ARCH IVUM HISTORIAE PONTIFICIAE - MGH-Bibliothek · cardinal Etienne Conti, representant du pape...

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ARCH IVUM HISTORIAE PONTIFICIAE 35 1997 PONTIFICIA UNIVERSITAS GREGORIANA FACULTAS HISTORIAE ECCLESIASTICAE ROMAS ff I SSz

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  • ARCH IVUM HISTORIAE PONTIFICIAE

    35 1997

    PONTIFICIA UNIVERSITAS GREGORIANA FACULTAS HISTORIAE ECCLESIASTICAE

    ROMAS

    ff I SSz

  • ANDREAS SOHN

    BILDER ALS ZEICHEN DER HERRSCHAFT. DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI (ROM)

    Sommaire. - Pour eclairer l'origine et la signification des images du cycle des fresques de la chapelle Saint Silvestre dans SS. Quattro Coronati, it est fait appel entre autres ä la topographie de la ville de Rome, aux rapports du complexe des b5timents avec le Latran, au calendrier litur- gique du local contigu it I'oratoire, ä la dotation en reliques et ä la thematique du programme iconographique considers dans leur ensemble, aussi bien qu'aux temoignages des sources qui n'avaient pas ste prises en consideration dans cc contexte. Pour la premiere fois le fondateur, le cardinal Etienne Conti, representant du pape Innocent IV ii Rome, est estime comme it le meri- te. Lies images sont decry'ptees comme symboles de pouvoir. I. e programme iconographique peut etre reconstruit plus completement que ce n'etait possible jusqu'alors, compris d'une facon plus precise et replace dans le contexte plus large des representations dc Sylvestre et Constantin *.

    Summary. - In order to shed new light upon the origin and the pictorial expression of the cycle of frescoes in the chapel of St. Sylvester in SS. Quattro Coronati, a synthetic view is offered of, among other things, the topography of the City of Rome, the relationship between this ar- chitectural complex and the Lateran, the liturgical calendar in the anteroom of the oratorium, the composition of the relics and the thematic content of the iconographical program; in this connection, previously unnoticed sources are also used. For the first time, the founder, Cardinal Stefano Conti, who was also the representative of Pope Innocent IV in Rome, receives due re- cognition. The paintings are interpreted as symbols of dominion. The iconographical program can now be reconstructed more comprehensively than ever before, allowing it to be understood more precisely and placed in the larger context of the representations of Sylvester and Con- stantine *.

    Vor mehr als 100 Jahren wies Ferdinand Gregorovius auf «merkwürdige Fresken» in SS. Quattro Coronati hin, überdies in einer Kapelle, die seit dem Jahre 1570 der Bruderschaft der Bildhauer und Steinmetzen gehörte'. Im Jahre 1935 bezeichnete Theodor Klauser SS. Quattro Coronati als «eines der

    reizvollsten und merk--würdigsten unter den mittelalterlichen Heiligtümern Roms» 2. Nach dem Kunsthistoriker Hans Belting - so im Jahre 1978 - stellt

    * Der Beitrag stellt die erweiterte und um Anmerkungen versehene Fassung des Probevortra- ges im Habilitationskolloquium dar, den der Verfasser im Sommersemester 1995 an der Westfäli- schen \I ilhelms-Universität Münster gehalten hat.

    Ferdinand GREGOROYIDS, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter vom V. bis XVI. Jahr- hundert, neu hg. von Waldemar KAMPF, II, Darmstadt 1954, S. 290.

    2 Theodor KuusER, "Ein Kirchenkalender aus der römischen Titelkirche der heiligen Vier Ge- krönten": Scientia Sacra. Theologische Festgabe für Kardinal Schulte, Köln-Düsseldorf 1935, S. 11-40. Zitat auf S. 11. Der Beitrag ist wieder abgedruckt in Theodor KtwsER, Gesammelte Ar- beiten zur Liturgiegeschichte, Kirchengeschichte und christlichen Archäologie (Jahrbuch für An- tike und Christentum, Ergänzungsband 3), hg. von Ernst DASSMANN, Münster 1974, S. 46-70. Der Kölner Erzbischof Karl Joseph Schulte (1871-1941), dem die erwähnte Festschrift gewidmet ist, war im Jahre 1921 zum Kardinal kreiert worden und hatte SS. Quattro Coronati als Titelkirche er- halten.

