Rezensionen

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Heißt die neue Einsparungsmethode „Wer nicht be- ständig nachfragt, fällt aus der Bearbeitung heraus“? Immerhin können dann die Fördergelder jeweils deut- lich länger einbehalten werden. Und die Sachkenner un- ter uns hegen mehr als nur den Verdacht, dass z. B. die DFG seit dem Jahr 2000 bei ihren Ausschreibungen be- wusst mit solchen Rückhaltestrategien arbeitet. Dieses Land war dafür bekannt, dass in ihm Verwaltung und Finanzwirtschaft tadellos und nachprüfbar funktio- nierten. Und zwar noch ohne Computer und Automaten. Jetzt könnte man diese Technik einsetzen, um Pan- nen durch den Faktor Mensch auszuschließen. Nehmen stattdessen die Pannen wirklich oder nur scheinbar eher zu als ab? Oder sind für die früher freigiebigen Geldge- ber der Forschung die heutigen allgemeinen Sparzwän- ge ganz einfach nur ungewohnt und peinlich, so dass sie zu Ausflüchten und Tricks greifen? Dagegen spricht, dass in diesem Land für jeden sicht- bar T ausende kreativer Wissenschaftler damit beschäf- tigt werden, in (gefühlt) immer aufwendigeren Antrags- verfahren banale Formpunkte zu sammeln, um formale Hürden zu nehmen. Und das völlig unabhängig vom In- halt ihres Antrags, völlig unabhängig von der Projekti- dee. Ein Albert Einstein in seinem typischen, postpubertä- ren Auftreten würde sicher nie einen Förder-Euro sehen. Bernd-Reiner Paulke, Potsdam b.paulke@googlemail.com Die „Korrespondenz“ veröffentlicht Briefe an die Redaktion. Gedruckt und online steht sie allen Lesern der Nachrichten aus der Chemie offen. Bitte senden Sie Ihre Zuschrift mit einem Umfang von maximal 1500 Zeichen als E-Mail an: nachrichten@gdch.de. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor . Kompakt und gut verständlich Basisbuch Organische Chemie. Von Carsten Schmuck. Pearson, München, 2013. 376 Seiten, brosch. 29,95 Euro. ISBN 978–3–86894–061–9 b Schon wieder ein neues Lehrbuch für organische Chemie? Es gibt be- reits zahlreiche gute Lehrbücher, wel- che die Materie mit unterschiedlicher Ausführlichkeit und verschiedenen Schwerpunkten behandeln. Das hier vorliegende Buch vermittelt jedoch die Grundlagen der organischen Che- mie besonders kompakt und den- noch verständlich und umfassend. Das Buch ist ausgesprochen über- sichtlich und ansprechend gestaltet. Rezensionen Es gliedert sich in zehn Kapitel, von denen die ersten vier die grundle- genden Prinzipien und Theorien zu den Themen chemische Bindung in organischen Molekülen, funktionelle Gruppen und Stereochemie vorstel- len. Dabei geht der Autor ausführlich auf die Molekülorbitaltheorie und das Modell der Hybridisierung ein. Anhand von Energiediagrammen werden Kinetik und Thermodynamik chemischer Reaktionen betrachtet. Diskutiert werden der Einfluss der Polarität chemischer Bindungen auf die Eigenschaften von Molekülen und ihre Reaktivität sowie die Aus- wirkungen unterschiedlicher Bedin- gungen auf den Reaktionsverlauf. In den Kapiteln fünf bis zehn folgt die Einführung in die Grundlagen der wichtigsten Reaktionsmechanis- men der organischen Chemie an ty- pischen Beispielen. Hierbei greift das Buch auf die allgemeinen Theorien und Erkenntnisse aus den ersten vier Kapiteln zurück, sodass Leser die Mechanismen gut nachvollziehen und Gemeinsamkeiten zwischen ver- meintlich völlig unterschiedlichen Reaktionen erkennen nnen. Zahlreiche Schemata und Abbil- dungen veranschaulichen und unter- stützen den Inhalt des T extes. Exkur- se erläutern wichtige Prinzipien (et- wa die Schreibweise organischer Moleküle, die richtige Verwendung von Elektronenpfeilen) oder spre- chen weiterführende und ergänzen- de Themen an (zum Beispiel Aufbe- reitung von Erdöl, Schädigung der Ozonschicht). Jedes Kapitel beginnt mit einer Übersicht der Lernziele und endet mit einer Zusammenfassung. So er- schließt sich auch beim Querlesen schnell der Inhalt eines jeden Kapi- tels, und der Leser kann überprüfen, ob er alle wesentlichen Lerninhalte verstanden und verinnerlicht hat. Am Ende des Buchs stehen T abellen und Übersichten, wovon die pK S -Werte, wichtige funktionelle Gruppen und die verschiedenen Isomeriearten r Anfänger in der organischen Chemie besonders nützlich sind. Das vorliegende Buch enthält kei- ne Übungsaufgaben, was bei seinem kompakten Umfang auch nicht sinn- voll wäre. Große Vorteile sind nicht zuletzt seine handliche Größe und sein geringes Gewicht: Es passt in je- den Rucksack und kann somit zum Lernen überallhin mitgenommen werden. Nachrichten aus der Chemie| 61 | November 2013 | www.gdch.de/nachrichten 1150 BJournalV Korrespondenz/Bücher

