Energietechnik || Energieverteilung

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387 17 Energieverteilung Dem Verbraucher muss die Energie in Form von Primär- und Sekundärenergieträgern geliefert werden. Fluide Brennstoffe wie Gase, Erdöl, Fernwärme sowie elektrische Energie sind in entsprechenden Leitungen kontinuierlich transportierbar, während Festbrennstoffe wie Kohle mit Fahrzeugen (Schiff, Bahn, Lkw) transportiert werden. Leitungsgebundene Energietrans- portsysteme sind an die geografische Lage der Energievorkommen und der Verbraucher- schwerpunkte angepasst. Zur vergleichenden Beurteilung des Energietransports dienen folgende spezifische Kenngrö- ßen: Transportkapazität; förderbarer Energiestrom pro Leitung in kW Entfernungsspezifischer Wirkungsgrad; abnehmerseitig nutzbare Energie (eingespeiste Energie abzüglich Transportenergie) bezogen auf die eingespeiste Energie und Entfer- nungseinheit, z. B. in %/km. Spezifische Förderkosten; Kosten bezogen auf transportierte Energie und Entfernung in €/(kJ · m). Diese spezifischen Förderkosten lassen sich in spezifische Investitions- und Be- triebskosten aufschlüsseln. Spezifische Investitionskosten; Baukosten bezogen auf transportierbare bzw. transportierte Energie und Länge in €/(kJ · m) Spezifische Betriebskosten; Kosten des Betriebs (Unterhalt, Wartung, Reparatur, Messung, Energieverluste beim Transport, ...) bezogen auf transportierte Energie und Länge in €/(kJ · m) Das nachfolgende Kapitel gibt einen ersten Eindruck über die Energieverteilung mit Schwerpunkt des Elektro-Energiesystems. Ebenso werden Erläuterungen zu Trans- porttechniken für Wärme und andere Energieträger gegeben. 17.1 Elektrische Netze 17.1.1 Grundlagen elektrischer Netze Neben einigen wenigen Grundlagen werden die Auswirkungen der Liberalisierung des Strommarktes und des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf das Gesamtsystem der Strom- versorgung aufgezeigt und veranschaulicht, welche mittelfristigen Einflüsse für einen wach- senden Anteil von netzgeladenen Elektrofahrzeugen zu erwarten sind. Daraus werden die ak- tuellen Herausforderungen für die elektrischen Netze abgeleitet und mögliche Lösungsbeiträge von SMART- oder Micro-Grids beschrieben. Weitergehende Informationen der elektrischen Energietechnik bietet die einschlägige Literatur z. B. [17.1, 17.2, 17.3, 17.4]. Zur Modellierung elektrischer Netze werden Ersatzschaltbilder verwendet. Viele der Netzbe- triebsmittel, wie Freileitungen, Kabel, Transformatoren, Generatoren werden wie in Bild 17.1 durch eine Kombination aus ohmschen Widerständen (R), Ableitwerten (G), Kapazitäten (C) und Induktivitäten (L) beschrieben. H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_17, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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17 Energieverteilung

Dem Verbraucher muss die Energie in Form von Primär- und Sekundärenergieträgern geliefert werden. Fluide Brennstoffe wie Gase, Erdöl, Fernwärme sowie elektrische Energie sind in entsprechenden Leitungen kontinuierlich transportierbar, während Festbrennstoffe wie Kohle mit Fahrzeugen (Schiff, Bahn, Lkw) transportiert werden. Leitungsgebundene Energietrans-portsysteme sind an die geografische Lage der Energievorkommen und der Verbraucher-schwerpunkte angepasst. Zur vergleichenden Beurteilung des Energietransports dienen folgende spezifische Kenngrö-ßen: Transportkapazität; förderbarer Energiestrom pro Leitung in kW Entfernungsspezifischer Wirkungsgrad; abnehmerseitig nutzbare Energie (eingespeiste

Energie abzüglich Transportenergie) bezogen auf die eingespeiste Energie und Entfer-nungseinheit, z. B. in %/km.

Spezifische Förderkosten; Kosten bezogen auf transportierte Energie und Entfernung in €/(kJ·m). Diese spezifischen Förderkosten lassen sich in spezifische Investitions- und Be-triebskosten aufschlüsseln.

Spezifische Investitionskosten; Baukosten bezogen auf transportierbare bzw. transportierte Energie und Länge in €/(kJ·m)

Spezifische Betriebskosten; Kosten des Betriebs (Unterhalt, Wartung, Reparatur, Messung, Energieverluste beim Transport, ...) bezogen auf transportierte Energie und Länge in €/(kJ·m)

Das nachfolgende Kapitel gibt einen ersten Eindruck über die Energieverteilung mit Schwerpunkt des Elektro-Energiesystems. Ebenso werden Erläuterungen zu Trans-porttechniken für Wärme und andere Energieträger gegeben.

17.1 Elektrische Netze

17.1.1 Grundlagen elektrischer Netze Neben einigen wenigen Grundlagen werden die Auswirkungen der Liberalisierung des Strommarktes und des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) auf das Gesamtsystem der Strom-versorgung aufgezeigt und veranschaulicht, welche mittelfristigen Einflüsse für einen wach-senden Anteil von netzgeladenen Elektrofahrzeugen zu erwarten sind. Daraus werden die ak-tuellen Herausforderungen für die elektrischen Netze abgeleitet und mögliche Lösungsbeiträge von SMART- oder Micro-Grids beschrieben. Weitergehende Informationen der elektrischen Energietechnik bietet die einschlägige Literatur z. B. [17.1, 17.2, 17.3, 17.4]. Zur Modellierung elektrischer Netze werden Ersatzschaltbilder verwendet. Viele der Netzbe-triebsmittel, wie Freileitungen, Kabel, Transformatoren, Generatoren werden wie in Bild 17.1 durch eine Kombination aus ohmschen Widerständen (R), Ableitwerten (G), Kapazitäten (C) und Induktivitäten (L) beschrieben.

H.-J. Allelein et.al., Energietechnik DOI 10.1007/978-3-8348-2279-6_17, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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Leitungen (Freileitungen, Kabel) dienen im elektrischen Netz dazu, die Energie von einem Punkt zum anderen zu leiten. Jede Leitung hat eine dauernd zulässige, maximale aber auch minimale Betriebsspannung, deren Grenzwerte nicht über- oder unterschritten werden dürfen. Auch der Betriebsstrom darf dauerhaft nicht über einen Grenzwert hinausgehen. Das Leitungs-ersatzschaltbild (Freileitung, Kabel), beinhaltet den Widerstand Rb , der die ohmschen Strom-Wärme Verluste im Leiterseil bzw. im Innenleiter des Kabels beschreibt. Die Betriebsindukti-vität Lb bildet das magnetische Feld um den stromdurchflossenen Leiter nach und bewirkt, genauso wie der ohmsche Widerstand, einen Spannungsabfall entlang der Leitung, wenn diese stromdurchflossen ist. In einigen Darstellungen wird hier auch die induktive Reaktanz XL =

L = 2 f L verwendet. Die Leitungskapazität Cb bzw. die kapazitive Reaktanz XC = 1 / C = 1 / 2 f C ist eine Nachbildung für das elektrische Feld, welches sich um einen Leiter einstellt, wenn dieser gegenüber Erde isoliert an Spannung liegt. Der Ableitwiderstand Gb beschreibt die Oberflächenleitfähigkeit der Isolatoren, die abhängig vom Verschmutzungsgrad und der Feuchtigkeit unterschiedlich hohe Ableit-Ströme zur Folge haben.

E: Quellenspannung (Eingangsspannung)

A: Ausgangspannung

Bild 17.1: Vereinfachtes Ersatzschaltbild einer Freileitung oder eines Kabels

Transformatoren verbinden im Netz unterschiedliche Spannungsebenen. Dazu erzeugen sie mit einer stromdurchflossenen Spule, die in der einen Spannungsebene (Primärwicklung) ange-schlossen ist, ein Magnetfeld und leiten dieses über einen Eisenkern in eine zweite Wicklung (Bild 17.2). Dort wird dann über das Induktionsprinzip eine Sekundärspannung erzeugt.

Bild 17.2: Magnetischer Kreis im Zwei-wicklungs-Transformator

Die Widerstände R1, R2 im Transformator-Ersatzschaltbild (Bild 17.3) beschreiben die ohm-schen Strom-Wärmeverluste in der Primär- bzw. Sekundärwicklung des Trafos. Wie schon im Leitungsersatzschaltbild sind die induktiven Reaktanzen X bzw. Xh eine Nachbildung des

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magnetischen Feldes. Das Hauptfeld Xh verbindet dabei über den Eisenkern die Primärwick-lung mit der Sekundärwicklung. Die Streufelder X beschreiben den Teil des Magnetfeldes, der sich nur um die jeweilige Wicklung schließt. Diese Streufelder sind neben den ohmschen Leiterwiderständen maßgeblich verantwortlich für den Spannungsabfall des stromdurchflosse-nen Transformators. In Bild 17.3 ist ferner ein idealer Transformator erkennbar, der das Über-setzungsverhältnis von Primär- zu Sekundärseite repräsentiert.

Bild 17.3: Vereinfachtes Ersatzschaltbild eines Transformators

Generatoren (Bild 17.4) sind die Quellen des elektrischen Energiesystems. Sie wandeln die mechanische Leistung Pmech der Antriebsmaschine (z. B. Gas-, Wasser-, Dampfturbine, Ver-brennungsmotor, Windkraft-Rotor) in elektrischen Strom um. Dazu wird ein Magnet über die Generatorwelle in Rotation versetzt, der dann nach dem Induktionsprinzip in den drei Stän-derwicklungen jeweils drei um 120 Grad versetzte Spannungen induziert, die dann die Quel-lenspannung E (in einigen Quellen auch als Polradspannung Up beschrieben) für das 3-phasige

Bild 17.4: Ständer- und Läuferwicklungen [17.1] beim Schenkelpol- (links) bzw. Turbogenerator (rechts); Längsachse = d-Achse; Querachse = q-Achse; Wicklungen U, V, W = reale Wicklungssysteme, elektrisch um 120 Grad versetzt, entsprechend des Drehstromsystems R, S, T; Wicklungen Q, D = Er-satzwicklungen in Längs- und Querachse der Maschine; f = Feldwicklung = Erregerwicklung; Uf = Erre-gerspannung; If = Erregerstrom

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Drehstromsystem darstellen. Hier werden bei Großgeneratoren keine Permanent-Magnete eingesetzt, sondern gleichstromdurchflossene Elektromagnete, die mit einem Erregerstrom gespeist werden. Über die o. g. Netzelemente (Leitungen, Transformatoren) wird die Energie zum Verbraucher geleitet und dort in Nutzenergie (Kraft, Wärme, Licht) gewandelt. Die Größen X, R beschreiben analog zu den vorgenannten Aussagen die magnetischen Felder im Generator bzw. die Strom-Wärme Verluste in der Ständerwicklung des Generators. Speist der Generator elektrischen Strom in das Netz ein, ergibt sich ein innerer Spannungsabfall im Generator, d. h.. die Netzspannung U ist etwas geringer als die Quellspannung E (Bild 17.5).