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    es ein «Ergebnis des Zufalls» dar, daß die Fresken «nicht im Lateran selbst.... aber in dessen unmittelbarer Nähen überliefert sind 3. Diese bezeugen seiner Ansicht nach «für das 13. Jahrhundert die Existenz einer Topik, die... aus der kursierenden Bildtradition abrufbar warn+. Wenn man seiner Aussage folgt, stellt sich immerhin noch die Frage, wer wann - und was genau - wie abge- rufen hat.

    Um mit weiteren, noch nicht genannten Merkwürdigkeiten fortzufahren: Wäre ein so umfangreicher Freskenzyklus wie derjenige in SS. Quattro Coro- nati nicht viel eher in einer der römischen Silvesterkirchen zu erwarten gewe- sen? 5 Oder in der Priscilla-Katakombe an der Via Salaria, wo Silvester bestat- tet worden ist, oder in S. Silvestro in Capite, wohin im Jahre 762 seine Gebei- ne überführt worden sind? 6 Oder in Kirchen wie SS. Silvestro e Martino ai Monti auf dem Esquilin und S. Maria Antiqua auf dem Forum Romanum, die in besonderer Weise mit dem Andenken an diesen Papst verbunden waren? ' Und überhaupt: Weder die Silvesterlegende noch andere hagiographische Tra- ditionen legten nahe, ausgerechnet bei SS. Quattro Coronati eine Kapelle dem heiligen Silvester zu weihen B. Somit stellt sich um so eindringlicher die Frage nach der Entstehung des Freskenzyklus, seines bildlichen Aussagegehaltes und

    3 Hans BELTING, "Die beiden Palastaulen Leos III. im Lateran und die Entstehung einer päpstlichen Programmkunst": Frühmittelalterliche Studien 12 (1978) 80.

    Ebd., S. 80f. Christian HuELSEN, Le chiese di Roma nel medio evo. Cataloghi ed appunti (Associazione

    artistica fra i cultori di architettura in Roma), Firenze 1927 [Neudruck: Hildesheim-New York 1975], S. 291f., 382f., 464-469; Walther Bucuo TECta, Handbuch der Kirchen Ronts. Der römi- sche Sakralbau in Geschichte und Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart, III, Wien 1974, S. 842-905.

    6 Michael BORGOLTE, Petrusnachfolge und Kaiserimitation. Die Grablegen der Päpste, ihre Genese und Traditionsbildung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 95), Göttingen 1989, S. 39f., 107f.

    1 Gemäß der Silvesterlegende ließ der römische Bischof auf dem Gut eines Priesters namens Equitius ein Gotteshaus errichten. Aus diesem Titulus Equitii entstand später die Kirche S. Mar- tino ai Monti. Eine kultische Verehrung Silvesters ist spätestens seit dem Pontifikat Symmachus' (498-514) bezeugt. Dort befindet sich nämlich ein Mosaik aus dieser Zeit, höchstwahrscheinlich die älteste Darstellung dieses Heiligen. Aus dem B. Jahrhundert stammen zwei Wandbilder in S. Maria Antiqua, auf denen Silvester zu sehen ist. Für die römische Bevölkerung verband sich da- mit wohl die Erinnerung, daß der römische Bischof in der Nähe auf dem Forum Romanum den Drachen, der mit seinem Pestatem das Leben der Bürger bedroht hatte, besiegt und in einer unterirdischen Höhle festgesetzt hatte. Siehe zu beiden Kirchen und ihrer Bedeutung für den Silvesterkult in Rom: Wilhelm POIHJ: AMP, "Tradition und Topographie: Papst Silvester 1. (314-335) und der Drache vom Forum Romanum": Römische Quartalscltrift für christliche Al- tertumskunde und Kirchengeschichte 78 (1983) 1-100, besonders 5-10,48.61. Zu SS. Silvestro e Martino ai Monti, heute zumeist nur unter dem Martinspatrozinium bekannt, und S. Maria Antiqua ferner: HuELSEN (Anm. 5), S. 309f:, 382f.; Bucttol%IEC a (Anm. 5), II, Wien 1970, S. 433-469, III, S. 878-905; Richard KtuumIEIMEEIt/Wolfgang FRX%; KuSpcnccr CORBETr, "S. Ma. ria Antiqua" in DIES., Corpus Basilicarum Christianarum Ronae. 77te Early Christian Basili- cas of Rome (IV-IX Cent. ), II (Monumenti di Antichitä Cristiana, II Serie, 11,2), Cittä del Vatica- no-Roma-New York 1959, S. 249-268; Richard KRAtmIEUtER/Spenccr Cottnerr, "S. Martino al Monti": ebd., III (Monumenti di Antichitä Cristiana, 11 serie, I1,3), Cittä del Vaticano-Roma- New York 1967, S. 87-124.

