Energietechnik || Energetische Müllverwertung

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378 16 Energetische Müllverwertung In den 1970er Jahren entstand in der Bundesrepublik Deutschland das Bewusstsein für die Problematik von Mülldeponien mit ihren Sickerwässern und entweichenden Gasen. Die loka- len Müllkippen wurden zugunsten weniger zentraler, überwachter Anlagen geschlossen (Faust- regel: Eine Zentraldeponie pro Landkreis). Abfall darf in Deutschland nur deponiert werden, wenn er unter 5 % an brennbaren Stoffen enthält [16.1] und nach [16.2] sind Abfälle so zu behandeln und zu lagern, dass schädliche Auswirkungen auf Boden und Grundwasser verhindert werden. Diese Auflagen können nur durch eine thermische Behandlung des Mülls erfüllt werden. Es bietet sich an, den Müll zu verbrennen und die Wärme über einen Dampfkraftprozess in elektrische Energie zu wandeln. Jetzt schon erreichen Müllkraftwerke in Deutschland bei der Stromerzeugung einen Anteil von über 1 %. Im Vordergrund steht allerdings nicht die energetische Nutzung, sondern die um- weltschonende Entsorgung des Mülls. Müllkraftwerke wurden schon früh gebaut, beispiels- weise im 19. Jahrhundert in San Francisco und Hamburg. Gemäß des Kreislaufwirtschaftsge- setz (KrWG) der Bundesrepublik Deutschland hat jedoch die stoffliche Verwertung von Müll Vorrang vor der energetischen Verwertung. Nur bei einem Energieinhalt des Mülls von min- destens 11 MJ/Tonne ist gesetzlich die energetische Verwertung mit der stofflichen gleichwer- tig und erlaubt. Deshalb muss zunehmend auch die Biomasse getrennt über eine Biotonne gesammelt werden, da die Kompostierung – eine stoffliche Verwertung – oder die Biomasse- vergasung (siehe Unterkapitel 14.2), bei der auch Kompost anfällt, Vorrang hat. Je nach Herkunft sind die Zusammensetzung und der Heizwert des Mülls unterschiedlich. Beim deutschen Hausmüll ist mit der in Bild 16.1 gezeigten Zusammensetzung zu rechnen. 1000 kg deutscher Hausmüll weist einen Heizwert von etwa 250 Liter Heizöl auf. Bild 16.1: Zusammensetzung von Hausmüll in Massenanteilen [16.3] Um Hausmüll zuverlässig verbrennen zu können, ist eine Aussortierung großer unbrennbarer Anteile zu empfehlen. Die Rauchgase sind zu reinigen (Denitrierung, Entstaubung, Entschwe- felung). Zusätzlich verdient die Entfernung von Dioxinen und Furanen, die durch Rekombina- tion der Bestandteile Chlor, Kohlen- und Wasserstoff bei der Abkühlung des Rauchgases ent- stehen, und von Schwermetallen (Quecksilber), besondere Aufmerksamkeit. Die Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen [16.4] bestimmt Grenzwerte der Dioxine und Furane von 0,1 · 10 –6 g/m 3 Rauchgas. Moderne Müllverbrennungsanlagen sind Schadstoffsenken, d. h. es werden dem Ökosystem Schadstoffe entzogen. Eine moderne Hausmüllverbrennungsanlage scheidet bei einem Durchsatz von 200.000 Tonnen Müll etwa 50 Tonnen Zink und 3 Tonnen H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_16, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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16 Energetische Müllverwertung