Bild 17.5: Vereinfachtes Ersatzschaltbild (1ph bzw. 3 ph) eines Vollpol-Generators [17.1]

Neben der Wirkleistung P als Äquivalent zu Pmech muss der Generator im elektrischen System auch eine Blindleistung Q zur Verfügung stellen. Diese Blindleistung (induktiv oder kapazitiv) ist erforderlich, um die o. g. elektrischen und magnetischen Felder im elektrischen System mit Energie zu speisen. Je nachdem, ob im Netz mehr induktive oder kapazitive Blindleistung benötigt wird, kann die Polradspannung des Generators über das Erregerfeld so angepasst werden, dass der Phasen-winkel zwischen Netzspannung und Strom im weiten Bereich änderbar ist. Bild 17.6 zeigt einen Vollpol-Generator bei Betrieb an konstanter Turbinenleistung im untererregten Betrieb (Speisung kapazitiver Blindleistung ins Netz). Wird der Generator mit konstanter Wirkleistung betrieben, führt eine Veränderung der Polradspannung dazu, dass die Blindleistungsbereitstel-lung (Bild 17.7) variabel anpassbar ist. Bei konstanter Netzspannung führt die Veränderung der Polradspannung dazu, dass sich die Lage des inneren Spannungsabfalls im Generator verändern muss. Da die ohmschen Span-nungsabfälle im Vergleich zu den induktiven eher gering und damit vernachlässigbar sind, stehen die Vektoren für den inneren Spannungsabfall und die Generatorstrom immer senkrecht aufeinander. Dreht der Vektor des inneren Spannungsabfalles aufgrund der Änderung der Erregerspannung seine Lage, muss auch der Generatorstrom seine Lage verändern, was zu einer Veränderung der Phasenlage zwischen Generatorausgangsspannung und Generatorstrom führt, mit der Folge dass der Generator neben der Wirkleistung auch eine in der Menge und der Art angepasste Blindleistung in das Netz liefern kann.

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Bild 17.6: Generatorbetrieb am starren Netz mit konstanter Polrad-spannung im untererregten Betrieb

Bild 17.7: Generatorbetrieb bei konstanter Wirkleistung und veränderli-cher Polradspannung

Wichtig hierbei ist anzumerken, dass die Blindleistungsbereitstellung im heutigen Energiesys-tem nahezu ausschließlich durch die Synchrongeneratoren der Großkraftwerke übernommen wird. Durch regenerative Energieeinspeisungen aus Windkraft oder Photovoltaik werden zu-nehmend konventionelle Erzeugereinheiten aus dem System verdrängt. Dabei vergessen wird aber, dass EEG-Einspeisungen fast immer über sogenannte Frequenzumrichter erfolgen. Diese Umrichter sind überwiegend so gebaut, dass sie zwar Wirkleistung in das Netz einspeisen können, gleichzeitig aber induktive Blindleistung aus dem Netz benötigen. Diese müsste dann eigentlich von den Generatoren der Großkraftwerke bereitgestellt werden, was aber nur noch

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in reduziertem Maße möglich ist, da die konventionelle Erzeugung bei hoher EEG-Ein-speisung oftmals zurückgefahren werden muss. Der Vollständigkeit halber muss hier aber hinzugefügt werden, dass besonders moderne und leistungsstarke EEG-Anlagen in der Lage sind, in geringerem Umfang auch Blindleistung ins Netz einzuspeisen – die vielen kleinen, dezentralen oder älteren Anlagen werden aber in den kommenden Jahrzenten den Netzbetrieb im Bereich der Blindleistungsbereitstellung sehr erschweren. Aus den o.g. Ersatzschaltbilder wird auch ersichtlich, dass der Betrieb elektrischer Netze im-mer mit ohmschen Strom-Wärme Verlusten und mit Spannungsabfällen entlang den Leitungen und an Transformatoren verbunden ist. Strom-Wärme Verluste im Netz lassen sich nur durch die Erhöhung der Leitfähigkeit (andere Materialien) oder die Reduktion der Stromdichte (grö-ßere Leiterquerschnitte) verringern. Derartige Optimierungen wurden und werden bei der Netzplanung unter wirtschaftlichen Randbedingungen durchgeführt, d. h. die eingesparte Ki-lowatt-Stunde Verlustenergie wird mit dem dafür notwendigen Investment in Relation gesetzt. In der aktuellen, breiten öffentlichen Diskussion zur Energiewende geht dieses ingenieurwis-senschaftliche Grundverständnis manchmal jedoch in einer Effizienz-Euphorie unter. Da die Verluste gem. Pv = I2R ausschließlich stromgetrieben sind, ist es seit über 100 Jahren für die Übertragung bzw. Verteilung einer definierten Leistung P = U I ein wesentliches Planungskri-terium der Energietechnik, die Höhe der Spannung so anzupassen, dass der Strom auf der Leitung und damit die Verluste so klein als möglich werden.

Bild 17.8: Spannungsebenen im deutschen Elektro-Energie-System [17.4]

Entsprechend der jeweils zu übertragenden Leistung haben sich unterschiedliche Spannungs-ebenen herausgebildet. Bild 17.8 zeigt das System in Deutschland. Die oberste Spannungsebe-ne (380 kV) ist europaweit vernetzt, die unterlagerten Spannungsebenen haben in anderen europäischen Ländern teils auch andere Werte. Man kann diese aber immer in die Gruppen Niederspannung bis 1 kV Mittelspannung (1)….10 – 30… (70) kV

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Hochspannung (70)…110 – 170…(200) kV Höchstspannung 220 kV, 380 kV einteilen. Außerhalb Europas gibt es auch Spannungsebenen von z. B. 330 kV, 550 kV, 765 kV sowie Versuchsstrecken von 1000 kV und teils auch höher. Neben den eben beschrie-benen Drehstromsystemen gibt es vereinzelt auch Hochspannungsgleichstrom-Übertragung (HGÜ). Da bei Gleichspannung die Leitungskapazitäten nur einmal aufgeladen werden müs-sen, ist kein permanenter Transport von kapazitivem Blindstrom erforderlich. Auch gibt es keine Stromverdrängung im Leiter. Beides führt bei unverändertem Leiterquerschnitt zu gerin-geren Verlusten einer HGÜ-Leitung. Dieser Vorteil muss aber durch ein hohes Investment bei der Gleich- bzw. Wechselrichtung des Stromes am Ende der Leitung erkauft werden. In den zurückliegenden 30 Jahren wurden HGÜ-Leitungen immer nur dann errichtet, wenn sehr hohe Leistungen (einige 1000 MW) über sehr große Entfernungen (einige 1000 km) transportiert wurden. Fortschritte in der Halbleitertechnologie haben inzwischen dazu geführt, dass eine HGÜ bereits bei einigen 100 MW über einige 100 km wirtschaftlich sein kann. Eine generelle Rück-Umstellung des gesamten Energiesystems auf Gleichstrom ist jedoch nicht sinnvoll, da alle Elemente, die auf dem Induktionsgesetz beruhen (Synchrongeneratoren, Asynchronmoto-ren, Transformatoren) nicht mehr genutzt werden könnten und man auf die dezentralen, unver-netzten Strukturen des Jahrzehnts 1890-1900 zurückfallen würde, mit denen die elektrische Energieversorgung von 120 Jahren gestartet ist. Für die Beschreibung des gestörten Betriebs sind die Begriffe „n-1 Kriterium“, Unterspannung und Frequenzänderung wichtig. Das n-1 Kriterium besagt dabei, dass der fehlerbedingte Aus-fall eines Betriebsmittels nicht dazu führen darf, dass das Gesamtsystem gefährdet wird. Damit war dieses Planungskriterium eine der wesentlichsten Grundlagen für den Bau des existieren-den Energiesystems. Durch den massiven Zubau von EEG-Einspeisungen in den zurücklie-genden Jahren bei gleichzeitiger Stagnation des dafür erforderlichen Netzausbaues sind heute viele Verteilnetze in Zeiten hoher EEG-Einspeisung nicht mehr zu jeder Zeit n-1 sicher. Kommt es auf Leitungen, in Transformatoren oder Schaltanlagen z. B. zu einem 3-poligen Kurzschluss, steigt der Strom auf ein Vielfaches des Nennstromes an. Dieser Kurzschlussstrom wird von automatischen Schutzeinrichtungen erfasst und in 100 – 500 ms abgeschaltet. Wäh-rend dieser Kurzschlussdauer bricht die Spannung aber im Umfeld der Fehlerortes zusammen. Auch in weiter entfernt liegenden Netzteilen ist ein Absinken der Spannung festzustellen. Sinken diese Spannungswerte unter 85 % der Netznennspannung, kann es zur Auslösung wei-terer Betriebsmittel durch Unterspannung kommen. Dies kann auch in hohem Maße viele klei-ne, dezentrale EEG-Anlagen betreffen. Bereits vor vielen Jahren wurde von der DENA (Deutsche Energie Agentur) veröffentlicht, dass ein Kurzschluss an ungünstigen Stellen im 380 kV Netz dazu führen kann, dass es zur großflächigen Unterschreitung des 85%-Spannungskriteriums kommt und u. a. EEG-Einspeiseleistung von 2.500-3.000 MW schlagartig ausfällt, sofern diese gerade z. B. bei Starkwind einspeist. Dies wiederum würde zu einer nicht tolerierbaren Frequenzschwankung führen, was zu großflächigen Versorgungsausfällen in Europa führen kann. Bild 17.9 zeigt eine Simulation aus der DENA-Netzstudie 1, bei der ein Kurzschluss im der 380 kV-Schaltanlage in Wolmirstedt angenommen wurde. Im unterlegten Bereich würde die Spannung unter 85 % absinken und regenerative Erzeugeranlagen mit einer installierten Leistung von bis zu 2600 MW vom Netz getrennt werden.