    6 Vgl. Wilhelm POHLKAMP, "Silvester 1. ": Lexikon des Mittelalters, VII, München 1995, Sp. 1905-1908 (mit bibliographischen Hinweisen).

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 9

    seiner historischen Bedeutung 9. Im folgenden soll versucht werden, diese Fra- ge einer Antwort zuzuführen.

    I.

    Aufgrund der Forschungsbeiträge von Antonio Munoz, der in seiner Ei- genschaft als Ispettore della R. Sovraintendenza ai Monumenti ein größeres Restaurierungs- und Ausgrabungsprogramm von 1912 bis 1914 leitete, Bruno M. Apollonj Ghetti, Richard Krautheimer, Maria Giulia Barberini und anderen sind wir über die Kirche und den Kreuzgang von SS. Quattro Coronati relativ gut unterrichtet 10. Hier auf dem Celio stand vielleicht schon im vierten Jahr- hundert ein Gotteshaus. Größere Bauarbeiten erfolgten wohl während der Pontifikate Honorius' I. (625-638), welcher die Kirche den sogenannten vier Gekrönten (Märtyrern) weihte, und Leos IV. (847-855). Auf diesen gehen auch die beiden Kapellen der heiligen Barbara und des heiligen Nikolaus zu- rück. Von den Kardinälen, die SS. Quattro Coronati als Titelkirche hatten, ge- lang im übrigen zwei der Karrieresprung auf die cathedra Petri: eben Leo IV. und StephanV. (885-891). Ein päpstliches Schreiben, nach dem Benedikt VII. am 18. Januar 975 SS. Quattro Coronati dem Erzbischof Dietrich I. von Trier geschenkt hat, ist das Werk eines Fälschers". Die gewaltige dreischiffige, ro- manische Kirche fiel im Jahre 1084 der Zerstörungswut der Normannen zum Opfer. Paschalis H. (1099-1118) ließ ein neues Gotteshaus mit weitaus kleine- ren Maßen wiederaufbauen und Konventsgebäude für eine monastische Kom- munität südlich davon errichten. Im Jahre 1116 war die Kirche vollendet. In-

    Zuletzt eingehender zu den Fresken in der Silvesterkapelle: John MrrctnELL, "St. Silvester and Constantine at the SS. Quattro Coronati": Federico II e l'arle del Duecento italiano. Atti del- la III settimana di studi di storia dell'arte medievale dell'Universitä di Roma [15-20 maggio 1978], a cura di Angiola Maria RosuNL' I, II, Galatina 1980, S. 15-32.

    10 Antonio Munoz, Il restauro delta chiesa e del chiostro dei SS. Quattro Coronati, Roma 1914; HuELsE. %; (Anm. 5), S. 427f.; L-H. COrrINEAU, Repertoire topo-bibliographique des abbayes et prieures, H, Macon 1939, Sp. 25231.; Jacopo Di CERDENA, La chiesa e il mouastero dei SS. Quattro Coronati in Roma. Guido artistica pratica illustrata, [Roma] 1950; Vincenzo Gotzto/Giuseppe ZAxDER, Le chiese di Roma dall'XI at XVI secolo (Roma Cristiana, 4), Bologna 1963, S. 17-19. ein Plan zu den verschiedenen Bauphasen auf S. 18; Bruno M. AI'o1. LoN! GHETII, I Ss. Quattro Coronati (Le chiese di Roma illustrate, 81), Roma 1964; Pietro MANZI, Il convento fortificato dei SS. Quattro Coronati nella storia e nell'arte (Collana di monograue dell'Istituto storico e di cultura dell'arma del genio, 96-98), Roma 1968; Richard KRAI r11EIMER/Spcncer CORBErr, "SS. Quattro Coronati", in DIES. /Wolfgang FRANKL, Corpus Basilicartun Christiana- rum Romae. The Early Christian Basilicas of Rome (IV-IX Cent. ), IV (Monumenti di Antichitä Cristiana, 11 serie, II), Cittä del Vaticano-Roma-New York 1970, S. 1-36 (mit instruktiven Karten); Ludwig Vowa, "Grabungs- und Forschungsberichte": Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kircltettgeschiclue 66 (1971) 95-97; BUCHOw1ECKI (Anm. 5), III, S. 677-706; Rione XIX - Celio, parse I (Guide rionali di Roma, 37), a curs di Carlo PIETRANGELI, Roma 1983, S. 38-60; Richard KRAtttitEIASER, Rotn. Schicksal einer Stadt 312-1308, München 1987, ad indi- ccm; Maria Giulia BARDERtxt, I Santi Quattro Coronali a Roma (Itinerari d'artc e di cultura. Basi- liche). Roma 1989.

