HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015...

11
MEDIASTRATEGIE REPORT www.horizont.net/report HORIZONT 11/2015 12. März 2015 25 R ealtime hat alle Chancen, Mar- ketingwort des Jahres zu wer- den. Kaum ein anderer Begriff geistert so allgegenwärtig durch die Diskurse. Langfristige Pla- nung, Vorlauf, festgezurrte Kampagnen – das ist die Welt von gestern. In Zukunft handelt man live und in ständiger Rück- kopplung mit den Zielgruppen. Real- time Marketing umfasst alle Maßnah- men, mit denen man flexibel auf äußere Einflüsse reagieren kann. Zwei wesentliche Faktoren forcieren derzeit die Entwicklung in Richtung Realtime. Auf der einen Seite gewöhnen sich die Konsumenten zunehmend an den ständigen Austausch über digitale Geräte: Sie posten, chatten, rufen Filme ab oder übertragen Daten per Wearable – Wartezeiten gibt es in dieser Welt nicht mehr. Folgerichtig muss auch das Mar- keting „always on“, das Unternehmen kontinuierlich dialogfähig sein. Auf der anderen Seite macht die Tech- nik immer mehr möglich, von dynami- schen Bannern bis zu Outdoor-Wer- bung in Echtzeit. Der Fachkreis Online- Mediaagenturen (Foma) im Bundesver- band Digitale Wirtschaft (BVDW) schätzt, dass der Anteil in Echtzeit ge- handelter Werbung bis 2016 auf 29 Pro- zent steigen wird – 2014 waren es rund 14 Prozent. Dem Konsumenten die auf ihn zugeschnittene Werbebotschaft im rich- tigen Augenblick zu zeigen – das ist die Realtime-Idealvorstellung. In den Bereichen Social Media und Content Marketing läuft Echtzeit-Kom- munikation noch recht überschaubar: Man publiziert und postet aktuell und reagiert möglichst schnell auf Kunden- anfragen. Sehr hohe Ansprüche stellen dagegen Planung und Steuerung von di- gitaler Onlinewerbung. Denn natürlich sind Live-Reaktionen nur möglich, wenn die Kampagnen mit genau defi- nierten Kausalketten automatisiert ab- laufen – kein Mensch könnte gleichzeitig an so vielen Stellschrauben drehen. Sinnvolle, auf alle Eventualitäten ausge- richtete Automatisierung wiederum funktioniert nur auf einer breiten, kanal- übergreifenden Datenbasis, die in Echt- zeit verfügbar ist. Hier rüsten die Unter- nehmen zurzeit kräftig auf. Laut Markt- forschungsinstitut IDC betrugen die weltweiten Ausgaben für Marketingsoft- ware im vergangenen Jahr gut 20 Milliar- den US-Dollar, bis 2018 sollen sie auf über 32 Milliarden US-Dollar steigen. Aber die Software reicht nicht, auch die Strukturen im Unternehmen müssen stimmen. „Die größten Hemmnisse bei der Implementierung von Automatisie- rungssystemen liegen im organisatori- schen Bereich“, sagt Gregor Wolf, Deutschland-Geschäftsführer des Data- Dienstleisters Experian. „Bestehende Be- reichsabgrenzungen und Zuständigkei- ten sowie Besitzstände müssen aufgelöst werden.“ Das kann zu Grabenkämpfen führen. Zudem können Datenfusionen auch rechtlich problematisch sein. Hinzu kommt: Noch immer ist un- klar, was genau benötigt wird: „Wir er- mitteln zurzeit im Rahmen von Data- Workshops mit unseren Kunden, welche Daten überhaupt in die Durchführung von Realtime-Kampagnen einfließen sollten“, erklärt Christian Scholz, CEO der Mediaagentur Mindshare. Wie Mindshare sind die meisten Mediaagen- turen zurzeit dabei, intelligente Systeme für automatisierte Realtime-Kampa- gnen aufzubauen. Sie müssen sich be- eilen: Google, Facebook und Co, aber auch IT-Häuser und Unternehmensbe- ratungen sind hier ebenso sehr aktiv. Das Realtime-Idealbild besteht aber nicht nur in der vollautomatisiert ab- laufenden Kampagne, sondern auch in der Möglichkeit für Mediamanager, live zu justieren. Dazu müssen die Akteure einfach und bequem alle relevanten Da- ten nutzen können. Plan.Net hat daher unter dem Namen „Core“ ein System entwickelt, das in Echtzeit alle Kampa- gnen-KPIs abbildet. Im Einsatz ist es be- reits bei einem großen Handelsunter- nehmen, ein E-Commerce-Kunde soll bald folgen. „Auf dieses System kann auch der Kunde zugreifen“, so Manfred Klaus, Sprecher der Geschäftsführung. „Es kommt quasi zu einer Demokratisie- rung der Information.“ Hier liegt eine weitere Herausforderung für Werbung- treibende: Sie müssen in der Lage sein, in Kooperation mit der Mediaagentur schnelle Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel über Etaterhöhungen. Von Klaus Janke Realtime Marketing macht eine sehr flexible Kampa- gnensteuerung möglich. Da- für steigen die Ansprüche an Planung und Datenqualität FOTO: OLEKSIY MARK / COBALT / FOTOLIA / MONTAGE: HORIZONT Immer auf Sendung Mit Rückenwind segelt es sich leichter, und die Mannschaft an Bord muss sich weniger ins Zeug legen, um Strecke zu machen. Übertragen auf den intermedia- len Wettbewerb haben die Onlinever- markter jahrelang von der auf digitales Wachstum gepolten Großwetterlage pro- fitiert – auf Kosten anderer Gattungen, insbesondere Print. Das Internet stehe qua se für Messbarkeit und Transparenz, so die (Selbst)Gewissheit vieler On- linemanager. Doch während TV, Radio und nun auch Print im Gegenwind ver- stärkt in Gattungsmarketing und Wir- kungsnachweise investierten, haben die Digitalvermarkter in dieser Hinsicht die Zügel eher schleifen lassen. Kein Wunder, dass sich der Wind dreht und inzwischen die Mediaplaner bei der HORIZONT-Um- frage den größten Nachholbedarf beim Gattungsmarketing tendenziell bei der vermeintlichen Avantgarde der Digital- vermarkter erkennen (Seite 33). Gegenwind ZUM THEMA Jochen Zimmer Ressortleitung Specials Echtzeitwerbung: RTA erfordert, dass Inhalte immer dynamischer werden. 26 Gastbeitrag: Christof Baron zur Debatte über das Geschäftsmodell der Agenturen. 28 Hörfunk: Die Konvergenzwährung für UKW und Online Audio steht bevor. 30 Print: Erstes Fazit der Wochenendum- stellung von „Spiegel“ und „Focus“. 32 Cases: Magazine, die Trends aufgreifen, Nischen füllen und Digital verlängern. 34 Kino: Cinemaxx und Cinestar wollen das Werbe-Weischer-Monopol angreifen. 34 INHALT HORIZONTREPORT ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: [email protected] Redaktion: Bettina Sonnenschein, Lisa Naumann I/2015

Transcript of HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015...

Page 1: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

MEDIASTRATEGIEREPORT www.horizont.net/report

HORIZONT 11/2015 12. März 2015 25

Realtime hat alle Chancen, Mar-ketingwort des Jahres zu wer-den. Kaum ein anderer Begriffgeistert so allgegenwärtig

durch die Diskurse. Langfristige Pla-nung, Vorlauf, festgezurrte Kampagnen– das ist die Welt von gestern. In Zukunfthandelt man live und in ständiger Rück-kopplung mit den Zielgruppen. Real-time Marketing umfasst alle Maßnah-men, mit denen man flexibel auf äußereEinflüsse reagieren kann.

Zwei wesentliche Faktoren forcierenderzeit die Entwicklung in RichtungRealtime. Auf der einen Seite gewöhnensich die Konsumenten zunehmend anden ständigen Austausch über digitaleGeräte: Sie posten, chatten, rufen Filmeab oder übertragen Daten per Wearable– Wartezeiten gibt es in dieser Welt nicht

mehr. Folgerichtig muss auch das Mar-keting „always on“, das Unternehmenkontinuierlich dialogfähig sein.

Auf der anderen Seite macht die Tech-nik immer mehr möglich, von dynami-schen Bannern bis zu Outdoor-Wer-bung in Echtzeit. Der Fachkreis Online-Mediaagenturen (Foma) im Bundesver-band Digitale Wirtschaft (BVDW)schätzt, dass der Anteil in Echtzeit ge-handelter Werbung bis 2016 auf 29 Pro-zent steigen wird – 2014 waren es rund14Prozent. Dem Konsumenten die auf ihnzugeschnittene Werbebotschaft im rich-tigen Augenblick zu zeigen – das ist dieRealtime-Idealvorstellung.

In den Bereichen Social Media undContent Marketing läuft Echtzeit-Kom-munikation noch recht überschaubar:Man publiziert und postet aktuell undreagiert möglichst schnell auf Kunden-anfragen. Sehr hohe Ansprüche stellendagegen Planung und Steuerung von di-gitaler Onlinewerbung. Denn natürlichsind Live-Reaktionen nur möglich,wenn die Kampagnen mit genau defi-nierten Kausalketten automatisiert ab-laufen – kein Mensch könnte gleichzeitigan so vielen Stellschrauben drehen.Sinnvolle, auf alle Eventualitäten ausge-

richtete Automatisierung wiederumfunktioniert nur auf einer breiten, kanal-übergreifenden Datenbasis, die in Echt-zeit verfügbar ist. Hier rüsten die Unter-nehmen zurzeit kräftig auf. Laut Markt-forschungsinstitut IDC betrugen dieweltweiten Ausgaben für Marketingsoft-ware im vergangenen Jahr gut 20 Milliar-den US-Dollar, bis 2018 sollen sie aufüber 32 Milliarden US-Dollar steigen.

Aber die Software reicht nicht, auchdie Strukturen im Unternehmen müssenstimmen. „Die größten Hemmnisse beider Implementierung von Automatisie-rungssystemen liegen im organisatori-schen Bereich“, sagt Gregor Wolf,Deutschland-Geschäftsführer des Data-Dienstleisters Experian. „Bestehende Be-reichsabgrenzungen und Zuständigkei-ten sowie Besitzstände müssen aufgelöstwerden.“ Das kann zu Grabenkämpfenführen. Zudem können Datenfusionenauch rechtlich problematisch sein.

Hinzu kommt: Noch immer ist un-klar, was genau benötigt wird: „Wir er-mitteln zurzeit im Rahmen von Data-Workshops mit unseren Kunden, welcheDaten überhaupt in die Durchführungvon Realtime-Kampagnen einfließensollten“, erklärt Christian Scholz, CEO

der Mediaagentur Mindshare. WieMindshare sind die meisten Mediaagen-turen zurzeit dabei, intelligente Systemefür automatisierte Realtime-Kampa-gnen aufzubauen. Sie müssen sich be-eilen: Google, Facebook und Co, aberauch IT-Häuser und Unternehmensbe-ratungen sind hier ebenso sehr aktiv.