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Bild 17.9: Simulierte Spannungseinsenkung unter 85 % Nennspannung beim Kurzschluss in der 380-kV-Schaltanlage Wolmirstedt [17.11]

17.1.2 Netzbetrieb vor Liberalisierung des Strommarktes Ausgehend von den dezentralen Strukturen der beginnenden Stromversorgung um das Jahr 1900 wurden bereits sehr früh die Vorteile einer stärkeren Vernetzung auf die Reservehaltung (und damit die Kosten) und die Versorgungssicherheit erkannt. Bereits 1910 errichtete man die erste 110-kV-Verbindung Europas zwischen Lauchhammer und Riesa im Dreieck Dresden-Leipzig-Cottbus (Photos in Bild 17.10). Der letzte verbliebene Mast dieser Leitung steht am Zentrum für Energietechnik der BTU in Cottbus. Beginnend ab dem Jahr 1930 wurde das 220 kV-Netz in Deutschland aufgebaut, das mit Inbe-triebnahme sehr großer Kraftwerksstandort ab 1960 um das 380 kV-Netz ergänzt wurde. Pla-nungsgrundsatz für die Positionierung der Groß-Kraftwerke und der erforderlichen Netzstruk-tur waren neben der möglichen Nähe zu den Primärressourcen vor allem die Nähe zur Strom-abnahme. Kraftwerks- und Lastzentren liegen in der bisherigen Struktur im Abstand von 50–300 km. Diese verbrauchernahe und damit verlustarme Erzeugung ist im Rahmen der Ener-giewende nicht mehr machbar. Aufgrund des günstigen Winddargebots überwiegend in der strukturschwachen norddeutschen Tiefebene und der damit verbundenen, dortigen massiven

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EEG-Überinstallation müssen nun die Netze so umgebaut werden, dass Leistungsflüsse in Größenordnung über 1000-2000 km in die Lastzentren im Süden Deutschlands möglich sind. Durch den gesetzlichen Versorgungsauftrag bildeten sich in Deutschland diverse Energiever-sorgungsunternehmen (EVU) heraus, die in einem quasi geschlossenen Versorgungsgebiet eigene Kraftwerke und Netze (sogenannte Regelzonen) betrieben, die auf die Nachfrage im jeweiligen Gebiet zugeschnitten waren und innerhalb derer alle physikalischen Parameter wie Frequenz, Spannung, Wirk- und Blindleistung eigenverantwortlich optimiert und geführt wur-den. Durch das europäische Verbundnetz gab es auf der 380 kV-Ebene jeweils diverse Kup-pelleitungen, die von ihrer Leistungsfähigkeit aber durch Ausfall-Szenarien dimensioniert werden, d. h. sie wurden in der Regel auf einen möglichen Austausch von einer Regelzone zur benachbarten von bis zu 3.000 MW im Falle einer Großstörung ausgelegt.

Bild 17.10: Erste 110 kV-Leitung Europas (1910) von Lauchhammer nach Riesa [17.6]: Mast (links) bzw. Kreuzungsbauwerk mit Bahnstrecke (rechts)

Für einen sicheren Systembetrieb wurde in jeder Regelzone ein Kraftwerkspark bestehend aus – Grundlastkraftwerken (Kernenergie, Laufwasser, Braun- teils auch Steinkohle) mit quasi

24h/d Vollastbetrieb – Mittellastkraftwerke mit überwiegendem Betrieb von 5–20 Uhr – Spitzenlastkraftwerke (Pumpspeicher, Gasturbinen) zum Ausgleich nicht planbarer kurz-

zeitiger Lastschwankungen aufgebaut. Aufgrund langjährig erprobter Verfahren zur Abnahmeprognose und einem konse-quent angewandten n-1 Kriterium konnte in Deutschland eine höchst zuverlässige Stromver-sorgung mit einer Nichtverfügbarkeit von durchschnittlich 12 min/a errichtet werden. Dieser

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Wert ist inzwischen zwar auf ca. 15 min/a angestiegen, liegt aber weit unter den Werten ande-rer europäischer Länder, die teilweise bis zu 120 min/a aufweisen.

17.1.3 Netzbetrieb nach Liberalisierung des Strommarktes Grundgedanke für die Liberalisierung des Strommarktes war, dass sich der Preis für „Elektro-energie als Handelsware“ am Markt bilden soll, was zu einer Reduzierung der Strompreise führen sollte (Kapitel 19). Somit wurden die Erzeuger aus den o.g. EVUs von den Netzbetrei-bern getrennt (un-bundling). Existierende und neue Betreiber von konventionellen Erzeu-gungsanlagen können ihre „Ware“ auf dem Markt anbieten, auf dem sich dann auch der Preis bildet. Von dieser marktwirtschaftlichen Preisbildung aber ausgenommen sind EEG-Anlagen, die mit Vorrang und zum Festpreis in das Netz einspeisen dürfen. Die Netzbetreiber haben somit einerseits die „Dienstleistungsfunktion“ der Energietransporteurs, andererseits müssen sie zumindest im Übertragungsnetz die Stabilität des Gesamtsystems gewährleisten, haben aber dafür keinerlei technische Assets, sondern müssen sich Leistung zum Ausregeln von Defiziten an der Börse kaufen. Die eingangs genannte volkswirtschaftlich simple Grundidee hat aber vernachlässigt, dass dieser Handel, d. h. der Stromtransport den physikalischen Grundregeln folgen muss und Anforderungen an die technische Infrastruktur stellt, für die diese nicht ge-plant und gebaut wurde. Insofern wird der freie Stromhandel auch 15 Jahre nach Einführung des liberalisierten Strommarktes nach wie vor durch erhebliche Netzengpässe behindert, die allerdings ihre Ursachen im Vorrang für erneuerbare Energie nach EEG haben. Auch wurde bei der Einführung des liberalisierten Marktes nicht ausreichend berücksichtigt, dass Strom großtechnisch nicht ausreichend gespeichert werden kann (Kapitel 18) und somit keine Han-delsware im volkswirtschaftlichen Grundverständnis ist, die man einlagern oder bei Waren-termingeschäften auf den Weltmeeren solange im Kreis fahren lässt, bis der Preis auf irgendei-nem Markt gerade passt.

Bild 17.11: Entwicklung und Zusammensetzung der Strompreise für Haushaltkunden [17.10]

Aus Bild 17.11 ist ersichtlich, dass die strompreissenkende Wirkung des liberalisierten Mark-tes nur sehr kurz nach dessen Einführung aufgetreten ist. Danach kam es durch notwendige

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technische Maßnahmen, aber vor allem durch zusätzliche Steuern, Abgaben und Umlagen zu einem erheblichen Anstieg des Strompreises, der in den kommenden Jahren durch den erfor-derlichen Netzum- und Netzausbau sowie die erforderlichen Speicher noch wesentlich stärker ansteigen wird. Neben den rein wirtschaftlichen Auswirkungen hat die sofortige und vollständige Öffnung des Strommarktes auch zu Friktionen im Bereich der Netze geführt, die über die vorgenannten Engpässe bei Stromtransport hinausgehen. Im liberalisierten Markt kann jeder Erzeuger euro-paweit Lieferverträge mit jedem Kunden abschließen und speist dann die vereinbarte Leistung gemäß eines Fahrplans in 15 min-Schritten in das Netz ein. Somit kommt es in den Netzen z. B. der 50 Hz-Transmission (50 Hz-Transmissions GmbH/50 Hz-T unterhält das 380/220-Kilovolt-Übertragungsnetz im Norden und Osten Deutschlands mit einer Länge von 9.840 km), Amprion (Amprion GmbH ist ein Übertragungsnetzbetreiber in Europa und be-treibt ein Höchstspannungsnetz mit 11.000 Kilometern), TenneT (TenneT TSO GmbH betreibt in Deutschland ein Höchstspannungsnetz mit einer Gesamtlänge von rund 10.700 Kilometern) zu erheblichen Leistungstransiten, deren Höhe nicht überall und vollumfänglich bekannt sind. Der Black-Out in Italien in 2003 war darauf zurück zu führen, dass die Betreiber der norditali-enischen Pumpspeicher besonders günstigen Strom in Nordeuropa eingekauft haben, obwohl das regionale Netz aus der Zeit vor der Liberalisierung darauf geplant war, dass die Pumpspei-cherleistung von Süden aus Italien heraus beschafft wird. Die physikalischen Stromflüsse der „volkswirtschaftlichen Handelsware Strom“ haben damit in der Schweiz dazu geführt, dass drei 380 kV Leitungen nach Nord-Italien überlastet und automatisch abgeschaltet wurden. Zwar wurde die sich ankündigende Leitungsüberlastung im Schweizer Netzgebiet nach Italien weitergegeben, die Dynamik der Störfall-Entwicklung wurde aber von allen Beteiligten unter-schätzt und automatisch arbeitende Systeme, wie z. B. Unterfrequenz-Relais zum automati-schen Lastabwurf reagierten nicht in der geplanten Form. Damit wurde Italien nahezu komplett aus dem europäischen Verbundnetz heraus getrennt und es kam zu einem massiven Ungleich-gewicht von Erzeugung und Verbrauch. Da auch die für einen solchen Fall vorgesehenen au-tomatischen Lastabwurfsysteme nicht nach dem Stand der Technik eingestellt waren, brach das gesamte Energiesystem zusammen und ca. 57 Millionen Kunden waren bis zu 2 Tagen von der Versorgung getrennt. Der Auslöser für den ersten europaweit flächigeren Versorgungsausfall im November 2006 war die schon oftmals praktizierte Abschaltung einer 380 kV Leitung über die Ems aufgrund einer Schiffsquerung. Durchgeführte Leistungsflussberechnungen im betroffenen Übertra-gungsnetz mit/ohne besagte Leitung zeigten die Risikofreiheit besagter Schalthandlung. Kenn-zeichnend für den damaligen Netzbetrieb war eine Handelssituation in Europa von Nord-Ost nach Süd-West bei gleichzeitig nennenswerter Windeinspeisung im Nordwesten von Deutsch-land. Etwa 20 min nach der problemlosen Abschaltung der 380 kV Leitung kam es zu signifi-kanten Veränderungen sowohl in der Handelssituation, als auch bei der Windeinspeisung. Beides hatte dazu geführt, dass die südlich der Ems gelegenen 380 kV Leitungen mit Ost-West Ausrichtung überlastet wurden, nacheinander abgeschaltet wurden und Europa netztechnisch entlang einer Linie Ems-Adria getrennt wurde. Unter Berücksichtigung der Leistungsflüsse aufgrund der veränderten Einspeise-Situation hätten die Modellrechnungen zweifelsohne erge-ben, dass die erstgenannte Leitung nicht hätte abgeschaltet werden dürfen – diese nicht prog-nostizierbaren Änderungen konnten aber in den Entscheidungsprozess vor Schalthandlung nicht einfließen.

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17.1.4 Netzbetrieb bei hohem Anteil von EEG-Einspeisungen Getrieben durch die besonders günstigen Bedingungen in der norddeutschen Tiefebene hat sich die Errichtung von Windkraftanlagen als Hauptanteil regenerativer Erzeugungsanlagen in Deutschland sehr ungleichmäßig vollzogen. Mit dem Datenbestand von 2008 kann man drei signifikant unterschiedliche Gebiete identifizieren. Im Süden ist nahezu keine Windenergie-Einspeisung feststellbar. Jedoch lebt dort knapp 30 % der deutschen Bevölkerung, bei gleich-zeitig hoher Dichte industrieller Verbaucher. Somit ergeben sich dort auf absehbare Zeit keine signifikanten Einflüsse auf die Stromversorgung aufgrund regionaler Windenergie-Einspeisungen. Im Nord-Westen ist mit 55 % der höchste Anteil der deutschen Windenergie-einspeisung zu finden. Allerdings gibt es mit einem Bevölkerungsanteil von 52 % und dem Ruhrgebiet als große Industrieregion auch eine starke Nachfrageseite. Insofern ist der System-betrieb temporär hier sicherlich angespannt. Im Nord-Osten Deutschlands ist die Situation allerdings viel dramatischer. Einem Windenergieanteil von 42 % stehen ein Bevölkerungsan-teil von nur 20 % und eine sehr geringe Dichte industrieller Verbraucher gegenüber. Die Folge ist ein hoher Anteil regenerativer Energie im Netz und viele Tage mit regenerativer Über-schuss-Einspeisung, wie in Bild 17.12 zu sehen ist.