    " Papsturkunden 896-1046, bearbeitet von Harald ZI\1MERh ANN, I (Österreichische Akade- mie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Denkschriften, Bd. 174, Veröffentli- chungen der Historischen Kommission, Bd. 11I), Wien 21988, S. 461-483.

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    nozenz II. übertrug 22 Jahre'später SS. Quattro Coronati an die Abtei Sassovi- vo in der Nähe von Foligno in Umbrien, an die ebenfalls SS. Sergio e Bacco auf dem Forum Romanum gelangte 12. Die neue benediktinische Kommunität erbaute in den 20er Jahren des Duecento einen Kreuzgang". Umfangreiche Restaurierungen des Baukomplexes ließ der Kardinal Alfonso Carillo zu Zeiten Martins V. (1417-1431) durchführen. Im Jahre 1521 setzten sich die Camaldu- lenser in den Besitz von SS. Quattro Coronati; seit 1560 leben Augustinerin- nen in den Mauern des Klosters, das ihnen Pius IV. (1560-1565) anvertraute.

    Vor der Mitte des 13. Jahrhunderts kam es zum Bau der Silvesterkapelle, die an das äußere Atrium angrenzt. Die grundlegenden schriftlichen Quellen hierüber sind zwei dort angebrachte Inschriften, die der Erbauer, der Kardinal Stefano Conti von S. Maria in Trastevere, veranlaßte". Danach ließ der Pur- purträger, auf den noch eingehender zurückzukommen sein wird, capellam ei domos errichten und die Kapelle am 22. März 1247 einweihen". Die genann- ten Bauten können im wesentlichen wohl nur nördlich und östlich der Kirche lokalisiert werden 16. Sie sind teilweise eingefügt in die verbliebenen architek- tonischen Strukturen des rechten Seitenschiffes der älteren Basilika oder mit der Nikolauskapelle aus dem 9. Jahrhundert verbunden.

    Bevor auf das Silvesteroratorium und den Auftraggeber ausführlicher ein- zugehen ist, erscheint es sinnvoll zu sein, sich die topographische Lage von SS.

    12 Die Urkunden dieser Abtei sind bis zum Jahre 1231 ediert: Le carte dell'abbazia di S. Cro- ce di Sassovivo, VII, a cura di Giovanna Pentoxio Nlcoutl, Firenze 1974.

    U Der Kreuzgang für die Abtei Sassovivo in der Nähe von Foligno, der zwischen 1229 und 1233 zu datieren ist, wurde in einer Werkstatt bei SS. Quattro Coronati vorgefertigt. Die einzel. nen Bauteile wurden größtenteils mit dem Schiff auf dem Tiber von Rom nach Umbrien transpor- tiert. Peter Cornelius Claussen kann wahrscheinlich machen, daß sowohl der Kreuzgang in Sasso- vivo als auch derjenige in SS. Quattro Coronati auf den Marmorkünstler Petrus de Maria und sei- ne Werkstatt zurückgehen. Siehe Peter Cornelius Cuussly, Magistri Doctissinri Romani. Die rö- mischen Marmorkünstler des Mittelalters (Corpus Costnatonun, 1) (Forschungen zur Kunstge- schichte und christlichen Archäologie, 14), Stuttgart 1987, S. 158-165.

    11 Vincenzo FORCELLA, Iscrizioni delle chiese ed altri edificii di Roma da! secolo XI find ai giorni nostri, VIII, Roma 1876, S. 290 (Nr. 718 und 719).