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Heißt die neue Einsparungsmethode „Wer nicht be-

ständig nachfragt, fällt aus der Bearbeitung heraus“?

Immerhin können dann die Fördergelder jeweils deut-

lich länger einbehalten werden. Und die Sachkenner un-

ter uns hegen mehr als nur den Verdacht, dass z. B. die

DFG seit dem Jahr 2000 bei ihren Ausschreibungen be-

wusst mit solchen Rückhaltestrategien arbeitet.

Dieses Land war dafür bekannt, dass in ihm Verwaltung

und Finanzwirtschaft tadellos und nachprüfbar funktio-

nierten. Und zwar noch ohne Computer und Automaten.

Jetzt könnte man diese Technik einsetzen, um Pan-

nen durch den Faktor Mensch auszuschließen. Nehmen

stattdessen die Pannen wirklich oder nur scheinbar eher

zu als ab? Oder sind für die früher freigiebigen Geldge-

ber der Forschung die heutigen allgemeinen Sparzwän-

ge ganz einfach nur ungewohnt und peinlich, so dass

sie zu Ausflüchten und Tricks greifen?

Dagegen spricht, dass in diesem Land für jeden sicht-

bar Tausende kreativer Wissenschaftler damit beschäf-

tigt werden, in (gefühlt) immer aufwendigeren Antrags-

verfahren banale Formpunkte zu sammeln, um formale

Hürden zu nehmen. Und das völlig unabhängig vom In-

halt ihres Antrags, völlig unabhängig von der Projekti-

dee.

Ein Albert Einstein in seinem typischen, postpubertä-

ren Auftreten würde sicher nie einen Förder-Euro sehen.

Bernd-Reiner Paulke, Potsdam

[email protected]

Die „Korrespondenz“ veröffentlicht Briefe an die Redaktion. Gedruckt

und online steht sie allen Lesern der Nachrichten aus der Chemie offen.

Bitte senden Sie Ihre Zuschrift mit einem Umfang von maximal 1500

Zeichen als E-Mail an: [email protected]. Die Redaktion behält

sich Kürzungen vor.

Kompakt und gut verständlich

Basisbuch Organische Chemie.

Von Carsten Schmuck. Pearson,

München, 2013. 376 Seiten, brosch.

29,95 Euro.

ISBN 978–3–86894–061–9

b Schon wieder ein neues Lehrbuch

für organische Chemie? Es gibt be-

reits zahlreiche gute Lehrbücher, wel-

che die Materie mit unterschiedlicher

Ausführlichkeit und verschiedenen

Schwerpunkten behandeln. Das hier

vorliegende Buch vermittelt jedoch

die Grundlagen der organischen Che-

mie besonders kompakt und den-

noch verständlich und umfassend.

