Dubbel || Kinematik

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B2.1 Bewegung eines Punkts B 17 B B2 Kinematik J. Lackmann, Berlin; J. Villwock, Berlin Die Kinematik ist die Lehre von der geometrischen und ana- lytischen Beschreibung der Bewegungszustände von Punkten und Körpern. Sie berücksichtigt nicht die Kräfte und Momente als Ursachen der Bewegung. B2.1 Bewegung eines Punkts B2.1.1 Allgemeines Bahnkurve. Ein Punkt bewegt sich in Abhängigkeit von der Zeit im Raum längs einer Bahnkurve. Die Ortskoordinate des Punkts ist durch den Ortsvektor (Bild 1 a) r .t/ Dx.t/e x Cy.t/e y Cz.t/e z D.x.t/I y.t/I z.t// (1) festgelegt. Ein Punkt hat im Raum drei Freiheitsgrade, bei geführter Bewegung längs einer Fläche zwei und längs einer Linie einen Freiheitsgrad. Geschwindigkeit. Der Geschwindigkeitsvektor ergibt sich durch Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit: .t/ Ddr =dt DP r .t/ DP x.t/e x CP y.t/e y CP z.t/e z D. P x.t/IP y.t/IP z.t// D. x I y I z /: (2) Der Geschwindigkeitsvektor tangiert stets die Bahnkurve, da in natürlichen Koordinaten t, n, b (begleitendes Dreibein, wo- bei t die Tangentenrichtung in der sog. Schmiegungsebene, n die Normalenrichtung in der Schmiegungsebene und b die Bi- normalenrichtung senkrecht zu t und n ist; s. Bild 1 a) .t/ D dr .t/ dt D dr ds ds dt De t (3) gilt (e t Tangenteneinheitsvektor). Der Betrag der Geschwin- digkeit ist jjD Dds=dt DP s D q 2 x C 2 y C 2 z D p P x 2 CP y 2 CP z 2 : (4) Beschleunigung. Der Beschleunigungsvektor ergibt sich durch Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit: a.t/ D d dt D d 2 r dt 2 D R r .t/ DR x.t/e x CR y.t/e y CR z.t/e z D. R x.t/IR y.t/IR z.t// D.a x I a y I a z / (5) Bild 1. Punktbewegung. a Bahnkurve, Geschwindigkeits- und Be- schleunigungsvektor; b Differentiation des Tangenteneinheitsvektors Bild 2. Gleichförmige Bewegung, Bewegungsdiagramme bzw. in natürlichen Koordinaten a.t/ D d dt . e t / D d dt e t C de t dt : Mit det dt D det ds ds dt D d'en ds D 1 R e n (s. Bild 1 b) folgt a.t/ DP e t C. 2 =R/e n Da t Ca n ; (6) d. h., der Beschleunigungsvektor liegt stets in der Schmie- gungsebene (Bild 1 a). Seine Komponenten in Tangential- und Normalenrichtung heißen Tangential- und Normalbeschleuni- gung a t Dd=dt DP .t/ DR s.t/ (7) und a n D 2 =R; (8) wobei R der Krümmungsradius der Bahnkurve ist. Die Nor- malbeschleunigung ist stets zum Krümmungsmittelpunkt M gerichtet, also immer eine Zentripetalbeschleunigung. Für die Größe des (resultierenden) Beschleunigungsvektors gilt a DjajD q a 2 x Ca 2 y Ca 2 z D q a 2 t Ca 2 n : (9) Gleichförmige Bewegung liegt vor, wenn .t/ DP s.t/ D 0 Dconst ist. Durch Integration folgt s.t/ D Z P s.t/ dt D 0 t CC 1 bzw. mit der Anfangsbedingung s.t D t 1 / D s 1 hieraus C 1 D s 1 0 t 1 und somit s.t/ D 0 .t t 1 / Cs 1 : Graphische Darstellungen von .t/ und s(t) liefern das Ge- schwindigkeits-Zeit-Diagramm und das Weg-Zeit-Diagramm (Bild 2). Aus s(t) folgt umgekehrt durch Differentiation .t/. Gleichmäßig beschleunigte (und verzögerte) Bewegung (Bild 3) liegt vor, wenn a t .t/ DP .t/ DR s.t/ Da t0 Dconst ; d: h: .t/ Da t0 t CC 1 und s.t/ Da t0 t 2 =2 CC 1 t CC 2 : Hieraus folgen mit den Anfangsbedingungen .t D t 1 / D 1 und s.t Dt 1 / Ds 1 die Konstanten C 1 D 1 a t 0 t 1 und C 2 Ds 1 1 t 1 Ca t 0 t 2 1 =2 und somit a t .t/ Da t 0 Dconst; .t/ Da t 0 .t t 1 / C 1 ; s.t/ Da t 0 .t t 1 / 2 =2 C 1 .t t 1 / Cs 1 : Nach Elimination von .t t 1 / ergeben sich die Beziehungen t t 1 D. 1 /=a t 0 ; a t 0 D 2 2 1 =Œ2.s s 1 /Ł; D q 2 1 C2a t 0 .s s 1 /; s D 2 2 1 =.2a t 0 / Cs 1 : K.-H. Grote, J. Feldhusen (Hrsg.), Dubbel, 24. Aufl., DOI 10.1007/978-3-642-38891-0_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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B2.1 Bewegung eines Punkts B 17

B

B2 Kinematik

J. Lackmann, Berlin; J. Villwock, Berlin

Die Kinematik ist die Lehre von der geometrischen und ana-lytischen Beschreibung der Bewegungszustände von Punktenund Körpern. Sie berücksichtigt nicht die Kräfte und Momenteals Ursachen der Bewegung.

B2.1 Bewegung eines Punkts

B2.1.1 Allgemeines

Bahnkurve. Ein Punkt bewegt sich in Abhängigkeit von derZeit im Raum längs einer Bahnkurve. Die Ortskoordinate desPunkts ist durch den Ortsvektor (Bild 1 a)

r.t /Dx.t/ex Cy.t/ey Cz.t/ez

D.x.t/I y.t/I z.t//(1)

festgelegt. Ein Punkt hat im Raum drei Freiheitsgrade, beigeführter Bewegung längs einer Fläche zwei und längs einerLinie einen Freiheitsgrad.