    1' Ebd., S. 290 Nr. 718 (... t IN NOMINE DOMINI AMEN. ANNO DOMINI M0. CCM. XLVI. INDICTIONE. IIII. FERIA. VI. ANTE PALMAS. TEMPORE DOMINI INNOCENTII QVARTI. PA- PAE. ANNO. IIII°.... ). Der Text wird hier ohne Abbreviaturen zitiert. Da das vierte Pontifikats- jahr Innozenz' W. angegeben ist, wurde die Kapelle im Jahre 1247 eingeweiht. Am 25. Juni 1243 war der Kardinal Sinibaldo Fieschi zum Papst gewählt worden, drei Tage später fand die Krönung statt. Im Jahre 1247 fiel der sechste Wochentag, also der Freitag, vor Palmsonntag auf den 22. März 1247. Wenn man den sogenannten 'calculus Florentinus' oder den Annunciationsstil (25. März) für den Jahresbeginn an der römischen Kurie in der damaligen Zeit zugrunde legt, fing das Jahr 1247 erst am 25. März an. Dem entspricht die Jahresangabe in der Inschrift. Dieser Befund ist in den Beiträgen zur Geschichte der Kirche SS. Quattro Coronati und der Silvesterkapelle ge- wöhnlich übersehen worden, in denen statt dessen der 30. März 1246 als Tag der Einweihung ver- zeichnet ist oder nur das Jahr 1246 angegeben wird. Siehe zum Beispiel: KR. fiEIAIER/CORIIErr, "SS. Quattro Coronati" (Anm. 10), S. 4; Mario Perlt. ssl, "La leggenda di S. Silvestro": Capito. liunt 45 (1970) 42; KRAUrIIr. hiER (Anm. 10), S. 186,213,243; BucliowiECto (Anm. 5), 111, S. 684, 701; BARBERINI (Anm. 10), S. 19.

    11 Einen Längsschnitt durch den Baukomplex von SS. Quattro Coronati, den Turm mit der Silvesterkapelle eingeschlossen, bieten KRAuTthEIAtER/CORBErr, "SS. Quattro Coronati" (Anm. 10), Plan II. Zum Bau und zur Lage der Silvesterkapelle: Ebd., S. 6,9,24; ferner BucHoK'IEcKI (Anm. 5), III, S. 688,700f.; KRAI: TIIEIAIER (Anm. 10), S. 186.

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 11

    Quattro Coronati im Rom des Duecento zu vergegenwärtigen 17. Damals mö- gen nur zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner innerhalb der Aurelianischen Mauern gelebt haben '$. Diese Zahl stellt nur einen Bruchteil der antiken Be- völkerung Roms dar. Relativ geschlossene Siedlungszüge erstreckten sich zwi- schen der Engelsbrücke und dem Kapitol, also im sogenannten Abitato. Frei- lich war die größte Fläche Roms unbebaut. Das Stadtbild, zumal im Osten und Südosten, bestimmten weithin Obstgärten, Weinberge, Wiesen, Weiden, Äcker, überwucherte antike Ruinen und Brachen. Eine Vorstellung hiervon vermag beispielsweise noch der Romplan von Antonio Tempesta aus dem Jahre 1593 zu vermitteln 19. In der Landschaft zwischen dem Kapitol und dem Lateran erhoben sich vereinzelt Türme, Kirchen und Klöster mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Die Zone, die vom Celio zum Kolosseum reichte, war in- folge des verheerenden Einfalls der Normannen im Jahre 1084 größtenteils verwaist.

    SS. Quattro Coronati war in dieser Zone günstig gelegen; direkt an- der antiken Via Tusculana, die vom Kolosseum aus zum Lateran führte und durch den Arcus Basilidis am Claudischen Aquädukt auf den großen Platz vor der konstantinischen Salvatorbasilika und der Papstresidenz einmündete 20. Ihr Verlauf entsprach in etwa der jetzigen Via dei Santi Quattro. Die strategische Bedeutung des Ortes vermag noch heute der Besucher Roms zu erahnen, wenn er vom Kolosseum aus diese Straße - abseits des tosenden Verkehrs einer mediterranen Viermillionenmetropole - zum Celio hinaufgeht. Auf dem relativ schmalen Terrain nördlich des Vorhofs, der Kirche ragen die Bauten hoch über der Straße auf, darunter der gewaltige Wohnturm Stefano Contis, der aus massiven, großen Tuffsteinblöcken erbaut ist (siehe Abb. 1). Hiervon ließ sich der Weg zwischen dem Kolosseum und dem Lateran, eine der wich- tigsten Verbindungen im damaligen römischen Straßennetz, bestens kontrol- lieren. Die gesamte Anlage gleicht auch heute noch weitaus eher einer Festung als einem Kloster. Diesen Eindruck verstärkt der wuchtige Turm über dem Eingangstor, der um 850 errichtet wurde 21.

