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Journal Rezensionen Analytische Chemie auf sechs Seiten? Lerntafel „Analytische Chemie“. Spektrum Akademischer Verlag, Hei- delberg, 2010. 6 Seiten. 6,95 Euro. ISBN 978–3–8274–2644–4 Die wichtigsten Aspekte der ana- lytischen Chemie zusammengefasst auf wenigen Seiten: Kann das gelin- gen? Neben sechs weiteren Lern- tafeln zur Chemie ist im Spektrum- Verlag nun auch eine Kurzübersicht der analytischen Chemie erschienen. Auf einem halben Dutzend Seiten sollen die wichtigsten analytischen Grundbegriffe als Orientierungshilfe für Studierende am Anfang des Ba- chelorstudiums so zusammenge- fasst sein, dass die Lerntafel sowohl Vorlesungsskripte ergänzt als auch als Repetitorium dient. Das Autoren- team hat hierfür die Schwerpunkte „Analysenverfahren, Probennahme und -vorbereitung“, „Klassische nasschemische Analysenmethoden“, „Datenauswertung und Qualitäts- sicherung“, „Chromatographische Trenntechniken“, „Molekülspektro- skopie und -massenspektrometrie“ sowie „Atomspektroskopie und Ele- mentanalytik“ identifiziert. Es ist zugegebenermaßen schwierig, sich innerhalb der Vielfalt der analytischen Chemie auf einen Themenkanon zu fokussieren – je- doch ist die hier getroffene Auswahl nur teilweise gelungen. So passt ins- besondere der Kurzüberblick zu den nasschemischen Methoden nicht in diese Lerntafel, die sich in weiten Teilen mit modernen instrumentel- len Methoden der Chromatographie und Spektroskopie beschäftigt. Vor allem der Trennungsgang der Kat- ionen, der eher den Grundlagen der anorganischen Chemie als denen der Analytik zuzuordnen ist, ist hier fehl am Platz. Auch die Auswahl der instrumentellen Methoden ist wenig befriedigend. Warum ist neben Gas- chromatographie, HPLC, Dünn- schicht- und Ionenchromatographie die Kapillarelektrophorese nicht er- wähnt? Warum gibt es keinen Bei- trag zur Elektroanalytik oder Senso- rik? Diese Aufzählung ließe sich be- liebig fortsetzen, da die Lerntafel mit der Wahl der Überschrift „Ana- lytische Chemie“ den Anspruch auf ein breites Spektrum von Inhalten erhebt, die sich kaum in dieser Kürze zusammenfassen lassen. Konzeptionell wäre es daher sinnvoller gewesen, ausgewählte Bereiche der analytischen Chemie, etwa die analytischen Trenntech- niken, die Atomspektroskopie, die Massenspektrometrie oder die Strukturanalytik auf einer Lerntafel zu komprimieren und konsistenter zu erläutern. Der Leser hätte hiervon mehr gehabt – vorausgesetzt natür- lich, dass er sich auf die Fakten auf einer solchen Lerntafel verlassen kann. Dies ist hier leider an vielen Stellen nicht der Fall. So ist unter an- derem die Definition der relativen Standardabweichung falsch, es wird zwischen Gas- und Säulenchromato- graphie unterschieden, eine Um- kehrphase für die HPLC wird durch „Hydrophobierung“ mit einem Silan und anschließender Beladung mit flüssigem Paraffin hergestellt, typi- sche LC-Partikelgrößen sind hier noch stets 10 μm, die Nachweis- grenzen der wellenlängendisper- siven und der energiedispersiven Röntgenfluoreszenzanalyse sind falsch beschrieben, und die Erklä- rung des Quadrupol-Massenana- lysators basiert offenbar auf einem schlecht geschriebenen Eintrag in Wikipedia. Um die Ausgangsfrage zu beant- worten: Nein, diese Lerntafel ist we- der konzeptionell noch inhaltlich ge- lungen. Martin Vogel, Münster Arbeitsbuch mit Fragen und Antworten Grundkurs Chemie I und II. Allgemei- ne, Anorganische und Organische Chemie für Fachunterricht und Selbst- studium. Von Arnold Arni. Wiley-VCH, Weinheim, 2011. 564 Seiten, brosch. 49,90 Euro. ISBN 978–3–527–33068–3 Diese Neuerscheinung kom- biniert zwei Klassiker von Arnold Arni, nämlich den Grundkurs Che- mie I (in der 4. überarbeiteten Auf- lage) und den Grundkurs Chemie II (in der 3. überarbeiteten Auflage). Schade, dass der Verlag den Auf- wand gescheut hat, ein Gesamt- inhaltsverzeichnis und ein gemein- sames Sachregister anzulegen sowie die Seiten durchgehend zu num- merieren. So ist die einzige Ände- rung dieser Neuerscheinung, dass man ein Buch statt zwei Büchern im 561 Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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�Journal�

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Analytische Chemie auf sechs Seiten?

Lerntafel „Analytische Chemie“.

Spektrum Akademischer Verlag, Hei-

delberg, 2010. 6 Seiten. 6,95 Euro.

ISBN 978–3–8274–2644–4

� Die wichtigsten Aspekte der ana-

lytischen Chemie zusammengefasst

auf wenigen Seiten: Kann das gelin-

gen? Neben sechs weiteren Lern-

tafeln zur Chemie ist im Spektrum-

Verlag nun auch eine Kurzübersicht

der analytischen Chemie erschienen.

Auf einem halben Dutzend Seiten

sollen die wichtigsten analytischen

Grundbegriffe als Orientierungshilfe

für Studierende am Anfang des Ba-

chelorstudiums so zusammenge-

fasst sein, dass die Lerntafel sowohl

Vorlesungsskripte ergänzt als auch

als Repetitorium dient. Das Autoren-

team hat hierfür die Schwerpunkte

„Analysenverfahren, Probennahme

und -vorbereitung“, „Klassische

nass che mi sche Analysenmethoden“,

„Datenauswertung und Qualitäts-

sicherung“, „Chromatographische

Trenntechniken“, „Molekülspektro-

skopie und -massenspektrometrie“

sowie „Atomspektroskopie und Ele-

mentanalytik“ identifiziert.

Es ist zugegebenermaßen

schwierig, sich innerhalb der Vielfalt

der analytischen Chemie auf einen

Themenkanon zu fokussieren – je-

doch ist die hier getroffene Auswahl

nur teilweise gelungen. So passt ins-

besondere der Kurzüberblick zu den

nasschemischen Methoden nicht in

diese Lerntafel, die sich in weiten

Teilen mit modernen instrumentel-

len Methoden der Chromatographie

und Spektroskopie beschäftigt. Vor

allem der Trennungsgang der Kat-

ionen, der eher den Grundlagen der

anorganischen Chemie als denen

der Analytik zuzuordnen ist, ist hier

fehl am Platz. Auch die Auswahl der

instrumentellen Methoden ist wenig

befriedigend. Warum ist neben Gas-

chromatographie, HPLC, Dünn-

schicht- und Ionenchromatographie

die Kapillarelektrophorese nicht er-

wähnt? Warum gibt es keinen Bei-

trag zur Elektroanalytik oder Senso-

rik? Diese Aufzählung ließe sich be-

liebig fortsetzen, da die Lerntafel

mit der Wahl der Überschrift „Ana-

lytische Chemie“ den Anspruch auf

ein breites Spektrum von Inhalten

erhebt, die sich kaum in dieser Kürze

zusammenfassen lassen.

Konzeptionell wäre es daher

sinnvoller gewesen, ausgewählte

Bereiche der analytischen Chemie,

etwa die analytischen Trenntech-

niken, die Atomspektroskopie, die

Massenspektrometrie oder die

Strukturanalytik auf einer Lerntafel

zu komprimieren und konsistenter

zu erläutern. Der Leser hätte hiervon

mehr gehabt – vorausgesetzt natür-

lich, dass er sich auf die Fakten auf

einer solchen Lerntafel verlassen

kann. Dies ist hier leider an vielen

Stellen nicht der Fall. So ist unter an-

derem die Definition der relativen

Standardabweichung falsch, es wird

zwischen Gas- und Säulenchromato-

graphie unterschieden, eine Um-

kehrphase für die HPLC wird durch

„Hydrophobierung“ mit einem Silan

und anschließender Beladung mit

flüssigem Paraffin hergestellt, typi-

sche LC-Partikelgrößen sind hier

noch stets 10 μm, die Nachweis-

grenzen der wellenlängendisper-

siven und der energiedispersiven

Röntgenfluoreszenzanalyse sind

falsch beschrieben, und die Erklä-

rung des Quadrupol-Massenana-

lysators basiert offenbar auf einem

schlecht geschriebenen Eintrag in

Wikipedia.