Geschwindigkeit. Der Geschwindigkeitsvektor ergibt sichdurch Ableitung des Ortsvektors nach der Zeit:

�.t /Ddr=dt D Pr.t /D Px.t/ex C Py.t/ey C Pz.t/ez

D. Px.t/I Py.t/I Pz.t//D.�x I �y I �z/:(2)

Der Geschwindigkeitsvektor tangiert stets die Bahnkurve, dain natürlichen Koordinaten t, n, b (begleitendes Dreibein, wo-bei t die Tangentenrichtung in der sog. Schmiegungsebene, ndie Normalenrichtung in der Schmiegungsebene und b die Bi-normalenrichtung senkrecht zu t und n ist; s. Bild 1 a)

�.t /D dr.t /

dtD dr

ds

ds

dtDe t� (3)

gilt (et Tangenteneinheitsvektor). Der Betrag der Geschwin-digkeit ist

j�jD� Dds=dt D Ps Dq

�2x C�2

y C�2z D

pPx2 C Py2 C Pz2 : (4)

Beschleunigung. Der Beschleunigungsvektor ergibt sichdurch Ableitung des Geschwindigkeitsvektors nach der Zeit:

a.t /D d�

dtD d2r

dt2D Rr.t /D Rx.t/ex C Ry.t/ey C Rz.t/ez

D. Rx.t/I Ry.t/I Rz.t//D.ax Iay Iaz /

(5)

Bild 1. Punktbewegung. a Bahnkurve, Geschwindigkeits- und Be-schleunigungsvektor; b Differentiation des Tangenteneinheitsvektors

Bild 2. Gleichförmige Bewegung, Bewegungsdiagramme

bzw. in natürlichen Koordinaten

a.t /D d

dt.�et/D d�

dtet C� � det

dt:

Mit detdt

D detds

dsdt

D d'ends

� D 1R

en� (s. Bild 1 b) folgt

a.t /D P�et C.�2=R/en Dat Can ; (6)

d. h., der Beschleunigungsvektor liegt stets in der Schmie-gungsebene (Bild 1 a). Seine Komponenten in Tangential- undNormalenrichtung heißen Tangential- und Normalbeschleuni-gung

at Dd�=dt D P�.t/D Rs.t / (7)

undan D�2=R; (8)

wobei R der Krümmungsradius der Bahnkurve ist. Die Nor-malbeschleunigung ist stets zum Krümmungsmittelpunkt Mgerichtet, also immer eine Zentripetalbeschleunigung. Für dieGröße des (resultierenden) Beschleunigungsvektors gilt

aDjajDq

a2x Ca2

y Ca2z D

qa2

t Ca2n : (9)

Gleichförmige Bewegung liegt vor, wenn �.t/ D Ps.t / D�0 Dconst ist. Durch Integration folgt

s.t /DZ

Ps.t / dt D�0t CC1

bzw. mit der Anfangsbedingung s.t D t1/ D s1 hieraus C1 Ds1 ��0t1 und somit

s.t /D�0.t � t1/Cs1 :

Graphische Darstellungen von �.t/ und s(t) liefern das Ge-schwindigkeits-Zeit-Diagramm und das Weg-Zeit-Diagramm(Bild 2). Aus s(t) folgt umgekehrt durch Differentiation �.t/.

Gleichmäßig beschleunigte (und verzögerte) Bewegung(Bild 3) liegt vor, wenn

at.t /D P�.t/D Rs.t /Dat0 Dconst ; d: h:

�.t/Dat0t CC1 und s.t /Dat0t2=2CC1t CC2 :

Hieraus folgen mit den Anfangsbedingungen �.t D t1/ D �1

und s.t D t1/Ds1 die Konstanten

C1 D�1 �at0 t1 und C2 Ds1 ��1t1 Cat0 t21 =2

und somit

at.t /Dat0 Dconst; �.t/Dat0 .t � t1/C�1 ;

s.t /Dat0 .t � t1/2=2C�1.t � t1/Cs1 :

Nach Elimination von .t � t1/ ergeben sich die Beziehungen

t � t1 D.� ��1/=at0 ; at0 D��2 ��2

1

�=Œ2.s�s1/�;

� Dq

�21 C2at0 .s�s1/; s D�

�2 ��21

�=.2at0 /Cs1 :

K.-H. Grote, J. Feldhusen (Hrsg.), Dubbel, 24. Aufl., DOI 10.1007/978-3-642-38891-0_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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B 18 Mechanik – B2 Kinematik

Bild 3. Bewegungsdiagramme. a gleichmäßig beschleunigte, b ungleichmäßig beschleunigte Bewegung

Für den Sonderfall t1 D0, �1 D0, s1 D0 folgen

�.t/Dat0 t; s.t /Dat0 t2=2; t D�=at0 ;

at0 D�2=.2s/; � Dq

2at0 s; s D�2=.2at0 /:

Die mittlere Geschwindigkeit ergibt sich zu

�m Dt2Z

t1

�.t/dt=.t2� t1/

D.s2 �s1/=.t2 � t1/D.�1 C�2/=2:

In allen Gleichungen kann at positiv oder negativ sein: Positi-ves at bedeutet Beschleunigung bei Bewegung eines Punktsin positiver s-Richtung, aber Verzögerung bei Bewegung innegativer s-Richtung; negatives at bedeutet Verzögerung beiBewegung in positiver s-Richtung, aber Beschleunigung beiBewegung in negativer s-Richtung. Ist s(t) gegeben, so erhältman durch Differentiation �.t/ und at.t /.

Ungleichmäßig beschleunigte (und verzögerte) Bewegungliegt vor, wenn at.t /Df1.t / ist (Bild 3 b). Integration führt zu

�.t/DZ

at.t /dt DZ

f1.t /dt Df2.t /CC1 und

s.t /DZ

�.t/dt DZ

Œf2.t /CC1�dt Df3.t /CC1t CC2 :

Die Konstanten werden aus den Anfangsbedingungen �.t Dt1/ D �1 und s.t D t1/ D s1 oder äquivalenten Bedingungenermittelt. Aus P�.t/ Dat.t / folgt, dass dort, wo �.t/ einen Ex-tremwert annimmt (wo P� D 0 wird), im at; t -Diagramm dieFunktion at.t / durch Null geht. Analog folgt aus Ps.t / D �.t/,

dass s(t) dort ein Extremum hat, wo �.t/ im �; t -Diagrammdurch Null geht. Die mittlere Geschwindigkeit ergibt sich zu�m D.s2 �s1/=.t2 � t1/. Entsprechend der anschaulichen Deu-tung des Integrals als Flächeninhalt lassen sich bei gegebenemat.t / die Größen �.t/ und s(t) auch mit den Methoden dergraphischen oder numerischen Integration (s. www.dubbel.de)bestimmen.