    17 Eine anschauliche Schilderung zu Rom im Duecento bei GREGOROVIUS (Anm. 1), S. 573- 581. Ein Bild Roms im 13. Jahrhundert zeichnet ferner Robert BRENTANO, Rome before Avignon. A Social History of 77tirteemh-Century Rome, London 1974, S. 13-70. Die topographischen Ver- hältnisse im Duecento unterschieden sich nicht wesentlich von denen im ausgehenden Trecento. Siehe Arnold Escu, Bonifaz IX. und der Kirchenstaat (Bibliothek des Deutschen Historischen In- stituts in Rom, 29), Tübingen 1969, S. 209-214.

    " Gerd T> %; a. dn, "Die Stadt Rom in der Sicht ausländischer Zeitgenossen (800-1200)": Saecultmt 24 (1973) 12. Die Einwohnerzahl Roms überschritt gegen Ende des 14. Jahrhunderts nicht 25.000 (Escrt [Anm. 17), S. 209).

    " Ronna al tempo di Clemente VIII. La pianta di Rona di Antonio Tern pasta del 1593, con introduzione di Francesco EuRtf, o. O. 1932.

    2° Zur topographischen Lage von SS. Quattro Coronati: Rodolfo LANCIANI, Forma Urbis Ro- nnae, Milano 1893-1901 [Neudruck: Roma 1990], Plan 30. Siehe auch APOLLONJ Guerra (Anm. 10), S. 5-8; KRAtmtElttEWCORBEIT, "SS. Quattro Coronati" (Anm. 10), S. 6-9; Rione XIX - Celio, pane I (Anm. 10), S. 6.8.38,40-42. Der 'Arcus Basilidis' bestand bis zum Jahre 1604.

    2' Zu diesem Bauteil der Gesamtanlage merkt Richard Krautheimer an, daß er «zwar nördlich der Alpen nicht vertraut, in Rom aber einzigartig ist. (KRAuTHE! MER [Anm. 10], S. 157).

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    Nicht nur die strategische Bedeutung von SS. Quattro Coronati ist bemer- kenswert. Die Kirche spielte in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor auch eine wichtige Rolle in der römischen Stationsliturgie. Am Montag nach dem vierten Sonntag der Fastenzeit wurde dort Gottesdienst gehalten 22. Wenn der Papst in Rom weilte, begab er sich dann gewöhnlich in diese Kirche auf dem Celio, um die statio zu halten.

    Die Entscheidung Stefano Contis, neue Residenzbauten bei SS. Quattro Coronati zu errichten, ergab sich aus der konkreten Situation der damaligen Zeit in Rom. Einem Kardinalpriester war diese Titelkirche während des Ponti- fikats Innozenz' IV. nicht anvertraut23. Als der Papst am 28. Juni 1244 aus Su- tri nach Civitavecchia floh, um mit einer genuesischen Flotte in seine Heimat- stadt und von dort nach Frankreich zu gelangen, ließ er mehrere Purpurträger im Kirchenstaat zurück: den aus Viterbo stammenden Kardinaldiakon von S. Maria in Cosmedin, Raniero Capocci, als päpstlichen Statthalter in Tuszien, im Herzogtum Spoleto und in der Mark Ancona, den Kardinaldiakon Riccardo Annibaldi von S. Angelo in Pescheria, dem das Amt eines Rektors in der Cam- pania und der Marittima angetragen wurde, und den Kardinalbischof Rinaldo da Jenne von Ostia24. Zu diesem Kreis der Kardinäle zählte ferner Stefano Conti, dem Innozenz IV. die Stellvertretung in Rom, also das Amt des vicarius Urbis, anvertraute25. Dieser dürfte damals ins Auge gefaßt haben, seine ange-

    22 Sible DE BLAAUW, Curios ei decor. Liturgie en arclzltectuur in laatantiek en middeleeuws Route. Basilica Salvatoris Sanciae Alariae Sancti Petri, Delft 1987, S. 568. Inzwischen erschien eine leicht überarbeitete Fassung des Werkes in italienischer Übersetzung: DERS., Cultus ei decor. Liturgia e architettura nella Roma tardoantica e ntedievale, I-II (Studi c Testi, 355-356), Cittä del Vaticano 1994, siehe hier II, S. 806. Im folgenden wird auf diese italienische Ausgabe Bezug genommen.