Das Realtime-Idealbild besteht abernicht nur in der vollautomatisiert ab-laufenden Kampagne, sondern auch inder Möglichkeit für Mediamanager, livezu justieren. Dazu müssen die Akteureeinfach und bequem alle relevanten Da-ten nutzen können. Plan.Net hat daherunter dem Namen „Core“ ein Systementwickelt, das in Echtzeit alle Kampa-gnen-KPIs abbildet. Im Einsatz ist es be-reits bei einem großen Handelsunter-nehmen, ein E-Commerce-Kunde sollbald folgen. „Auf dieses System kannauch der Kunde zugreifen“, so ManfredKlaus, Sprecher der Geschäftsführung.„Es kommt quasi zu einer Demokratisie-rung der Information.“ Hier liegt eineweitere Herausforderung für Werbung-treibende: Sie müssen in der Lage sein, inKooperation mit der Mediaagenturschnelle Entscheidungen zu treffen, zumBeispiel über Etaterhöhungen.

Von Klaus Janke

Realtime Marketing machteine sehr flexible Kampa-gnensteuerung möglich. Da-für steigen die Ansprüche anPlanung und Datenqualität

FOTO:OLEKSIY

MARK/COBALT/FOTO

LIA/MONTAGE:HO

RIZONT

Immer auf Sendung

Mit Rückenwind segelt es sich leichter,und die Mannschaft an Bord muss sichweniger ins Zeug legen, um Strecke zumachen. Übertragen auf den intermedia-len Wettbewerb haben die Onlinever-markter jahrelang von der auf digitalesWachstum gepolten Großwetterlage pro-fitiert – auf Kosten anderer Gattungen,insbesondere Print. Das Internet stehequa se für Messbarkeit und Transparenz,so die (Selbst)Gewissheit vieler On-linemanager. Doch während TV, Radiound nun auch Print im Gegenwind ver-stärkt in Gattungsmarketing und Wir-kungsnachweise investierten, haben dieDigitalvermarkter in dieser Hinsicht dieZügel eher schleifen lassen. Kein Wunder,dass sich der Wind dreht und inzwischendie Mediaplaner bei der HORIZONT-Um-frage den größten Nachholbedarf beimGattungsmarketing tendenziell bei dervermeintlichen Avantgarde der Digital-vermarkter erkennen (Seite 33).

Gegenwind

ZUMTHEMA

Jochen Zimmer

Ressortleitung Specials

Echtzeitwerbung: RTA erfordert, dassInhalte immer dynamischer werden. 26

Gastbeitrag: Christof Baron zur Debatteüber das Geschäftsmodell der Agenturen. 28

Hörfunk: Die Konvergenzwährung fürUKW und Online Audio steht bevor. 30

Print: Erstes Fazit der Wochenendum-stellung von „Spiegel“ und „Focus“. 32

Cases: Magazine, die Trends aufgreifen,Nischen füllen und Digital verlängern. 34

Kino: Cinemaxx und Cinestar wollen dasWerbe-Weischer-Monopol angreifen. 34

INHALT

HORIZONTREPORTist ein Sonderteil von HORIZONT,

Zeitung für Marketing, Werbung und Medien

Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.),

Volker Schütz, Jürgen Scharrer

Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer

Telefon 069/7595-2695

E-Mail: [email protected]

Redaktion: Bettina Sonnenschein,

Lisa Naumann

I/2015

Page 2: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

Wettlaufmit der Zeit

Es gibt komfortablere Orte für denDreh von tagesaktuellen Spots alsden Kölner Karneval. Aber aus-gerechnet ins hektische Narren-

treiben begab sich die Telekom-FamilieHeins an Weiberfastnacht und am Rosen-montag. Im Laufe des Tages entstand je-weils ein Film, der noch am selben Abendbei den großen Sendern zu sehen war.Das Experiment lief so gut, dass sich Phi-lipp Friedel, Leiter Marktkommunikati-on Telekom Deutschland, bestätigt sieht,„auch weiterhin ungewöhnliche Wege zugehen“ (siehe Interview).

Auch Bahlsen hat sich im Januar antagesaktuelle Spots gewagt. In insgesamtacht Filmen für die Keksmarke Pick Upwurden Ereignisse aus „Ich bin ein Star –Holt mich hier raus!“ parallel zur Sen-dung kommentiert. Die Texte entstandenauf Basis von Vorabinfos aus Australienmorgens bei RTL Creation in Köln, mit-tags wurde gedreht, abends gingen dieSpots auf Sendung. Normalerweise liegendie Beiträge dagegen in der Regel fünfWerktage vor Ausstrahlung vor.

Auch bei Bahlsen zeigt man sich mitdem Erfolg hochzufrieden: „In den sozia-len Netzwerken war es ein wesentlichesGesprächsthema, warum Pick Up schonvorab weiß, was in der Sendung passiert“,berichtet Kamran Wührmann, Marke-tingdirektor Bahlsen Deutschland. „Dashat der Marke zusätzliche Aufmerksam-keit verschafft.“ Parallel dazu hat Bahlseneinen eigenen Twitter-Kanal aufgezogenund am Point of Sale Dschungel-Platzie-rungen mit Pick Up präsentiert. „Wirwürden es jederzeit wiederholen“, soWührmann. „Die Absätze von Pick Upliegen deutlich über dem Vorjahr.“

L ars-Eric Mann, VerkaufsdirektorSolutions bei IP Deutschland, be-tont, dass nicht nur sehr aktuelle,

sondern auch Live-Spots möglich sind:„Wir werden hier bereits Anfang April einaufsehenerregendes Projekt mit einemWerbungtreibenden umsetzen.“ Die An-forderungen an Livespots sind allerdingsnicht gering: „Natürlich muss im Vorfeldklar sein, wie der Spot inhaltlich aussehen

soll, damit nicht im Nachhinein etwasrechtlich beanstandet werden kann“, soMann. „Außerdem muss die sichereÜbertragung gewährleistet werden.“ EinLive-Effekt entsteht aber auch bereitsdurch kontextuelle Werbung, die den In-halt einer Sendung aufgreift. Neben Bahl-sen waren auf diese Weise auch schon dieTelekom in „Shopping Queen“ und Goo-gle bei „Das perfekte Dinner“ aktiv.

Mit der Werbekreation möglichst zeit-nah agieren – das wird im Rahmen derallgemeinen Realtime-Euphorie immerbeliebter. Treiber war dabei von Anfangan Social Media. Kein internationalesEvent wie Super Bowl oder Oscar-Ver-leihung, an das sich nicht Markenartiklermit aktuellen Postings hängen. Die Nut-zer sind es mittlerweile gewohnt, dassMarken auf Facebook, Twitter und Coaktuelle Botschaften senden und an ta-gesaktuellen Diskussionen teilnehmen.Das macht diese Kommunikationskanälesexy und lässt die anderen ziemlich altaussehen. Kein Wunder, dass es die Mar-keter reizt, auch darüber hinaus mitRealtime-Kreation zu experimentieren.Möglich macht’s innovative Technik –unter anderem in der Outdoor-Werbung.

Der Vermarkter Ströer hat mittlerwei-le das Playout-System seines Public-Vi-deo-Netzwerks an einen Online-Ad-Ser-ver angeschlossen. „Unsere Kunden kön-nen somit über ein gelerntes System Be-wegtbildkampagnen in den öffentlichenRaum verlängern“, erklärt eine Unter-nehmenssprecherin. Die Möglichkeit derdynamischen Spot-Aussteuerung habe inder Vorweihnachtszeit Ebay genutzt. Da-zu wurde der Ad Server mit dem Waren-wirtschaftssystem des E-Commerce-Rie-sen verbunden. Passend zu den in denRahmenspots beworbenen Produktkate-gorien wurden einzelne Produkte dyna-misch nach Verfügbarkeit und Wettbe-werbspreisstellung ermittelt und überden Ad Server in die Spots eingespielt.

Maßstäbe in puncto Echtzeit-Kreationhat im vergangenen Jahr Adidas gesetzt.Der Sportartikelhersteller produziertewährend der Fußball-WM live und vorOrt digitale Inhalte. In Deutschland wur-den diese auf Kanälen ausgespielt, diemöglichst schnell reagieren können: On-line, Mobile, Public Video und Outdoor-

Projektionen, unter anderem über Ströer:„Der Torjubel unserer WM-Elf wurde be-reits am nächsten Morgen auf unserenInfoscreens gezeigt“, so die Sprecherinüber die Adidas-Spots. „Die plakativenSpieler-Motive wurden reaktiv je nachSpielsituation der deutschen Mannschaftausgestrahlt.“

D ie vielfältigsten Möglichkeitender Realtime-Kreation bietet dasInternet, wo die dynamische An-

passung von Werbemotiven immer be-liebter wird. In den USA hat etwa Face-book gerade ein neues Angebot für On-linehändler gestartet. Diese können ihrenkompletten Produktkatalog hochladen,aus dem dann dynamische Ads für einzel-ne Produkte auf Targeting-Basis gewon-nen werden. Ist ein Produkt nicht mehrverfügbar, wird die Werbung gestoppt.

Glaubt man Jens Nagel-Palomino,CEO der Digitalagenturen Newcast undPerformics in der Zenith-Optimedia-Gruppe, dann steht die Realtime-Kreati-on der Onlinewerbung noch ganz am An-fang: „Neben dem programmatischenEinkauf werden künftig auch Form undInhalt der Werbemittel von Echtzeit-Pro-zessen bestimmt sein.“ Mit dynamischenAds könne man in Branchen wie der Tele-kommunikation „schnell Uplifts von 20bis 25 Prozent erreichen“. Allerdings ha-pert es teilweise noch bei der Ausführung:„Das Zusammenspiel von RTA und dyna-mischen Ads funktioniert teilweise nochnicht reibungslos, was man dann an feh-lerhaften Bannern sieht“, so Nagel-Palo-mino. „Dies kommt häufig vor, wennKreation und Media von verschiedenenAgenturen betreut werden. Ich rechne da-mit, dass Kampagnen dieser Art künftigvornehmlich aus einer Hand durchge-führt werden.“

Auch Gregor Wolf, Deutschland-Ge-schäftsführer des Data-Dienstleisters Ex-perian, sieht das Potenzial noch langenicht ausgeschöpft: „In E-Commerce-Unternehmen und innerhalb von On-lineshops ist die Dynamisierung der Wer-beinhalte bereits weit verbreitet. In origi-när nicht digitalen Unternehmen und inder klassischen Displaywerbung gibt esnoch viel Nachholbedarf und große Wis-senslücken.“

Von Klaus Janke

Werbung in Echtzeit: Die Tele-kom feiert Karneval, Pick Upkommentiert das Dschungel-camp, Adidas die Fußball-WM

Realtime Advertisingerfordert, dass Inhalteimmer flexibler unddynamischer werden –nicht nur im Internet

HORIZONT 11/2015 12. März 20152626REPORT MEDIASTRATEGIE

„Wir sehen unsbestätigt“Philipp Friedel über die Karneval-Spots mit der Familie Heins

Herr Friedel, was war beim Drehder tagesaktuellen Spots mit derFamilie Heins beim Karneval diegrößte Herausforderung?Natürlich das Zeitmanagement.Wir mussten in sehr kurzer Zeit ei-nen präsentablen Spot fertigstellen.Statt in Ruhe mit vielen Takes agie-ren zu können, haben wir das Ma-terial unter Hochdruck in einemkleinen Kölner Hotelzimmer bear-beitet. Wir hatten nur wenige Stun-den, weil die Spots allerspätestensum 16 Uhr 30 bei den Sendern seinmussten, um dann ab 19 Uhr ge-sendet zu werden.