B2.1.2 Ebene Bewegung

Bahnkurve (Weg), Geschwindigkeit, Beschleunigung. Esgelten die Formeln von B 2.1.1, reduziert auf die beiden Kom-ponenten x und y (Bild 4 a):

r.t /Dx.t/ex Cy.t/ey D.x.t/I y.t//;

�.t /D Px.t/ex C Py.t/ey D. Px.t/I Py.t//D.�x I �y /;

a.t /D Rx.t/ex C Ry.t/ey D. Rx.t/I Ry.t//D.ax I ay /

bzw. in natürlichen Koordinaten t und n:

a.t /D P�.t/et C.�2=R/en D. P�.t/I�2=R/D.atIan/:

Ist die Bahnkurve mit y(x) und die Lage des Punkts mit s(t) ge-geben, so ergibt sich ein Zusammenhang zwischen t und x überdie Bogenlänge s.x/DR p

1Cy02 dx aus s.x/Ds.t /. Hierausist t(x) bzw. x(t) nur in einfachen Fällen explizit berechenbar(s. nächstes Beispiel).

Beispiel: Bewegung auf einer Bahnkurve y(x) (Bild 4 b). Untersuchtwird die Bewegung eines Punkts auf der Kreisbahn y.x/ D p

r2 �x2

gemäß dem Weg-Zeit-Gesetz s.t/DAt2 . – Nach den Gln. (4), (7) und(8) ergeben sich

�.t/D Ps.t/D2At; at.t/D P�.t/D Rs.t/D2A und

an.t/D�2=RD4A2t2=r

Page 3: Dubbel || Kinematik

B2.1 Bewegung eines Punkts B 19

B

Bild 4. Ebene Bewegung. a Allgemein; b Kreis

und somit a.t/ Dq

a2t Ca2

n D 2Ap

1C4A2t4=r2. Für die Kreisbahn

ergibt sich mit y0 D�x=p

r2 �x2 die Bogenlänge zu

s.x/DrZ

xDx

q1Cy02 dx D

rZ

x

qr2=.r2 �x2/ dx D r arccos.x=r/;

woraus mit

s.x/D s.t/DAt2

t .x/Dpr arccos.x=r/=A bzw. x.t/D r cos.At2=r/

folgt. Damit wird

s.x/D r arccos.x=r/; �.x/D2p

Ar arccos.x=r/; at.x/D2A;

an.x/D4Aarccos.x=r/; a.x/D2A

q1C4Œarccos.x=r/�2 :

Lösung dieser Aufgabe in Parameterdarstellung:

x.t/D r cos.At2=r/; y.t/Dp

r2 �x2 D r sin.At2=r/;

�x .t/D Px.t/D�2At sin.At2=r/;

�y .t/D Py.t/D2At cos.At2=r/;

somit ist

�.t/Dq

�2x C�2

y

D2At

qsin2.At2=r/Ccos2.At2=r/D2At ;

ax .t/D P�x .t/D Rx.t/

D�2AŒsin.At2=r/C.2t2A=r/cos.At2=r/�;

ay .t/D P�y.t/D Ry.t/

D2AŒcos.At2=r/�.2t2A=r/sin.At2=r/�;

woraus

a.t/Dq

a2x Ca2

y D2A

q1C.2t2A=r/2 folgt:

Beispiel: Der schiefe Wurf (Bild 5). Ungleichmäßig beschleunigte Be-wegung. Abwurfgeschwindigkeit �1 unter Abwurfwinkel ˇ. – UnterVernachlässigung des Luftwiderstands ist die Schwerkraft die einzigewirkende Kraft. Deshalb wird ax .t/D0 und ay .t/D�g Dconst. Inte-gration liefert

�x .t/DC1; x.t/DC1t CC2

sowie

�y .t/D�gt CC3; y.t/D�gt2=2CC3t CC4 :

Anfangsbedingungen

x.0/D0; y.0/D0; �x .0/D�1cosˇ; �y .0/D�1sinˇ

ergeben C2 D0, C4 D0, C1 D�1 cosˇ, C3 D�1 sinˇ und somit

x.t/D�1t cosˇ; y.t/D�1 t sinˇ�gt2=2

(Bahnkurve in Parameterdarstellung).Elimination von t ergibt Bahnkurve y Df .x/:

y.x/Dx tanˇ�x2g=�2v2

1 cos2ˇ�

(Wurfparabel):

Bild 5. Schiefer Wurf, Wurfbahn

Bild 6. Polarkoordinaten. a Geschwindigkeiten; b Beschleunigungen;c Differentiation der Einheitsvektoren

Geschwindigkeit �x .t/D Px.t/D�1cosˇ;

�y .t/D Py.t/D�1sinˇ�gt ;

�.t/Dq

.�1 cosˇ/2 C.�1 sinˇ�gt/2 :

Beschleunigung ax .t/D Rx.t/D0; ay .t/D Ry.t/D�g;

a.t/Dq

0Cg2 Dg Dconst.

Aus �y =�x D tan'.t/ erhält man die Steigung der Bahnkurve und da-mit die natürlichen Komponenten der Beschleunigung (s. Bild 5):

an.t/Dgcos'.t/ und at.t/D�gsin'.t/¤const!

Steigzeit und Wurfhöhe aus �y .t2/D0:

t2 D�1 sinˇ=g; y.t2/D�21 sin2 ˇ=.2g/:

Wurfdauer und Wurfweite aus y.t3/D0:

t3 D2v1sinˇ=g D2t2; x.t3/D�21 sin2ˇ=g :

Wegen sin.180ı �2ˇ/ D sin2ˇ ergibt sich dieselbe Wurfweite für dieAbwurfwinkel ˇ und .90ı �ˇ/. Die größte Wurfweite bei gegebenem�1 wird mit dem Abwurfwinkel ˇ D45ı erzielt.

Ebene Bewegung in Polarkoordinaten. Bahn und Lageeines Punkts werden durch r(t) und '(t) festgelegt. Mit denbegleitenden Einheitsvektoren er und e' (Bild 6 a) gilt

r.t /Dr.t /er : (10)

Hieraus folgt durch Ableitung der Geschwindigkeitsvektor

�.t /D Pr.t /D Pr.t /er Cr.t / Per D Prer C P're' D�r C�' ; (11)

da gemäß Bild 6 c Per D der =dt D 1 � d' � e'=dt D P'e' ist.Hierbei ist P' D d'=dt die Drehgeschwindigkeit des Radius-vektors r, genannt Winkelgeschwindigkeit !.Die Ableitung des Geschwindigkeitsvektors ergibt die Be-schleunigung (Bild 6 b):

a.t /D P�.t /D Rr.t /D Pr Per C Rrer C P'r Pe' C. P' Pr C R'r/e'

D. Rr � P'2r/er C. R'r C2 Pr P'/e' Dar Ca'

(12)