Bild 17.12: Einspeisung im Netzgebiet von 50 Hertz-Transmission (links) bzw. e-on edis (unten) [17.5]

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17.1 Elektrische Netze 399

Von ursprünglich 13 GW Erzeugerleistung in der Fläche wuchs diese auf heute 35 GW mit einer Prognose auf 60-70 GW in 2030, bei gleichzeitig im günstigsten Fall konstanter Nach-frage von 4-11 GW (Daten für 50 Hz-T ohne Vattenfall Europe Distribution). Eine ähnliche Situation sieht man auch in den regionalen Verteilnetzen von z. B. e-on edis bzw. Mitnetz-Strom. In beiden Netzen liegt der Anteil von regenerativem Strom, bezogen auf die Stromhan-delsmenge im jeweiligen Netz, bei 60-70 %, ein Wert der im Rahmen der Energiewende für Gesamtdeutschland ausgehend von heute mit 17 % bis 2050 angestrebt wird. Da es auch 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung nach wie vor nur drei Kuppelleitungen nach Westen und Süden gibt und auch die Verbindung nach Polen nicht besonders leistungsstark ist, ist das Netzgebiet der 50 Hz-T geradezu prädestiniert, Lösungen für einen Systembetrieb mit extrem hohem Anteil regenerativer Erzeuger zu entwickeln und erproben. Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich somit auf dieses Netzgebiet.

Bild 17.13: Anzahl der Eingreiftage mit Maßnahmen gemäß EnWG bei 50 Hz-Transmission [17.7]

Bereits in den zurückliegenden Jahren mussten von 50 Hz-T an etwa 200 Tagen im Jahr Zwangsmaßnahmen nach EnWG § 13 (1) angeordnet werden, um den sicheren Systembetrieb zu gewährleisten. Hierbei handelt es sich meist um Re-Dispatch-Maßnahmen (Bild 17.13). In 2011 musste erstmals massiv EEG-Einspeisung im 400 kV-Netz abgeschaltet werden. Dies war in den Vorjahren bislang nur gemäß EnWG §14 im Verteilnetz notwendig. Es gab Phasen, an denen die marktwirtschaftliche Preisbildung an der Börse völlig versagte. Durch temporäre massive Überangebote aus regenerativen Quellen gab es teilweise negative Preise von -5€/kWh, was zum sofortigen Aussetzen des Handels führte. Auch hieraus wird nochmals deut-lich, dass die volkswirtschaftliche Grundidee des freien Handels von lagerfähigen und welt-weit einfach distributierbaren Gütern bei Strom erst dann funktionieren kann, wenn – das Stromnetz diese „Distributierbarkeit“ europaweit ohne nennenswerte Einschränkungen

ermöglicht und/oder – Elektroenergie mit einem Volumen speicherbar sein wird, das die heutigen Speicherkapazi-

täten in Deutschland um das 20-50-fache übersteigt.

17.1.5 Netzbetrieb bei hohem Anteil von Elektromobilität Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Anteil von Elektrofahrzeugen in Deutschland in den kommenden Jahren signifikant zu erhöhen. Die mit der Weltwirtschaftskrise 2008 und den nachfolgenden Konjunkturprogrammen verbundenen Erwartungshaltung einer raschen Markt-akzeptanz von reinen Elektrofahrzeugen hat sich bislang nicht erfüllt, im Wesentlichen erklär-bar durch die nach wie vor hohen Kosten und geringen Energiedichten der Batterien. Am Markt langsam sichtbar sind Mild-Hybrid-Fahrzeuge, die mit einem Elektromotor kleiner Leis-tung in Verbindung mit einer geringen Batteriekapazität nur den hohen Verbrauch des Ver-

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brennungsmotor in der Beschleunigungsphase reduzieren und beim Bremsen Energie zurück gewinnen können (siehe Abschnitt 8.6). Diese Fahrzeuge haben keinerlei Kontakt zur Strom-versorgung und somit keine Netzrelevanz. Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge oder E-Fahrzeuge mit Range-Extender verfügen über eine Batterie mit 5-15 kWh, die eine E-Fahrfähigkeit von 30-50 km erlaubt und verfügen über eine Netzladefähigkeit. Reine Elektrofahrzeuge sind heute von wenigen Anbietern nur als reine City-Fahrzeuge mit einer Batterie von 20-30 kWh und einer Reichweite von ca. 100-150 km verfügbar. Für eine einfache Abschätzung der Auswirkungen von Elektromobilität auf das Netz wird von einer Batteriegröße von 20 kWh ausgegangen, die als Mischwert für Plug-In-Hybrid und City-E-Cars in den kommenden 20 Jahren angesetzt werden kann. Der gemischte spezifische Ener-gieverbrauch aus dem Netz könnte 10 kWh/ 100 km betragen. Unterstellt man eine durch-schnittliche Laufleistung von 10- 15.000 km/a und einen Anteil von 5/ 10/ 20 % Elektro- bzw. Plug-In Hybridfahrzeuge an deutschen Gesamtbestand von 50 Mio. Fahrzeugen würde eine Ladeenergie von 2,5/ 5/ 10 TWh benötigt – verglichen mit den ca. 500 TWh Gesamtverbrauch in Deutschland eine marginale Größe. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die scheinbare Bedeutungslosigkeit von Elektromobilität aus Sicht der im nationalen Rahmen notwendigen ENERGIE auf lokaler Ebene in Ballungsgebieten zu erheblichen Schwierigkeiten bei der LEISTUNG führen kann. Würde o.g. Anteil von 5 /10 /20 % E-Fahrzeuge in einer Mittelstadt wie Cottbus mit 100.000 Einwohnern und geschätzt 40.000 Fahrzeugen mit Schnell-Ladestationen mit 20 kW-Anschlußleistung z. B. in den Abendstunden geladen, würde dies zu einer kumulierten Ladeleistung von 8 /16 /32 MW führen. In Bild 17.14 ist beispielhaft die Verschiebung der „Abendspitze“ in einem Verteilnetz für eine wachsende Zahl an Elektro-fahrzeugen dargestellt.

Bild 17.14: Tageslastgang in einem Wohngebiet ohne bzw. mit unterschiedlicher Durchdringung von Elektromobilität [17.8]

Bei einer Höchstlast in Cottbus von 60 MW ist dies eine unter Berücksichtigung von Gleich-zeitigkeitsfaktoren durchaus kritische Größe, aus der ersichtlich wird, dass Elektromobilität eine Optimierungsaufgabe der Ladevorgänge in der untersten Spannungsebene bedingt.

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17.1 Elektrische Netze 401

17.1.6 Zukünftige Herausforderungen für den Netzbetrieb: Netzausbau Der für Deutschland erforderliche Netzausbau wurde erstmals in der DENA 1 Studie [17.11] von 2004 umfassend untersucht. Auf Basis der damals verfügbaren Daten und Prognosemo-delle für die Entwicklung der erneuerbaren Energien im Strombereich wurde für Deutschland in Summe ein Neubaubedarf von ca. 900 km im 380 kV Netz ermittelt. Aussagen zum Aus-baubedarf der unterlagerten 110 kV-Verteilnetze wurden von der DENA nicht gemacht. Diese Notwendigkeiten in den 110 kV-Netzen wurden in diversen Regional-Studien analysiert, die in der Regel von den jeweiligen Bundesländern beauftragt wurden. Beispielhaft sollen hier die Ergebnisse zur Netzintegration erneuerbarer Energien im Land Brandenburg [17.9] vorge-stellt werden. Aus Basis der Datenstandes 1/2007 für die EEG-Anlagen in Brandenburg wur-den Modelle für den Prognosestand 2020 entwickelt, die 7000 MW Windkraftanlagen, ein marginaler Anteil Photovoltaik, 575 MW Biomasse/-gas und eine ebenfalls vernachlässigbare Leistung aus Wasserkraft erwarten ließen. Darauf aufbauend wurde dann die regionale Zuord-nung dieser EEG-Anlagen auf die in den Regionen verfügbaren Netzknoten ermittelt und bis Mitte 2008 das Netzkonzeptes Brandenburg 2020 entwickelt. Dieser Planungsteil wurde in enger Abstimmung mit den brandenburgischen Netzbetreibern durchgeführt. Im Ergebnis zeigt sich, dass für das Land Brandenburg ca. 1.200 km neue 110 kV-Leitungen erforderlich sein werden, davon ca. 800 km neue Leitung auf neuer Trasse und 400 km neue Leitung auf vor-handener Trasse. Ferner wären 300-600 km zusätzliche 380 kV Leitung erforderlich, während die DENA-1-Studie nur 900 km für ganz Deutschland ausgewiesen hatte. Die große Schwan-kungsbreite für den Ausbaubedarf im 380 kV Bereich war auf eine damals unklare Situation zurückzuführen, ob in Zeiten regenerativer Überschüsse auch die polnisch, tschechisch, slo-wakischen Netze zur Leistungsabführung nach Süden in Anspruch genommen werden könn-ten. 2010 wurde die DENA-2-Netzstudie [17.12] veröffentlicht, die nun zu den ursprünglich ge-nannten 900 km noch weitere 3.600 km, d. h. in Summe 4.500 km Neubauleitungen in Deutschland identifiziert hat. Ausgelöst durch ein massives und nicht vorhersehbares Anwachsen von Photovoltaik(PV)-Anlagen in 2009/10 wurde auch die Brandenburg-Studie aktualisiert und Mitte 2011 vorge-stellt [17.13]. Neben einem Anstieg der möglichen Windleistung von 7.000 MW auf 9.400 MW wurden nun auch PV-Anlagen auf Konversionsflächen mit 3100 MW bzw. auf innerstädtischen Hausdächern mit 1500 MW berücksichtigt. Ferner wurden an der polnischen Grenze Schrägregel-Transformatoren gebaut. Mit diesen Transformatoren kann die Transitleis-tung auf Kuppelleitung bis auf Null reduziert werden. Damit kann das polnische Netz in Zeiten regenerativer Überschüsse in Ostdeutschland nicht mehr zur Leistungsabführung nach Süden genutzt werden. Der Ausbaubedarf der Netze beträgt somit für das Land Brandenburg ca. 600 km im 380 kV Bereich, sowie 2.100 km im 110 kV Bereich. Unmittelbar zeitlich mit der Vorstellung der aktualisierten Brandenburg-Studie fiel die Ände-rung des EnWG zusammen, nach der nun der Leitungsbau bis 110 kV in Kabeltechnik auszu-führen ist, sofern die Projektkosten nicht mehr als das 2,75-fache einer Freileitungsausführung sind. Diese politische Entscheidung wurde ausschließlich unter dem Blickwinkel einer erhoff-ten höheren Akzeptanz für den Leitungsbau getroffen, ohne zu berücksichtigen, dass Netze mit hohem Kabelanteil – sich einerseits betrieblich anders verhalten, – eine andere Netzplanung erfordern und

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– vor allem außer den höheren Errichtungskosten für die eigentliche Leitungstrasse auch diverse Umrüstungen, z. B. in der Schutztechnik bzw. zusätzliche Netzkomponenten zur Blindleistungsbereitstellung benötigen.