In den 1970er Jahren entstand in der Bundesrepublik Deutschland das Bewusstsein für die Problematik von Mülldeponien mit ihren Sickerwässern und entweichenden Gasen. Die loka-len Müllkippen wurden zugunsten weniger zentraler, überwachter Anlagen geschlossen (Faust-regel: Eine Zentraldeponie pro Landkreis). Abfall darf in Deutschland nur deponiert werden, wenn er unter 5 % an brennbaren Stoffen enthält [16.1] und nach [16.2] sind Abfälle so zu behandeln und zu lagern, dass schädliche Auswirkungen auf Boden und Grundwasser verhindert werden. Diese Auflagen können nur durch eine thermische Behandlung des Mülls erfüllt werden. Es bietet sich an, den Müll zu verbrennen und die Wärme über einen Dampfkraftprozess in elektrische Energie zu wandeln. Jetzt schon erreichen Müllkraftwerke in Deutschland bei der Stromerzeugung einen Anteil von über 1 %. Im Vordergrund steht allerdings nicht die energetische Nutzung, sondern die um-weltschonende Entsorgung des Mülls. Müllkraftwerke wurden schon früh gebaut, beispiels-weise im 19. Jahrhundert in San Francisco und Hamburg. Gemäß des Kreislaufwirtschaftsge-setz (KrWG) der Bundesrepublik Deutschland hat jedoch die stoffliche Verwertung von Müll Vorrang vor der energetischen Verwertung. Nur bei einem Energieinhalt des Mülls von min-destens 11 MJ/Tonne ist gesetzlich die energetische Verwertung mit der stofflichen gleichwer-tig und erlaubt. Deshalb muss zunehmend auch die Biomasse getrennt über eine Biotonne gesammelt werden, da die Kompostierung – eine stoffliche Verwertung – oder die Biomasse-vergasung (siehe Unterkapitel 14.2), bei der auch Kompost anfällt, Vorrang hat. Je nach Herkunft sind die Zusammensetzung und der Heizwert des Mülls unterschiedlich. Beim deutschen Hausmüll ist mit der in Bild 16.1 gezeigten Zusammensetzung zu rechnen. 1000 kg deutscher Hausmüll weist einen Heizwert von etwa 250 Liter Heizöl auf.

Bild 16.1: Zusammensetzung von Hausmüll in Massenanteilen [16.3]

Um Hausmüll zuverlässig verbrennen zu können, ist eine Aussortierung großer unbrennbarer Anteile zu empfehlen. Die Rauchgase sind zu reinigen (Denitrierung, Entstaubung, Entschwe-felung). Zusätzlich verdient die Entfernung von Dioxinen und Furanen, die durch Rekombina-tion der Bestandteile Chlor, Kohlen- und Wasserstoff bei der Abkühlung des Rauchgases ent-stehen, und von Schwermetallen (Quecksilber), besondere Aufmerksamkeit. Die Verordnung über Abfallverbrennungsanlagen [16.4] bestimmt Grenzwerte der Dioxine und Furane von 0,1 · 10–6 g/m3 Rauchgas. Moderne Müllverbrennungsanlagen sind Schadstoffsenken, d. h. es werden dem Ökosystem Schadstoffe entzogen. Eine moderne Hausmüllverbrennungsanlage scheidet bei einem Durchsatz von 200.000 Tonnen Müll etwa 50 Tonnen Zink und 3 Tonnen

H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_16, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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16.1 Müllkraftwerke mit traditionellen Öfen 379

Kupfer, Kadmium und Quecksilber ab. In den 200.000 Tonnen Hausmüll sind ca. 10 g Dioxin enthalten; weniger als 0,1 g wird emittiert. In den alten Bundesländern wird schon ein Drittel des Mülls verbrannt. Im Durchschnitt der EU sind es 20 %, in der Schweiz 80 % und in Japan 65 %. Derzeit sind drei unterschiedliche thermische Müllverwertungsprozesse realisiert: Reine Verbrennung (traditionelle Öfen) Thermoselect-Verfahren Schwel-Brenn-Verfahren.

Dominant sind Müllkraftwerke mit reiner Verbrennung. Die reine Pyrolyse hat sich nicht durch-gesetzt, jedoch ist sie bei den Thermoselect- und Schwel-Brenn-Verfahren ein integrierter Ver-fahrensschritt.