Das Buch ist ausgesprochen über-

sichtlich und ansprechend gestaltet.

RezensionenEs gliedert sich in zehn Kapitel, von

denen die ersten vier die grundle-

genden Prinzipien und Theorien zu

den Themen chemische Bindung in

organischen Molekülen, funktionelle

Gruppen und Stereochemie vorstel-

len. Dabei geht der Autor ausführlich

auf die Molekülorbitaltheorie und

das Modell der Hybridisierung ein.

Anhand von Energiediagrammen

werden Kinetik und Thermodynamik

chemischer Reaktionen betrachtet.

Diskutiert werden der Einfluss der

Polarität chemischer Bindungen auf

die Eigenschaften von Molekülen

und ihre Reaktivität sowie die Aus-

wirkungen unterschiedlicher Bedin-

gungen auf den Reaktionsverlauf.

In den Kapiteln fünf bis zehn folgt

die Einführung in die Grundlagen

der wichtigsten Reaktionsmechanis-

men der organischen Chemie an ty-

pischen Beispielen. Hierbei greift das

Buch auf die allgemeinen Theorien

und Erkenntnisse aus den ersten vier

Kapiteln zurück, sodass Leser die

Mechanismen gut nachvollziehen

und Gemeinsamkeiten zwischen ver-

meintlich völlig unterschiedlichen

Reaktionen erkennen können.

Zahlreiche Schemata und Abbil-

dungen veranschaulichen und unter-

stützen den Inhalt des Textes. Exkur-

se erläutern wichtige Prinzipien (et-

wa die Schreibweise organischer

Moleküle, die richtige Verwendung

von Elektronenpfeilen) oder spre-

chen weiterführende und ergänzen-

de Themen an (zum Beispiel Aufbe-

reitung von Erdöl, Schädigung der

Ozonschicht).

Jedes Kapitel beginnt mit einer

Übersicht der Lernziele und endet

mit einer Zusammenfassung. So er-

schließt sich auch beim Querlesen

schnell der Inhalt eines jeden Kapi-

tels, und der Leser kann überprüfen,

ob er alle wesentlichen Lerninhalte

verstanden und verinnerlicht hat. Am

Ende des Buchs stehen Tabellen und

Übersichten, wovon die pKS-Werte,

wichtige funktionelle Gruppen und

die verschiedenen Isomeriearten für

Anfänger in der organischen Chemie

besonders nützlich sind.

Das vorliegende Buch enthält kei-

ne Übungsaufgaben, was bei seinem

kompakten Umfang auch nicht sinn-

voll wäre. Große Vorteile sind nicht

zuletzt seine handliche Größe und

sein geringes Gewicht: Es passt in je-

den Rucksack und kann somit zum

Lernen überallhin mitgenommen

werden.

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1150 BJournalV Korrespondenz/Bücher

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Fazit: Das Basisbuch Organische

Chemie ist – bis auf ganz wenige Lü-

cken – zur Vorbereitung auf das Fach

organische Chemie und zum Nach-

bereiten einer Einführungsvorlesung

maßgeschneidert. Es gibt meines

Wissens nach zurzeit kein anderes

deutschsprachiges Lehrbuch, das die

Inhalte einer solchen Vorlesung so

verständlich und gleichzeitig kom-

pakt darstellt.

Petra Hilgers, Regensburg

Wertvoller Praxisleitfaden

Anforderungen an Medizinprodukte.

Von Johann Harer. Hanser, München,

2013. 328 Seiten, geb. 49,90 Euro.

ISBN 978–3–446–43186–7

b Herstellung und Vertrieb von

Medizinprodukten wie Diagnostika

oder Implantaten unterliegen natio-

nalen und internationalen Normen

und Richtlinien. Im Vordergrund

steht die Patientensicherheit, die nur

nachvollziehbare Produktionsprozes-

se gewährleisten. Produktionsver-

fahren und Prüfprozesse sind daher

einer ständigen, normierten Quali-

tätskontrolle zu unterziehen, die ge-

nau zu dokumentieren ist.