Mit welchen Unwägbarkeitenmuss man bei derartigen Projek-ten rechnen?Mit sehr vielen, das fängt schon beider Wetterlage an. Sehr schwer ein-zuschätzen ist vor allem, wie sichder Dreh in solch einer Masse vonMenschen auf den Straßen gestal-tet. Wer den Kölner Karnevalkennt, weiß, unter welchen Ex-trembedingungen wir gearbeitethaben.

Tagesaktuelle Filme machenmehr Stress als die klassischenSpots. Aber sind sie auch teurer?Nein. Sie erfordern ja flexiblere unddamit schlankere Produktionen.

Trotzdem ein riskantes Experi-ment. Hat es sich gelohnt?Auf jeden Fall. Unsere Marktfor-schung zeigt ein sehr positivesFeedback in den Zielgruppen. DieKarneval-Spots verzeichneten imInternet rund eine Million Views.Auch die Resonanz bei unserenMitarbeitern und in den Medienwar sehr gut. Daher sehen wir unsbestätigt, auch weiterhin unge-wöhnliche Wege zu gehen.

Welche Botschaft sendet die Tele-kom mit derartigen Realtime-Spots?Wir erzählen auf unterhaltsame Artgemäß unserem Markenslogan„Erleben was verbindet“, dass wirTechnologieführer sind und dasbeste Netz anbieten – nur damit istschließlich Kommunikation inEchtzeit auf hohem Niveau mög-lich. Daher setzen wir im Bewegt-bild-Bereich schon seit längererZeit auf Live- beziehungsweiseRealtime-Inhalte. Unter anderemsind die Telekom Streetgigs für alle,die nicht dabei sein können, alsLivestream abrufbar. Wir ermögli-chen den Fans, sich über GoogleHangout mit Stars wie Clueso zuunterhalten. Und mit Ed Sheeranhaben wir im Dezember auf derZugspitze das weltweit erste Insta-gram-Konzert veranstaltet. Tau-sende Fans luden Videos des Auf-tritts hoch, die dann im Internetsynchron zu den Songs abrufbarwaren. Besucher der Website konn-ten damit das Konzert aus verschie-denen Blickwinkeln nacherleben –ein absolutes Novum. INTERVIEW: KJ

Philipp Friedel, LeiterMarktkommunikation TelekomDeutschland

Page 3: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen
Page 4: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

HORIZONT 11/2015 12. März 20152828REPORT MEDIASTRATEGIE

Die Schlagzeilen und Diskussionen, dieThomas Strerath mit seinen provokantenThesen losgetreten hat, zeigen eines: DieBranche befindet sich in einem radikalenUmbruch. Und dieser Umbruch führtdazu, dass das Modell der vergangenenzwei Jahrzehnte nicht mehr funktioniert.Vielmehr ist eine fundamentale Neude-finition der Rollen und Aufgaben not-wendig. Für diesen Weckruf kann manThomas Strerath dankbar sein – auch,wenn man mit vielen seiner Ausführun-gen nicht einverstanden sein muss.

Nicht nur, dass neue Player in den Marktgekommen sind, die das mediale Gefügeauf den Kopf gestellt und damit die klassi-schen Mediaanbieter in die Zange ge-nommen haben. Ein Teil dieser neuenPlayer sind hybride Gebilde, die inner-halb ihres individuellen Ökosystems alleWertschöpfungsstufen abbilden, um diesich in der Vergangenheit die unter-schiedlichen Agentur-Disziplinen undMedien gestritten haben – von der Ent-wicklung von Inhalten und deren Aus-lieferung über Daten-Management undeigene, hoch ausgefeilte Technologien bishin zur Messung des Werbeerfolgs. Flan-kierend wird dann auch noch ein wenigkreative respektive strategische Unter-stützung angeboten.

Darüber hinaus haben diese Player ei-ne Businesslogik etabliert – Stichwort„Biddable Media“ –, welche die klassischeVolumendenke nach der Devise „Größedefiniert die besten Konditionen“ aushe-belt. Für all diese Leistungen wird keinHonorar gefordert und keine Konditio-nen verhandelt. Man zahlt stattdessen ei-nen Preis, der sich über Angebot undNachfrage oder über die realisierte Per-formance definiert. Ein perfektes Modellaus der Sicht der neuen Anbieter. Dieetablierte Kommunikationsindustrie, al-so die Agenturen, die traditionellen Me-dien, aber auch die Werbungtreibenden,ist in diesem Transformationsprozessnicht mehr der Schrittmacher und Ge-stalter der neuen Spielregeln.

Im Zuge dieses Medienwandels drückennoch weitere Player in den Markt fürMarketing-Services. Player, die in derVergangenheit kaum jemand beachtethat, da sie sich aus agenturfernen Indus-trien rekrutieren, beispielsweise IBMConsulting, SAP, Adobe, Accenture, Mi-crosoft, Oracle. Finanziell sehr schlag-kräftige Unternehmen, die über eineenorme technologische Innovationskraftund Ressourcen verfügen und das Marke-ting als strategisches Wachstumsfeld fürsich entdeckt haben. IBM will in dennächsten drei Jahren den Umsatz mitCloud, Big Data, Sicherheit, Watson, Mo-bile und weiteren Wachstumsbereichenauf 40 Milliarden US-Dollar steigern. MitBereichen, die das Unternehmen „Strate-gic Imperatives“ nennt. Das sind Ana-lytics, Social- und Sicherheitssoftware,Mobile und natürlich Cloud. Bereits inden letzten Jahren hat IBM massiv in BigData und Marketing-Science-Lösungeninvestiert, von über 100 Millionen Dollarist die Rede. Bei den Wettbewerbern sindähnliche Entwicklungen zu beobachten.Und wenn etwas im Baukasten fehlt, wirdzugekauft. Welche Relevanz diese Unter-nehmen haben, dokumentiert der vorkurzem erfolgte Move der Publicis-Grup-pe, mit Adobe eine globale Partnerschafteinzugehen.

Und last but not least gibt es Tausendekleiner, wendiger und hoch innovativerUnternehmen, landläufig als Start-upsbezeichnet, die über innovative Technolo-gie-Leistungen finanziell irgendwann ein-mal den großen Shot landen und ihre In-vestoren beglücken wollen. Das gelingt ih-nen aber nur, wenn sie entweder neueMärkte kreieren und damit – der Logikvon US-Investor Peter Thiel folgend –Monopole für sich schaffen, oder aber inder Lage sind, über ihre Lösungen Märkte,in denen sie operieren, zu transformieren.Beispiele liefern die Technologie-Anbieterim Bereich Programmatic wie Appnexus,Turn und Rocket Fuel. Eine Reihe vonstrategischen Allianzen mit diesen Unter-nehmen, wie die jüngst verkündete Ko-operation von WPP und Appnexus, zei-gen die Richtung. Appnexus sieht sich da-bei laut Homepage als „technology com-pany independent of any media business“.

Die Nervosität auf allen Seiten istnachvollziehbar, da bis dato noch keinerder alteingesessenen Marktteilnehmer

ein Rezept gefunden hat, das ihm in ei-nem hochdynamischen Markt in dennächsten Jahren ein profitables Wachs-tum garantiert. Und selbst für die neuenPlayer gilt, dass – in einer softwaregetrie-benen Welt – nur permanente Innovationdas Überleben sichert: Die bessere Ideeeines Konkurrenten führt direkt zumVerlust von Nutzern, womit auch sehrschnell das Vertrauen der Investoren er-schüttert wird, was letztlich den wirt-schaftlichen Tod bedeutet.

Worum geht es also in der aktuellen De-batte? Um eine Neustrukturierung der„Value Chain“, der Wertschöpfungsketteinnerhalb des Marketing-Service-Appa-rats. Aber auch um „Value Creation“, dieRealisierung eines messbaren, objektivenund nachvollziehbaren Mehrwerts für dieWerbungtreibenden. Value Creation istheutzutage stark Performance-, Outco-me- respektive KPI-getrieben, demnachalso massiv beeinflusst von der Analysevon Daten und der Steuerung des Marke-tings auf Basis hochentwickelter Soft-warelösungen. Branding und Perfor-mance müssen sich dabei nicht ausschlie-ßen, vielmehr müssen die im Grunde ge-nommen künstlichen Grenzen zwischenbeiden Disziplinen eingerissen werden.Darren Woolley, Gründer des Marketing-Consulting-Unternehmens TrinityP3,postete: „Performance media is the trend… Ultimately we could see a move to nolonger paying for media by the eyeball, theminute, the column centimetre, but by theresult for the advertisers such as per acqui-sition or per lead. This is the ultimate inperformance based media advertising.“Im gleichen Kontext stellt er fest: „Nextholding companies need to look beyondtheir significant investment in creativeand digital agencies and be willing to al-low the media agencies to take the lead.“

Das tradierte Modell, dass die Kreativ-agenturen für das Ideen-Managementund die Kampagnenentwicklung zustän-dig sind, die Marktforschung für die Con-sumer Insights und die Mediaagenturenfür die wirkungsvollste und effizientestePlatzierung in den Medien, hat sich über-lebt. Nicht erst heute, sondern schon voreinigen Jahren. Nur war der immensewirtschaftliche Druck, sich diesen Ent-wicklungen anzupassen, in der aktuellenBrutalität da noch nicht vorhanden. Waswir als digitale Revolution im Mediabe-reich erlebt – oder gelebt – haben, war einwenig Display- und Videowerbung, fast

Kippt das Geschäftsmodell der Mediaagenturen? Ja, hoffentlich,sagt Thomas Strerath und provoziert damit eine ganze Branche. Nun meldetsich mit Christof Baron einer der Vordenker der Mediabranche zu Wort

Der Autor Christof Ba-ron arbeitet seit 26 Jahrenim Mediabusiness – undzwar immer für Mind-share. Von 2009 bis 2013war er Deutschlandchef ,inzwischen ist er auf Hol-dingebene für eine Reihevon europäischen Märk-ten verantwortlich.

NEUE SPIELER —NEUE REGELN

EIN NEUESÖKOSYSTEM

NEU-STRUKTURIERUNGDER WERT-SCHÖPFUNGSKETTE

ES ISTZWEI MINUTENVOR ZWÖLF

ALLE SINDNERVÖS –ZU RECHT

Page 5: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

HORIZONT 11/2015 12. März 2015 29REPORT MEDIASTRATEGIE 29

schon klassisch wie in TV oder Print aufBasis von Branding- oder Performance-Aspekten zu planen und einzukaufen,aber weder in Realtime, noch adaptiv,noch programmatisch.