17.1.7 Speicherung und steuerbare Lasten: Aktuelle Situation und Ausblick Anhand der Einspeisesituation während des Sturmtiefs Xynthia aus 2010 soll eingangs ein erster Eindruck vermittelt werden, welche Speicherkapazität bereits heute in der Regelzone von 50 Hz-T erforderlich sind. Nachfolgendes Bild 17.15 zeigt die Leistung im 380 kV-Netz, sowie die vertikale Netzlast in die unterlagerten 110 kV-Netze. Die letztgenannte Vertikallast (Zeitpunkt 1) ist etwas geringer, als die Gesamtleistung im Netz, was auf etwas horizontale Transite im Netz schließen lässt. Beim Eintreffen des Sturmtief steigt die regenerative Erzeu-gung in den Verteilnetzen, was dazu führt, dass die vertikale Einspeisung aus der 380 kV-Leitung zurückgeht und die konventionelle Erzeugung eingesenkt wird. Zum Zeitpunkt 2 wird so viel EEG-Erzeugung eingespeist, dass alle Verbraucher regenerativ versorgt werden. Da-nach steigt die regenerative Erzeugung weiter an und die Überschüsse werden in das 380 kV-Netz zurückgespeist. Für die gesamte Leistung zwischen den Zeitpunkten 2 bzw. 3 gibt es im Netzgebiet keine Abnehmer mehr, d. h. diese Energie muss entweder abtransportiert, abge-schaltet oder eingespeichert werden. Durch Integration des Kurvenzuges ergibt sich eine Über-schussenergie von in diesem Fall 230 GWh. Auch andere Beispiele zeigen Werte zwischen 200-250 GWh. Das ist mehr als das 10-fache der heute verfügbaren Speicherkapazität in der Regelzone von 50 Hz-T mit ca. 20 GWh (= 50 % der gesamtdeutschen Speicherkapazität).

Insofern muss die Auswahl möglicher zukünftiger Speicherelemente im Netz unter dem besonderen Blickwinkel besonders hoher Speicherkapazität und hoher Dynamik der Speicher stehen.

Bild 17.15: Sturmtief XYNTHIA, 2010, Windeinspeisung und verti-kale Last im Netz 50 Hz-T [17.5]

Grundsätzlich eignen sich die in nachfolgenden Kapiteln beschriebenen Pumpspeicher-Kraftwerke in besonderer Weise. Mit Speicherkapazitäten von 5-10 GWh und hohen Anfahr-geschwindigkeiten eigentlich ein idealer Speicher, der allerdings besondere geologische For-mationen erfordert und gerade in der norddeutschen Tiefebene nicht überall und unter der Blickwinkel der z. B. für Nord-Ostdeutschland notwendigen ca. 200 GWh auch von der Men-ge nur schwer zu realisieren sind. Auch Druckgasspeicher erfordern Salzstöcke zum Bau der

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17.1 Elektrische Netze 403

notwendigen Kavernen und sind mit Baugrößen von 1–2 GWh schwerlich in ausreichender Menge zu realisieren. Stationäre Batterieanlagen bewegen sich heute noch in der Leistungs-klasse von bis zu 50 MWh, d. h. 0,05 GWh (siehe Kapitel 18). Ob sich mobile Batterien z. B. in Elektrofahrzeugen als Speicher nutzen lassen, wird in diversen Pilotprojekten untersucht. So werden z. B. im Projekt e-SolCar als Leitprojekt [17.14] der Länder Berlin und Brandenburg ca. 50 Elektrofahrzeuge in 2012-2014 auf die Straßen gebracht, die Fahrzeugtechnik von rei-nem Ladebetrieb auf Lade-/Rückspeisebetrieb umgebaut und eine Kommunikation mit der Netzleitstelle hergestellt. Hierüber sollen verfügbare Speicherkapazitäten nach den Erforder-nissen des Netzes abgerufen werden, wobei selbstverständlich der Fahrzeugnutzer vorgibt, wann er sein Fahrzeug mit welchem Ladezustand wieder übernehmen will. Auch die aktuelle Auslastung der vorgelagerten Niederspannungsnetze wird überprüft, um zu verhindern, dass z. B. der Regelzonenbetreiber einen Speichereinsatz aufruft, der zu Überlastungen in den Zulei-tungen zu den Ladesäulen führen würde. Anhand einfacher Modellabschätzungen ist jedoch nachvollziehbar, dass selbst bei einer extremen Verbreitung von Elektrofahrzeugen die bereits heute schon notwendige Speicherkapazität nicht erreicht werden wird. Um z. B. die heute in der Regelzone von 50 Hz-T auftretenden Überschüsse von 200 GWh einzuspeichern, müssten alle Fahrzeuge in dieser Regelzone (ca. 8-10 Mio) elektrisch fahren, jedes Fahrzeug eine elekt-rische Reichweite von ca. 500 km (Batterie 100 kWh) haben, die Hälfte der Fahrzeuge immer an Ladesäulen stehen und deren Batterie jeweils zu 50 % geladen sein. Trotz dieser sehr un-günstigen Abschätzung darf aber nicht übersehen werden, dass derartige Fahrzeug-Batterien im 1–3 Stunden Bereich sehr effektiv eingesetzt werden können, um so den konventionellen Erzeugereinheiten die notwendige Zeit zu verschaffen, sich auf Veränderungen der EEG-Einspeisung einzustellen, wodurch ein signifikanter Beitrag zur Erhöhung der Systemstabilität geleistet werden würde. Ebenfalls sehr effektiv eingesetzt werden könnten steuerbare Lasten, sofern diese die notwen-digen Leistungswerte erreichen. Über SMART-Meter Applikationen (siehe Kapitel 19) wird derzeit verstärkt der Haushaltsbereich angesprochen. Viel wirksamer scheint es, regenerative Überschüsse für die Wärmeversorgung zu nutzen, zumal diese Überschüsse oft durch Wind-energie im Winterhalbjahr erzeugt werden. Derartige Power-to-heat-Anlagen sind unverständ-licherweise kaum in Nutzung, werden aber im SMART Grid, Abschnitt 17.1.9, näher unter-sucht. Technisch aufwändiger, aber von der Leistungsklasse ähnlich wie die Wärmenutzung ist die Wandlung von regenerativen Überschüssen über Elektrolyse in Wasserstoff. Dieser könnte in einer Wasserstoff-getriebenen Mobilität genutzt werden, sofern H2-Verbrennungsmotoren oder Brennstoffzellen als Range-Extender für Elektrofahrzeuge stärker auf den Markt kämen. Grundsätzlich kann der Wasserstoff über eine weitere Wandlungsstufe zusammen mit CO2 in Methan gewandelt werden und in das Gasnetz eingespeist werden. Auch eine Direkteinspei-sung von 5–15 % Wasserstoff in das Gasnetz wird für möglich gehalten. Eine Zwischenspei-cherung des Wasserstoffs mit anschließender Rückverstromung ist zwar grundsätzlich denk-bar, wird aber als zu aufwändig betrachtet. Die vorstehenden Ausführungen sollten verdeutlich haben, dass die Bereitstellung ausreichen-der Speicherkapazitäten weit mehr als 20 Jahre benötigen wird und somit kein Ersatz für den dringend notwendigen Netzum- und -ausbau sein kann. Da auch dieser erheblich stagniert, gibt es politische Diskussionen darüber, ob neben dem sowieso schon praktizierten Androsseln bzw. Abschalten von EEG-Leistung nach EnWG §13/14 auch das Drosseln der Neu-Installationen im EEG-Bereich durch Reduktion der Förderung sinnvoll ist. Erste Schritte der

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Politik in diese Richtung wurden mit Absenkungen der Förderung für Photovoltaik-Anlagen in den Jahren 2011 und 2012 umgesetzt.

17.1.8 Training des Operativpersonals Ungeachtet dessen, welche Schritte die Politik in den kommenden Jahren zur Umsetzung der Energiewende noch einschlagen wird, befindet sich das Netz bereits heute zeitweise in einem äußerst angespannten Betriebszustand. Dies erfordert vom verantwortlichen Operativpersonal in den Leitwarten neben der selbstverständlichen Professionalität auch eine erhebliche Stress-resistenz. Oftmals müssen wesentliche Entscheidungen in immer kürzer werdenden Entschei-dungszeiträumen getroffen werden und das bei gleichzeitig sich immer schneller ändernden Netzzuständen.

Bild 17.16: Europäisches Trainingszentrum für Systemsicherheit der Fa. GridLab in Cottbus

Um derartige Stresssituationen in einer komplexen Größenordnung in „Echt-Zeit-Feeling“ zu üben, wurde von 50 Hertz-Transmission in Cottbus (Bild 17.16) ein Trainingszentrum errich-tet, das europaweit zu den leistungsfähigsten zählt. Bis zu 10 Netzbetreiber können hier ge-meinsam die Betriebsführung bei kritischen Netzzuständen trainieren. Die wesentlichen Unter-scheidungsmerkmale zu anderen Trainingszentren ist einerseits, dass der Übende alle Darstel-lungen auf den Displays in einer Form sieht, wie diese auch auf dem Leitsystem seiner eigenen Warte erscheinen und andererseits die Reaktion des Systems auf Eingaben der Übenden bzw. des Trainers in ca. 2-3 s quasi in Echtzeit erfolgen.

17.1.9 Der Beitrag von Hybrid- oder virtuellen Kraftwerken bzw. SMART- oder Micro-Grids

Im Rahmen der zunehmenden Einspeisung regenerativer Energien und den sich mehr und mehr abzeichnenden Rückwirkungen dieser fluktuierenden Erzeugung auf den Netzbetrieb wurden diverse Modelle entwickelt, die EEG-Einspeisung netzverträglicher zu gestalten. Hier-für werden diverse neue Begriffe verwendet. Dabei ergeben sich sehr unterschiedliche Aus-wirkungen auf den Netzbetrieb. In einem Hybrid-Kraftwerk, gelegentlich auch Kombi-Kraftwerk (nicht zu verwechseln mit GuD-Kraftwerken von Kapitel 7) genannt, werden unterschiedliche regenerative Erzeuger (Bild 17.17) so kombiniert, dass sich insgesamt eine gleichmäßigere Einspeisung ergibt. Wich-

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17.1 Elektrische Netze 405

tig ist dabei, dass die elektrische Zusammenschaltung über ein betreibereigenes Stromnetz erfolgt und nur an einem definierten Punkt die Einspeisung des Summensignales in das Netz der öffentlichen Versorgung erfolgt. Damit sind Hybridkraftwerke immer räumlich kon-zentrierte Erzeugereinheiten, die maximal die Größe eines Landkreises erreichen.

