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Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juni 2011 | www.gdch.de/nachrichten
�Journal�658
Rezensionen
Geschichten und Geschichte
Von Alkohol bis Zucker. Zwölf Sub-
stanzen, die die Welt veränderten.
Von Christian Mähr. Dumont, Köln,
2010. 223 Seiten, brosch. 16,95 Euro.
ISBN 978–3–8321–9549–6
� „Es sind Geschichten um mensch-
liche und unmenschliche Träume, Re-
portagen über Wünsche, Gier, Krank-
heit und Hoffnung“, so steh es auf den
Klappentext. Bei den glorreichen (?)
Zwölf, die die Welt veränderten, han-
delt es sich um Naturstoffe, Wirkstoffe
und Kunststoffe. Die Auswahlkriterien
bleiben offen – Leserin und Leser kön-
nen trefflich selbst darüber spekulie-
ren. Diese (scheinbar) unsystemati-
sche Ordnung spiegelt eher die tat-
sächliche historische Komplexität der
Gegenstände wider.
Zucker erscheint als modischer
Stoff: War er teuer, galt er als Wirk-
stoff (S. 17), heute verabscheut „der
fortschrittliche Teil der Menschheit
den Zucker und erzieht die Kinder zu-
ckerfrei“ (S. 25) – dies erscheint elitär
und vor allem nicht sachgerecht. DDT
beschreibt der Autor als Ursache und
Ausgangspunkt des öffentlichen „Ge-
neralverdachts, unter dem die Chemie
bist heute steht“ (S. 37). Zum Anilin
(oder vielleicht treffender: Worauf
kommt es in der Forschung an?) heißt
es: Der achtzehnjährige William Per-
kin, der eher zufällig Mauvein, den
ersten synthetischen Farbstoff, aus
Anilin synthetisierte, verließ erstens
„die Gleise des normalen Handelns“
und zweitens verwirklichte er seine
Möglichkeiten „konsequent und ziel-
strebig“ (S. 53). Soda schildert Christi-
an Mähr nicht nur als Substanz mit ei-
ner unwahrscheinlichen Anwen-
dungsbreite, sondern er erzählt auch
einen Produktionskrimi: Nicolas Leb-
lanc, Erfinder des ersten Verfahrens
zur Sodagewinnung, starb im Armen-
haus, und Ernest Solvay wurde zum
„Industriephilanthropen“ (S. 71). Der
Siegeszug des Benzins begann in Ti-
tusville (USA) mit Colonel Drake, dem
ersten US-Amerikaner, der erfolgreich
nach Erdöl bohrte. Er war zufällig „zur
richtigen Zeit am richtigen Ort“ (S. 84).
Chinin beschreibt der Autor als ural-
ten – und unterschätzten – Wirkstoff
(S. 93), gefolgt vom modernen Penicil-
lin (S. 107). Die Ironie des Alkohols ist,
„dass die abstinenten Muslime das
Schnapsbrennen erfunden haben“
(S. 138). Das Kapitel über Gummi (hier
ist übrigens ein kleiner Fehler auf
S. 151 – natürlich in einer Formel) ist
wirklich in Teilen sehr finster. Die Ver-
brechen der belgischen Kolonialzeit im
Kongo werden in ihrer Grausamkeit
im Buch klar angesprochen.
Kaffee wird als Anlass zur Kom-
munikation im Kaffeehaus interpre-
tiert – keine Wunder, dass dies man-
chen (alten) Obrigkeiten nicht wirklich
gefiel – denn: Die (neuen europäi-
schen) „Eliten wurden nüchtern“
(S. 178). Ammoniak hingegen ist aus
dem Haushalt verschwunden (S. 187).
Die letzte Substanz im Buch ist
schließlich die Antibabypille (S. 205).
„A bis Z“ ist weniger ein Chemie-,
sondern viel eher ein populäres Ge-
schichts- und Gesellschaftsbuch: Es
enthält wenig Formeln, dafür mehr
Einordnung in historische und gesell-
schaftliche Kontexte. Bekannte und
neue Sichtweisen verknüpft der Autor
unterhaltsam miteinander. Christian
Mähr erzählt Geschichten über die Be-
deutung der Stoffe, nicht über die
Stoffe selbst, und das spannend und
offen subjektiv. Ich habe das Buch sehr
gerne gelesen und werde auch wieder
hineinschauen.
Henry Hildebrandt, Bad Salzuflen
Vereinfachte Suche im Heuhaufen
Virtual Screening: Principles, Challen-
ges, and Practical Guidelines (Methods
and Principles in Medicinal Chemistry
– Band 48).