Bis dato schaute man mitleidig auf ei-nige Medien, die von der Transformationin der Mediennutzung überrollt wurden,betrieb Ursachenforschung und versuch-te, sein Modell im Hinblick auf die In-vestitionen von Werbegeldern an dieMarktentwicklung anzupassen. Wienachhaltig diese Veränderungsprozessesich nun tatsächlich darstellen, hatte manbestenfalls geahnt. Aber in dieser Ge-schwindigkeit und Allumfassenheit hates wohl kaum jemand für möglich ge-halten. Oder man hat eben darauf ge-baut, dass die Zeit ausreicht, um sich in„deutscher Gründlichkeit“ auf diese Ent-wicklung einzustellen.

Vor ein paar Jahren schrieb ich einmalsehr naiv in unsere Agentur-Credentials:„Das Internet hat die Kraft, traditionellegesellschaftliche Strukturen und Indus-trien zu zerstören und neue Märkte undinnovative Leistungen zu kreieren.“ Indiesem Kontext sprach ich von einer„neuen Marktrealität“. Heute würde ichergänzen: Die reale digitale Revolutionbeginnt erst jetzt. Was wir bis dato erlebthaben, war nur das Vorspiel. Ob nun In-dustrie 4.0, Connected Cars, ConnectedHome, Smart Cities, Wearables und vie-les mehr – bisher haben wir das Internetin Geräten mit uns herumgetragen, wirhaben die vielen Devices und Software

manuell bedient und, viel wichtiger, auchkontrolliert. Das „Internet of Things“ da-gegen wird sich wie ein unsichtbares Netzüber alle Lebensbereiche legen und nahe-zu alle Branchen zwingen, sich neu zuerfinden. „Disruptive“ ist die Vokabel,die hier Anwendung findet. Der Menschwird Teil eines gigantischen sozialenNetzwerks – so, wie zukünftig auch einAuto Teil dieses Netzwerks sein wird,oder eine Werkzeugmaschine sowie dieWerkstücke, die von dieser Maschine be-arbeitet werden. Wobei ich den Men-schen hier ausdrücklich nicht mit einemWerkstück gleichsetzen möchte, aber alsDatenlieferanten hinsichtlich allerAspekte seines Lebens sehe.

Der Automatisierungsgrad wird deut-lich ansteigen. Prozesse werden sich aufBasis hochkomplexer Algorithmen selbstoptimieren – ohne dass der Mensch per-manent aktiv eingreifen muss. Er machtallenfalls noch Vorgaben und Monitor-ing. Und so wie es zukünftig die klassischeProduktion treffen wird oder den Stra-ßenverkehr, trifft diese Entwicklung der-zeit unsere Branche mit voller Wucht.

Das Thema Programmatic, wie Big Dataein aktuelles Modewort, verkörpert dieseEntwicklung idealtypisch. Dabei stehender Handel und die Audience-basierteAuslieferung von Kontakten auf Basiskomplexer Daten in Realtime im Vorder-grund. Die Debatte fokussiert sich derzeitauf zwei Ebenen: Die Steigerung der Effi-zienz im Einkauf, aber auch der Kommu-nikationsleistung bezüglich klar definier-ter Leistungskennziffern. Dabei geht esum eine bessere Aussteuerung der Ziel-

gruppencluster im Hinblick auf Res-ponse, Profitabilität oder andere Parame-ter – und dies zum richtigen Zeitpunktinnerhalb der Consumer Journey. Auchwenn wir erst am Anfang stehen, und si-cherlich – auch technologisch – noch ei-nige Hürden zu nehmen haben, so ist derTrend doch unumkehrbar. Dassder programmatische Einkauf nicht beiden Onlinemedien haltmachen wird,dürfte jedem klar sein. Technisch betrach-tet kann jedes Medium, das seine Inhaltein digitaler Form speichert und distribu-iert, programmatisch eingekauft werden.

Von einer in Realtime gesteuerten, adap-tiven Erstellung und Optimierung vonInhalten – also einer echten Automatisie-rung der Content-Entwicklung und Op-timierung auf Basis von Konsumentenre-aktionen und realen Ergebnissen – kannnoch längst nicht die Rede sein. Was re-daktionelle Systeme heute leisten können,nämlich die automatische Erstellung vonkompletten Texten, ist in diesem Kontextsicherlich ein Schreckensszenario. Abermöglich ist es, auch in der Werbeindu-strie. So hat das US-amerikanische Start-up Persado beispielsweise eine Technolo-gie entwickelt, die ohne menschliche Hil-fe Werbetexte und Slogans erstellt. Span-nend klingt das Produktversprechen:„Persado software generates the mostpersuasive language for communicationsdesigned to drive action, eliminating theguesswork of copywriting.“ Die Indus-trialisierung macht auch hier nicht halt.

Ich plädiere nicht für die Abschaffungder menschlichen Kreativität durch dieMaschine. Kreative Ideen bedürfen der

schöpferischen menschlichen Intelligenz.Und wie wir wissen, hat die kreative Idee– unique und single-minded – einen im-mensen Einfluss auf den Kampagnener-folg. Nur gute, einzigartige Ideen könnenProdukten die Strahlkraft zu verleihen,um sie aus dem Meer der Beliebigkeit he-rausragen zu lassen und Konsumenten zuüberzeugen.

Ich glaube aber, dass Daten helfen, denkreativen Prozess auf eine neue Basis zustellen und besser zu organisieren. Daten,die Maschinen wie ein Echolot aus derunendlichen Tiefe der menschlichen Be-gehrlichkeiten, Wünsche und Träume he-rausfiltern, um dann schneller und präzi-ser Lösungen zu entwickeln. Darüber hi-naus ist die Entwicklung kreativer Ideennicht mehr zwingend an feste Orte undOrganisationen geknüpft. Die Kreativ-agenturen sind somit zukünftig wesent-lich stärker gefordert, den Prozess derIdeenentwicklung für ihre Kundenschneller, variabel und skalierbar zu orga-nisieren und sie für das Marketing-Mana-gement nutzbar zu machen. Auf Basisvon Daten und Resultaten.

Was bedeutet das für das Verhältnis zuMediaagenturen? Und der Trennung von„Content“ und „Container“? Mediaagen-turen waren in der Vergangenheit erheb-lich adaptiver, als es Kreativagenturen jewaren.

Der Umgang mit Daten gehörte vonjeher zu ihrem täglichen Geschäft. Undmit dem Anwachsen der Datenmengenund den Veränderungen der Handels-

praktiken im Einkauf und der Optimie-rung waren sie auch gezwungen,stärker in Technologie und Software zuinvestieren.

Man kollaborierte über Netzwerk-grenzen hinweg mit anderen Agenturenund der über die Digitalisierung einge-läutete Medienwandel hat sie gezwun-gen, sich sehr aktiv mit der neuen Kon-kurrenz durch hybride Medienanbieter,Consulting- und Technologie-Unterneh-men auseinanderzusetzen und ihr Ser-viceportfolio entsprechend zu transfor-mieren. Am Anfang langsam und zag-haft, nun aber mit Hochdruck, da dastradierte, über Volumen manifestierteBusiness-Modell nur begrenzt zukunfts-fähig ist.

Schauen wir uns nur einmal an, wasGoogle im Bereich Media, Technologieund Marketing-Services unter ein Dachgepackt hat. Oder wie sich Amazon, Face-book und Co aufstellen. Und was im Mit-telpunkt deren unternehmerischen Han-dels steht: Daten, Informationen und de-ren intelligente Nutzung für das Marke-ting in Realtime. Macht es Sinn, in diesemKontext darüber zu streiten, wer zukünf-tig den Lead haben soll? Und ob eineTrennung von Inhalten und dem Carriernoch zeitgemäß ist? Die Zeit haben wirnicht mehr.

Abschließend ein weiteres Zitat vonMarketingconsultant Darren Woolley:„Advertisers need to look beyond the me-dia agency as a number cruncher alone.While creative agencies appear to win themajor media innovation awards, adver-tisers need to look for the creativity andinnovation within the media agency andbring this to the fore rather than defaul-ting to one of the many agencies they usefor content and implementation to leadtheir strategic development.“

VOMCONTAINER ...

... ZUMCONTENT

UNBEQUEMESCHLUSS-FOLGERUNGEN

DISRUPTIVIST DIE NEUEVOKABEL

Anzeige

Page 6: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

HORIZONT 11/2015 12. März 20153030REPORT MEDIASTRATEGIE

Wie viele Hörer erreicht Ra-dio im Web? Die Frageklingt einfach, ist bislangaber nur schwer zu beant-

worten. Wissen müsste es die Arbeitsge-meinschaft Media-Analyse (AG.MA),denn sie versteht sich als Hüterin der Me-diakonventionen. Doch die Media-Ana-lyse Radio (MA Radio) wird dem Themamit den herkömmlichen Instrumentennicht gerecht. Die via Festnetz realisierteReichweitenerhebung basiert auf der Er-innerungsleistung der Befragten, eine ge-stützte Abfrage der zigtausend reinenWebradios kann sie nicht leisten. DochWerbekunden und Agenturen wollenwissen, wie viele sie über Online Audioerreichen und vor allem wen. Ein neuesModell musste also her – das scheint nungefunden: Noch in diesem Herbst soll un-ter dem AG.MA-Dach die MA Audio mitKonvergenzreichweiten für Radio undOnline Audio verfügbar sein.

Die neue Währung wird aus einertechnischen Messung von Streamingab-rufen, der MA Radio als repräsentativer

Reichweitenbasis sowie einem Online-Tagebuch bestehen, das Infos zur Demo-graphie der Webradionutzer und Über-schneidungen zwischen Web- und UKW-Radio liefert. Zwei dieser drei Säulen ste-hen schon: Die klassische MA Radio unddie MA IP Audio, die seit März 2014 quar-talsweise Abrufzahlen für angemeldeteAudio-Publisher und -Channels liefert.Die MA IP Audio misst dabei Logfilesüber alle verfügbaren Online-Ausspiel-wege, vom WLAN-Radio über PC, Note-book, Tablet bis hin zum Smartphone.

Die dritte Säule ziehen die Akteure derMA gerade hoch: Die Befragung via On-line-Tagebuch wird über eine Client-Re-krutierung erfolgen. Auf diese Weise sol-len einige tausend Interviews mit perso-nenbezogenen Angaben zusammenkom-men, die als Bindeglied zwischen denbeiden anderen Tools dienen.

Am Ende wird nach den Worten vonDieter K. Müller, Forschungschef derARD-Werbung und AG.MA-Radiovor-stand, eine Konvergenzdatei stehen, diedie Reichweiten der klassischen UKW-Radios und die von Belegungseinheitenin Online Audio darstellt. Das sollendann „valide Gesamtreichweiten“ für alleEmpfangswege sein, so Müller.