Page 4: Dubbel || Kinematik

B 20 Mechanik – B2 Kinematik

mit Pe' D de'=dt D �1 � d' � er =dt D � P'er gemäß Bild 6 c.Hierbei ist R' D P! die Änderung der Winkelgeschwindigkeitdes Radiusvektors r mit der Zeit, genannt Winkelbeschleuni-gung ˛.Ebene Bewegung in kartesischen Koordinaten (Bild 6 a, b):

r.t /Drcos'ex Cr sin'ey Dx.t/ex Cy.t/ey ; (13)

�.t/D Pr.t /D. Prcos'�r P' sin'/ex

C. Pr sin'Cr P' cos'/ey

D�x ex C�yey ;

(14)

a.t /D P�.t/

D. Rr cos'�2 Pr P'sin'�r P'2 cos'�r R' sin'/ex

C. Rr sin'C2 Pr P'cos'�r P'2 sin'Cr R' cos'/ey

Dax ex Cayey :

(15)

Zusammenhang zwischen Komponenten in r, '- und x, y-Richtung (Bild 6 b):

�r D�x cos'C�y sin'; �' D��x sin'C�y cos' ;

�x D�r cos'��' sin'; �y D�r sin'C�' cos' :

Analoge Gleichungen gelten für die Beschleunigung a.Resultierende Geschwindigkeit und Beschleunigung:

� Dq

�2r C�2

' Dq

�2x C�2

y ;

aDq

a2r Ca2

' Dq

a2x Ca2

y :

Der Beschleunigungsvektor a lässt sich auch in die natürlichenKomponenten at und an zerlegen, da die Richtung t durch denGeschwindigkeitsvektor und die Richtung n als Senkrechte da-zu gegeben sind (Bild 6 b).

Ebene Kreisbewegung (Bild 4 b). Aus der Darstellung inPolarkoordinaten folgen mit r Dconst, also mit Pr D Rr D0 und,da jetzt die e' - und er -Richtung mit der et - und der negativenen-Richtung zusammenfallen,

�.t /D P're t D!re t und

a.t /D� P'2rer Cr R'e' D!2ren Cr˛e t :(16)

� D!r ; (17)

at D R'r D P!r D˛r ; (18)

an D P'2r D!2r ; (19)

aDjajDq

a2t Ca2

n Drp

˛2 C!4 : (20)

B2.1.3 Räumliche Bewegung

Es gelten die Gleichungen von B 2.1.1. Als Anwendung wirddie Bewegung auf einer zylindrischen Schraubenlinie behan-delt (Bild 7 a; s. hierzu auch Beispiel in B 3.2.4). Lösung inZylinderkoordinaten: r0.t /; '.t/; z.t /.Mit r0.t / D r0 D const, einer beliebigen Funktion '(t) sowiez.t/D'.t/h=2  wird r.t /Dr0er Cz.t/ez . Hieraus folgt ana-log Gl. (11) bzw. (12) mit Pr0 D0, Rr0 D0

�.t /D�r C�' C�z D P'r0e' C Pzez D P'r0e' C. P'h=2 /ez

bzw.

a.t /Dar Ca' Caz D� P'2r0er C R'r0e' C Rzez

D� P'2r0er C R'r0e' C. R'h=2 /ez :

Bild 7. Massenpunkt auf Schraubenlinie

Für die Größen von Geschwindigkeit, Weg und Beschleuni-gung ergibt sich mit dem Steigungswinkel

ˇ DarctanŒh=.2 r0/�

�.t/Dj�jDq

�2r C�2

' C�2z Dr0 P'

p1Ch2=.2 r0/2

Dr0 P'=cosˇ I s.t /Dr0'=cosˇ;

a.t/DjajDq

a2r Ca2

' Ca2z

Dr0

pP'4 C R'2 Œ1Ch2=.2 r0/2�

Dr0

pP'4 C. R'=cosˇ/2 :

Natürliche Komponenten der Beschleunigung: Für die Kom-ponente senkrecht zur Steigung der Schraubenlinie (Bild 7 b)gilt

�a' sinˇCaz cosˇ D� R'r0 sinˇC. R'h=2 /cosˇ

D� R'r0 sinˇC R'r0 tanˇcosˇ D0:

In dieser Richtung liegt demnach die Binormale eb, in der esgemäß B 2.1.1 keine Beschleunigung gibt. Also muss en D�er und damit an Dar Dr0 P'2 sein.Ferner wird (s. Bild 7 b)

at Da' cosˇCaz sinˇ D R'r0 cosˇC R'r0 tanˇsinˇ

Dr0 R'=cosˇ Dr0 R'p

1Ch2=.2 r0/2 :

Lösung in kartesischen Koordinaten:

r.t /Dx.t/ex Cy.t/ey Cz.t/ez

Dr0 cos'ex Cr0 sin'ey C.'h=2 /ez :

Analog den Gln. (14) und (15) gilt

�.t / D �xex C�yey C�zez

D �r0 P'sin'ex Cr0 P'cos'ey C. P'h=2 /ez ;

a.t / D axex Cayey Cazez

D ��r0 P'2 cos'Cr0 R'sin'

�ex

C�r0 R'cos'�r0 P'2 sin'

�ey C. R'h=2 /ez ;

woraus wieder

� Dj�jDq

�2x C�2

y C�2z Dr0 P'

p1Ch2=.2 r0/2 und

aDjajDq

a2x Ca2

y Ca2z Dr0

pP'4 C R'2 Œ1Ch2=.2 r0/2�

folgen.

Page 5: Dubbel || Kinematik

B2.2 Bewegung starrer Körper B 21

B

Bild 8. Bewegung starrer Körper. a Translation; b Rotation im Raum;c Rotation in der Ebene

B2.2 Bewegung starrer Körper

B2.2.1 Translation (Parallelverschiebung, Schiebung)

Alle Punkte beschreiben kongruente Bahnen (Bild 8 a), d. h.,der Körper führt keinerlei Drehung aus. Die Gesetze und Glei-chungen der Punktbewegung nach B 2.1 gelten auch für dieTranslation, da die Bewegung eines Körperpunkts zur Be-schreibung ausreicht.

B2.2.2 Rotation (Drehbewegung, Drehung)

Unter Rotation versteht man die Drehung eines starren Körpersum eine raumfeste Achse (Bild 8 b).