Johann Harer, Leiter Qualitätsma-

nagement und Regulatory Affairs bei

Roche Diagnostics, Graz, hat dazu

mit Kollegen aus unterschiedlichen

Bereichen die einschlägigen Nor-

menkataloge zusammengestellt und

liefert so einen Überblick über diese

vielfältigen Anforderungen. Es ist ein

verständlich geschriebenes und

kompaktes Handbuch, das nicht nur

für Einsteiger in die Thematik inte-

ressant ist.

Die zehn Kapitel beschäftigen sich

mit allen wesentlichen Aspekten des

Werdegangs von Medizinprodukten,

von den Prinzipien des Qualitätsma-

nagements über Entwicklung, Produk-

tion und Zulassung bis hin zur behörd-

lichen Überprüfung. Alle sind nach

dem gleichen Schema gegliedert, so

dass sich Leser rasch zurechtfinden.

Jedes Kapitel stellt zunächst die

Schwerpunkte als Fragen vor, welche

die Zusammenfassung am Schluss

dann beantwortet. Immer wieder ma-

chen Merke-, Beachte- oder Tipp-Käst-

chen auf Besonderheiten aufmerk-

sam. Insgesamt ist alles darauf ausge-

richtet, den trockenen Inhalt mög-

lichst einprägsam zu vermitteln.

Informativ sind die kurzen Erklä-

rungen der rechtlichen Grundlagen

sowie der Bezug auf gesetzliche und

länderspezifische Normen, so dass

die Lektüre mit ISO-Normen, GLP-,

GMP-Regeln und diversen Richtlinien

vertraut macht. Neben den Haupt-

märkten Europäische Union, USA

und Kanada referiert das Buch auch

die Gegebenheiten in Ostasien mit

China und Japan oder in sich entwi-

ckelnden Märkten wie Brasilien. Dies

ist insofern von Bedeutung, als sich

fast im Gleichklang mit den Absatz-

märkten die Produktionsstätten

dorthin verlagern.

Einer oft wenig beachtete Schnitt-

stelle, nämlich der Beziehung zwi-

schen Hersteller und Lieferant, wid-

met der Autor ein eigenes Kapitel.

Das ist bemerkenswert. Ganz auf der

Höhe der Zeit geht der Autor auf com-

putergestützte Systeme bei der Doku-

mentation ein. Die beigefügte CD ent-

hält zu jedem Kapitel bearbeitbare

Formulare, die direkt oder angepasst

im Betrieb eingesetzt werden können.

Verweise auf die Originalliteratur

sind vorhanden, wenn auch in unter-

schiedlicher Ausführlichkeit, immer

aber sind die entsprechenden Nor-

men aufgeführt. Grafische Darstellun-

gen und Flussdiagramme veranschau-

lichen die Erläuterungen und tragen

zum Verständnis bei. Allerdings sind

einige Grafiken zu klein geraten und

damit unleserlich, etwa die Bilder 3.10

auf Seite 91 und 5.3 auf Seite 148. Das

Layout ist klar und übersichtlich, die

farbliche Gestaltung ist etwas zu de-

zent und wenig kontrastreich. Das

durchgehende, nur nuancierte Grau

erschwert das Lesen, wenn die Licht-

verhältnisse nicht optimal sind.

Insgesamt ist die Absicht des Au-

tors, einen „Praxisleitfaden für Her-

steller und Zulieferer“ zu verfassen,

sehr gut umgesetzt. Er legt eine

breit gefächerte, praxisrelevante

Übersicht von Abläufen und norm-

gebundenen Prozessen für Medizin-

produkte vor. Dies ist in dieser Form

wertvoll für alle, die sich mit dieser

komplexen Thematik auseinander-

setzen müssen oder wollen.

Edith Gößnitzer, Graz

Schwarze Katze im Finstern

Ignorance: How it drives Science.