Hrsg. von Christoph Sotriffer. Wiley-
VCH, Weinheim, 2011. 519 Seiten,
geb. 131,– Euro.
ISBN 978–3–527–32636–7;
E-Buch: ISBN 978–3–527–32636–5
� Das virtuelle Screening (VS) ist in
den vergangenen 15 Jahren integraler
Baustein der Medikamentenentwick-
lung geworden; so verwundert es
nicht, dass immer mehr Bücher darü-
ber erscheinen. Unter virtuellem Scree-
ning versteht man computergestütztes
Filtern von ungeeigneten Substanzen
in einer (realen oder virtuellen) Sub-
stanzdatenbank, um neue Strukturen
zu finden, die möglichst mit einem
Zielmolekül, etwa einem Protein,
wechselwirken. Hierzu dient ein breites
Spektrum an Chemoinformatik-Metho-
den. Dieses Buch geht sowohl auf die
Erfolge als auch auf die Fehlerquellen
im Einsatz dieser Methoden ein.
Das Buch ist in vier Abschnitte un-
terteilt. Der Erste (Principles) be-
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Bücher �Journal� 659
schreibt ausführlich die Methoden, die
für das virtuelle Screening benötigt
und eingesetzt werden. Die Kapitel
widmen sich dem virtuellen Screening
des „chemischen Raums“, der Prozes-
sierung von Datenbanken mit kleinen
Molekülen für das virtuelle Screening,
dem ligand- und strukturbasierten vir-
tuellen Screening, dem virtuellen
Screening mit 3D-Pharmakophormo-
dellen und Docking-Methoden. Der
zweite Abschnitt (Challenges) geht
auf wichtige Herausforderungen und
Algorithmen ein, um den Einfluss und
Erfolg der Techniken zu verbessern.
Die Kapitel umfassen hierbei Affini-
tätsvorhersagen, den Umgang mit
Proteinflexibilität und die Einbezie-
hung von Wasser- und Solvenseffek-
ten. Der dritte Abschnitt „Applications
and practical guidelines“ beschreibt
nützliche Strategien, gibt Empfehlun-
gen und weist auf Fallstricke im Work-
flow und in der Anwendung von virtu-
ellen Screening Methoden hin. Der ab-
schließende Abschnitt „Scenarios and
case studies: routes to success“ zeigt
diverse Erfolgsgeschichten und Fall-
studien zum virtuellen Screening.
Hierbei werden die damit verbunde-
nen wichtigsten Szenarien zur Medi-
kamentenentwicklung beschrieben,
wie die Homologiemodellierung oder
fragment-, ligand- und strukturbasier-
te Ansätze.
Als Anhänge ergänzt sind eine
Software-Übersicht und eine Tabelle
mit allen im Buch angesprochenen
und darüber hinausgehenden struk-
turbezogenen Anwendungsstudien
des virtuellen Screenings (inklusive Li-
teraturverweise).
Interessant ist, dass Medizinalche-
miker sowohl aus dem akademischen
Bereich als auch aus der Industrie in
den Beiträgen ihre Erfahrung und
praktische Ratschläge weitergeben,
wie wirksame Methoden am besten
eingesetzt werden. Im Vergleich zu an-
deren Büchern auf diesem Gebiet
hebt sich dieses durch die anschauli-
chen Fallstudien und Beispiele hervor.
Zusammenfassend ist das Buch
Medizinalchemikern und an Medika-
mentenentwicklung Interessierten
sehr zu empfehlen, wobei etwas Vor-
wissen vorhanden ein sollte.
Thomas Engel, München
Kein Glanzstück
European Women in Chemistry.
Hrsg. von Jan Apotheker, Livia Simon
Sarkadi. Wiley-VCH, Weinheim, 2011.
239 Seiten, brosch. 24,90 Euro.
ISBN 978–3–527–32956–4
� Eine der Aufgaben des Internatio-
nalen Jahrs der Chemie soll es sein,
100 Jahre nach dem Chemie-Nobel-
preis für Maria Sklodowska-Curie die
Leistungen von Chemikerinnen stär-
ker öffentlich zu machen. Jan Apothe-
ker und Livia S. Sarkadi haben im Auf-
trag der European Association for
Chemical and Molecular Sciences Eu-
chems eine Sammlung mit Porträts
von Wissenschaftlerinnen zusam-
mengestellt, die mithelfen soll, grö-
ßere Öffentlichkeit herzustellen.