Vektorielle Darstellung. Wird der Winkelgeschwindigkeitder Vektor ! D !e zugeordnet, d. h., dreht sich die EbeneOPO 0 mit !, so beschreiben der Punkt P und somit alle PunkteKreisbahnen. Der Vektor der Umfangsgeschwindigkeit � er-gibt sich aus dem Vektorprodukt

�D PrP D!e �rP mit j�jD� D!rP sinˇ D!r I (21)

� ist ein im Sinne einer Rechtsschraube auf e und rP senkrechtstehender Vektor. Mit rP Dr0 Cr folgt

�D!e �.r0 Cr/D!e �r0 C!e �r :

Da e und r0 zueinander parallel sind, gilt e �r0 D0, d. h. �D!e �r mit j�jD� D!r sin90ı D!r . Damit ist

�D!re t : (22)

In kartesischen Koordinaten ist

�D!e �rP D!�rP D

ˇ̌ˇ̌ˇ̌ˇ

ex ey ez

!x !y !z

x y z

ˇ̌ˇ̌ˇ̌ˇ

D.!yz �!zy/ex C.!zx �!xz/ey C.!xy�!yx/ez

D�x ex C�yey C�zez :

(23)Beschleunigung von Punkt P:

aD P�D RrP D.!e � PrP/C. P!e �rP/

D.!e ��/C. P!e �rP/:(24a)

Mit P! D ˛ (Winkelbeschleunigung) ist in natürlichen Koordi-naten

aD�!�er C˛rP sinˇet D�!2rer C˛re t

D�aner Cate t :(24b)

In kartesischen Koordinaten ergibt sich aus Gl. (23) durch Dif-ferentiation

aD ��.!2y C!2

z /x C.!x!y �˛z/yC.!x!z C˛y /z�ex

C�.!x!y C˛z/x �.!2

x C!2z /yC.!y!z �˛x/z

�ey

C�.!x!z �˛y /x C.!y!z C˛x/y�.!2

x C!2y /z

�ez

(25a)bzw. bei alleiniger Drehung um die z-Achse

aD��!2z x �˛zy

�ex C�

˛zx �!2z y

�ey : (25b)

Da bei Rotation alle Punkte Kreisbahnen in Ebenen senkrechtzur Drehachse beschreiben, genügt die

Ebene Darstellung (Bild 8 c). Hierbei geht die Drehachsesenkrecht zur Zeichenebene durch den Punkt O. Es gilt

s.t /Dr'.t/I �.t/Dr P'.t/Dr!.t/ Iat.t /Dr R'.t/Dr P!.t/Dr˛.t/ Ian.t /Dr P'2.t /Dr!2.t /;

(26)

d. h., alle Größen nehmen linear mit r zu, so dass zur Beschrei-bung der Drehbewegung (Rotation) eines starren Körpers derDrehwinkel '(t), die Winkelgeschwindigkeit !.t/ D P'.t/ unddie Winkelbeschleunigung ˛.t/ D P!.t/ D R'.t/ ausreichen. Inden Anwendungen wird häufig mit der Drehzahl n gerech-net; dann ist ! D 2 n und � D 2 rn. Für die Umlaufzeitbei ! D const gilt T D 2 =!. Für die gleichförmige und un-gleichförmige Rotation gelten die Gesetze der Punktbewegungund die zugehörigen Diagramme gemäß B 2.1.1, wenn dort at

durch ˛, � durch ! und s durch ' ersetzt wird.

B2.2.3 Allgemeine Bewegung des starren Körpers

Räumliche Bewegung. Ein Körper hat im Raum sechs Frei-heitsgrade: drei der Translation (Verschiebung in x-, y- undz-Richtung) und drei der Rotation (Drehung um die x-, y- undz-Achse). Die beliebige Bewegung jedes Körperpunkts lässtsich daher aus Translation und Rotation zusammensetzen (zu-sammengesetzte Bewegung). Für die Translation genügt dieKenntnis der Bahnkurve eines einzigen körperfesten Punkts,z. B. des Schwerpunkts (s. B 2.2.1) zur ausreichenden Be-schreibung, d. h. die Kenntnis des Ortsvektors r0.t /. Für dieRotation genügt die Beschreibung der Drehung durch denWinkelgeschwindigkeitsvektor ! um den körperfesten Punkt(s. B 2.2.2), d. h., ! ist ein freier Vektor. Es gelten (Bild 9 a)

rP.t /Dr0.t /Cr1.t /; (27)�.t /D PrP.t /D Pr0 C Pr1 D Pr0 C!.t/e�r1

D�0.t /C!re' D�0.t /C�1.t / :(28)

Hierbei ist �0 der aus der Translation herrührende, �1 deraus der Rotation herrührende Anteil (Euler’sche Geschwindig-keitsformel). Aus Gl. (28) folgt nach Multiplikation mit dt

drP Ddr0 Cd'e �r1 Ddr0 Cr d'e' : (29)

Diese Gleichung (Euler’sche Formel) besagt, dass eine sehrkleine Lageänderung eines Punkts sich aus einer Verschiebungdr0 und aus einer mit dem Betrag ds D r d' (entstehend aus

Page 6: Dubbel || Kinematik

B 22 Mechanik – B2 Kinematik

Bild 9. Räumliche Bewegung. a Geschwindigkeiten; b Beschleunigungen

Bild 10. Sphärische Bewegung

Drehung um die !-Achse) zusammensetzen lässt. Für die Be-schleunigung des Punkts P des Körpers folgt aus Gl. (28)

a.t /D P�.t /D RrP.t /

D Rr0.t /C!.t/e� Pr1 C. P!e C! Pe/�r1

Da0.t /C!e�.!e�r1/C P!e �r1 C! Pe �r1

Da0.t /C!e�!re' C P!re' C! Pe �r1

Da0 �!2rer C˛re' C! Pe �r1

Da0 CaPA;n CaPA;t C.! Pe �r1/;

9>>>>>>>>>=>>>>>>>>>;

(30)

d. h., die Gesamtbeschleunigung setzt sich zusammen aus demTranslationsanteil a0, dem Normalbeschleunigungsanteil aPA;n

bei Drehung um O, dem Tangentialbeschleunigungsanteil aPA;t

bei Drehung um O und dem Anteil aus der Richtungsänderungder Drehachse (Bild 9 b).

Drehung um einen Punkt (sphärische Bewegung). Indiesem Fall hat der Körper nur drei Rotationsfreiheitsgra-de, d. h., in den Gln. (27) bis (30) entfallen r0, �0 und a0,wenn man den Punkt O in Bild 9 als Bezugspunkt wählt.Der Winkelgeschwindigkeitsvektor ist jetzt ein linienflüchti-ger Vektor, d. h. nur in seiner Wirkungslinie verschiebbar. Dieaugenblickliche Drehachse (Momentanachse OM ) beschreibtbei der Bewegung des Körpers bezüglich eines raumfestenKoordinatensystems den Rastpolkegel (Spurkegel) und bezüg-lich des körperfesten Koordinatensystems den Gangpolkegel(Rollkegel), der auf dem Rastpolkegel abrollt. Für die Win-kelgeschwindigkeit bezüglich der Momentanachse gilt ! D!1 C!2 (Bild 10).

