Der Schimmel Hippo

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Im Reich des mächtigen Schahs, des Königs aller Könige, lebte einst ein Kaufmann namens Alisar. Der war so reich, daß er sich alles, wonach sein Herz begehrte, kaufen konnte. Sein Gold bewahrte er in großen Säcken auf, und jeden Tag benutzte er eine andere Kutsche, um auszufahren. An seinen Fingern steckten so viele kostbare Ringe, das es für alle Mädchen der Stadt gereicht hätten, und es wären sicher noch ein paar übrig geblieben. Aber irgendwelchen Mädchen etwas zu schenken, fiel ihm nicht einmal im Traum ein. Ganz im Gegenteil. Wo er nur konnte, betrog er noch jeden um das, was ihm von Rechts wegen zustand.

Transcript of Der Schimmel Hippo

Im Reich des mächtigen Schahs, des Königs aller Könige, lebte einst ein

Kaufmann namens Alisar. Der war so reich, daß er sich alles, wonach sein

Herz begehrte, kaufen konnte. Sein Gold bewahrte er in großen Säcken auf,

und jeden Tag benutzte er eine andere Kutsche, um auszufahren. An seinen

Fingern steckten so viele kostbare Ringe, das es für alle Mädchen der Stadt

gereicht hätten, und es wären sicher noch ein paar übrig geblieben.

Aber irgendwelchen Mädchen etwas zu schenken, fiel ihm nicht einmal im

Traum ein. Ganz im Gegenteil. Wo er nur konnte, betrog er noch jeden um

das, was ihm von Rechts wegen zustand.

Eines Tages beschloß Alisar, sich zu verehelichen. Bald wußte die ganze

Stadt davon, und viele Väter kamen herbeigeeilt, um ihm ihre Töchter

vorzustellen. Da gab es Mädchen, schön wie der junge Tag und lieblich wie

eine Pfirsichblüte. Doch der Kaufmann sah sie sich gar nicht näher an, denn

keine der Bräute war ihm reich genug. Die Zeit verging, und es schien schon, als würde er sich niemals verheiraten,

doch da hörte er, daß ganz in der Nähe auf dem Lande eine reiche Witwe

wohne, von der es hieß, sie habe so viele herrliche Perlen, wie sich ihrer

nicht einmal der Schah selbst rühmen konnte. ,,Das wäre eine Frau für mich", rief der Kaufmann erfreut und beschloß,

sofort auf Brautschau zu gehen. Er ließ sechs feurige Schimmel vor seine

allerprächtigste Kutsche spannen, die Dienerschaft mußte ihn mit

wohlriechendem Ol salben,

seine Fingerringe und auch die Stiefel auf Hochglanz polieren. Dann

ließ er sich seinen elegantesten Turban aufsetzen, den mit der blauen

Pfauenfeder, und los gings. Nun war aber die Witwe gar nicht so reich,

wie man glaubte. Die Kassette mit den Perlen, ihren größten Schatz,

hatten ihr Räuber gerade nachts vorher gestohlen. Dem Kaufmann verriet

sie davon freilich kein Sterbenswörtchen. Denn sie ahnte ja, daß er dann

sofort wieder fortgefahren ware. Also stand sie am Tor, begrüßte ihn

freundlich, und ihre Blicke schweiften dabei hierhin und dorthin, als suchte

sie etwas. ,Wohin guckt denn die immer zu', dachte sich Alisar. Die geizige Witwe — sie war nämlich genauso geizig wie Alisar — war

neugierig, was ihr der reiche Kaufmann mitgebracht haben mochte. Nun

hatte der Kaufmann Alisar noch niemals im Leben jemand etwas

geschenkt, und auf den Einfall, daß man seiner Zukünftigen wenigstens

ein Brautgeschenk mitbringen sollte, war er gar nicht gekommen. Und das

tut doch selbst der allerärmste Junge, wenn es auch nur ein Blümchen ist,

das er seiner Liebsten überreicht. ,Irgendwo im Wagen liegt wahrscheinlich ein Sack mit Edelsteinen',

dachte die Witwe. Da stieg der Kaufmann schon aus, aber von einem

Sack oder sonst einem Geschenk war keine Spur zu sehen. Da fragte sie ihn

gerade heraus : ,,Habt Ihr mir ein Geschenk mitgebracht, Kaufmann Alisar?" ,,Ein Geschenk?" stotterte der Kaufmann und trat verlegen von einem

Fuß auf den andern, als säße in jedem Schuh ein hervorstehender Nagel.

Der Schimmel Hipo, der im ersten Paar eingespannt war, wieherte.