16.1 Müllkraftwerke mit traditionellen Öfen Der Müll wird mittels Rostfeuerung, i. Allg. mit beweglichen Rosten, verbrannt. Die erreich-bare Temperatur von 800 bis 1200 °C zerstört die meisten Schadstoffe einschließlich Dioxinen und Furanen. Das Restvolumen beträgt lediglich noch ein Zehntel, das Gewicht weniger als ein Drittel. Die Reststoffmenge geht großteils in den Straßenbau.

a: Müllbunker, b: Rostfeuerung und Dampferzeugung, c: Turbosatz mit Wärmeauskopplung, d: Elektro-filter, e: Kalkreaktor (Säureabscheidung), f: Aktivkohlefilter (Dioxin/Furan und Schwermetall-Abschei-dung), g: SCR Anlage (Entstickung), h: Desorption Aktivkoks, i: Schwermetallausschleusung, j: Rauch-gasreinigungs-Reststoffe, k: Reaktionsprodukte aus Kalkreaktor, l: Ammoniakwasser (zur Entstickung), m: Schlacke, n: Schrott

Bild 16.2: Schematischer Schnitt durch ein Müllkraftwerk mit Rostfeuerung [16.5]

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In der Müllverbrennungsanlage spielen sich fünf thermische Prozessschritte ab: Trocknen Entgasen Vergasen Verbrennen (mindestens 850 °C, um organische Schadstoffe wie Dioxine/Furane zu zerstö-

ren; der Heizwert des Restmülls reicht i. Allg. aus, um diese Temperatur ohne Zusatzhei-zung zu erzielen)

Ausbrennen.

Die Verbrennungsluft kommt aus dem Müllbunker, in dem sie einen Unterdruck erzeugt und dadurch Geruchs- und Staubemissionen verhindert. Im Dampferzeuger ist die Rostfeuerung integriert. Wie in einem Kohlekraftwerk wird das Rauchgas von Staub, SOx und NOx befreit. Zusätzlich müssen die Salz- und Flusssäuren sowie die Schwermetalle entfernt werden. Die Dioxine/Furane werden durch Aktivkohlefilter rückgehalten. Die mit Dioxinen/Furanen ange-reicherte Aktivkohle wird durch Erhitzung regeneriert und die desorbierten Schadstoffe in die Verbrennungszone rückgeführt. Nur ein Bruchteil des ursprünglichen Mülls fällt als Sonder-müll in Form von Flugasche und Schlamm an, die beide viel Schwermetalle enthalten. Ansons-ten sind die Verbrennungsrückstände und die Rauchgasreinigungsprodukte wiederverwertbar. Die Daten der neuesten Hamburger Müllverwertungsanlage [16.3]: 320.000 t/a Müll 80.000 MWhth Fernwärme (ausreichend für fast 20.000 Wohnungen) 3.000 t Gips (Bauindustrie) 96.000 t Verbrennungsschlacke (Straßen- und Wegebau) 10.000 t Eisenschrott (Stahlindustrie) 5.000 t Salzsäure (Chemische Industrie) 10.000 t = 3 % des ursprünglichen Mülls ist Flugasche und Schlamm

(Sondermüll-Deponie)

16.2 Pyrolyse Die Pyrolyse ist Bestandteil der nachfolgenden Verfahren. Der Abfall wird praktisch ohne Sauerstoff erhitzt, wobei 1 kg Hausmüll etwa 0,6 kg Schwelgas und 0,4 kg feste Rückstände (1/10 des ursprünglichen Volumens) ergeben. Das Schwelgas muss eventuell mit Wasser-dampf, Luft oder Sauerstoff veredelt werden (CO- und H2-Bildung), so dass ein Gasmotor angetrieben werden kann. Vorteil der Pyrolyse sind: Minimale Schadgase keine Rekombination von Dioxinen/Furanen, da kein Sauerstoff vorhanden ist.

Wegen der unterschiedlichen Müllzusammensetzung ist die Pyrolyse schwierig. Der rückblei-bende Pyrolyse-Koks kann wegen seines unkalkulierbaren Gehalts an anorganischen Schad-stoffen i. Allg. nicht verwertet werden, sondern muss deponiert werden.