Bild 11. Allgemeine ebene Bewegung. a Geschwindigkeiten; b Be-schleunigungen

Ebene Bewegung. Ein Körper hat bei der ebenen Bewegungdrei Freiheitsgrade: zwei der Translation (Verschiebung in x-und y-Richtung) und einen der Rotation (Drehung um die z-Achse senkrecht zur Zeichenebene). Wie bei der räumlichenBewegung erhält man die beliebige ebene Bewegung durchÜberlagerung von Translation und Rotation. Da bei der ebe-nen Bewegung der Vektor e stets senkrecht zur Zeichenebenesteht und seine Richtung nicht ändert, folgt aus den Gln. (27)bis (30) mit Pe D0 und den Bezeichnungen gemäß Bild 11

rB.t /DrA.t /CrAB.t /; (31)�B D PrB D PrA C!ez �rAB

D�A C!rABet D�A C�BA ;(32)

aB D RrB DaA �!2rABer C˛rABet

DaA CaBA;n CaBA;t :(33)

Die Gln. (32) und (33) sind der Euler’sche Geschwindigkeits-satz und der Euler’sche Beschleunigungssatz. Danach ergibtsich die Geschwindigkeit der Punkte einer eben bewegtenScheibe gemäß Gl. (32), wenn man die Geschwindigkeit ei-nes Punkts A und die Winkelgeschwindigkeit ! der Scheibekennt, und die Beschleunigung gemäß Gl. (33), wenn die Be-schleunigung eines Punkts A sowie die Winkelgeschwindigkeitund Winkelbeschleunigung ˛ der Scheibe bekannt sind. DieVektoren �B und aB werden häufig graphisch bestimmt, da dierechnerische Lösung kompliziert ist.

Beispiel: Kurbeltrieb (Bild 12). Der Kolben A des Kurbeltriebs (l D500 mm;r D 100 mm) hat in der skizzierten Lage (' D 35ı) die Ge-schwindigkeit �A D 1;2 m=s und die Beschleunigung aA D 20 m=s2.Für diese Stellung sind zu ermitteln: der Geschwindigkeits- und Be-schleunigungsvektor des Kurbelzapfens B, die Winkelgeschwindigkei-ten und -beschleunigungen von Kurbel K und Schubstange S sowieder Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor eines beliebigenPunkts C der Schubstange. – Geschwindigkeiten (Bild 12 a): Vonden Vektoren der Gl. (32) sind �A nach Größe und Richtung, �B

Page 7: Dubbel || Kinematik

B2.2 Bewegung starrer Körper B 23

B

Bild 12. Kurbeltrieb. a Geschwindigkeiten; b Beschleunigungen

und �BA der Richtung nach .�B ? r , �BA ? l/ bekannt. Aus demGeschwindigkeits-Eck folgen �B D1;4 m=s, �BA D1;2 m=s und hieraus!K D �B=r D 14 s�1, !S D �BA= l D 2;4 s�1. Die Geschwindigkeitdes Punkts C wird dann gemäß Gl. (32) zu �C D �A C �CA, wo-bei �CA D !S �AC D �BA �AC =l ist und sich geometrisch aus demStrahlensatz ergibt. Beschleunigungen (Bild 12 b): Der Euler’sche Be-schleunigungssatz Gl. (33) nimmt, da sich B auf einer Kreisbahnbewegt, die Form aB;n C aB;t D aA C aBA;n C aBA;t an. Davon sindbekannt aB;n nach Größe (aB;n D r!2

K D 19;6 m=s2) und Richtung (inRichtung von r), von aB;t die Richtung .? r/; aA nach Größe undRichtung (aA D 20 m=s2 gegeben), aBA;n nach Größe (aBA;n D l!2

S D2;88 m=s2) und Richtung (in Richtung von l), von aBA;t die Rich-tung (?l). Aus dem Beschleunigungs-Eck erhält man aB;t D5;3 m=s2,aBA;t D 6;5 m=s2 und damit ˛K D aB;t =r D 53 s�2, ˛S D aBA;t = l D13 s�2. Die Beschleunigung des Punkts C ist aC DaA CaCA;n CaCA;t ,wobei aCA;n D !2

S �AC und aCA;t D ˛S �AC jeweils linear mit AC

wachsen, so dass auch aCA D aCA;n CaCA;t linear mit AC zunimmtund parallel zum Vektor aBA sein muss. Nach dem Strahlensatz erhältman aCA, und die geometrische Zusammensetzung mit aA ergibt aC.

Momentanzentrum. Es gibt stets einen Punkt, um den dieebene Bewegung momentan als reine Drehung aufgefasst wer-den kann (Momentanzentrum oder Geschwindigkeitspol), d. h.einen Punkt, der momentan in Ruhe ist. Man erhält ihn alsSchnittpunkt der Normalen zweier Geschwindigkeitsrichtun-gen (Bild 13 a). Ist neben den zwei Geschwindigkeitsrichtun-gen die Größe einer Geschwindigkeit gegeben (z. B. �A), so istdie momentane Winkelgeschwindigkeit ! D�A=rMA, ferner

�B D!rMB D�ArMB=rMA und �C D!rMC D�ArMC=rMA

usw. Graphisch erhält man die Größe der Geschwindigkeitenmit der Methode der „gedrehten“ Geschwindigkeiten, d. h.,man dreht �A um 90ı in Richtung rMA und zieht die Par-allele zur Strecke AB . Die auf den Radien rMB und rMC

abgeschnittenen Strecken BB 0 und CC 0 liefern die Größen derGeschwindigkeiten �B und �C (Strahlensatz).

Als Anwendung werden die Geschwindigkeiten des Beispiels Kurbel-trieb untersucht: Aus Bild 13 b erhält man bei gegebenen Richtungenvon �A und �B das Momentanzentrum M zu rMA D 495 mm, damit!S D�A=rMA D .1;2 m=s/=0;495 mD2;42 s�1 und mit rMB D580 mmdann �B D!SrMB D1;40 m=s. Die graphische Konstruktion mittels dergedrehten Geschwindigkeiten liefert dieselben Ergebnisse.

Bild 13. Momentanzentrum. a „Gedrehte“ Geschwindigkeiten; b Kur-beltrieb; c Polkurven

Bild 14. Beschleunigungspol

Das Momentanzentrum beschreibt bei der Bewegung bezüg-lich eines raumfesten Koordinatensystems die Rastpolkurve(Spurkurve, Polhodie) und bezüglich eines körperfesten Ko-ordinatensystems die Gangpolkurve (Rollkurve, Herpolhodie).Bei der Bewegung rollt die Gangpolkurve auf der Rastpolkur-ve ab. Bild 13 c zeigt einen abrutschenden Stab. Im raumfestenKoordinatensystem lautet die Gleichung der Rastpolkurve (R)x2 Cy2 D l2 und im körperfesten � , �-System die der Gang-polkurve (G) �2C�2 D.l=2/2, d. h., die beiden Polbahnen sindKreise.