Er wieherte ohne besonderen Grund, es war ihm einfach zum Wiehern

zumute. Denn er war ein fröhliches Pferd und jederzeit gutgelaunt. Als sich

der Schimmel Hipo also durch sein Wiehern bemerkbar machte, schoß dem

Kaufmann ein glänzender Gedanke durch den Kopf. ,,Verehrte Frau Witwe", sagte er. ,,Ich habe mir lange den Kopf

zerbrochen, womit ich Euch wohl die größte Freude machen würde.

Und da dachte ich: Nimmst einen Sack Geld mit."

Die Witwe lächelte erfreut.

,,Doch dann", fuhr der Kaufmann fort, ,,fiel mir ein, daß Ihr ja selbst

Geld genug habt." Das Lächeln verschwand von den Lippen der Witwe, und der Kaufmann

sprach schnell weiter: ,,Edelsteine sind ja viel besser, sagte ich mir. Ich schenk ihr ein paar

köstliche Diamanten, von der Sorte, die weiß wie das Mondlicht funkeln."

Da Lächelte die Witwe wieder.

,,Doch dann", sagte der Kaufmann, ,,erinnerte ich mich, daß Ihr ja selbst

Edelsteine in Hülle und Fülle habt." Die Witwe machte ein bitterböses Gesicht. Und da wandte sich der

Kaufmann seinen Pferden zu und zeigte auf den Schimmel, der gewiehert

hatte: ,,Nehmt dieses Roß als Geschenk von mir entgegen. Es heißt Hipo und

ist das Beste, was jemals eine Braut als Gabe erhielt. Hipo ist kein

gewöhnliches Pferd", flüsterte er der Witwe ins Ohr. ,,Er ist ein

Zauberpferd. Wer ihn besteigt, wird sofort unsichtbar."

Die Witwe sah immer noch unzufrieden drein.

,,Wie ist das?"

,,Wenn Ihr wollt, führe ich Euch das Wunder auf der Stelle vor. Aber wir

müssen ganz allein sein. Wenn jemand von Hipos Zauberkraft erfährt,

würde er ihn ja sofort stehlen." Er ließ Hipo ausspannen, satteln und

führte ihn selbst in den Marstall. Die Witwe ging ihm nach, außer sich

vor Neugier.

,,Sind wir wirklich allein?" fragte der Kaufmann und tat,

als wollte er sich in den Sattel schwingen.

,,Ganz allein", flüsterte die Witwe.

,,Überzeugt Euch lieber noch einmal. Die Wände sind voller Ritzen."

Die Witwe lief um den Marstall herum, und war im Nu wieder zurück.

Doch der Kaufmann hatte inzwischen Zeit genug gehabt, sich unter einem

Haufen Stroh zu verstecken.

,,Wo seid Ihr?" rief die Witwe.

,,Hier oben, im Sattel, auf dem Pferd", sagte der Kaufmann.,,Das ist seltsam. Ich sehe Euch tatsachlich nicht", wunderte sich die

Witwe. ,,Ich sehe gar nichts, so, als säße überhaupt niemand auf dem Pferd.

Ach steigt doch schnell ab. Ich mochte es auch versuchen!" ,,Hopp!" rief der Kaufmann und erhob sich aus dem Stroh. ,,Kommt,

ich helfe Euch aufsitzen!"

Nun saß die Witwe hoch zu Roß und rief.

,,Seht Ihr mich? Seht Ihr mich?"

“I wo", log der Kaufmann. ,,Ich sehe nur den Hipo, und Euch scheint der

Erdboden verschlungen zu haben. Nun, gefällt Euch mein Geschenk ?"

,,Ach, was", meinte die Witwe geringschätzig. ,,Was soll mir daran gefallen?

Was nutzt mir denn so ein Pferd?" Aber im geheimen dachte sie: ,Oh, das

1st ein unbezahlbares Geschenk! Ich werde auf dem Gut umherreiten,

genau sehen, wer faulenzt, wer mich betrügt, ich werde hören, was die

Leute von mir reden. Und vor allem, ich kann mir überall nehmen, was

mir gefällt, und keiner sieht mich dabei. Bald werde ich wieder so reich sein

wie früher, ja noch viel reicher'.,,Und zum Gatten wollt Ihr mich nehmen?" fragte der Kaufmann.,,Wisset, Herr. Ich will Euch meine Antwort in zwölf Tagen geben. Den

Schimmel Hipo nehmt ruhig wieder mit. Ich mag ihn nicht. Wenn Ihr mir

nächstens ein besseres Geschenk mitbringt, werden wir weitersehen."