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16.3 Thermoselect-Verfahren 381

16.3 Thermoselect-Verfahren Dieses Verfahren ist eine Kombination von Pyrolyse, Vergasung und Verbrennung (Bild 16.3). Der Müll wird zunächst mechanisch verdichtet, dann im Verdichtungskanal unter Luft-abschluss verschwelt. Das kohleartige Koksprodukt wird bei ca. 2000 °C vergast (siehe Kap. 13). Diese hohe Temperatur wird durch unvollständige Verbrennung (unterstöchiometrische Verbrennung) mit reinem Sauerstoff erreicht. Bei dieser hohen Temperatur schmelzen die unbrennbaren Bestandteile wie Keramiken, Steine und Metalle. Die erkaltete Schlacke wird von den Metallen getrennt und findet im Straßenbau Verwendung. Der Anfall an toxischen Reststoffen soll besonders gering sein. Die Neubildung von Dioxinen wird durch eine Schock-kühlung des Synthesegases nach der heißen Vergasungszone verhindert, durch die das Tempe-raturfenster, in dem sich Dioxine rekombinieren können, schnell durchfahren wird. Das brennbare Synthesegas durchströmt eine Reinigungsstrecke, bevor es entweder zur Wär-meerzeugung direkt verbrannt wird oder einen Gasmotor mit Generator antreibt und dabei Strom erzeugt. Gegebenenfalls ist nach der Verbrennung wieder eine Rauchgasreinigung vor-zusehen. Tabelle 16.1 zeigt die Zusammensetzung der durch das Thermoselect-Verfahren entstehenden Reststoffe in Gewichtsprozenten. Die größte Masse ist im nutzbaren Synthesegas akkumuliert. Die bei der hohen Temperatur entstehenden mineralischen und metallischen Gra-nulate haben eine erdkrustennahe Zusammensetzung, sind selbst in gemahlenem Zustand stabil (geringste Eluatwerte) und haben eine günstige Korngrößenverteilung, die sich für die indust-rielle Verwendung eignet. Die Schwermetallkonzentrate Zink und Blei, die Mischsalze sowie der Schwefel finden nach [16.6] industrielle Verwendung.

Tabelle 16.1: Zusammensetzung der Reststoffe in Massenanteilen

Synthesegas H2O Mineralgranulat Metallgranulat Salze Zn, Pb S

59,1 % 23,5 % 14,2 % 1,8 % 0,8 % 0,5 % 0,1 %

Bild 16.3: Aufbau der Thermoselect-Anlage in Karlsruhe, nach [16.7]

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Derzeit gibt es neben der Pilotanlage in Verbania/Italien ein großtechnisches Thermoselect-Kraftwerk in Karlsruhe mit folgenden Daten [16.6, 16.7]: Mülldurchsatz: 225 000 Tonnen/Jahr Fernwärmeauskopplung: 25 MW Elektrische Leistungsabgabe: 5 MW Nach den aufgelaufenen hohen Verlusten wurde die Karlsruher Anlage stillgelegt.

16.4 Schwel-Brenn-Verfahren

a: Müllbunker, b: Zerkleinerung, c: Schweltrommel, d: Feuerung und Dampferzeugung, e: Elektrofilter, f: Rauchgas-Nasswäsche, g: SCR Anlage (Entstickung), h: Aktivkohlefilter (Dioxin/Furan-Abscheidung) mit Desorption, i: Salze; j: Adsorbens, k: Trennung unbrennbarer Stoffe, l: Filterstaub, m: Schmelzgranu-lat, n: Turbosatz mit Wärmeauskopplung

Bild 16.4: Aufbau der Schwel-Brenn-Anlage in Fürth [16.5]

Hier handelt es sich um eine Kombination von Pyrolyse und Verbrennung. Zuerst werden die Abfälle zerkleinert und danach bei 450 °C in reduzierender Atmosphäre thermisch behandelt (Schweltrommel). Die groben Bestandteile des Pyrolyse-Kokses, d. h. Metalle, Steine, Glas können entfernt und verwertet oder deponiert werden. Da die Metalle die reduzierende Atmo-sphäre durchlaufen haben, sind sie blank, ohne Rostschichten. Der Rest mit einer Korngröße von unter 5 mm enthält etwa 30 % Kohlenstoff und wird zusammen mit den Schwelgasen im Dampferzeuger verbrannt. Bei Verbrennungstemperaturen um 1300 °C, die so hoch ist, weil die unbrennbaren Müllbestandteile entfernt sind, entsteht eine glasartige Schlacke. Auch die schadstoffhaltigen Filterstäube aus der Rauchgasreinigung können in diese Hochtemperatur-brennkammer eingeleitet werden, um sie zu verglasen. Die Schlacke gilt als verwertbar, da sie chemisch sehr stabil ist. Dieses Verfahren verspricht den höchsten energetischen und stoffli-

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16.5 Deponiegas/Klärgas-Kraftwerke 383

chen Verwertungsgrad des Mülls. Nur 2,5 % des ursprünglichen Müllgewichts bleiben als Salze übrig, die als Sondermüll deponiert werden müssen [16.5, 16.8]. Die Firma Siemens als alleiniger Anbieter hat nach einem Unfall in Fürth (Verpuffung in der Schweltrommel) dieses Müllverwertungskonzept aufgegeben.