Wahrscheinlich wird es im Zuge derKonvergenzwährung auch neue Leis-tungswerte geben. Bisher ist der Hörerpro werbungführender Durchschnitts-stunde das Maß der Dinge in der Radio-planung. Sie orientiert sich an der Einzel-stunde als Belegungseinheit. Im Webra-dio werden Werbemittel aber nicht aufStundenbasis ausgespielt, sondern überAdserver für einen längeren Zeitraum.Wie vergleichbare Leistungskennziffernfür Belegungseinheiten im UKW- undWebradio aussehen könnten, lässt Mülleroffen: „Das haben die AG.MA-Gremiennoch nicht endgültig festgelegt.“

Unklar ist auch, wie viele Webradio-Angebote an der Reichweitenerhebungder MA teilnehmen werden. Geht es nachFrank Händler, gewählter Marktforscherder Nutzer in der AG.MA und Directorbei Brand Science, sollte möglichst derkomplette Markt abgebildet werden.Müller geht davon aus, dass die leistungs-stärksten Audioangebote dabei sein wer-den und rechnet mit weit über 300 Chan-nels, darunter auch viele ARD-Angebote.

Die konvergente MA Audio steuertdrei Ziele auf einmal an: Sie will den Leis-tungsbeitrag einer Online-Audio-Kam-

pagne zu einer klassischen Radiokampa-gne bewertbar machen, UKW-Radios Er-kenntnisse über den Empfangsweg Inter-net liefern und Werbekunden mehrPlanungsmöglichkeiten durch zusätzlichausgewiesene Audio-Online-Angebotebieten. All das steht aber noch unter Vor-behalt, denn die AG.MA-Gremien müs-sen die Ergebnisse der Konvergenzdateierst bewerten und grünes Licht geben.Das Erhebungsmodell selbst haben siebereits abgesegnet. Läuft alles nach Plan,wird Radio noch vor TV die erste Gattungsein, die dieses Jahr eine Konvergenzkon-vention vorweisen könnte.

S pannend wird, wie sich die Gesamt-reichweiten von Radio und Online-Audio verändern. So mancher Pro-

grammanbieter dürfte hoffen, mithilfeder neuen Konvention seine Hörerver-luste in UKW kaschieren oder sogar mehrKontakte vermarkten zu können. FürForscher Müller ist es aber keineswegs si-cher, ob die differenziertere Erhebungmehr Reichweite bringt.

Florian Ruckert ist da zuversichtlicher:„Der zusätzliche Nettoreichweitenzu-wachs über alle Zielgruppen wird sichvermutlich im einstelligen Prozentpunk-te-Bereich bewegen“, prognostiziert derRMS-Geschäftsführer. Noch wichtiger istihm, dass sich die Kontaktklassen vonKampagnen mithilfe der Konvergenz-währung effizienter aussteuern lassen,was vor allem für jüngere und männlicheZielgruppen gilt und den Return on In-vestment (ROI) verbessert. Sven Rühli-cke, Geschäftsführer der Antenne-Bay-ern-Vermarktungstochter Spotcom, hegtneben ähnlichen Erwartungen auch dieHoffnung, dass die neue Währung denWebradio-Markt belebt, den er seit Janu-ar 2015 selbst bearbeitet; zuvor wurdendie Webradios der Gruppe von RMS ver-marktet.

Auch Mediaexperten erhoffen sichvon den Audio-Zahlen der MA neuenSchwung. Bislang taten sich viele mitWebradio schwer, weil sie das zusätzlicheReichweitenpotenzial des Verbreitungs-wegs nicht anhand einer Währung nach-vollziehen konnten. Zudem stellt sich fürsie immer die Frage, ob sie reine Web-radios wie UKW-Sender planen sollenoder wie ein Internetangebot. „Am häu-figsten wird auf Basis des Werbemittel-kontakts abgerechnet, der an die Online-Logik angelehnt ist“, beobachtet CarstenAchterfeld, Head of Buying Managementbei Vivaki. „Es gibt aber auch Angebote,denen die UKW-Logik zugrunde liegt.Ob Online-Audio künftig auf Online-oder auf UKW-Basis geplant wird, hängtstark vom eingesetzten Anbieter ab.“

Wer sich an Vermarkter wie RMS oderSpotcom wendet, dem wird eher das On-line-Modell ans Herz gelegt, weil sie vor-wiegend an die Etats für Internetwerbungheranwollen. RMS-Chef Ruckert siehtaber auch Vorteile für die Kunden: „Siemüssten ansonsten auf Adserver-basierteNutzerprofile, also auf Big Data, sowie aufTargeting und Frequency Capping ver-zichten. Das wäre sowohl für den Wer-bungtreibenden als auch den Vermarkterim Sinne des ROI bedauerlich.“

R ühlicke sympathisiert ebenfallsmit der Online-Logik, weil er denKunden so einen Nachweis für

den Echtzeitkontakt liefern kann. Zudemebnet ihm dieser Ansatz den Einstieg inden automatisierten Verkauf im Sinnedes Programmatic Buying. MatthiasMroczkowski, Chef des Webradiover-markters Audimark, will sein Inventardagegen weiter nach UKW-Logik verkau-fen, denn sein Ziel sind die Radioetats.„Werbungtreibende und Mediaagen-turen wünschen sich von uns mehrheit-lich diesen Kurs. Dem werden wir ent-sprechen.“ Schließlich planten die Nach-frager seit jeher Webradio als Verlänge-rung ihres klassischen Radioplans. Gutmöglich also, dass beide Ansätze weiternebeneinander bestehen.

Ruhe wird dennoch nicht einkehren,dafür sind die Umwälzungen zu groß.Kristian Kropp, Geschäftsführer vonRPR 1 und Big FM, fordert die AG.MAauf, nach der Audio-Konvergenzwährung(„genau der richtige Weg“) als Nächsteseine Echtzeitmessung anzugehen. „Siewäre der große Durchbruch für Audio inDeutschland.“ Die MA hält Kropp für zueindimensional. Sie habe dazu beigetra-gen, die Produktvielfalt im Radio zu zer-stören. Kleinere Sender hätten das Nach-sehen, obwohl sie oft eine höhere Kon-taktqualität aufweisen und deshalb fürWerbekunden wirkungsvoller sind, be-hauptet er. In der digitalen Welt seienSearch und Share, also Suchanfragen unddas Teilen von Inhalten, die „zentralenWährungsparameter“, so Kropp.

Forscher Händler hat beim ThemaEchtzeitdaten eher Bedenken: „Natürlichhätten wir die gerne. Aber Messen istnicht die Lösung aller Probleme. Wasnützt uns die Anzahl ausgelieferter Wer-bemittel, wenn wir sie nicht valide quali-fizieren können?“

Von Guido Schneider

ZweiwerdeneinsIm Herbst soll dieKonvergenzwährungfür UKW undOnline kommen,doch die Diskussionum neue Kennziffernhält an

„Wir verkaufen unserInventar weiter nachUKW-Logik, weil esdie Kunden so wollen“

Matthias Mroczkowski, Audimark

„Echtzeitdaten hättenwir gern. Aber Messenist nicht die Lösungaller Probleme“

Frank Händler, Brand ScienceQuelle: MA 2015 Radio I, MA 2014 Radio I, AS&S Radioforschung HORIZONT 11/2015

Webradio wächst von niedrigem Niveau

Nutzung Webcastradio (Internet-only-Sender)

MA Radio 2015 Iin Mio.

MA Radio 2014 Iin Mio.

Veränd.in Prozent

Schon gehört 2,487 2,056 21,0

Weitester Hörerkreis 1,745 1,512 15,4

Tagesreichweite 0,624 0,584 6,8

Zum Vergleich: Radionutzung gesamt

Schon gehört 72,799 72,888 −0,1

Weitester Hörerkreis 68,179 68,925 −1,1

Tagesreichweite 55,810 57,135 −2,3

Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 10 Jahren, Mo-So, BRD gesamt

Der Weg zurAudio-Konvergenz-reichweite

Januar 2010: Audimark veröffent-licht Nettoreichweiten für sein Web-radioportfolio

Juli 2010: MA Radio weist erstmalsdie Nutzung von Webradio in derSammelkategorie Webcastradio aus

September 2010: BundesverbandDigitale Wirtschaft (BVDW) grün-det Lab „Audio Radio on Web“

Oktober 2010: Auf dem Radio Daystellen AS&S Radio und RadioMarketing Service (RMS) ihre„Überlegungen zur Ermittlung derNutzung von Webradio“ vor

Oktober 2010: Radiovertreter derArbeitsgemeinschaft Media-Analyse(AG.MA) und BVDW beginnenGespräche über gemeinsame Web-radio-Währung

November 2011: AG.MA-Mitglie-derversammlung beschließt, einevalide Leistungswertmessung fürWebradio zu entwickeln

Dezember 2011: AG.MA, Arbeits-gemeinschaft Onlineforschung(Agof) und Webradio-Vertreterrufen Taskforce IP Audio ins Leben

Juni 2012: BVDW gründet Fach-gruppe Audio Digital mit dem Ziel,Standards und Media-Währungenfür Audio-Online zu schaffen

Juni 2012: RMS und TNS Emnidstellen Webradiostudie vor

August 2012: AG.MA realisiertTechniktest für Webradio

Oktober 2012: BVDW und Online-Vermarkterkreis (OVK) veröffent-lichen Untersuchung zu Online-Radio, die auf der repräsentativenStudie „Mediascope Europe“ desIAB Europe basiert

Februar 2013: Preise für Webradio-Angebote werden in das Planungs-und Abwicklungstool RadioXpertintegriert

März 2013: RMS und Nielsen stel-len das Werbewirkungstool „Web-radio Brand Effect“ vor

Juni 2013: PlanungsinstrumentWebradio-Manager von RMS gehtonline

September 2013: RMS veröffent-licht Reichweitenstudie „WebradioRatings“

Oktober 2013: Logfile-Messung fürWebradio-Ausweisung beginntunter AG.MA-Dach

Januar 2014: AG.MA startet Regel-betrieb der Webradio-Messung

Januar 2014: „Webradiotest“ vonAudimark veröffentlicht „Konver-genzreichweiten“ für UKW- undWebradio

März 2014: MA IP Audio erscheinterstmals mit Logfile-basierten Ab-rufzahlen; Ausweisung von 25 Ra-dio-Publishern mit153 Channels

Herbst 2015: Audio-Konvergenz-reichweite der AG.MA soll erschei-nen

Page 7: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen
Page 8: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

HORIZONT 11/2015 12. März 20153232REPORT MEDIASTRATEGIE

Der Wechsel des Erstverkaufs-tags (EVT) von Montag aufSamstag macht sich für „Spie-gel“ und „Focus“ bezahlt. Das

war bereits klar, noch ehe die UmstellungAnfang Januar vollzogen wurde. Dennbislang mussten die Hefte samstags undsonntags hergestellt und an den Handelausgeliefert werden. „Der Spiegel“ lässt

rund 1,1 Millionen Exemplare drucken,beim „Focus“ sind es bis zu 750000. Daserfordert hohen Aufwand in Produktionund Logistik, umso mehr wenn Wochen-endzuschläge dazukommen.

Die fallen durch den vorgezogenenEVT nun weg, sodass die Kosten sinken.Aufs Jahr gerechnet dürften die geschätz-ten Einsparungen für die Verlage hocheinstellige Millionenbeträge ausmachen,ein Effekt, über den sich die Kaufleutebesonders freuen. Zumal sich im Vertriebund Anzeigengeschäft in den ersten Wo-chen keine Wechselschäden gezeigt ha-ben. Eher das Gegenteil. Gegenüber 2014ist der Absatz nennenswert gestiegen.Zwar sei es für eine stabile Prognose nochzu früh, doch „die ersten Ausgaben habengezeigt, dass die Entwicklung im Einzel-verkauf noch Potenzial hat“, sagt „Fo-cus“-Sprecher Jonas Grashey.