Bevor sich jedoch der Kaufmann zur Abreise rüstete, befahl die Witwe den

Knechten, in ihrem Stall einen Schimmel auszuwählen, der Hipo so ahnlich

als nur möglich sah, und ihn vor die Kutsche des Kaufmanns zu spannen.Nachdem der Kaufmann fortgefahren war, rief die Witwe den Stalljungen

Mabi und sagte ihm:,,In der Scheune steht der Schimmel Hipo. Ab heute ist er deiner Pflege

anvertraut. Du wirst ihn dreimal täglich mit dem besten Hafer füttern und

ihn ordentlich putzen und striegeln. Aber eines sage ich dir, laß dir ja nicht

einfallen, auf ihm zu reiten oder auch nur aufzusitzen!"

Mabi gehorchte und wartete den Schimmel Hipo vorbildlich. Sie

wurden bald gut Freund miteinander. Eines schönen Tages beschloß die Witwe, auf Hipo auszureiten. Sie

gebot Mabi, das Pferd zu satteln und vors Gut hinauszuführen. Dann

schickte sie Mabi weg und saß auf. Kaum war sie jedoch im Sattel,

scheute Hipo und warf sie ab. Der Boden, auf dem die Witwe so

plötzlich landete, war sehr hart, und sie brach sich bei dem Sturz fast

das Genick. Sie versuchte es noch einmal und immer wieder, doch

jedesmal warf Hipo sie ab. ,,So einer bist du also?" tobte die Witwe. ,,Na warte, Hipo, mit dir werd'

ich nicht viel Federlesens machen. Du wirst schon sehen, wie man bei

mir mit bockigen Pferden umgeht!"

Und sie verbot Mabi, dem Schimmel auch nur ein Büschel Heu oder

einen Tropfen Wasser zu reichen. Doch Mabi gehorchte diesmal nicht. Des Nachts, wenn alles schlief,

schlich er in den Stall und fütterte und tränkte seinen Freund Hipo.

Der Witwe gelang es jedoch nicht ein einziges Mal, auf ihm zu reiten.

AIs das schon elf Tage so ging, kam es ihr doch merkwürdig vor, und sie

beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie versteckte sich im Stroh

der Scheune und paßte scharf auf, was geschehen würde. Sie wartete

nicht vergeblich. In der Nacht knarrte das Tor, Mabi schlich mit einem

Armvoll duftenden Heus herein, dann brachte er einen Eimer Wasser.

Hipo fraß und trank nach Herzenslust.

Da sprang die Witwe aus ihrem Versteck hervor und stürzte sich auf

Mabi: ,,Hab ich dich erwischt! So dienst du mir also ! Elf Nächte lang hast

du im geheimen das Pferd getränkt und gefüttert, jetzt wirst du selbst

ebensolang Hunger und Durst leiden! Und um Hipo werd ich mich ab

heute selbst kümmern!"

Mabi stand traurig da und sagte nur :

,,Herrin, erlaub mir bitte, daß ich mich von Hipo verabschiede!" Er

nahm das Pferd um den Nacken und flüsterte ihm zu : ,,Wir fliehen von hier! Vor Morgengrauen warte ich auf dich im

Olivenhain. Auf Wiedersehen, Hipo!" Und dabei löste er heimlich den

Knoten des Strickes, mit dem Hipo angebunden war. Dann schlich er sich

davon, und die Witwe begab sich zur Ruhe. Doch kaum war das Licht in

ihrem Schlafzimmer erloschen, da verließ Mabi leise das Haus und lief

schnurstracks auf das verabredete Ziel zu. Es war stockfinster, denn der Mond und die Sterne waren unter

schwarzen Wolken verborgen. Mabi lief und lief und war schon recht

müde. Als es zu dämmern begann, merkte er, daß er sich im Dunkeln

verirrt hatte und noch sehr weit vom Olivenhain entfernt war. ,Hipo wartet sicher schon auf mich', sagte sich Mabi. ,Bevor ich

hinkomme, wird es hellichter Tag sein. Wenn ich nun Hipo verpasse und

wir einander niemals wiedersehen?'

Der Schimmel Hipo war tatsächlich schon längst an Ort und Stelle

angelangt. Er frühstückte inzwischen gemächlich süßes Gras mit

Tautropfen, völlig unbesorgt, als drohte ihm auch nicht die geringste

Gefahr. Doch das war ein Irrtum. Denn ganz in der Nähe hatten zwei böse

wilde Räuber ihre Höhle. Der eine Räuber schlief und der andere hielt Wache. Sie wechselten immer

ab. Wenn nun der eine Räuber ein Riesenbursche und der andere ein

schwächlicher Knirps gewesen ware, und der Riese geschlafen und der

Knirps gewacht hatte, wäre das ja nicht so schlimm gewesen. Doch beide

Räuber waren große baumstarke Kerle, so daß es ganz gleichgültig war,

welcher von beiden schlief und welcher Wache hielt.