16.5 Deponiegas/Klärgas-Kraftwerke Mülldeponien entwickeln vorwiegend durch anaerobe Gärungsprozesse Methan/CO2-Gase mit Anteilen von Wasserstoff, Schwefelwasserstoffen, Stickstoff, Sauerstoff und Kohlenmonoxid. Diese Gase verdrängen den für das Pflanzenwachstum nötigen Sauerstoff im Boden, so dass sich Mülldeponien schlecht bepflanzen lassen. Zudem sind Verpuffungen, Explosionen und Brände zu erwarten. Deshalb sammelt man diese Gase in mehreren Gasbrunnen, die in die Deponie eingetrieben werden. Wirkungsvoll ist eine aktive Absaugung. Die Gasbrunnen wer-den zusammengeführt und entweder zentral abgefackelt oder zum Betrieb von Heizanlagen oder Gasmotoren verwendet, Bild 16.6. Da Methan ozonschädigender als Fluorkohlenwasser-stoffe ist, muss das Deponiegas verbrannt werden. Die Gasproduktion und deren Zusammensetzung hängen von dem deponierten Material und vom Alter ab. Bild 16.5 zeigt einen prognostizierten Verlauf der nutzbaren Gasproduktion [16.9]. Bei einer neuen Deponie steigt die Gasproduktion schnell an und steigert sich mit zu-nehmendem Aufbau. Nach Schließung der Deponie reduziert sich die Gasentwicklung. Das Bild 16.5 veranschaulicht auch, welche Motormodule sinnvoll betrieben werden können. Von den gesamten Deponiegasen können etwa 40 % erfasst und genutzt werden. Bei den in Bild 16.5 eingepassten Gasmotoren wurde von einem Gesamtwirkungsgrad von 31 % ausgegangen, bei einem Heizwert von 16 MJ/m3, was ca. 45 % Methananteil entspricht. Bei den Motormo-dulen für Deponiekraftwerke ist mit einer mittleren Lebensdauer von etwa 10 Jahren zu rech-nen [16.10]. Für einen zuverlässigen Betrieb von Gasmotoren sollte ein Methangehalt von mindestens 40 % vorhanden sein, was nicht alle Deponien erreichen.

Bild 16.5: Verlauf der Gasproduktion einer Deponie [16.9]

Zusammensetzung des Gases der Deponie Lachengraben (Wehr-Öflingen) [16.10]: 40 % Methan 30 % Kohlendioxid 2 % Sauerstoff 28 % Stickstoff und Rest.

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Bei dieser Deponie bereiten die Siliziumverbindungen mit ca. 82 mg/m3 im Gas Probleme. Die Siliziumverbindungen wandeln sich im Verbrennungsraum in SiO2 (Korund, Sand) um. Silizi-um kommt über Klärschlamm in die Deponie und stammt im Wesentlichen von cremeartigen Pflegemitteln. Eine effektive Gasreinigung ist unerlässlich, da Motorhersteller zum Betrieb der Gasmotoren nur eine Konzentration von 10 mg/m3 Siliziumverbindungen erlauben. Die Ölabsorption hat sich zur Abscheidung der Siliziumverbindungen bewährt.