Um die Ausgangsfrage zu beant-

worten: Nein, diese Lerntafel ist we-

der konzeptionell noch inhaltlich ge-

lungen.

Martin Vogel, Münster

Arbeitsbuch mit Fragen und Antworten

Grundkurs Chemie I und II. Allgemei-

ne, Anorganische und Organische

Chemie für Fachunterricht und Selbst-

studium.

Von Arnold Arni. Wiley-VCH,

Weinheim, 2011. 564 Seiten, brosch.

49,90 Euro.

ISBN 978–3–527–33068–3

� Diese Neuerscheinung kom-

biniert zwei Klassiker von Arnold

Arni, nämlich den Grundkurs Che-

mie I (in der 4. überarbeiteten Auf-

lage) und den Grundkurs Chemie II

(in der 3. überarbeiteten Auflage).

Schade, dass der Verlag den Auf-

wand gescheut hat, ein Gesamt-

inhaltsverzeichnis und ein gemein-

sames Sachregister anzulegen sowie

die Seiten durchgehend zu num-

merieren. So ist die einzige Ände-

rung dieser Neuerscheinung, dass

man ein Buch statt zwei Büchern im

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Nachrichten aus der Chemie | 59 | Mai 2011 | www.gdch.de/nachrichten

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Schrank stehen hat. Seit fast zwei

Jahrzehnten kann man sich mit die-

sen Büchern im Selbststudium fun-

diertes Chemiewissen aneignen.

Nun ist auf 564 Seiten ein umfas-

sendes Arbeitsbuch der Chemie ent-

standen. Teil 1 befasst sich in 18 Kapi-

teln mit der allgemeinen und anorga-

nischen Chemie, und Teil 2 behandelt

in 12 Kapiteln die organische Chemie.

Jedes Kapitel schließt mit einer Art

Klassenarbeit (Erfolgskontrolle ge-

nannt) ab, wozu das Buch sogar einen

ziemlich strengen Notenschlüssel

mitliefert. Das Buch enthält zudem

eine ausführliche und sicher hilfrei-

che Anleitung des Autors zum Selbst-

studium. Leider steht diese im dritten

Vorwort; „Vorwortmuffel“ werden sie

höchstwahrscheinlich überblättern.

Das Selbststudium baut grund-

legend auf den zahlreichen Fragen

und ausführlichen Antworten zu

jedem Lernschritt auf. Der Autor

empfiehlt ausdrücklich, einen Spick-

zettel anzufertigen sowie die Fragen

schriftlich zu bearbeiten, wozu meist

eine gute halbe Seite im Buch zur Ver-

fügung steht. Zum Konzept gehört

auch, dass die Leser mit Textmarker

arbeiten, und so bekommt das Buch

erst nach und nach seine persönliche

Note. Auf Hervorhebungen jeglicher

Art wurde deshalb bewusst verzich-

tet, der Text wirkt auf den ersten Blick

ungewohnt einheitlich und wenig an-

sprechend. Zudem ist das Buch nur

sehr sparsam mit Schwarzweiß-Illus-

trationen versehen.

Wer also nicht nur eine kurze

Zusammenfassung überfliegen,

sondern sich richtig in die Chemie

vertiefen will und am Bearbeiten

von Fragen Spaß hat, der hat das

richtige Buch gewählt und wird

bestimmt gleich mit dem Perioden-

system der chemischen Elemente

loslegen wollen.

