-dere diskutiert: • Aktivierung des Immunsystems, • Regulation der Sexualhormon-, Insulin- und Prostaglandin-

freisetzung, • Körpergewichtoptimierung durch Anpassung der Nahrungs-

aufnahme an den Kalorienverbrauch [20].

Sportliche Aktivitäten sollen in Anlehnung an Empfehlungen der Deutschen Landessportbünde zur Erhaltung bzw. Verbes-serung der physischen, psychischen und sozialen Leistungsfä-

higkeit beitragen. Je nach individueller Situation können mode-rate, aber durchaus auch anstrengende Bewegungseinheiten gesundheitlichen E�ekt haben. Diesbezüglich kann beispiels-weise mäßiges Ausdauertraining im aeroben Bereich („ohne aus der Puste zu geraten“) erfolgen. Orientierend entspricht dies dem Erreichen einer Herzfrequenz von 180 Schlägen pro Minu-te minus Lebensalter für die Dauer der Belastung.

Studienlage. Die krebspräventive Wirkung von mäßiger, aber regelmäßiger körperlicher Aktivität ist durch kontrollierte kli-nische Studien belegt. Insbesondere das Risiko, an Brust-, Dick-darm- oder Prostatakarzinom zu erkranken, könnte durch re-gelmäßige körperliche Aktivität um bis zu 40 % reduziert werden [10, 39, 42].

Seelische Balance (Psyche)

Auch wenn eine ausgeglichene seelische Balance Wohlbe�nden und Gesundheit stabilisieren kann, konnte in kontrollierten Stu-dien bislang kein Zusammenhang zwischen seelischem Be�n-den und Krebsentstehung gefunden werden. Da klinische Stu-dien dieses Fachbereiches allerdings Nachbeobachtungszeiten von mehr als 10 Jahren erfordern, bleiben wissenscha�lich fun-dierte Ergebnisse abzuwarten.

Für das subjektive Emp�nden von �erapeuten und Patien-ten, dass es Beziehungen zwischen der Psyche und der Krebsent-

Klinische PsychoonkologieM. Kusch, H. Labouvie, B. Hein-NauSpringer-Verlag GmbH, Heidelberg, 2013, 49,99 EuroISBN 978-3-642-31747-7

Jährlich erkranken über 400.000 Menschen in Deutschland an Krebs, darunter circa 1800 Kinder und Jugendliche unter 15 Jah-ren. Von ihnen werden 80% geheilt – sind sie aber auch gesund? Insbesondere der Bereich „Posttraumati-

sche Belastungsstörung/somatoforme Störungen“ bedarf in Zukunft ei-ner höheren Aufmerksamkeit: Die Diagnose Krebs mit der Folge einer äu-ßerst invasiven onkologischen Behandlung, wird von den Betroffenen und deren Familien nicht nur als schwere Belastung mit der Folge von Verhaltens- und Anpassungsstörungen erfahren, sondern sehr häufig als existentielle Bedrohung erlebt und deshalb traumatisch verarbeitet. Wird der traumatische Hintergrund dieser Störungen nicht gesehen, werden nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen immer wieder angetriggert, retraumatisieren die Patienten, verstärken psychische Störungen und ver-hindern eine angemessene Krankheitsbewältigung und damit Integration der chronischen Erkrankung in das Selbstkonzept. Die Nichtbehandlung dieser PTBS behindert nicht nur gravierend eine ädäquate Krankheitsbe-wältigung, sondern führt langfristig als „Spätfolge“ zu komorbiden Erkran-kungen wie Angststörung, Depression, Somatoformen – Dissoziativen Stö-rungen, Suchterkrankungen und Essstörungen.

Viele Nebenwirkungen einer Krebstherapie sind erforscht und werden in der Nachsorge berücksichtigt. Dies trifft leider für den Bereich der Psy-choonkologie noch nicht zu. Das Buch „Klinische Psychoonkologie“ von Kusch, Labouvie und Hein-Nau beschreibt vom stationären Bereich kommend präzise und praxiso-rientiert die Problematik. Diese sind u.a. körperliche Symptome, Fatigue, Übelkeit, Schmerzen, Fertilität, Kognition, Delir, Suizidalität, sowie seeli-sches Leid.Besprochen werden praxisrelevante Einflussfaktoren auf die Krankheits-verarbeitung und Krankheitsbewältigung und der Stellenwert der psy-chologischen Faktoren in der Patientenversorgung. Aufgrund der beson-deren Wichtigkeit für die Nachsorge ist die Beschreibung der Lebenssituation von Krebspatienten mit den Behandlungsphasen und –situationen hervorzuheben. Als Herzstück ist das Management der psychoonkologischen Versorgung zu sehen. Sehr praxisnah und mit konkreten Darstellungen von Modellen und psychoonkologischen Screeninginstrumenten ist dies für den Nach-sorgebereich beschrieben, z.B. im „Stepped Care“-Ansatz.Die Psychoonkologie ist ein obligater Bestandteil einer Krebsbehandlung. Besonders im stationären Bereich sind wesentliche Strukturen, geschaf-fen worden. Wir sollten diese Entwicklung nutzen und den Ausbau der psychoonkologischen Behandlung im ambulanten/ Nachsorge-Bereich auch mit Hilfe dieses Werkes in Angriff nehmen.

T. Langer (Erlangen)

Aktuell

Topic • Krebsprävention

10 best practice onkologie 5  • 2013