Bild 17.17: Hybrid-Kraftwerk zur Nutzung lokaler regenerativer Quellen als Konzept (links) [17.9] bzw. als erste 6 MW-Pilotanlage (rechts)

In der Netzstudie für das Land Brandenburg [17.9] aus 2008 wurde ein solches Hybridkraft-werk in der Leistungsklasse 500-1000 MW im Landkreis Uckermark untersucht. Diese Kon-zeption wurde im Wesentlichen durch die Fa. Enertrag AG getrieben, die einen großen Wind-park (ca. 300 MW) sowie ein eigenes 110 kV Einsammelnetz unterhält. Die Gestehungskosten einer solchen Lösung wurden damals mit 15-20 Cent/kWh ermittelt. Inzwischen wurde eine 6 MW Pilotanlage von Fa. Enertrag errichtet. Wesentliches Kennzeichen eines Hybrid-Kraftwerkes ist neben der Einspeisemöglichkeit in das Stromnetz auch die Einspeisung in mindestens ein weiteres System möglich, über das ungeplante Leistungsschwankungen ausgeglichen werden können. Im gezeigten Beispiel Bild 17.17 wird dies durch die Wandlung von regenerativer Überschusserzeugung im Wasserstoff (ggf. erweitert um eine Methanisierungsstufe) und dessen Einspeisung in das Gasnetz gezeigt. Aus dem Gasnetz heraus kann bei regenerativer Unterdeckung auch zumindest eine Teilrück-verstromung ermöglicht werden. Aus Bild 17.18 wird aber auch deutlich, dass die oft in der Presse und Politik zitierte „Grundlastfähigkeit“ regenerativer Erzeugung technisch eher unsin-nig ist, da hierfür außerordentlich große Speicher erforderlich wären, die auch saisonale Ein-speiseschwankungen ausgleichen können. Neuere Studien haben für z. B. für eine regenerative Vollversorgung für Berlin und Brandenburg einen Speicherbedarf von 800 GWh ermittelt. Im Bild 17.18 wurde ein Grundlastband von 25 % der installierten Windkraftleistung angenom-men. In den Wintermonaten sieht man eine massive Überschreitung dieses Grundlast-Bandes, in den Sommermonaten eine massive Unterdeckung. Insofern kann ein Hybridkraftwerk dazu beitragen, regenerative Erzeugung „fahrplanfähig“, aber nicht „grundlastfähig“ zu machen. Hierbei soll aber klar herausgestellt werden, dass eine solche Fahrplanfähigkeit, d. h. der Aus-gleich von Fluktuationen im Minuten-Stunden-Tage-Bereich einen ganz erheblichen Beitrag zum sicheren Netzbetrieb leisten kann.

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Bild 17.18: Beispielhafte Einspeise-Situation eines Hybridkraftwerkes in einem windstarken Wintermo-nat (oben) bzw. windschwachen Sommermonat (unten) [17.9]

Virtuelle Kraftwerke kombinieren diverse regenerative Quellen über größere Entfernungen und nutzen dazu die Netze der öffentlichen Versorgung. Im einfachsten Fall erfolgt dieser Aus-gleich nur auf der betriebswirtschaftlichen Ebene z. B. auf Basis der monatlichen oder jährli-chen Energiemengen. Ein solches „energiegeführtes“ virtuelles Kraftwerk hat keinerlei positi-ve Effekte auf den Netzbetrieb. Denn es werden nur Langzeitmittelwerte, d. h. Energiemengen und nicht Kurzzeitwerte, d. h. Leistungen, abgerechnet. „Leistungsgeführte“ virtuelle Kraft-werke, die einen Ausgleich fluktuierender Größen maximal im 15 Minuten Raster durchfüh-ren, sind zwar aus Sicht der Netzführung günstiger, aber trotzdem nicht zu vergleichen mit den o. g. Hybridkraftwerken. Bei leistungsgeführten virtuellen Kraftwerken sind immer noch mit erheblichen Leistungspendelungen zwischen den Verbindungsleitungen der örtlich unter-

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17.1 Elektrische Netze 407

schiedlichen Standorten der EEG-Erzeugung zu rechnen, die lokale Leitungsüberlastungen zur Folge haben können. Generell muss hinterfragt werden, ob und wann der Begriff „Kraftwerk“ für derartige Kombi-nationen aus verteilten EEG-Anlagen verwendet werden soll. Neben der Bereitstellung von Wirkleistung müssen konventionelle Kraftwerke auch – Blindleistung bereitstellen können, – sorgen durch die großen rotierenden Massen für sehr geringe Frequenzpendelungen und

damit für hohe dynamische Stabilität im Netz, – haben eine hohe Versorgungssicherheit z. B. durch Bevorratung von Primärenergie und – sind i. Allg. schwarzstartfähig. Insofern erfüllen Kraftwerke viele Zusatzparameter bei der Energieversorgung, die EEG-Anlagen (auch im Verbund) nicht ohne spezielle Zusatzmaßnahmen erfüllen können. Neben diesen neuartigen Strukturen für EEG-Erzeugung haben sich neue Begriffe auf der Netzseite gebildet. Idee dabei ist, nicht nur unterschiedliche Erzeuger zu kombinieren, sondern auch Einfluss auf die Verbraucherseite zu nehmen.

Bild 17.19: Micro-Grid auf dem Campus der BTU-Cottbus mit Photovoltaik (oben links), Batterie (oben rechts), Ladesäulen (links)

Die Begriffe „SMART-Grid“ („Intelligentes Netz“) oder „Micro-Grid“ werden oft unpräzis verwendet. Im technischen Sinne werden hierunter Versorgungsgebiete meist in den Hoch- und Mittelspannungsverteilnetzen verstanden, in die neben der seit langem üblichen Intelligenz für den Netzschutz und die Netzbetriebsführung weitere Leitsysteme installiert werden. Mit den Leitsystemen werden eine große Anzahl großflächig verteilter dezentraler Einspeisungen und vor allem steuerbarer Lasten zu einem gemeinsamen, möglichst optimierten Systemverhal-

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408 17 Energieverteilung

ten zusammengefasst. Micro-Grids sind dabei räumlich sehr eng begrenzt und umfassen oft-mals die Erzeuger und Abnehmer einiger weniger Gebäude im Niederspannungsnetz. Das SMART-Grid ist ein eher regional organisierter Zusammenschluss diverser Erzeuger und Ab-nehmer, teils in sich als Micro-Grids organisiert. Als Beispiel für ein Micro-Grid werden nachfolgend im Bild 17.19 mehrere größere Wohnge-bäude im urbanen Gebietes mit ca. 1000 qm photovoltaischer Stromerzeugung (120 kW-peak), einer Batterieanlage mit 500 kWh nutzbarem Hub, 16 Ladesäulen für Elektrofahrzeugen und einem stromgeführten Mini-BHKW zum Ausgleich der PV-Einspeise-Leistung im Winterhalb-jahr, bei gleichzeitiger Abwärmenutzung gezeigt. Diese wurden auf und im Umfeld einer Ver-suchshalle der BTU installiert. Bislang beschränken sich SMART-Grids sehr oft auf den reinen Einbau von SMART-Metern bei privaten Endverbrauchern. Dies ist darauf zurück zu führen, dass in der Stromversorgung in den letzten 100 Jahren der Grundsatz galt, dass die Erzeugung der Last folgt. Damit sind steuerbare Lasten in der Größenordnung, wie sie heute bei regenerativer Überspeisung ge-braucht würden, überhaupt nicht verfügbar.

17.1.10 Anforderungen an die konventionelle Erzeugung Im Rahmen der Energiewende wird sich die konventionelle Erzeugung technisch mehr und mehr an die Einspeisecharakteristik der regenerativen Erzeuger anpassen müssen. In Zeiten hoher regenerativer Einspeisung werden Bestandskraftwerke, aber auch neue, fossil gefeuerte Anlagen einerseits ihre Einspeisung deutlich zurückfahren müssen, andererseits wird aber volle Verfügbarkeit erwartet werden, wenn keine regenerative Erzeugung ansteht. Damit wird es erforderlich sein, die technische Mindestleistung, mit der z. B. ein Kohlekraftwerk am Netz gehalten werden kann, deutlich zu reduzieren. Während diese technische Mindestleistung heute bei ca. 40 % der Nennleistung liegt, sollten zukünftig Werte von 20 % angestrebt wer-den. Auch die dynamische Regelfähigkeit konventioneller Kraftwerke wird deutlich verbessert werden müssen. In der Regelzone von 50 Hz-T treten durch unvorhersehbare Leistungs-schwankung regenerative Erzeuger heute bereits Gradienten von 1000 MW pro 15 min (Bild 17.20) auf. Bei einer Schwankungsbreite zwischen 4000 … 11.000 MW zwischen Schwach-last und Starklast bedeutet dies eine extrem hohe Regeldynamik, die an folgendem Beispiel erläutert werden soll: Phase 1: Schwachwind-Phase vor Eintreffen eines Sturmtiefs Last 8.000 MW EEG-Erzeugung 2.000 MW konv. Erzeugung 6.000 MW (alle Blöcke laufen auf Nennleistung) Überschuss 0 MW Phase 2: Aufbau Starkwind-Phase beim Eintreffen des Sturmtiefs Last 8.000 MW EEG-Erzeugung 5.000 MW Konv. Erzeugung 3.000 MW (alle Blöcke auf 50 % eingesenkt) Überschuss 0 MW

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17.1 Elektrische Netze 409

Bild 17.20: Beispiel für Leistungsgradient von 1000 MW in 15 min im Netzgebiet 50Hz-T

Phase 3: Starkwind-Phase beim Durchzug des Sturmtiefs Last 8.000 MW EEG-Erzeugung 10.000 MW Konv. Erzeugung 2.400 MW (Blöcke auf techn. Mindestleistung eingesenkt) Überschuss 4.400 MW Phase 4: Schwachwind nach Durchzug des Sturmtiefs Last 8.000 MW EEG-Erzeugung 2.000 MW Konv. Erzeugung 6.000 MW (alle Blöcke laufen wieder auf Nennleistung) Überschuss 0 MW

Tritt z. B. in Phase 2 beim Eintreffen des Sturmtiefs ein nicht vorhersehbarer Gradient der EEG-Einspeisung von o.g. 1000 MW pro 15 min auf, müssen die konventionelle Kraftwerke in einer Phase, in der die Leistung gerade von 100 % ˇ 50 % eingesenkt wird, einen Hub von 16 % der Nennleistung, bzw. bis zu 33 % der aktuellen Leistung ausgleichen. Dies führt einer-seits zu erheblichem Materialverschleiß, andererseits werden die Kraftwerke weit außerhalb des Bestpunktes mit einem deutlich schlechteren Wirkungsgrad betrieben und erzeugen somit EEG-induziertes „Zusatz-CO2“.

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410 17 Energieverteilung

17.2 Mineralöltransport Mineralöl wird in Pipelines von den Seehäfen, wo es aus dem Förderland angeschifft wird, zu den Raffinerien transportiert. Westeuropa ist von einem dichten Erdölpipelinenetz durchzogen. Die Leckagen durch Beschädigungen oder Korrosion der Rohrleitungen sind mit etwa 0,5 ppm gering [17.15]. Die Rohölversorgung der deutschen Raffinerien erfolgt über deutsche und andere europäische Häfen. Die deutschen Pipelines haben Rohrdurchmesser von bis zu 40 Zoll, d. h. etwas über 1 m. Beispielsweise betragen die Daten der Transalpine-Pipeline TAL Triest-Ingolstadt [17.16]: Länge 464 km, Durchmesser 40 Zoll (ca. 1 m), mit einer Kapazität von 54.106 t/Jahr. Die Anfangsinvestition betrug schon 1968 etwa 800 . 106 DM.