    21 Zur Rolle von SS. Quattro Coronati als kardinalirische Titelkirche: Rudolf Huts, Kardinä- le, Klerus und Kirchen Roms 1049-1130 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 48), Tübingen 1977, S. 12,25f., 202f.

    24 Der Biograph des Papstes Innozenz' IV., Niccolb da Calti, berichtet über diese Kardinäle- «... videlicet dominus Stcphanus tituli Sande Marie in Transtiberim presbyter cardinalis, qui re- mansit in Urbe vicarius, dominus Raynerius Sancte Marie in Cosmedin diaconus cardinalis, qui re- mansit legatus in Tuscia, ducatu, valle Spoletana, Marchia Anconitana et Pauimonio beati Petri, dominus Ricardus Sancti Angela diaconus cardinalis in Campania et Maridma comes. Demum cum ipsis remansit dominus Raynaldus episcopus Ostiensis.. ("Niccolb da Cah ic la sua 'Vita d'Inno- cenzo IV' con una breve introduzione sulla istoriografia pontifcia nei secoli XIII e XIV", hg. von Francesco PAGrtorn: Archivio della Socieiä roman di storia patria 21 [1898] 871. ).

    25 Siehe die vorherige Anmerkung. Zu Stefano Conti: Michele 11IACCARRONE, Studi Std hero. ceuzo III (Italia sacra, 17), Padova 1972, S. 124-126; Agostino PARAVIc1XI BAGUANI, Cardinali di curia e 'fatttiliae' cardinalizie dal 1227 a! 1254, I-II (Italia sacra, 18-19), Padova 1972, ad indi. cem; Werner MALECZex, Conti, Stefano": Dizionario biografico degli Italiani, XXVIII, Roma 1983, S. 475.478: DERS., Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coe- lestin III. und Innozenz III. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kul. turinstitut in Rom, 1. Abteilung: Abhandlungen, 6), Wien 1984. S. 195-201; Matthias TnustsER, Rom und der römische Adel in der späten Staufetzeit (Bibliothek des Deutschen Historischen In- stituts in Rom, 81), Tübingen 1995, S. 85-88. Erstmals ist Stefano Conti in seinem neuen Amt als 'vicarius Urbis' am 7. Oktober 1244 urkundlich faßbar (ebd., S. 88 Anm. 369, mit Verweisen auf weitere Quellenangaben). Zur Präsenz von Stefano Conti am Hofe der Päpste Gregor IX. und In- nozenz IV. beziehungsweise zu seinem Itinerar siehe PARANICLXI BAGUA. \I (wie oben in dieser Anm. ), II, 5.407-433 (Zusammenstellung der Unterschriften der Kardinäle im Eschatokoll von Papsturkunden). - Zum Amt des 'vicarius Urbis', später als dasjenige des Kardinalvikars bezeich.

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 13

    stammte Kardinalsresidenz bei S. Maria in Trastevere aufzugeben. Nachdem ihn sein Oheim Innozenz III. im Jahre 1216 zum Kardinaldiakon von S. Adria- no auf dem Forum Romanum kreiert hatte, gab ihm Gregor IX. 12 Jahre spä- ter S. Maria in Trastevere als Titelkirche und erhob ihn somit in den Ordo der Kardinalpriester. Als Stellvertreter des Papstes in Rom hätte Stefano Conti in dessen Lateranpalast wohnen können. Doch war der relativ offene Lateran- komplex schwer zu verteidigen 26. Wie leicht das Patriarchium zu erstürmen war, hatten unter anderem die Normannen von Robert Guiscard im Jahre 1084 und römische Aufrührer noch im Jahre 1234 bewiesen. In der konkreten Situation der Jahre 1244 bis 1246 kam hinzu, daß Truppen Friedrichs II. in der Nähe Roms standen. Ihr Einmarsch in die Stadt war zu befürchten. Unver- gessen waren vermutlich die Bemühungen Friedrichs II., in den Besitz der Festung der mit ihm verbundenen Frangipani am Kolosseum im Jahre 1244 zu gelangen27. Daher dürfte sich der Statthalter Innozenz' IV. angesichts der Bedrohung durch die feindlichen staufischen Truppen und möglicher Wirren in Rom entschieden haben, sich bei SS. Quattro Coronati eine angemessene, burgartige Anlage zu erbauen und als Residenz beziehungsweise Zufluchtsort zu nutzen. Die Nähe zum Lateran spielte sicherlich eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung. Wo die früheren Kardinäle, die SS. Quattro Coronati als Ti- telkirche hatten, so zum Beispiel die späteren Päpste Leo IV. und Stephan V., wohnten, läßt sich nicht mehr feststellen.