Das 240-seitige Buch beginnt mit
einem Vorwort von Nicole Moreau,
der Präsidentin der Iupac. Zwischen
einem Kapitel über Maria die Jüdin,
die zwischen dem 1. und den 3. Jahr-
hundert lebte, und einem über die
1969 geborene Max-Planck-Direkto-
rin Katharina Landfester reihen sich
in chronologischer Reihenfolge 52
weitere Kurzbeschreibungen von Ge-
lehrten und Wissenschaftlerinnen,
deren Auswahl sich nicht ohne Wei-
teres erschließt. Nicht alle sind Che-
mikerinnen, so Lise Meitner, die Phy-
sikerin ist, um nur einen der bekann-
teren Namen zu nennen. Den Begriff
„europäisch“ haben die Herausgeber
ebenfalls nicht so eng gesehen und
auch zwei Beiträge über Alchemistin-
nen aus Ägypten mit aufgenommen.
Unerwähnt bleibt Sophie Brahe, die
ihrem Bruder Tycho nicht nur bei as-
tronomischen Beobachtungen half,
sondern sich gemeinsam mit ihrem
Lebenspartner Erik Lange intensiv mit
Chemie befasste. Auch Isabella Corte-
se hätte man ein Kapitel widmen
können. Sie beschrieb Rezepte für
Kosmetika und versuchte, wie ihre
männlichen Alchemistenkollegen,
wertloses Metall in Gold zu verwan-
deln. Schließlich hätte Elizabeth Ful-
hame zumindest eine Erwähnung
verdient für ihr auch nach ihrem Tod
im 19. Jahrhundert noch viel beachte-
tes Buch über Redoxreaktionen und
Katalyse („An Essay on Combustion“).
European Women in Chemistry
scheint für polyglotte Europäer ge-
schrieben, denn es enthält eine Reihe
nicht-englischer Begriffe und Zitate
ohne Übersetzung, zum Beispiel alt-
griechische Bezeichnungen für alche-
mistische Geräte, ins Französische (!)
übersetzte Titel von antiken grie-
chischen Werken oder deutsche
„Bandwurm“-Titel von Doktorarbei-
ten.
Viele Kapitel dieser offiziellen Eu-
chems-Publikation zum Internationa-
len Jahr der Chemie lassen die nötige
Substanz und Sorgfalt vermissen. Als
lexikalische Quelle ein Ärgernis und
als biographische Lektüre zu trocken,
ist das Buch mit seinen Textwieder-
holungen, Bildern beschränkter Qua-
lität und sprachlichen Unzulänglich-
keiten auch verlegerisch kein Glanz-
stück.
Ute Linz, Jülich
� Kurz vorgestellt
Experimente für Kinder Nichts als Schaum? Überraschende Experimente für
Jung und Alt.
Von Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger. BASF SE, Ludwigs-
hafen, 2010. 103 Seiten, Ringbindung, 10,90 Euro.
Erhältlich im Anilin-Shop der BASF inkl. Basotect-
Schwamm: www.wirtschaftsbetriebe.basf.de
Das Buch enthält Anleitungen zu kurzen, ein-
fachen Experimenten, die unerwartete Eigen-
schaften des Schwamms Basotect offenbaren. Die
Sprache ist für Kinder verständlich, und die Experi-
mente lassen sich mit gewöhnlichen Haushalts-
gegenständen ohne große Gefahren durchführen.
Der Schwamm ist für weitere Experimente auch
im Einzelhandel erhältlich, beispielsweise als
„Schmutzradierer“ von Meister Proper.
Alles nicht so schlimm?
Klima. Der Weltuntergang findet nicht
statt.
Von Gerd Ganteför. Wiley-VCH,
Weinheim, 2010. 289 Seiten, geb.
24,90 Euro.
ISBN 978–3–527–32671–6
� Bei der Besprechung dieses Bu-
ches des Konstanzer Physikers Gerd
Ganteför beschleichen mich gemisch-
te Gefühle. Zunächst haben sich
durch das Erbeben in Japan und seine
Folgen doch erhebliche Umbrüche bei
der Bewertung der Stromerzeugung
aus Kernenergie ergeben, die in die-
sem Buch nicht berücksichtigt sind.
Dies ist nicht dem Autor anzulasten,
muss uns aber doch alle nachdenk-
lich machen, ob das einmal Geschrie-
bene auch dann noch Bestand hat,
wenn neue und nicht vorhergesehene
Entwicklungen eintreten. Hier sind
besonders die Thesen am Ende des
Buches betroffen, die wiederholt
Kernenergie in einem zukünftigen
Energiemix sehen.