Beispiel Mülldeponie in Gaggenau-Oberweier „Hintere Dollert“ [16.11]: Inbetriebnahme 1987 12 Zyl. Gasmotor (Jenbacher Werke AG) 150 kWth 300 kWel Deponiegasbedarf: ca. 240 m3/h Betriebsstunden/a: 6000 bis 7000/a

Bild 16.6: Schematische Darstellung eines Deponiekraftwerkes

I. Allg. sind Deponiegas-Blockheizkraftwerke (Bild 16.6) schwierig zu verwirklichen, da es kaum Wohnungen in Nähe von Mülldeponien gibt und somit Abnehmer für die Heizwärme fehlen. Deshalb sind nur Blockkraftwerke installiert. Analog lassen sich die methanhaltigen Klärgase aus der biologischen Abwasserbehandlung motorisch nutzen. Meist reicht der Ertrag zur Deckung des Eigenbedarfs dieser Kläranlagen (Rührer, Pumpen, Schöpfwerke). Wegen der hohen Konzentration der Siliziumverbindungen ist bei Klärgasen den Motoren eine Ölabsorptionsanlage vorzuschalten.

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Übungsaufgaben 385

Übungsaufgaben 16.1 a) Welche Verfahren der Müllbehandlung kennen Sie?

b) Welche Verfahren erlauben eine energetische Nutzung? c) Welche Verfahren haben sich, auch unter gesetzlichen Vorgaben, durchgesetzt?

16.2 a) Welche Schadstoffe entstehen bzw. werden bei der thermischen Behandlung von Müll freigesetzt?

b) Mit welchen technischen Maßnahmen werden diese Schadstoffe abgeschieden? c) Welche Produkte entstehen dabei? d) Wie werden diese Produkte genutzt?

16.3 An welchen technischen Schwierigkeiten ist das Thermoselect-Verfahren bisher ge-scheitert?

16.4 Weshalb wurde die großtechnische Einführung des Schwel-Brenn-Verfahrens in Deutschland nicht weiter verfolgt?

16.5 a) Welche Gase entstehen auf Deponien? b) Welche Umweltwirkungen haben diese Gase? c) Welche Maßnahmen zur Minimierung der Umweltbelastungen sind zu ergreifen?

16.6 Deponie- und Klärgase können in Gasmotoren energetisch verwertet werden. a) Welche Komponente dieser Gase ist für Motoren besonders gefährlich? b) Welche Maßnahme ist zu treffen?

16.7 Welches sind die hauptsächlichen Brenngase, a) die bei der thermischen Vergasung von Müll entstehen? b) die in Deponien entstehen?

16.8 Wie wirkt sich die deutsche Mülltrennung auf den Betrieb von Müllkraftwerken aus? 16.9 Was sind Gasbrunnen und welchen Zweck haben diese?

Hinweis: Die Lösungen der Übungsaufgaben befinden sich am Ende des Buches hinter Kap. 20.

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Literatur zu Kapitel 16 [16.1] Dritte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz, Technische Anleitung

zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen, TA Siedlungsabfall, Bundesanzeiger, 1993

[16.2] Gesetz zur Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen, BGBl. Nr. 66, 1994

[16.3] Abfall nutzen und entsorgen, Strombasiswissen Nr. 114, IZE Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V., Frankfurt

[16.4] 17. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (17.BImSchV), Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe, 1990, in: Bundes-Immissionsschutzgesetz, Beck-Texte im dtv, 1994

[16.5] Abfallwirtschaft Foliensammlung, IZE, Informationszentrale der Elektrizitätswirt-schaft e.V., 1995

[16.6] R. Stahlberg, Unterbrechungsloses Hochtemperaturrecycling – Abfallveredelung durch Thermoselect, in: Entwicklungstendenzen in der Energieversorgung, R. Zaho-ransky (Editor), Informationsschriften der VDI-GET, 1998

[16.7] Thermoselect-Anlage Karlsruhe, Broschüre der Thermoselect Südwest GmbH, Karls-ruhe

[16.8] Siemens AG, TWR – Thermal Waste Recycling Plant, 1997 [16.9] I. Weingarten, B. Roth, Energie aus Müll Deponiegas-Blockkraftwerke, Fachbericht

86.2, Badenwerk AG, 1990 [16.10] H. Küttenbaum, P. Kesselring, R. Zahoransky, CO2-Bilanz von gasbefeuerten

Block(heiz)kraftwerken, Brennstoff-Wärme-Kraft BWK, Bd. 51, 1999 [16.11] Badenwerk AG, Broschüre „Deponiegasverwertung Gaggenau-Oberweier“