Von Stuart Firestein, Oxford Universi-

ty Press, Oxford, 2012. 195 Seiten,

geb. Zirka 14,95 Euro.

ISBN 978–0–19–982807–4

Auf Deutsch: Ignoranz. Verlag Hans

Huber, Bern, 2013. 164 Seiten, geb.

19,95 Euro. ISBN 978–3–45–685293–5

b Der Titel dieses kleinen Buchs ist

ein wenig irreführend, und das im

Deutschen noch stärker als im Engli-

schen. Ignoranz ist ja eher ein Nicht-

wissen-Wollen als ein Nichtwissen.

Das erste ist negativ konnotiert, das

zweite keine Schande. Die „Ignoran-

ce“ des Titels übersetzt man deshalb

besser mit „Unwissen“ oder „Noch-

nichtwissen“. Die Hauptthese des

Autors ist, dass nicht das bereits vor-

handene Wissen die Wissenschaft

antreibt, sondern die Neugier auf

das Unbekannte.

Wie viele Lehrer hat auch Fire-

stein die Erfahrung gemacht, dass

b D Tit l di kl i B h

b Herstellung und Vertrieb vo

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1151Bücher BJournalV

Page 3: Rezensionen

die Präsentation von (etabliertem)

Wissen, Lehrbuchwissen, Schüler

und Studenten oft langweilt, ein

Blick ins Unbekannte sie aber fesselt.

Konsequenterweise heißt eine sei-

ner beliebtesten Lehrveranstaltun-

gen an der Columbia University in

New York, wo er Neurowissenschaf-

ten lehrt, „Ignorance“, und man darf

annehmen, dass ihr Hauptziel darin

besteht, die richtigen, die guten Fra-

gen über zu Erforschendes zu stel-

len. Das ist auch das Ziel des Buchs,

mit dem der Autor bei einem realen,

wenngleich Laienpublikum – und

natürlich ist jeder Mensch Laie au-

ßerhalb seines Fachgebiets – Ver-

ständnis der richtigen, der von Wis-

senschaftlern praktizierten Wissen-

schaft wecken will.

Er versucht, sein Ziel in acht Kapi-

teln plus einer Einführung zu errei-

chen, von denen eine Sammlung von

vier Fallstudien aus kognitiver Psy-

chologie, theoretischer Physik, Astro-

nomie und Neurowissenschaft mit

insgesamt 80 Seiten den Löwenan-

teil einnimmt. Den anderen Teil des

Werks bilden meist recht kurze Es-

says über verschiedene Aspekte des

Nichtwissens, die im Übrigen von ei-

nem feinsinnigen Humor durchzo-

gen sind. Hätte der Autor als Fallbei-

spiel die organische Chemie gewählt,

sein Lieblingsfach im Studium, wäre

die Schilderung vermutlich kaum an-

ders ausgefallen. Das wird besonders

bei der Fallbeschreibung Neurowis-

senschaften deutlich, für die Fire-

stein seine eigene wissenschaftliche

Laufbahn vom Theatermanager zum

anerkannten Neurowissenschaftler

gewählt hat. Dieses Unterkapitel,

das hier nicht nacherzählt werden

soll, ist – wie auch die meisten ande-

ren – ein Plädoyer für Individualität,

Unabhängigkeit, letztlich Freiheit,

die ein Universitätssystem jungen

Menschen bieten muss, wenn das

Ziel nicht die Produktion von Sachbe-

arbeiten, sondern kreativen Men-

schen ist, die auf zukünftiges Wissen

neugierig sind. Dass die sich ausbil-

denden globalen Erziehungssysteme

dieses leisten können oder werden,

darf man nach der Lektüre dieser Sei-

ten (erneut) bezweifeln.