Ansonsten enthält das Buch eine
Fülle interessanten Materials und in-
teressante Gedankengänge und soll-
te nicht einfach in die Kategorie „Pu-
blikation aus dem Lager der Klima -
skeptiker“ eingeordnet werden. Da-
mit wird man dem Autor nicht ge-
recht, der versucht, einen Abriss zu
den Themenkomplexen Energie-Be-
völkerung-Klima zu geben. Der Autor
ist in vielen Dingen kritisch und so
auch gegenüber den Berichten des In-
tergovernmental Panel on Climate
Change IPCC oder der Berichterstat-
tung über die Klimaforschung in den
Medien. Beides, der Stand der Wis-
senschaft, der in vielen Bereichen
ganz unbefriedigend ist, und die Be-
richterstattung darüber bis hin zu
Darstellungen des Hollywood-Kinos,
sind jedoch unterschiedliche Dinge,
die der Autor in diesem Buch ein we-
nig zu einem Komplex vermengt. Die-
ser ist am Werke, den Lesern einen
Weltuntergang zu prophezeien, wo-
mit eine lange Tradition dieser Vor-
hersagen fortgesetzt wird. Natürlich
ist Weltuntergangsprophet nicht die
Rolle des IPCC. Dieser trägt den Stand
unseres Wissens zum Klimasystem
zusammen, um Vorhersagen zu ma-
chen, was naturgemäß nicht trivial
ist. Was für eine Alternative hat man
aber, wenn man globale Effekte ver-
stehen und – so gut es eben geht –
vorhersagen will?
Ich vermisse in diesem Buch sehr
ein fundierteres Eingehen auf globale
Effekte eines möglichen Klimawan-
dels. Das Buch verbleibt hier im we-
sentlichen bei einem „alles nicht so
schlimm, teilweise sogar besser als
vorher“, wie es uns wohl auch die lus-
tigen Eisbären auf dem Schutz-
umschlag sagen wollen.
Das Buch ist flüssig und interes-
sant geschrieben, und, wie der Klap-
pentext sagt, „meinungsstark“. Das
kann bedeuten, dass Darstellungen
von der Meinung des Autors geprägt
sind. Dieses ist bei einem populärwis-
senschaftlichen Text zulässig, muss
dem Leser aber klar sein, der ein sol-
ches Buch vielleicht als Sachbuch und
damit auch als Faktenquelle benut-
zen möchte. Ich rate hier ein wenig
zur Vorsicht.
Leider sind viele Abbildungen
nicht besonders schön geraten; man-
che Bilder führen zu Aha-Erlebnissen
über die Kraft graphischer Darstellun-
gen, etwa ein Plot der CO2-Emission
aus Ölverbrennung als Funktion der
Zeit, wenn sich letztere über eine
Spanne von – 5000 bis zu + 8000 Jah-
ren erstreckt.
Hartmut Herrmann, Leipzig
�Journal� Bücher 660
Nachrichten aus der Chemie | 59 | Juni 2011 | www.gdch.de/nachrichten
� Kurz vorgestellt
Historische Einblicke Essays zur Chymie im 18. Jahrhun-
dert an der Universität Leipzig.
Von Lothar Beyer. Leipziger Univer-
sitätsverlag, Leipzig, 2010.
168 Seiten, brosch. 22,00 Euro.
ISBN 978–3–86583–504–8
Im Jahre 1710 wurde das Ordinari-
at für Chymie an der Universität
Leipzig gegründet. In vier kurzen
Geschichten kann sich der Leser
über Leben und Arbeit der berufe-
nen Professoren informieren. Im
Zentrum steht die aus dem Lateini-
schen übersetzte Antrittsvorlesung
Christian Gotthold Eschenbachs.
Wörterbuch zu Kunststoffen A Glossary of Plastics Terminology
in 7 Languages.
Von Wolfgang Glenz. Carl-Hanser-
Verlag, München, 2010.
472 Seiten, geb. 89,00 Euro.
ISBN 978–3–446–42320–6
Der Autor stellt übersichtlich Fach-
begriffe aus Chemie, Eigenschaf-
ten, Charakterisierung und Her-
stellung von Kunststoffen in sie-
ben Sprachen gegenüber: Eng-
lisch, Deutsch, Spanisch, Italie-
nisch, Französisch, Russisch und
Chinesisch. Zusätzlich enthält das
Buch eine CD-ROM mit den Daten.
Seltene Erden recyceln? Study on Rare Earths and Their
Recycling.
Hrsg. vom Öko-Institut, Darm-
stadt, 2011. 162 Seiten.
Kostenlos herunterzuladen unter:
www.oeko.de
Das Autoren haben eine europäi-
sche Strategie für nachhaltiges
Wirtschaften mit Seltenerdmetal-
len erarbeitet: Wie sind diese Roh-
stoffe effizienter einzusetzen,
durch andere zu ersetzen und
durch Recyclingprozesse erneut
zu verwenden? [Nachr. Chem.
2011, 59, 440]