Beim „Spiegel“ ist man ähnlich ge-stimmt. Die ersten vier Samstagsausga-ben, für die IVW-Zahlen vorliegen, wei-sen im Vergleich zu 2014 ein prozentualzweistelliges Verkaufsplus im Einzelhan-del auf. „Wir sind mit dem Auftakt sehrzufrieden“, sagt Karina Pusch, LeiterinHandelsmarketing beim „Spiegel“. DerZuwachs betreffe „sämtliche Geschäfts-arten, auch den Bahnhofsbuchhandel“.

Der ist gerade an Werktagen einewichtige Vertriebsstelle, weshalb zu be-obachten bleibt, wie sich dort die Nach-frage dauerhaft entwickeln wird. Vor al-lem dann, wenn die in den vergangenen

Wochen verstärkten Maßnahmen derVertriebswerbung wieder auf Normal-maß gestutzt werden. Ob sich Kauf-gewohnheiten ändern, so Pusch, „werdenwir in etwa zwei Monaten dokumentie-ren können“.

Schon jetzt findet Kirsten Lübke, stell-vertretende Geschäftsführerin der Agen-tur Crossmedia, die unter anderem denSpiegel-Verlag zu ihren Kunden zählt,dass die Umstellung des EVT der beidenMagazine richtig war. „Spontankäufe am

Wochenende bringen neue Leser“, sagtsie. Auch die „Wirtschaftswoche“, die ab8. Mai freitags statt montags kommt,könne dadurch zusätzliche Leser gewin-nen. „Entscheidend ist aber die Relevanzjedes einzelnen Titels, bei Wochenend-einkäufen noch mehr als beim bewuss-teren Einkauf am Montag“, betont Lübke.

Für den „Spiegel“ spielt der Einzelver-kauf eine bedeutendere Rolle als für „Fo-cus“. Die Hamburger setzten von den ers-ten vier Samstagsausgaben durchschnitt-lich 271231 Hefte im Handel ab. Das ent-

spricht einem Anteil von nahezu 31Prozent an der Gesamtauflage. „Focus“kommt hingegen im Einzelverkauf auf ei-nen Mittelwert von 111694 Heften, derknapp 21 Prozent des Gesamtverkaufsausmacht. Zum Vergleich: Der weiterdonnerstags erscheinende „Stern“ ver-kauft rund 30 von100 Heften am Kiosk.

Allerdings geht durch den Erschei-nungswechsel fast ein kompletter Ver-kaufstag verloren, denn sonntags bleibtder Einzelhandel bis auf die Bahnhofs-shops geschlossen. Erfahrene Vertriebs-leute bestätigen, dass gerade die aktuellenWochenmagazine an den ersten beidenTagen ab Erscheinen überproportionalviel verkauft werden. Was danach nochim Regal liegt, ist stark remissionsver-dächtig. Hier lauern also noch Gefahren.

Gerade in Zeiten knapper Kalkulationachten die Verlage darauf, das Verhältniszwischen Belieferungs- und zu erzielen-der Verkaufsmenge bestmöglich auszuta-rieren. Bei den Wochentiteln zeigen sichhier durchaus nennenswerte Unterschie-de. „Focus“ erzielte für die Ausgaben 3 bis6 in diesem Jahr eine Quote zwischen 32und 41 Prozent: Von 100 in den Handelgelieferten Exemplaren wurden 32 bis 41verkauft. „Der Spiegel“ schaffte mit 50 bis56 Prozent deutlich bessere Werte. Auchhier zum Vergleich der „Stern“: Seine Ab-satzquoten lagen zwischen 59 und 66 Pro-zent.

O ptimistisch darf Blattmacherund Verlagsmanager jedochstimmen, dass der Anteil der Ge-

wohnheitskäufer bei Zeitschriften zu-rückgeht, das heißt, es kann sich tatsäch-lich lohnen, am Point of Sale gezielt Im-pulse zu setzen. Denn wer vorm Regalsteht, wird laut „Burda Offensive Käufer-marktforschung“ (BOK) mit der hohen

Wahrscheinlichkeit von 72 Prozent auchein Magazin kaufen.

Wann Zeitschriften erscheinen und inden Handel gehen, ist zuvorderst ein Ver-triebsthema. Aber es berührt natürlichauch Fragen der Mediennutzung und derMediaplanung. Norbert Facklam, LeiterSpiegel QC, berichtet von positiven Re-aktionen im Markt. Durch den EVT-Wechsel habe man eine Reihe von Kun-den gewonnen: „In einzelnen Branchen,wie beispielsweise im Möbelhandel, Tou-rismus und Lebensmitteleinzelhandel,haben wir durch die Umstellung weiteran Attraktivität zugelegt.“

F ocus“ hat zu Jahresbeginn nicht nurden Erscheinungstag vorgezogen,sondern auch redaktionelle Verän-

derungen vorgenommen. Nicht zumNachteil der Anzeigenvermarktung, wieSprecher Grashey betont: „Neue The-menumfelder wie das Ressort ‚Leben &Genießen‘ finden erfreulichen Anklang,vor allem aus dem Bereich Food & Be-verages rekrutieren sich Neukunden.“

Dennoch: „Die Qualität eines Werbe-trägers hängt nicht vom Erscheinungstagab“, erklärt Dietmar Rehker, ehemaligerMediacom-Geschäftsführer und inzwi-schen Inhaber Das Konsumentenbüro. Erbeschäftigt sich intensiv mit der Frage,wann und wo Werbung am besten wirkt.Dafür ist nicht entscheidend, wann einMagazin erscheint, sondern wann es gele-sen wird. Für die einzelnen Titel wurdenbevorzugte Nutzungszeiten ermittelt.„Focus“ und „Spiegel“, basierend aufdem alten EVT, werden demnach vor al-lem am Montag- und Dienstagabenddeutlich häufiger gelesen als zu allen an-deren Zeiten. Auffallend, dass es beim„Spiegel“ auch einen Schwerpunkt amDienstagmorgen gibt, während „Focus“zum Ende der Woche noch mal einigeAusschläge nach oben aufweist.

Erkenntnisse, die frühere Forschungs-daten bestätigen. Die Medien- und Wer-bewirkungsinitiative „Ad Impact Moni-tor“ (AIM), inzwischen weitgehend still-gelegt, fand heraus, dass wöchentlicheMagazine 58 Prozent ihrer Reichweite be-reits am zweiten Verkaufstag erzielt ha-ben. Ex-„Focus“-Geschäftsführer Frank-Michael Müller, der sich seinerzeit sehrum neue Messverfahren und Nutzungs-daten von Print bemühte, sieht immernoch Nachholbedarf: „Es ist wichtig,noch mehr über das eigene Medium he-rauszufinden und dieses Wissen weiter-zutragen“, sagt der Geschäftsführer derMarktforschungsagentur Responsio.„Das ist zwar aufwendig, aber nur so las-sen sich die besonderen Stärken und Un-terscheidungsmerkmale von Zeitschrif-ten und Zeitungen gegenüber anderenMedien besser nachweisen.“

„Spiegel“ und „Focus“erscheinen nunam Samstag stattam Montag. Das ersteResümee fällt positiv aus

Von Roland Karle

Nicht nur eine FragedesTimings

Quelle: Das Konsumentenbüro HORIZONT 11/2015

Abends wird gelesen

Schwerpunkt der Nutzungszeiten von Magazinen

Focus

Tag Zeit Index

Dienstag 18 bis 21 Uhr 282

Montag 18 bis 21 Uhr 256

Freitag 15 bis 18 Uhr 254

Der Spiegel

Dienstag 18 bis 21 Uhr 218

Montag 21 bis 24 Uhr 201

Dienstag 6 bis 9 Uhr 184

Stern

Freitag 15 bis 18 Uhr 365

Freitag 18 bis 21 Uhr 263

Sonntag 9 bis 12 Uhr 227

Index 100 = Durchschnitt; Angaben bezogen auf frühere Erschei-nungstage (Spiegel, Focus: montags)

Lesebeispiel: Im Vergleich zur durchschnittlichen Nutzungs-häufigkeit (Index = 100) wird der „Stern“ am Freitag zwischen15 und 18 Uhr 3,65-mal häufiger gelesen.

Quelle: IVW HORIZONT 11/2015

Stern zieht am Kiosk

Aktuelle Magazine im Einzelverkauf 2015

Focus

Ausgabe Einzelverkauf EV-Lieferung Verkaufsquote*

6 124 179 305 771 41

5 99 508 312 227 32

4 120 248 315 268 38

3 102 841 317 960 32

Der Spiegel

6 264 664 469 334 56

5 272 068 482 780 56

4 254 884 509 877 50

3 293 308 525 499 56

Stern

6 219 386 355 345 62

5 212 472 356 094 60

4 210 433 359 069 59

3 238 692 363 043 66* Anteil verkaufter Exemplare an der für den Einzelverkaufgelieferten Menge in Prozent

Page 9: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

A us Marketingsicht haben Printund Funk zunächst ein Produkt-und weniger ein Vermarktungs-

problem. Hier hilft eine klare Profilie-rung als Medienmarke und ein starkesdigital vernetztes Angebot, um die Stär-ken und Vorzüge der einzelnen Gattun-gen klar hervorzuheben. Gattungs-marketing Digital steht wiederum voreinem Kommunikationsproblem. Sohaben die einzelnen Bereiche mit denunterschiedlichsten Herausforderungenzu kämpfen: Vom Wirkungs- und Quali-tätsnachweis der Bewegtbild- und Dis-playvermarktung über die Ansprache-qualität beim Realtime Advertising bishin zur Integration von Performance undSocial aus dem Silo in den Mediamix.Hier sind die Anbieter stark gefordert,die Komplexität und Vielschichtigkeit desThemas nutzenorientiert und verständ-lich zu transportieren.

Andrea Biebl, Managing Director Vizeum Deutschland

W ir begrüßen das zum Teil längstüberfällige Gattungsmarketingund sind sehr gespannt auf die

nächsten Entwicklungen bei der StudieBest for Tracking. Im Vergleich hinkt diedigitale Branche hinterher. Nachvollzieh-bar, dass in den Jahren des starken Wachs-tums und der Illusion, „wir können jetztalles messen und erklären“, sich niemandmit dem Thema beschäftigt hat, wofürdigitale Kommunikation eigentlich stehtund wie sie wirkt. Den meisten Studienbleibt aber gemein, dass sie in der Regel nurdie Brille des jeweiligen Mediums auf-setzen. Und sollte jemand immer nochnach einer Aufgabe für die Mediaagen-turen im Dreieck zwischen Kunde, Kreati-on und Media suchen: Genau hier sehenwir unser Feld. Wir arbeiten mit Konver-genz-Modellen, die sich mit den Wechsel-beziehungen der einzelnen Medien zu-einander beschäftigen. Dies bringt völligneue Einsichten und verändert die Archi-tektur der Pläne für unsere Kunden.