Bild 17.21: Verlauf der spezifischen Förderkosten

Die aufzuwendende Pumpenergie des näherungsweise inkompressiblen Rohöls hängt von der Reibungsenergie, diese wieder von der Transportgeschwindigkeit und der Viskosität, und vom Höhenunterschied ab. Der Druckverlust ist mit den Methoden der Strömungslehre über Rey-noldszahl und Colebrook-Diagramm zu berechnen (z. B. [17.17]). Der Druckabfall ist nähe-rungsweise proportional dem Quadrat der Strömungsgeschwindigkeit. Während die spezifi-schen Fixkosten mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit fast linear abfallen, steigen die Betriebskosten (im Wesentlichen Energiekosten für die Pumpen) mit dem Quadrat der Ge-schwindigkeit. Die Strömungsgeschwindigkeit, die die spezifischen Förderkosten minimiert (Bild 17.21), ist zu berechnen. Der Innendruck der Rohrleitung ist durch die Pumpen und die geodätische Höhe gegeben. Die Fließfähigkeit ist gegebenenfalls durch Heizstationen und wärmeisolierte Rohrleitungen auf-rechtzuerhalten, denn die Ölviskosität nimmt mit abnehmender Temperatur zu. Durch Metall-pfropfen (Trennmolche) lassen sich in einer Leitung verschiedene Ölqualitätschargen vonei-nander trennen und hintereinander befördern. Ebenso dienen Molche zur Reinigung, Lecksu-che nach dem Ultraschallverfahren, zur Korrosionsprüfung und zur Absperrung. Bei großen Anlagen sind Kreiselpumpen, ansonsten Verdrängerpumpen eingesetzt. Als Antrieb kommen alle Kraftmaschinen in Frage.

17.3 Erdgastransport Erdgas lässt sich bei Umgebungstemperatur in gasförmigem Zustand durch Pipelines fördern oder in tiefgekühlter, verflüssigter Form mittels Tankwagen oder Tankschiffen. Letztere Erd-gastransportform ist mit LNG (liquid natural gas) bezeichnet. Einige Erdgaspipelines werden aus LNG-Schiffen gespeist.

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17.3 Erdgastransport 411

Allein in Deutschland ist das Erdgasnetz über 300.000 km lang. Gespeist wird das deutsche Netz neben der Inlandsproduktion von Pipelines aus den GUS-Staaten und Förderländern der Nordsee-Anrainer, wie Niederlande und Norwegen.

Als Beispiel sei die Transeuropa-Naturgas-Pipeline TENP [17.18] genannt: – Leitungsführung von Trente/NL nach Italien und Schweiz – Volumenstrom gesamt: 6,5 .·109 m3/Jahr – 830 km, davon 500 km in Deutschland – Rohrdurchmesser: 86 – 97 cm – 5 Verdichterstationen zu je 10,7 MW, jeweils angetrieben durch eine Gasturbine – Investition der deutschen Strecke allein im Jahr 1970: ca. 540 ·106 DM Rohrleitungen für andere Gase (Kokereigas, Deponiegas, Faulgas) sind allenfalls lokal oder betriebsintern bedeutend. Die Kompressibilität der Gase hat auf die Pipelineauslegung großen Einfluss. So nimmt der Druck durch Reibung in Förderrichtung ab, was das Volumen gemäß Gasgesetz ansteigen lässt:

P · V = m · Z · R · T Gl. (17.1)

Bei den üblich hohen Drücken von 80 bar ist mit einer Gasgleichung zu rechnen, die das Real-gasverhalten berücksichtigt, z. B. durch den Realgasfaktor Z(p,T) 1. Der Druckverlust ist durch Kompressorstationen mit Turboverdichtern oder Kolbenkompres-soren auszugleichen. Angetrieben werden diese durch Gasmotoren oder bei großen Erdgaslei-tungen meist durch Gasturbinen. Bei höheren Druckverhältnissen ist eine Kühlung des zu fördernden Gasstroms nötig, um unzulässige Temperaturspannungen der Rohre zu vermeiden, wobei meist eine Kraft-Kältekopplung wirtschaftlich ist. Ebenso erhöht die Kühlung den Vo-lumenstrom. Verdichterstationen sind in Abständen von etwa 150 km erforderlich. Übliche Druckverhältnisse der Kompressorstationen liegen zwischen 1,2 und 1,8, der Austrittsdruck ist etwa 80 bar. Bei der Erdgasleitung von Ekofisk/Norwegen nach Emden ist der Austrittsdruck über 130 bar. Übliche Durchmesser sind 800 bis 1200 mm. In Bild 17.22 ist der Aufbau der Pipeline Ekofisk-Emden gezeigt, die in der Nordsee verlegt ist; um den Auftrieb auszuglei-chen, wurde eine Betonummantelung gewählt, die bei Erdverlegung entfällt.

Bild 17.22: Aufbau der Nordsee-Pipeline; Querschnitt durch Rohrleitung

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412 17 Energieverteilung

Neben dem Heiz- und Brennwert Hu oder Ho ist bei Brenngasen deren Wobbe-Zahl entschei-dend:

Wo = Ho ( L/ )0,5 oder Wu = Hu ( L/ ) 0,5 Gl. 17.2

Die Wobbe-Zahl setzt den auf das Normalvolumen bezogenen Wert des Gases Ho bzw. Hu [kJ/mN

3] in Verhältnis zu einem sinnvollen Dichteverhältnis. ist die Gasdichte, L die Luft-dichte. Die Wobbezahl ist eine Maßzahl, mit dem der gemessene Volumenstrom des Gases in einen Energiestrom umgerechnet wird und für Brenner eine wichtige Auslegungsgröße ist. Das Erdgas ist je nach Qualitätsanforderung in pipelineinternen Aufbereitungsstationen von Wasser und Schwefelverbindungen zu befreien. In Übergabestationen wird das Hochdruckgas in Endverbrauchernetze geleitet. Sie beinhalten Druck-, Regel-, Reduzier- und Messeinheiten und Durchleitschleusen. Bei starken Drosselungen ist gegen die Vereisung bzw. Hydratbildung ein Gaserhitzer installiert. Die Energiemengen werden über den Heizwert, Volumenstrom, Druck und Temperatur gemessen. Um dem Verbraucher, bei dem nur vereinfacht gemessen wird, Gas mit konstantem Heizwert und Wobbe-Zahl zu liefern, sind gegebenenfalls Fremdga-se zuzugeben. Die Deregulierung der europäischen Gasmärkte und die neuen Kombinationskraftwerke mit erdgasbefeuerten Gasturbinen zwingen zum Ausbau der Verbund- und Verteilnetze. Mit tech-nischem Fortschritt bezüglich Materialien, Herstellverfahren, Konservierung und Überwa-chung werden die Pipelinedrücke und die Durchmesser weiter erhöht werden, um die Trans-portkosten zu senken und die Übertragungskapazität zu steigern. Die Absicherung des Ausfall-risikos wird mit zunehmender Übertragungskapazität komplexer. Deshalb sind zeitparallel Erdgasspeicher und andere technische Maßnahmen zur Abdeckung der Ausfallzeiten und win-terlichen Lastspitzen zu realisieren.

17.4 Wärmetransport Die in Deutschland geförderte Kraft-Wärmekopplung befindet sich im Ausbau. Dabei ist das Wärmeverteilnetz mit hohen investiven und betrieblichen Kosten verbunden. Die Wärmever-teilnetze lassen sich in – Fernwärmenetze und – Nahwärmenetze unterteilen. Industrielle Abnehmer wie die Verfahrenstechnik benötigen oft überhitzten Dampf oder Sattdampf bei unterschiedlichen Temperatur- und Druckniveaus. Diese Dampfversorgung wird hier nicht behandelt. Der Wärmeträger zur Raumheizung ist meist flüssiges Wasser, wobei Fernwärme bei etwa 130 °C (110 bis 180 °C) unter Druck und Nahwärme mit einer Vorlauftemperatur unterhalb 100 °C bei Atmosphärendruck geliefert wird. Der Wärmeverbraucher wird durch die Überga-bestation (Wärmeübertrager) an das Nah-/Fernwärmenetz angeschlossen. Die abgenommene Wärmeleistung wird über Massenstrom und Temperaturdifferenz erfasst. Fernwärmenetze, die viele Kilometer lang sind, werden durch Großkraftwerke versorgt, deren Standort sich in entsprechender Entfernung zu Wohngebieten befindet. Die Leitungsdurchmes-ser überschreiten oft die Einmetergrenze. Meist genügen zwei Rohre, eine Vor- und eine Rück-laufleitung. Für die industrielle Versorgung ist oft eine konstante Vorlauftemperatur über das

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17.4 Wärmetransport 413

ganze Jahr zu garantieren, was eine dritte Leitung sinnvoll macht. Nahwärmenetze sind entwe-der aus dem Fernwärmenetz oder aus dezentralen Blockheizkraftwerken BHKW in Wohnge-bietsnähe gespeist. Die Leitungsdurchmesser der Nahwärmenetze zur Versorgung abgeschlos-sener Wohn-, Sport- oder Erholungsgebiete sind an die Verbraucher angepasst. Die Veräste-lung zu den einzelnen Verbrauchern führt zu immer geringeren Rohrdurchmessern. Zu ge-währleisten ist, dass auch die entferntesten Verbraucher mit ausreichender Temperatur versorgt werden.

R: Rücklauf DN 1000, 2 obere Leitungen

H: Vorlauf Heizung, DN 1000 K: Vorlauf Konstant, DN 600 Betonrohr-Innendurchmesser: 4,1 m.

Bild 17.23: Schnitt durch eine Fernwärme- transportleitung

Bild 17.23 zeigt den Schnitt durch eine große Fernwärmetransportleitung, wie sie in Berlin verlegt ist. In Westeuropa hat sich das Kunststoff-Mantelrohr bei der Erdverlegung von Fern- und Nah-wärmenetzen bis DN 1000 durchgesetzt. Diese Rohre sind entsprechend zu isolieren, wobei Polyurethan-Hartschaum (PUR) mit einem Polyäthylen-Außenmantel üblich ist. Die Lecka-gendetektion geschieht mittels Leitfähigkeitmessung an der Rohr-Außenwandung, mit der über das Widerstandsverhalten der Leckageort zugeordnet wird. Die Verlegung der Wärmerohre kann auf drei Arten erfolgen: – Verlegung im Kanal – Kanalfreie Erdverlegung – Oberirdische Verlegung Wegen niedrigen Kosten wird zumindest bei Nahwärmenetzen die kanalfreie Erdverlegung bevorzugt. Die Rohrstücke werden im Rohrgraben verschweißt und nachisoliert. Für geringe Nennweiten gibt es flexible Wärmerohre, die schon fertig isoliert und mit Korrosionsschutz versehen auf Trommeln angeliefert werden. Bei der kanalfreien Verlegung im Boden ist auf

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414 17 Energieverteilung

sorgfältige Ausführung und Kompensation der Wärmeausdehnung zu achten, um langen leck-freien Betrieb zu gewährleisten.