Beschleunigungspol. Es ist der Punkt P, der momentankeine Beschleunigung hat. Dann gilt für andere Punkte Aund B (Bild 14) aA D aAP;t C aAP;n mit aAP;t D ˛rPA undaAP;n D!2rPA sowie aAP;t =aAP;n D˛=!2 D tanˇ, ferner aB DaBP;t C aBP;n mit aBP;t D ˛rPB und aBP;n D !2rPB sowieaBP;t =aBP;n D ˛=!2 D tanˇ. Der Beschleunigungspol ist alsoder Schnittpunkt zweier Radien, die unter dem Winkel ˇ zuzwei gegebenen Beschleunigungsvektoren stehen.

Relativbewegung. Bewegt sich ein Punkt P mit der Re-lativgeschwindigkeit �r bzw. Relativbeschleunigung ar aufgegebener Bahn relativ zu einem Körper, dessen räumliche Be-wegung durch Translation des körperfesten Punkts O und dieRotation um diesen Punkt (s. räumliche Bewegung, Bild 9)festgelegt ist, so unterscheidet sich das Problem von dem derKörperbewegung dadurch, dass jetzt der Vektor r1.t / nicht nurinfolge Fahrzeugdrehung seine Richtung, sondern zusätzlichinfolge Relativbewegung seine Richtung und Größe ändert.Entsprechend der Darstellung für die räumliche Körperbewe-

Page 8: Dubbel || Kinematik

B 24 Mechanik – B2 Kinematik

Bild 15. Relativbewegung. a Geschwindigkeiten; b Beschleunigungen

gung gemäß den Gln. (27) bis (30) gilt hier (Bild 15 a)

rP.t /Dr0.t /Cr1.t /; (34)

�.t/D PrP.t /D Pr0.t /C Pr1.t /

D Pr0.t /C!.t/e�r1 Cdrr1=dt D�F C�r :(35)

Hierbei ist drr1=dt D �r die Relativgeschwindigkeit desPunkts gegenüber dem Fahrzeug und Pr0 C!e �r1 D �F dieFührungs- oder Fahrzeuggeschwindigkeit. Gleichung (35) ent-hält die Regel: Die Ableitung Pr1 einen Vektors im körperfestenSystem nach der Zeit enthält den Anteil !e �r1 von der Dre-hung des Systems und die sogenannte relative Ableitung imSystem selbst. Entsprechend ergibt sich für die Beschleuni-gung (Bild 15 b)

a.t /D P�.t /D P�F C P�r D Rr0 C d

dt.!e �r1/C d

dt�r

D Rr0 CŒ. P!e C! Pe/�r1�C!e � Pr1 C P�r :

Mit Pr1 aus Gl. (35) und P�r D !e ��r Cdr�r=dt D !e ��r Cd 2

r r1=dt2 D!e ��r Car folgt

a.t /D Rr0 CŒ. P!e C! Pe/�r1�C!e �.!e �r1/

Cd 2r r1=dt2 C2!e ��r DaF Car CaC :

(36)

Die ersten drei Glieder dieser Gleichung stimmen mit denender räumlichen Bewegung des starren Körpers gemäß Gl. (30)überein, stellen also die Führungs- oder Fahrzeugbeschleuni-gung aF dar. Das vierte Glied ist die Relativbeschleunigung ar ,und das letzte Glied ist die sogenannte CoriolisbeschleunigungaC, die sich infolge Relativbewegung zusätzlich ergibt. Siewird zu null, wenn ! D0 ist (d. h., wenn das Fahrzeug eine rei-ne Translation ausführt) oder e und �r parallel zueinander sind(Relativgeschwindigkeit in Richtung der momentanen Dreh-achse) oder wenn �r D0 ist. Sie hat die Größe aC D2!�r sinˇ,wobei ˇ der Winkel zwischen ! und �r ist, und sie steht im Sin-ne einer Rechtsschraube senkrecht zu den Vektoren e und �r .Bei der ebenen Bewegung (Bewegung eines Punkts auf einerebenen Scheibe) stehen die Vektoren e und �r senkrecht zuein-ander, d. h., sinˇ D1 und somit aC D2!�r . Im Übrigen geltenauch hier

�D�F C�r und aDaF Car CaC ; (37)

wobei dann alle Vektoren in der Scheibenebene liegen.

Beispiel: Bewegung im rotierenden Rohr (Bild 16). In einem Rohr,das sich nach dem (beliebig) vorgegebenen '(t)-Gesetz dreht, bewegtsich relativ ein Massenpunkt nach dem ebenfalls gegebenen Weg-Zeit-Gesetz sr.t/ nach außen. Für einen beliebigen Zeitpunkt t sind Absolut-geschwindigkeit und -beschleunigung des Massenpunkts zu ermitteln.– Aus sr.t/ erhält man für Relativgeschwindigkeitund -beschleunigung�r.t/D Psr und ar.t/D Rsr , während die Führungsbewegung mit �F.t/Dsr.t/!.t/ sowie aFt .t/ D sr.t/˛.t/, aFn.t/ D sr.t/!

2.t/ mit !.t/ D P'und ˛.t/D R' beschrieben wird. Die Coriolisbeschleunigung wird dannaC D 2!.t/�r.t/ mit der Richtung senkrecht �r . Absolutgeschwindig-keit und -beschleunigung werden gemäß Gl. (37) durch geometrischeZusammensetzung erhalten (Bild 16).

Bild 16. Bewegung im rotierenden Rohr

Bild 17. Umlaufgetriebe

Beispiel: Umlaufgetriebe (Bild 17). Die mit der Winkelgeschwindig-keit !1 rotierende Kurbel führt das Planetenrad, das sich mit !2;1

gegenüber der Kurbel dreht, auf dem feststehenden Sonnenrad. – NachGl. (37) wird �P D �F C�r mit der Größe �P D !1.l Cr/C!2;1r undentsprechend �P0 D !1.l �r/�!2;1r . Da das Sonnenrad feststeht, ist�P0 D0, woraus

!2;1 D!1.l �r/=r und �P D!1.l Cr/C!1.l �r/D2!1l

folgen. Die Bewegung des Planetenrads lässt sich deuten als eineDrehung mit !2 D !1 C !2;1 D !1l=r um sein MomentanzentrumP 0 (Berührungspunkt von Planeten- mit Sonnenrad), woraus ebenfalls�P D !22r D 2!1l folgt. Hieraus ergibt sich allgemein, dass die Re-sultierende zweier Winkelgeschwindigkeiten !1 und !2 um paralleleAchsen im Abstand L so wie bei zwei Kräften (Hebelgesetz) gefundenwird, nämlich zu !res D!1 C!2 im Abstand l1 DL!2=.!1 C!2/ vonder Achse von !1 .