Ulrike Flad, Stuttgart

Chemiebaukästen gab es schon im 18. Jahrhundert

Vom tragbaren Labor zum Chemie-

baukasten – Zur Geschichte des Che-

mieexperimentierkastens unter

besonderer Berücksichtigung des

deutschsprachigen Raums.

Von Florian Karl Öxler. Wissenschaftli-

che Verlagsgesellschaft, Stuttgart,

2010. 364 Seiten, brosch.

33,– Euro.

ISBN: 978–3–8047–2829–5

� Auf Grundlage einer umfangrei-

chen Materialsammlung zeigt Flori-

an K. Öxler mit dieser lesenswerten

Monographie, dass sich die Traditi-

on, Laien chemische Versuche ma-

chen zu lassen, bis in das 18. Jahr-

hundert verfolgen lässt. Bereits

1731 hatten Peter Shaw

(1694 – 1764) und Francis Hauksbee

(1687 – 1763) ein „Portable Labora-

tory“ entwickelt, das auf dem „Labo-

ratorium Portatile“ von Johann Joa-

chim Becher (1635 – 1682) aus dem

Jahr 1689 basierte.

Die Entwicklung im deutschen

Sprachraum bestimmte besonders

der Jenaer Apotheker Johann Fried-

rich August Göttling (1753–1809).

Sein „Vollständiges chemisches Pro-

bir-Cabinet“ aus dem Jahr 1790 be-

stand aus einem Set von Reagenzien

und Geräten sowie einem Anlei-

tungsbuch, das sowohl für den be-

rufsmäßigen Einsatz als auch für

den Laien konzipiert war und in ei-

nem extra dafür angefertigten Holz-

kasten verstaut werden konnte. Öx-

ler beschreibt dieses „Probir-Cabi-

net“ umfassend und geht auf die Be-

mühungen Göttlings ein, spezifische

Sets für einzelne Anwendergruppen

zu entwickeln. Auch Johann Bartho-

lomäus Trommsdorff (1770 – 1837)

entwickelte Probierkabinette, die,

wie der Autor feststellt, denen von

Göttling außerordentlich ähnlich

waren. So kann sich der Leser ein

Bild von den Streitigkeiten zwischen

Göttling und Trommsdorff in dieser

Frage machen. Ein „Chemisches

Spielwerk“ vertrieb zu Beginn des

19. Jahrhunderts der Nürnberger

Kaufmann Georg Hieronimus Bestel-

meier (1764–1829).

Florian Öxler gelingt es, Gegen-

stände und mögliche Versuche die-

ser frühen Sets verständlich zu be-

schreiben.

Für Experimentierkästen aus der

Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es

keine Nachweise, diese Situation än-

derte sich erst am Ende des 19. Jahr-

hunderts wieder. Inwiefern dies aber

mit dem fehlenden Chemieunter-

richt begründet werden kann, wie

der Autor es tut, sei dahingestellt,

denn diese Aussage gilt nicht für die

Realschulen, die in den 1850er-Jah-

ren staatlich anerkannt wurden.

Öxler widmet sich ausführlich

dem „Kosmos-Baukasten Chemie“,

den der Schweizer Naturkundelehrer

und Zeichner Wilhelm Fröhlich

(1892 – 1969) entwickelte. Seinen

Lebensweg wie den anderer, die eng

mit der Entwicklung der Experimen-

tiersätze verbunden sind, zeichnet

Öxler nach.

Der Autor stellt auch dar, wie un-

terschiedlich sich nach 1945 die

Chemiebaukästen im östlichen und

westlichen Teil Deutschlands ent-

wickelten. Er diskutiert Sicherheits-

fragen, die erst in den 1980er-Jahren

verstärkt bei der Ausstattung der

Chemiekästen berücksichtigt wur-

den. Auch Genderaspekte in der Ge-

staltung der Anleitungsbücher und

in der Werbung für die Sets sowie di-

daktische Fragen spricht er an.

Diese wohl erste Zusammenstel-

lung von Experimentierkästen aus

drei Jahrhunderten eignet sich gut

dazu, die Entwicklung der Chemie

nachzuvollziehen. Deshalb sei sie

allen empfohlen, die sich für Che-

miegeschichte und Chemiedidaktik

interessieren.

Gisela Boeck, Rostock

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