Stefan Uhl, CEO Starcom Mediavest Group DACH

IneigenerSache

Im intermedialen Wettbewerbüberbieten sich die Gattungen mitEigenmarketing / Von Print bisDigital: HORIZONT fragt nach,wer am meisten hinterherhinkt

WelcheGattung hataus Ihrer

Sicht den größtenNachholbedarf bei derProfilierung dereigenen Stärken undwie kann der Rückstandaufgeholt werden?

HORIZONT 11/2015 12. März 2015 33REPORT MEDIASTRATEGIE 33

Volker Neumann, Geschäftsführer JOM

M an könnte hier die Diskussionüber den Sinn von Gattungs-studien führen, um dann zum

Ergebnis zu kommen, dass reines Gat-tungsmarketing kaum Nutzwert für diePlanung hat. Diese Kritik wird aber nichtgehört. Nachholbedarf haben die Tages-zeitungsverlage bei einer übergreifendenPrint- und Digitalforschung. Wenn sichdie Titel zukünftig als Medienmarkenverstehen, die ihren Content über unter-schiedliche Kanäle und Plattformendistribuieren, dann sollten die Wir-kungszusammenhänge detailliert dar-gestellt werden.

Miriam Klinge, Group Director PHD Frankfurt

TV profitiert von hohen Investitio-nen der großen Werbungtreiben-den, die zusätzliches Budget für

Forschung bereitstellen, um somit Materi-al für Wirkungsstudien liefern zu können.Online-Kanäle bauen auf dem Gesamt-trend Digital auf: Dort mangelt es anvaliden Studien, um die Wirkungsweisenzu belegen und KPIs wie Absatz oderImage zu untermauern. Mit der GIKbemühen sich Printverlage, eine gattungs-übergreifende Wirkungsforschung an-zubieten – natürlich mit Augenmerk aufPrint. Im Bereich Out-of-Home werdendie Fragen nach Steigerung der Marken-bekanntheit, fokussierter Zielgruppen-ansprache und tatsächlichem Absatzhebelnur bedingt und oft zu fokussiert aufEinzelkanäle oder zu Vermarkter-indivi-duell beantwortet. Fazit: Online undOOH müssen – geschuldet der Vielzahlder Gattungskanäle – dafür sorgen, Wer-bungtreibenden und Agenturen nach-haltige Wirkungsstudien zu liefern.

Nicole Barna, Head of Planning Universal McCann

D en meisten Nachholbedarf seheich im Bereich Digital. Vielesehen Digital als eine Gattung,

was nicht der Realität entspricht. Somit istDigital nicht mit anderen Medien, derenZielsetzung und Effizienz, vergleichbar,auch wenn dies in der Praxis entsprechendangewendet wird. Digital splittet sich inUntergattungen, die unterschiedlicheZielsetzungen bedienen und somit imintermedialen Vergleich als einzelneGattungen zu sehen sind. Aufgrund derfehlenden einheitlichen Begriffsdefinitionvon Digital führt die Verwendung desBegriffs zu Missverständnissen. Daher isteine Splittung der bisherigen GattungDigital sowie deren einheitliche De-finition ein essenzieller Schritt zur bes-seren Profilierung. Dabei reicht die Unter-scheidung der einzelnen Devices jedochnicht aus. Ziel sollte die einheitliche Ver-gleichbarkeit von Gattungen mit gleicherZielsetzung sein, wie beispielsweise dieVerwendung einer Währung.

Cornelia Lamberty, Vorstand Moccamedia

B eim Eigenmarketing verschenktRadio Potenzial. „Geht ins Ohr –bleibt im Kopf“, so der Slogan,

aber das Medium ist nicht präsent genug,obwohl es laut Statista mit 86 Prozent aufPlatz 2 der beliebtesten Freizeitbeschäfti-gungen steht. Radio muss seiner wahrenMarktfunktion mehr Nachdruck ver-leihen, schließlich kann das Mediumschnell Werbedruck erzeugen. Ein An-satzpunkt ist der Online-Audio-Bereich.Damit Unternehmen ihre potenziellenKunden erreichen, müssen wir sie dortabholen, wo sie sich aufhalten. Da spielenMobile Devices eine immer größere Rolle.

Anzeige

Redaktion:Lisa Naumann

Page 10: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

Cinemaxx an, könnte das der Beginn ei-ner Abwärtsspirale für Werbe Weischersein“, vermutet Kosche: „Diese Entwick-

lebbar zu machen“, erklärt Stefan Leh-mann, Geschäftsführer von Cinestar. Einzweites Standbein ist neben der Media-Abteilung der Eventbereich, Red CarpetEvent: Die Betreiber der Multiplexkinosverfügen bereits über Erfahrung bei derUmsetzung von B-to-B-Events: „DieTeams in der Kino-Eventvermarktung ar-beiten nun konzeptionell zusammen undkönnen so gezielte und individuelle Pro-dukte anbieten“, so Horn. KinospezialistKosche gibt zu bedenken, dass für Below-the-Line-Marketingaktivitäten eine kriti-sche Masse an Standorten fehlt.

Das Unternehmen muss noch vieleHausaufgaben erledigen: Mit der Anstel-lung von Mediaplanern soll Know-howgewonnen und ein neues Team aufgebautwerden – das wird einige Zeit in An-spruch nehmen. Zudem ist Red Carpetnoch auf der Suche nach Büroräumen inden Städten Berlin, Düsseldorf undFrankfurt. Dennoch ist Kosche über-zeugt, dass gerade in der Leinwand-Ver-marktung der Kinomarkt durch diesenZusammenschluss profitieren wird. FürWerbe Weischer ist damit ein ernstzuneh-mender Konkurrent aufgetaucht: „Wennman zwei seiner großen Kinoketten ver-liert, dann kann man das nicht schön-reden“, sagt Kosche.

Von Lisa Naumann Hand in HandMit einer gemeinsamen Vermarktungstochter starten Cinemaxx undCinestar einen Angriff auf die Werbe-Weischer-Dominanz

Konkurrenz belebt das Geschäftund seit diesem Jahr auch dendeutschen Kinomarkt: Die zweigrößten Kinoketten Deutsch-

lands, Cinemaxx und Cinestar, wagen denSchritt in die gemeinsame Vermarktung.Das neu gegründete TochterunternehmenRed Carpet Cinema Communication mitHauptsitz in Hamburg wird künftig dieReichweiten der Kinos bündeln: „Bei derGründung des Joint Ventures ist es uns vorallem darum gegangen, Vermarktungs-konzepte sowie Events aus einer Hand an-zubieten und auch umsetzen zu können,um dadurch die bisherige Fragmentierungzu reduzieren“, erklärt Carsten Horn, derAnfang des Jahres als Nachfolger vonChristoph Ahmadi Cinemaxx-Geschäfts-führer wurde.

Bislang fehlt es den beiden Kinokettenzwar noch an Reichweite, um den Kino-markt bedeutend umzustricken, ihr bishe-riger Vermarkter Werbe Weischer verliertdennoch seine fast monopolistische Stel-lung (HORIZONT 3/2015). Robert Kosche,Senior Mediaplaner bei der AF + MediaAgentur, erklärt: „Die Fusion lockert denWerbemarkt auf und sorgt für eine faire

Preisgestaltung bei der Leinwand-Ver-marktung, gerade im Hinblick auf die Ex-klusivität von Werbe Weischer“. Durchden Zusammenschluss hat der Vermark-ter zwei wichtige Kinoketten sowie zahl-reiche Standorte und Leinwände verlo-ren: Laut Kosche konnte Werbe Weischervergangenes Jahr 2709 Leinwände exklu-siv anbieten, 2015 sind es nur noch 2453.

Red Carpet Cinema Communicationist auch für die Vermarktung weiterer Ki-nounternehmen hierzulande offen. Ak-tuell betreiben die beiden Ketten zusam-men 86 Kinocenter an 66 Standorten underreichen damit einen Marktanteil von 20Prozent. „Schließen sich weitere Kinoket-ten der Vermarktung von Cinestar und

lung sollte das Unternehmen ernsthafthinterfragen.“ Florian Weischer, Ge-schäftsführender Gesellschafter von Wer-be Weischer, sieht dem allerdings gelassenentgegen: „Da wird ein totes Pferd gerit-ten“, glaubt er, denn die Denkweise, Mar-ken abseits von Werbespots auf der Lein-wand beispielsweise im Foyer zu inszenie-ren, empfindet er als überholt.

Genau das ist der Ansatz der Vermark-tungstochter: Durch ein 360-Grad-Kon-zept wollen die Kinoketten mit ihrem Un-ternehmenszweig Red Carpet Media einestärkere Bindung zu Markenpartnernherstellen: „Es geht hier nicht nur umMedien, sondern darum, Marken fürKunden im begehrten Freizeitumfeld er-

BROT – Very Special InterestHätten Sie gewusst, dass Deutschland eine Bäcker-Nationalmann-schaft hat? Und dass esMenschen gibt, die über Brot bloggen? Sowas erfährt man in: „Brot“, der Zeitschrift. Während sich die Runter-komm-Magazine „Happinez“ und Co um Leib und Seele kümmern,verspricht der appetitanregende Titel aus dem Jahr Top Special Verlag(Jahr TSV) Genuss mit „Laib und Seele“.Auf die Ideemuss man erst einmal kommen: Brot redaktionell so feinund facettenreich aufzuschneiden, dass es eine verbreitete Auflagevon 25000 Stück verträgt. Von der vielbesagten „Bäckerblume“ hebtsich dasMagazin deutlich ab, es mischt sich munter unter die Food-Zeitschriften, ist für knusprige 5,90 Euro zu haben und soll 2015erneut zweimal erscheinen. Damit beweist Jahr TSV erneut ein Näs-chen für Nischen – undMut zu „very special interest“. Im vergange-nen Jahr wurde „Bin im Garten“ frisch gepflanzt, einMagazin für„Gärtnern, Grillen, Chillen“. Vor wenigen Tagen feierte „Frisch aufden Tisch“ Premiere am Kiosk, der Titel mit niederländischem Vorbildsoll cross- und socialmedial gespielt werden. Dazu passt die Per-sonalie, dass Chefredakteurin Anja Klein erfolgreiche Gartenblogge-rin („Der kleine Horrorgarten“) ist.