Das Buch enthält interessante,

den meisten Chemikern vermutlich

unbekannte Lesevorschläge für das

Weiterstudium. Es eröffnet mit ei-

nem Aphorismus, der das Abenteuer

Wissenschaft, seine Reize, aber auch

seine Risiken und sein immer mögli-

ches Scheitern auf besonders präg-

nante Weise beschreibt: „It is very

difficult to find a black cat in a dark

room. Especially when there is no

cat.“

Henning Hopf, Braunschweig

Entschiedenes Nein

Ausgesessen.

Von Roland Jäger. Orell Füssli, Zürich,

2013. 206 Seiten, geb. 21,95 Euro.

ISBN 978–3–280–05486–4

b Probleme werden ausgesessen,

nicht gelöst. Eine Entscheidung für

diese Methode – sie kommt einem

nicht nur aus der Politik bekannt

vor – ist zumindest eine Entschei-

dung. Aber damit, so schreibt der

Autor, entscheiden wir uns für den

„worst possible case“. Warum ist das

so? Warum tun wir das? Und vor al-

lem: Warum tun wir nichts dage-

gen?

Die Entscheidung, dieses Buch zu

Ende zu lesen, ist ein typischer Fall

für das Aussitzen. Warum lese ich

verallgemeinertes Altbekanntes

(und auch Falsches) über das Elend

familiärer Weihnachtsfeiern, die Er-

stellung einer Steuererklärung, über

Scheidung und Kindererziehung,

über Staatsverschuldung und Ren-

tendesaster? Weil ich Angst vor der

Veränderung habe? Weil ich das Pro-

blem leugne, das ich mit diesem

Buch habe? Zwei Seiten „Schritte bis

zum Abgrund“ gibt es als Analyse,

weitere 70 Seiten ebenso wohlbe-

kannte wie überflüssige Beispiele:

Kirchen, Musikindustrie, Frauenquo-

te. Schließlich Burnout, das verkauft

sich immer gut, und Resilienz, das

Modewort. Aus dem Zettelkasten

hat der Autor noch das wohlfeile

Beispiel „Behalten Sie doch Ihren

Hammer“ von Paul Watzlawik ge-

fischt und schwadroniert weiter

über Glück und Eckart von Hirsch-

hausen. Schließlich kommt die erlö-

sende Idee nach 153 Seiten: „Aufge-

standen! Ja zum Nein!“ Dieses To-

do-Kapitel lässt sich auf zwei Seiten

zusammenschieben. Zum Schluss

die Ablehnung des Ehrenamts (ein

Kleingewinn bei der Themenlotte-

rie), Überlegungen zu Stuttgart 21

und der Piratenpartei und eine neue

(??) Entscheidungskultur. Muss ich

das alles lesen? Brauche ich das? Ein

entschiedenes Nein.

Ernst Guggolz, Frankfurt

1152 BJournalV Bücher

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b Kurz vorgestellt

Energieverbrauch in der Produktion senkenEnergieverbrauch und CO2-Emissio-

nen industrieller Prozesstechnolo-

gien – Einsparpotenziale, Hemm-

nisse und Instrumente.

Herausgegeben von Tobias Fleiter,

Barbara Schlomann, Wolfgang

Eichhammer. Fraunhofer-Verlag,

Karlsruhe, 2013. 570 Seiten, geb.

98,– Euro. Kostenloser Download

unter: http://delivr.com/2cfzj oder

www.verlag.fraunhofer.de

ISBN 978–3–8396–0515–8

Für die energieintensiven Bran-

chen, zu denen die Chemieindus-

trie zählt, haben Forscher des

Fraunhofer-Instituts für System-

und Innovationsforschung 200

Maßnahmen untersucht, die den

Energieverbrauch bis 2035 um

15 Prozent senken. Dabei kam he-

raus, dass diese Branchen insge-

samt jährlich 14 Terawattstunden

Strom einsparen können, die Men-

ge, die zwei große Kohlekraftwerke

erzeugen. Der Einsatz von Brenn-

stoffen wie Erdgas oder Heizöl

könnte um 69 Terawattstunden sin-

ken. Die meisten Maßnahmen wür-

den bei den Unternehmen keine

zusätzlichen Kosten verursachen.