Da erblickte der wachende Räuber Hipo. Er steckte seinen Krummsäbel

in den Gürtel, schlug sich vergnügt auf die Oberschenkel, denn er hatte

ja jetzt beide Hände frei, und brummte mit fürchterlicher Stimme: ,,Hoho! Soso! Ein Rößlein. Und so ein hübsches noch dazu! So ein

Pferdchen hab ich mir mein Lebtag gewünscht. Ich fang es mir,

und dann bin ich kein gewöhnlicher Räuber mehr, sondern ein

berittener, hoch zu Roß !" Gesagt, getan, aus einem dicken Strick knüpfte er eine Schlinge,

schwang sie über seinem Haupt wie ein Lasso, und ehe Hipo wußte,

was los war, hatte der Räuber ihn schon vorsichtig zu sich

herangezogen.

Dann nahm er leise, um den Gefährten nicht zu wecken, aus der

Höhle eine Kassette und band sie auf den Sattel des Schimmels.

In dem Augenblick jedoch war Mabi im Olivenhain angekommen.

Er sah, wie sich der Räuber gerade anschickte aufzusitzen, und so

schnalzte Mabi leise mit der Zunge. Hipo hörte ihn sofort. Mit

einem Satz war er an der Seite seines Freundes.,,Schnell fort von hier", flüsterte Mabi. ,,Ehe der Räuber merkt, was

geschehen ist, müssen wir über alle Berge sein." Hipo galoppierte wie der Wind, seine Mähne flog, und seine Hufe

dröhnten. Und als die beiden schon weit fort waren und die Sonne hoch über

ihren Häuptern stand, sagte Mabi:

,,Hier ist es schön, laß uns hier rasten!"

Er saß ab, und erst jetzt sah er die Kassette, die am Sattel festgebunden

war, guckte hinein und ware fast umgefallen vor Überraschung. Die

Kassette war angefüllt mit Perlen, die glänzten und schimmerten so sehr,

daß er wegschauen muBte. ,,Hipo", rief er. ,,Wir haben einen Schatz ! Wir sind die Reichsten im

ganzen Land."

Hipo schnupperte an der Kassette, wieherte und sagte:

,,Was fällt dir ein, Mabi. Die Perlen sind gestohlen und gehören . . .

Moment mal . . . sie gehören der geizigen Witwe."

,,Weißt du es auch bestimmt, Hipo?"

,,Na, da kann man nichts machen", sagte Mabi. ,,Müssen wir eben der

Witwe die Kassette zurückgeben. Die gestohlenen Perlen würden uns

ohnehin kein Glück bringen." Noch war die Sonne nicht untergegangen, da machten die beiden schon

vor dem Haus der Witwe halt. Mabi band den Schimmel an einen Baum an,

nahm die Kassette und klopfte ans Tor. Die Witwe öffnete, und Mabi sagte : ,,Der Schimmel Hipo und ich haben einen Schatz gefunden. Wir bringen

ihn dem, dem er gehört."

Die Witwe war ausser sich vor Freude, zählte die Perlen dreimal

hintereinander nach, und als sie feststellte, daß auch nicht eine einzige

fehlte, kratzte sie sich verlegen am Kinn und sagte: ,,Mabi, wer einen Schatz abgibt, dem gebührt ein Teil davon als

Finderlohn. Was nun? Ich kann doch einem solchen Lausejungen wie

dir nicht eine Handvoll meiner herrlichen Perlen geben!

Such dir doch etwas anderes aus, lieber Mabi!"

Mabi dachte ein Weilchen nach und sagte:

,,Ich mach mir ohnehin nichts aus Perlen. Ich möchte Hipo haben!"

Die Witwe machte ein finsteres Gesicht.

,,Hipo kann ich dir auch nicht geben. Wenn du als Finderlohn ein Pferd

haben willst, dann führ Hipo in den Stall und such dir dort einen anderen

Schimmel aus." Was blieb Mabi anderes übrig? Er band Hipo los, saß auf und ritt traurig

auf den Stall zu. ,,Ach Pferdchen, mein Pferdchen, mein lieber Hipo, schlimm steht's mit

uns. Bevor ich auf einem andern Pferd davonreite, bleibe ich lieber bei

dir." Die Witwe jedoch traute ihren Augen nicht, rieb sie, riß sie weit auf und

rief ausser sich :

,,Ist's möglich? Ich seh ihn ja. Ich seh ihn!"