Happinez, Flow –Harmonie-MagazineEinfach glücklich leben – so lautete der Slogan von „Sensa“. Vor fünf Jahren gestartet, ist das glücklicheLeben schon vorbei, der Titel aus dem Panini Verlag wurde gerade eingestellt. Eine Ausnahme, die mit derRegel bricht, denn Zeitschriften solchen Zuschnitts erleben rege Nachfrage. Sie heißen „Happinez“ (Bauer),„Flow“ (Gruner + Jahr), „Herzstück“ (Funke), „My Harmony“ (Burda), „Emotion Slow“ (Emotion Verlag),stammen aus Verlagen, die ihr Handwerk verstehen, und sprießen auf dem Feld der „Entschleunigungs-magazine“. Sie bieten Inspiration für Leib und Seele, vielleicht auch, wie die „Süddeutsche“ kürzlich schrieb,„Journalismus zum Kuscheln“. Wenn Print den Gegensatz zu Klick-und-weg-Medienmarkieren will, dannpassen Themenwiementale Auszeit, Selbstfindung, Entspannung ja bestens. Wichtige Botschaft fürWerbe-kunden: Die Leser(innen) „sind konsumfreundlich, aber konsumieren bewusst – Qualität ist ein entscheiden-des Kaufkriterium“. Sie seien bereit, für hochwertige Produkte mehr Geld auszugeben. Das hat das Rhein-gold-Institut, beauftragt von Bauer, in einer Befragung von „Happinez“-Lesern herausgefunden. Übrigens:Im letzten HORIZONT-Mediacheck (36/2014) gewannmit „Flow“ ein Titel aus diesem jungen Segment.

HORIZONT 11/2015 12. März 20153434REPORT MEDIASTRATEGIE

PrintmitPfiffTrends aufgreifen, inNischen vorstoßen, dasDigitale begleiten.Es gibt viele Motive, einMagazin zu gründen, wiedie Beispiele zeigen

Von Roland Karle

SHIFT – GründungDaniel Höly ist noch keine 30, hat Online-Journalismusstudiert, bloggt für sein Leben gern und leitet die Redak-tion des Onlinemagazins „Juiced“. Das hat ihn nichtdavon abgehalten, eine Zeitschrift, präziser ein Book-azine, zu gründen. Das Konzept für sein Gesellschafts-magazin entwickelte er vor knapp drei Jahren währendseiner Diplomarbeit. Über Crowdfunding (272 Unter-stützer gaben 7027 Euro) finanzierte er die 2013 tausend-fach erschienene Nullnummer. Am1. April erscheint nundie offizielle Erstausgabe,124 Seiten dick, mit sechsbezahlten Anzeigen, in10000er-Druckauflage, zumCopypreis von 7 Euro. Geholfen hat erneut die Crowd,über12000 Euro kamen zusammen. Geplant ist fortanvierteljährliches Erscheinen, dann ohne Spendensamm-lung. Höly, der Online-Journalist, ist davon überzeugt,dass seine Generation eine Zeitschrift wie „Shift“ gutvertragen kann. „Es vollzieht sich gerade ein riesigerWandel in der Gesellschaft durch das Internet. Da setzt,Shift‘ an.“ Das Bookazine hat iPad-Maße – und soll nachWunsch des Jungverlegers nach der Lektüre nicht in dieTonne, sondern ins Bücherregal wandern.

Page 11: HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORT · 2015-03-12 · HORIZONT11/2015 12.März2015 REPORTMEDIASTRATEGIE29 schonklassischwieinTVoderPrintauf BasisvonBranding-oderPerformance-Aspektenzuplanenundeinzukaufen

Den Kunden in Echtzeit Werbe-inhalte anbieten wird immerrelevanter (siehe Seite 25 und26). Gleichzeitig ermöglichen

technische Entwicklungen, in Echtzeitmehr über diese Kunden herauszufinden.Retargeting ist eine der Methoden, die da-für zur Verfügung stehen. Doch verfügtRetargeting über eine nachhaltige Leis-tung? Was haben Werbungtreibendewirklich davon, wenn sie in das Instru-ment investieren? Ad Roll, Anbieter vonentsprechenden Lösungen, ist diesen Fra-gen gemeinsam mit dem Marktfor-schungsunternehmen Qualtrics nachge-gangen und hat herausgefunden: 39 Pro-zent der europäischen Werbungtreiben-den wenden zwischen 25 und 50 Prozentihres Online-Werbebudgets für Retarge-ting auf. Ihr wichtigstes Ziel dabei: Für 60Prozent der Befragten steht die Steigerungder Markenbekanntheit an erster Stelle,gefolgt von Umsatzsteigerung (57 Pro-zent). 51 Prozent nennen außerdem Kun-denbindung als eines der Marketingziele.Für die Studie wurde eine Gruppe von 250Werbungtreibenden aus ganz Europa ausunterschiedlichen Branchen befragt.

Von Bettina Sonnenschein

FOTO:VENIMO/FOTO

LIA

Fragen,wasmöglichistDer Retargeting-Spezialist AdRoll hat sich unter Werbung-treibenden umgehört, was siemit der Technik anfangen

HORIZONT 11/2015 12. März 2015 35REPORT MEDIASTRATEGIE 35

Social Media und Smartphone –das geht immer mehr Hand inHand. Laut der internationalenSocial-Media-Studie Wave der

Agentur Universal McCann wird derhandliche Screen in Deutschland inzwi-schen Desktop-PCs und Laptops deutlichvorgezogen, wenn es darum geht, übersoziale Netzwerke zu interagieren. ImVergleich zur vorangegangenen Welle2013 zeigt „Wave 8 – The Language ofContent“ einen Anstieg der Smartphone-Nutzer um 9 Prozentpunkte auf 83 Pro-zent. Gleichzeitig sank der Nutzungsan-teil von Desktop-PCs um 9 Punkte auf 62Prozent, der von Laptops um 6 Punkteauf 75 Prozent. Die Werte für Deutsch-land entsprechen in etwa dem globalenTrend. Für Wave 8 wurden insgesamt50000 Menschen in 65 Ländern befragt.

Von Bettina Sonnenschein

Social istgleichsmartLaut einer Studie von UniversalMcCann dominiert dasSmartphone andere Screens

Der überwiegende Teil desOnline-Werbebudgets europäischerWerbung-treibender wandert in Retargeting-Maßnahmen. Damit nicht genug: 64 Prozent der Unter-nehmen geben an, für das laufende Jahr 2015 das Budget für das Instrument noch erhöhenzu wollen. Gefragt nach den Auswirkungen auf andereMarketingkanäle, geben 74 Prozentan, dass eine Verbesserung der Performance beim Suchmaschinenmarketing eintritt.

Starkes Vertrauen in RetargetingWie viel Prozent Ihres Online-Werbebudgets investieren Sie in Retargeting?

Quelle: Ad Roll HORIZONT 11/2015

10 bis 25 Prozent

25 bis 50 Prozent

50 bis 100 Prozent

bis 10 Prozent

81 79

13

17

39

31

Mit anderen Disziplinen kannRetargetinganscheinend gut mithalten: Nahezu alle Befragten sindderMeinung, dass die Technik mindestens so gut istwie die altbewährten Instrumente E-Mail- und Dis-playwerbung sowie Suchmaschinenmarketing.

Gutes StandingRetargeting bietet die gleiche oder eine bessere Performance als …

Quelle: Ad Roll HORIZONT 11/2015

... E-Mail-Werbung

... sonstigeDisplaywerbung

... Suchmaschinen-marketing

Angaben in Prozent

95 9388

Werbung in sozialen Netzwerken ist bei Werbungtreibenden beliebt – ob-wohl sie dort mit privaten Inhalten wie Katzenfotos und Selfies konkurrierenmüssen. DieMöglichkeit der Kommunikation in beide Richtungenmacht diesen Nachteil für die Unter-nehmen offenbar wett. In Kombinationmit Retargeting-Daten bietet dies laut Ad Roll dieMöglichkeit für eine hohe Interaktion und Effektivität.

Wiedersehen auf Facebook und CoWelches Thema steht beim Retargeting ganz hoch im Kurs?

Quelle: Ad Roll HORIZONT 11/2015

36

21

20

8

7

7

Retargeting in sozialen Medien

Datenbasiertes Marketing

Mobil und geräteübergreifend

Suchmaschinen-Retargeting

E-Mail-Retargeting

Strategien für Online- und Offlinedaten

Angaben in Prozent

Rund 56 Prozent der Unternehmen in Europa setzenderzeit auf mobiles Retargeting, wobei der Anteil imB-to-B-Bereich noch deutlich höher liegt alsbei B-to-C. Aktuell trägt das Tool laut Ad Roll dazu bei,Conversion undMarkenbekanntheit zu steigern.

Ausgewogenes InteresseFühren Sie zurzeit mobiles Retargeting durch?

Quelle: Ad Roll HORIZONT 11/2015

Business-to-Consumer Business-to-Business

Angaben in Prozent

51

40

49

60

janein

InstantMessenger sind die Gewinner beim Vergleich der genutztenSocial-Media-Plattformen. In Deutschland stieg der Anteil der Nutzer bei der Befragung 2014 von 57Prozent im Jahr 2013 auf 70 Prozent. Gesättigt scheint hingegen dasWachstum der „alt hergebrach-ten“ Plattformen. Ein Beispiel: FürWave 7 gaben 70 Prozent der16- bis 29-Jährigen 2013 an, täglichdie Facebook-Timeline zu verwenden – in der aktuellenWave 8 sind es nur noch circa 60 Prozent.

Messenger werden wichtigerWelche der folgenden Aktivitäten haben Sie bereits genutzt?

Social Networks

Foren

Microblog

Business Social Network

Instant Messenger (z. B. Whats App)

Timed Photo (z. B. Snapchat)

Quelle: UM Wave 8 HORIZONT 11/2015

Angaben in Prozent

Deutschland n = 1010 / Global n = 50021

Deutschland

2013 2014 2013 2014

Global

70

77

29

33

57

69

74

26

35

70

28

82

80

66

63

79

46

81

79

64

60

79

Ein Drittel der deutschen Smartphone-Nutzer (plus 4 Prozent) tätigtauchEinkäufe über das Gerät. Den 32 Prozent hierzulandestehen global allerdings 43 Prozent gegenüber. Lieber greifen dieDeutschen für das mobile Shoppen zum etwas größeren Screen vonTablets: Hier liegt der Nutzungsanteil mit 43 Prozent über dem globa-len und stieg im Vergleich zur vorigen Befragung um12 Prozentpunkte.

Deutsche kaufen lieber mit TabletWelche Geräte eignen sich gut dafür, einen Kauf zu tätigen?

Quelle: UM Wave 8 HORIZONT 11/2015

Deutschland n = 1010 / Global n = 50021

in Prozent

Deutschland Global2013

2014

Tablet Smartphone Tablet Smartphone

43

32

40

28

3943

32 31

Videoclips nur auf dem großen Schirm?Mit-nichten. Sowohl in Deutschland als auch weltweit nimmtdie Nutzung von Bewegtbildinhalten auf stationärenRechnern und Laptops ab, während der Trend bei Tabletsund Smartphones langsam ansteigt. Besonders interes-siert ist der Initiator der Studie, Universal McCann (UM),an den psychologischenMotiven der Nutzer, wennContent konsumiert undweitergeleitet wird. Daraufbasierend erarbeitet UMContent-Strategien fürWer-bungtreibende.

Bewegung von stationär zu mobilWelches Gerät haben Sie zum Sehen von Online-Videoclips benutzt?

Desktop

Laptop

Tablet

Smartphone

Quelle: UM Wave 8 HORIZONT 11/2015

Angaben in Prozent

Deutschland n = 1010 / Global n = 50021

Deutschland

2013 2014 2013 2014

Global

76

79

57

53

68

75

61

55

69

79

53

50

68

74

54

55