Beispiel: Rotation zweier Scheiben um parallele Achsen (Bild 18).Ein um das feste Lager B rotierender Stab hat die Winkelgeschwin-digkeit !1 und die Winkelbeschleunigung ˛1. In seinem Punkt O isteine Scheibe gelagert, die sich im selben Moment ihm gegenüber mit!2;1 >!1 und ˛2;1 dreht. Gesucht sind die momentanen Geschwindig-keits- und Beschleunigungsvektoren eines beliebigen Punkts P. – FürPunkt A ist nach Gl. (37)

�A D�A;F C�A;r mit �A;r D!2;1 �OA und

�A;F D!1 �BAD!1 �BO C!1 �OAD�0 C!1 �OA;

so dass�A D�A;F ��A;r D�0 �.!2;1 �!1/ �OA

wird. Mit !2;1 �!1 D!2 sowie �0=!2 D l2 DOM wird

�A D!2.OM �OA/D!2MA;

d. h. eine reine Drehgeschwindigkeit um das Momentanzentrum M(Bild 18 a). Da �0 D r0!1 und somit l2 D r0!1=.!2;1�!1/ gilt, ist daseine Bestätigung des Satzes über die Zusammensetzung von Winkel-geschwindigkeiten für parallele Achsen, wobei im Fall gegenläufigerDrehungen für !res die Differenz der beiden Winkelgeschwindigkei-ten anzusetzen ist und ihre Achse außerhalb der beiden gegebenenAchsen liegt. Sind beide Winkelgeschwindigkeiten entgegengesetztgleich groß, wird !res D 0, die Scheibe führt eine reine Translati-on (hier mit �0) aus. Für den beliebigen Punkt P gilt nach Gl. (37)�P D�P;F C�P;r , wobei gemäß Gl. (35)

�P;F D Pr0 C!1 �r1 D�0 C!1 �r1 bzw. auch

�P;F D!�.r0 Cr1/D!�rP und

�P;r Ddrr1=dt D!2;1 �r1

Page 9: Dubbel || Kinematik

B2.2 Bewegung starrer Körper B 25

B

Bild 18. Rotation zweier Scheiben. a Geschwindigkeiten; b Beschleu-nigungen

sind. Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus der reinen Drehung um M zuj�Pj D !2 �MP , wobei �P ? MP ist (Bild 18 a). Die Beschleunigungvon Punkt P folgt aus Gln. (37) bzw. (36) aP D aP;F C aP;r C aP;C.Dabei ist aP;F D aP;Fn C aP;Ft mit aP;Fn D !2

1rP und aP;Ft D ˛1rP,

aP;r D aP;rn C aP;rt mit aP;rn D !22;1r1 und aP;rt D ˛2;1r1 sowie

aP;C D 2!1 ��P;r mit dem Betrag aP;C D 2!1vP;r D 2!1!2;1r1. Diegeometrische Zusammensetzung liefert dann aP (Bild 18 b).

Beispiel: Drehung um zwei einander schneidende Achsen (Bild 19).Eine abgewinkelte Achse rotiert mit !1 und führt ein Kegelrad, dassich mit !2;1 relativ zu dieser Achse dreht und auf einem festen Kegelabrollt. Nach Gl. (35) ist dann

�P D�F C�r D .�0 C!1 �r1/C!2;1 �r1

D .!1 �r0 C!1 �r1/C!2;1 �r1 mit dem Betrag

�P D!1r0 sinˇC!1r1 sin.90ı �ˇ/C!2;1r1

D!1r0 sinˇC!1r1 cosˇC!2;1r1

und entsprechend

�P0 D!1r0 sinˇ�!1r1 cosˇ�!2;1r1 :

Aus �P0 D 0 folgt mit cot� D r0=r1 der Zusammenhang zwischen denWinkelgeschwindigkeiten (Zwanglauf)

!2;1 D!1.cot� sinˇ�cosˇ/D!1 sin.ˇ��/=sin� :

Das bedeutet, dass man die Winkelgeschwindigkeiten !1 und !2;1

zu einer Resultierenden !2 gemäß !2 D !1 C !2;1 zusammenset-zen darf (Bild 19), denn der Sinussatz für das Vektoreneck liefertdas vorstehende Ergebnis. Die Bewegung des Kegelrads kann also alsreine Drehung mit !2 um die Berührungslinie als Momentanachsebeschrieben werden. Zwei Winkelgeschwindigkeiten !1 und !2 umzwei einander schneidende Achsen ergeben allgemein eine Resultie-rende !res D!1 C!2 .

Bild 19. Kegelrad

Bild 20. Umlaufende Kurbelschleife

Beispiel: Umlaufende Kurbelschleife (Bild 20). Die Kurbel (r D150 mm) dreht sich mit !K D 4 s�1 D const. Für die Stellung ' D 75ı

sind Winkelgeschwindigkeit !S und -beschleunigung ˛S der Schleifezu ermitteln. – Der Kulissenstein P führt gegenüber der Schleife eineRelativbewegung aus. Seine Absolutbewegung ist durch die Kurbel-bewegung gegeben: � D !Kr D 0;60 m=s, a D an D !2

Kr D 2;40 m=s2,da wegen !K D const, also ˛K D 0, at D ˛Kr D 0 ist. Da die Re-lativbewegung geradlinig ist, haben Relativgeschwindigkeit �r und-beschleunigungar die Richtung der Relativbahn, also die der Schleife.Gemäß Gl. (37) �D�F C�r folgt mit bekanntem Vektor � und den be-kannten Richtungen von �F (? Schleife) und �r (// Schleife) aus demGeschwindigkeits-Eck (Bild 20) �r D 0;29 m=s und �F D 0;52 m=s.Mit l.' D75ı/�460 mm wird die Winkelgeschwindigkeit der Schlei-fe !S D �F= l D 1;13 s�1 und somit aFn D l!2

S D 0;59 m=s2 (Rich-tung k Schleife). Die Coriolisbeschleunigung aC D2!S�r D0;66 m=s2

steht senkrecht auf der Schleife, so dass bei bekanntem Vektor a undden bekannten Richtungen von aFt (? Schleife) und ar (k Schleife)gemäß Gl. (37) aDaFn CaFt Car CaC aus dem Beschleunigungs-Eck(Bild 20) ar D 1;45 m=s2und aFt D 0;50 m=s2 zu erhalten ist, worausdann ˛S DaFt = l D1;09 s�2 folgt.