Übungsaufgaben

17.1 Was beschreiben der ohmsche Widerstand, die Kapazität, die Induktivität und der Ableitwert im Ersatzschaltbild einer Leitung?

17.2 Worüber wird im Kraftwerk die Wirkleistung und worüber die Blindleistung eingestellt, die der Generator ins Netz einspeist?

17.3 Welche Spannungsebenen gibt es im deutschen Stromsystem? 17.4 Wieso ist es kritisch, wenn die Spannung, z. B. durch Kurzschluss kurzfristig,

aber großflächig unter 85 % absinkt? 17.5 Wie hoch war in 2011 etwa der prozentuale Aufschlag für Steuern und Abga-

ben, die ein 3 Personen-Haushalt zusätzlich zu den Kosten für Stromerzeugung, -transport und –vertrieb zahlen musste?

17.6 Wie hoch ist heute bereits der regenerative Stromanteil in den Verteilnetzen im Nord-Osten Deutschlands, verglichen mit der jeweiligen Stromhandelsmenge in diesen Netzen?

17.7 Wie viel Kilometer neue 380 kV Leitungen werden nach der DENA-Netzstudie 2 bis 2020 benötigt und wie groß ist der Ausbaubedarf in Brandenburg im 110 kV bzw. 380 kV Netz?

17.8 Welche Überschussenergie ergibt sich bereits heute bei einem Sturmtief im Nord-Osten Deutschlands und welche Speicherkapazität gibt es in der Regelzo-ne von 50 Hertz?

17.9 Wie unterscheidet sich ein Hybrid-Kraftwerk von einem virtuellen Kraftwerk? 17.10 Welche technischen Herausforderungen sehen Sie hinsichtlich des Energie-

transportes bei großen off-shore Windanlagen? 17.11 Wie wird der Leistungsverlust bei Übertragung elektrischer Energie über größe-

re Entfernungen minimiert? 17.12 Flüssige und gasförmige Energieträger werden in Pipelines transportiert. Wel-

cher Energieträger benötigt eine höhere spezifische Transportenergie? 17.13 a. Weshalb schwankt die Netzfrequenz in den öffentlichen Stromnetzen?

b. Durch welche Maßnahmen wird die Netzfrequenz weitestgehend stabil ge-halten?

c. Welche energietechnischen Anlagen werden zur Frequenzhaltung eingesetzt? d. Inwieweit tragen die erneuerbaren Energieträger zur Netzstabilität bei?

Page 29: Energietechnik || Energieverteilung

Übungsaufgaben 415

17.14 a. Zählen Sie sinnvolle Kennzahlen für den Energietransport auf. b. Welche Energieträger schneiden gut, welche schlecht ab?

17.15 Wie lässt sich elektrische Energie in Stromnetze unterschiedlicher Frequenz übertragen?

17.16 a. Weshalb kann sich die Gasqualität im öffentlichen Netz ändern? b. Was sind die Maßnahmen, um den Heizwert konstant zu halten? c. Für welche energietechnischen Anlagen können diese Maßnahmen negative

Auswirkungen haben? 17.17 Welche energietechnischen Anlagen werden für die Druckerhöhung bzw. För-

derung der fluiden Energieträger in großen Pipelines eingesetzt? 17.14 Ölpipeline (Hilfsmittel: Colebrook-Diagramm und Widerstandsbeiwerte für Schieber

und Rohrbögen) Es soll die Kreiselpumpe für ein Teilstück einer Ölpipeline ausgewählt werden. Die Da-ten: Massenstrom m = 107 t/Jahr, Dichte des Öls = 950 kg/m3, Zähigkeit des Öls = 10-4 m2/s, Höhendifferenz z = –100 m (bergabfließend), Rohrlänge des Teilstücks L = 10 km, Rauigkeit der Innenwandung k = 0,1 mm, je 10 Panzer-Hochdruck- Schieber vor und nach der Pumpe, je 50 Rohrbögen 90° vor und nach der Pumpe. 1 Jahr = 8760 Std. Ermitteln Sie: a) Pipeline-Innendurchmesser di, damit die Strömungsgeschwindigkeit c = 2,6 m/s be-

trägt. Runden Sie auf einen geraden Wert. b) Rohrreibungszahl bei dem unter Teilaufg. a) ermitteltem di. c) Förderhöhe Htot der Pumpe. Das Öl soll aus einem großen Reservoir unter Atmo-

sphärendruck in ein ebenso großes gleichen Druckes gefördert werden. d) Antriebsleistung der Pumpe PPu mit Pumpenwirkungsgrad Pu = 70 %. Hilfsmittel:

Rohrbogen 90° mit di in mm

100

200

300

400

660

1320

Widerst.koeff. 0,23 0,21 0,19 0,185 0,17 0,15

Panzer HD-Schieber Anschluss-di

100

200

300

400

660

1320

Widerst.koeff. 0,8 0,7 0,65 0,6 0,42 0,4

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416 17 Energieverteilung

Colebrook-Diagramm Quelle: Dubbel interaktiv, Das elektronische Taschenbuch für den Maschi-nenbau, Hrsg. W. Beitz und K.-H. Grohe, Springer Verlag, Version 1.0, 1999

17.19 Rhein-Donau Öl-Pipeline RDO von Ingoldstadt nach Karlsruhe (Hilfsmittel aus voriger Aufgabe) Es soll der Leistungsbedarf dieser Pipeline berechnet werden. Folgende Daten sind ge-geben: Länge der Pipeline 268 km, Rohrinnendurchmesser di = 26 Zoll = 66 cm, Geodätische Höhe von Karlsruhe: 110 m ü.M. und von Ingoldstadt: 365 m ü.M. 100 Ventile (Schie-ber mit Einschnürung, Bauart Panzer-Hochdruckschieber); 500 Rohrbögen von 90°; andere strömungstechnische Einbauten seien vernachlässigbar. Rauigkeit an der Rohr-innenwandung k = 0,07 mm; kontinuierliche Fördermenge m = 20 . 106 Tonnen/Jahr; Dichte des Öls (Heizöl M) = 950 kg/m3; kinematische Zähigkeit des Öls = 100 x 10-6 m2/s; Heizwert Hu = 10 kWh/kg. Das Öl wird von der Pipeline aus einem offenen Behälter aufgenommen und mit gleicher Geschwindigkeit wieder in einen offenen Be-hälter gefördert. Berechnen oder ermitteln Sie anhand Ihrer Unterlagen (Hilfsmittel aus voriger Aufgabe): a) Die Strömungsgeschwindigkeit c des Öls b) Die Reynoldszahl Re c) Rohrreibungsbeiwert mittels Colebrook-Diagramm d) Gesamter Druckverlust in der Leitung e) Gesamte Förderhöhe Htot für die Förderung von Ingoldstadt nach Karlsruhe f) Welche Förderhöhe ergibt sich für die umgekehrte Förderung? g) Benötigte Pumpleistung für den Fall e), wenn die Pumpen einen Wirkungsgrad von

70 % aufweisen h) Transportleistung (geförderter Wärmeinhalt des Öls).

Hinweis: Die Lösungen der Übungsaufgaben befinden sich am Ende des Buches hinter Kap. 20.

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Literatur zu Kapitel 17 417

Literatur zu Kapitel 17

[17.1] D. Oeding, B.R.Oswald; Elektrische Kraftwerke und Netze, 7. Auflage, Springer Verlag, ISBN 978-3-642-19245-6

[17.2] G. Hosemann (Hrsg.); Hütte-Taschenbuch-Technik, Elektrische Energietech-nik, Band 3: Netze, Springer Verlag, ISBN 3-540-15359-4

[17.3] F. Noack; Einführung in die elektrische Energietechnik, Fachbuchverlag Leipzig, ISBN 3-446-21527-1

[17.4] K. Heuck, K. Dettmann, D. Schulz; Elektrische Energieversorgung, Vieweg-Verlag, ISBN 978-3-8348-0217-0

[17.5] H. Schwarz (fachl. Leitung); Netzausbau – Aktuelle Herausforderungen an die Stromnetze, Euroforum Lehrgang in 6 schriftlichen Lektionen, Eurofo-rum-Verlag, 2011

[17.6] VDE-Bezirksverein Dresden e.V. (Hrsg); 110 Jahre VDE-Bezirksverein Dresden, Sächsisches Druck- und Verlagshaus, ISBN 3-933442-53-2

[17.7] 50 Hertz-Transmission GmbH (Herausg.); 50 Hertz – Almanach, Berlin, 05/2012

[17.8] C. Richter; Chancen und Risiken der Nachladung von Hybridfahrzeugen am Stromnetz, Diplomarbeit der HTWK Leipzig (Prof. Wenige) zusammen mit envia Verteilnetz GmbH (Dr. Lehmann) – 2008

[17.9] Brandenburg Netzstudie 1 – Studie zur Netzintegration erneuerbarer Energien im Land Brandenburg im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Brandenburg (vorgestellt 2008), Download www.tu-cottbus.de/cebra, Datum Sept. 2012

[17.10] Erneuerbare Energie und das EEG in Zahlen 2011, BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, Download www.bdew.de, Datum Aug. 2012

[17.11] Dena Netzstudie 1 – Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration für die WIndenergie in Deutschland an Land und off-shore bis zum Jahr 2020 (vorgestellt 2004), Download www.dena.de/publikationen, Datum Sept. 2012

[17.12] Dena Netzstudie 2 – Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Strom-versorgung im Zeitraum 2015–2020 mit Ausblick 2025 (vorgestellt 2010), Download www.dena.de/publikationen/

[17.13] Brandenburg Netzstudie 2 – Fortführung der Studie zur Netzintegration er-neuerbarer Energien im Land Brandenburg im Auftrag des Wirtschaftsminis-teriums Brandenburg (vorgestellt 2011), Download www.tu-cottbus.de/cebra/, Datum Sept. 2012

[17.14] e-SolCar – Leitprojekt der Länder Berlin und Brandenburg (2011–2014) im Bereich Elektromobilität mit besonderem Schwerpunkt der Nutzbarmachung der Fahrzeugbatterien als Speicher im Stromnetz, Download www.tu-cottbus.de/cebra/, Datum Sept. 2012

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418 17 Energieverteilung

[17.15] A. Mareske, Energietechnik, in:, Dubbel interaktiv, Das elektronische Ta-schenbuch für den Maschinenbau, W. Beitz, K.-H. Grote (Herausgeber), Springer Verlag, 1999

[17.16] D. Nagel, Die ökonomische Bedeutung der Mineralölpipelines, Deutsche Shell AG, Hamburg, 1968

[17.17] J. Zierep, K. Bühler, Grundzüge der Strömungslehre, Vieweg+Teubner Ver-lag, 2010

[17.18] D. P. Shaub, TENP – Europas längste Erdgasleitung. In: OEL – Zeitschrift für die Mineralölwirtschaft, 1974