,,Wen denn?" fragte Mabi und guckte sich um.

,,Dich. Ich sehe dich !"

,,Ja warum denn nicht?" wunderte sich Mabi. ,,Warum solltet Ihr mich

nicht sehen, Herrin?" ,,Frag nicht so viel, und steig schnell ab!" befahl sie und schwang sich

selbst auf den Rücken Hipos.

,,Siehst du mich?" fragte sie Mabi.

,,Ja, natürlich seh ich Euch. Klar!"

Da kamen gerade ein paar Leute vorbei, und sie grüßten die Witwe laut

und ehrerbietig. Da merkte sie, daß sie wirklich nicht unsichtbar war.

Sie saß ab und sagte :

,,Gut, Mabi. Nimm den Hipo. Er sei dein. Ich habe wieder meine Perlen

und bin die reichste Frau im Land. Ein Pferd mehr oder weniger macht

mir nichts aus. Geht, wohin ihr wollt, aber rasch, ehe ich mich eines andern

besinne!"

Mabi bedankte sich schon, Hipo richtete sich auf den Hinterbeinen auf,

und sie flitzten davon.

Da flog das Tor auf, und in einer von einem Sechsergespann gezogenen

Kutsche fuhr der Kaufmann Alisar in den Hof. Er kam, um sich die

Antwort der Witwe holen. ,Na warte !' dachte die geizige Witwe. ,Voriges Mal hast du mich

anschmieren wollen, heute wirst du mir auf den Leim gehen!' Doch sie lächelte freundlich und sagte: ,,Was für ein Geschenk bringt Ihr

mir heute, Kaufmann?"

Der Kaufmann Alisar verneigte sich.

,,Ein goldenes Diadem, einen goldenen Gürtel und ein goldenes Halsband",

sagte er. Das Diadem, der Gürtel und das Halsband waren wirklich

wunderschön. Manch eine Prinzessin wäre stolz darauf gewesen. ,,Ich muss das alles vor dem Spiegel anlegen", sagte die Witwe, ,,damit ich

sehe, wie mir der Schmuck zu Gesicht steht." Doch statt zum Spiegel begab sich die Witwe schnurstracks zu einer

großen Eisentruhe. Sie guckte sich verstohlen nach allen Seiten um, dann

legte sie Diadem, Gürtel und Halsband in die Truhe und schüttete noch aus

der Kassette, die ihr Mabi gebracht hatte, die Perlen dazu. Dann

verschloß sie die Truhe, kicherte boshaft, nahm die leere Kassette und ging

wieder hinaus.

Der Kaufmann fragte:

,,Nun, gefallen Euch diesmal meine Gaben?"

,,Ach was? Was soil mir daran gefallen?" lachte sie spöttisch wie beim

ersten Mal. ,,Ich hab mehr als genug solchen Tand. Nehmt ihn Euch wieder

und zeigt Euch hier nicht mehr. Aus unserer Hochzeit wird nichts."

Der Kaufmann nahm die Kassette, offnete sie und schrie empört:

,,Ha, wo ist mein Geschenk?"

,,Nun, in der Kassette", sagte die Witwe. Dann flüsterte sie dem

Kaufmann ins Ohr. ,,Das ist nämlich keine gewöhnliche Kassette. Alles, was

man hineintut, wird sogleich unsichtbar. Ich hänge sehr an diesem Stück,

doch ich will es Euch zum Andenken schenken. Iht habt ja ein Zauberpferd,

so sollt Ihr auch ein Zauberkästchen haben." Der Kaufmann knirschte vor Wut mit den Zähnen und befahl dem

Kutscher, heimzufahren. So endete die Brautwerbung des Kaufmanns Alisar.

Was aber wurde aus Mabi und Hipo?

Die waren gerade an einen Kreuzweg gekommen, wo sie zwischen drei

verschiedenen Richtungen wählen konnten. Die eine bergab, die andere

bergauf und die dritte geradeaus. Welche sie wählten? Das weiß ich nicht

mehr, aber sicher war es die rechte. Und unlängst hörte ich eine Geschichte

von einem Jungen, der auf einem Schimmel geritten war und eine

Prinzessin aus der Gewalt eines mächtigen Zauberers befreit hatte. Leicht

möglich, daß dieser Junge Mabi und der Schimmel Hipo waren.