    Daß sich der Kardinal Stefano Conti SS. Quattro Coronati zuwandte, stand gewiß in keinem direkten Zusammenhang mit der Lage des stadtrömi- schen Besitzes seiner Familie. Zum Kristallisationspunkt ihres Machtgebietes wurde die mächtige und hoch aufragende Torre dei Conti, die Riccardo Conti zu Beginn des 13. Jahrhunderts am Nerva-Forum, also in unmittelbarer Nähe des Forum Romanum und des Trajansmarktes, hatte bauen lassen28. Außer-

    net, und zu den Amtsträgern: Konrad EUBEL, "Series Vicariomm Urbis a. 1200-1558": Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 8 (1894) 493-499; Paul Maria BAuxiGARTz , "Beiträge zur Erforschung der Eidesformel des Vicarius Vrbis in spiritualibus ' generalis": Archiv Kir katholisches Kirchenrecht 91 (1911) 222-229; Theodor HIRSCHFELD, "Das Gerichtswesen der Stadt Rom vom 8. bis 12. Jahrhundert wesentlich nach stadtrömischen Urkun- den": Archiv für Urkundenforschung 4 (1912) 462-464; Werner MALECZEK, "Rombeherrschung und Romerneuerung durch das Papsttum": Ran inn hohen Mittelalter. Studien zu den Ronnvor- stellurgen und zur Rompolitik vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Reinhard Elze zur Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres gewidmet. hg. von Bernhard SCHIMMELPFENNIG/Ludwig SCHMUGGE, Sigmaringen 1992, S. 25; Rudolf Michael ScHstrrz, "Kardinalvikar": Lexikon für Theologie und Kirche, V. Freiburg 31996. Sp. 1234.

    :e Zur Gesamtanlage siehe unter anderem Ph. LAUER, Le Palais de Latran (Ecole francaise dc Rome), Paris 1911; Silvia MADDAIA, "Alcune considerazioni sulla topografna del complesso latera- nense alto scadere del secolo XIII: il Pattiarchio nell'anno del Giubileo": Roma anno 1300. Atti delta IV settinnana di studi di storia dell'arte nnedievale dell'Universitä di Roma "La Sapienza" (19-24 maggio 1980) (Mediaevalia, 1), a cura di Angiola Maria RoMANINI, Roma 1983, S. 621-628; Ingo HERKLou, "Der Campus lateranensis im Mittelalter": Römisches Jahrbuch für Kunstge- schichte 22 (1985) 1-43; 11 Palazzo Apostolico Lateranense, a cura di Carlo PIErRANGELI, Firenze 1991.

    " Hinweis hierauf bei GREGORovius (Anm. 1), II, S. 393. Vgl. THUMSER (Anm. 25), S. 109. ZurTorze dei Conti, deren aktuelle Höhe infolge von mehreren Einstürzen anscheinend ge-

    ringer als im 13. Jahrhundert ist: Umberto Gxou, Topografia e toponamstica di Roma medioe-

  • 14 ANDREAS SOHN

    dem zählten zum Familienbesitz Paläste und Häuser in der nahen Magnana- poli am Quirinalshügel. Nachdem Riccardo Conti verstorben war, bewohnte sein Sohn Giovanni, der später mehrmals die römische Senatorenwürde be- kleiden sollte, die Torre dei Conti29. Die Gegend um SS. Quattro Coronati lag demnach vom eigentlichen Einflußzentrurn der Conti in Rom so weit entfernt, daß Stefano Conti entsprechende topographische Überlegungen die Wahl von SS. Quattro Coronati in keiner Weise nahegelegt hätten.

    Wahrscheinlich begannen die Bauarbeiten schon bald nach der Flucht des Papstes. Die neue Residenz, die gewiß von den Räumlichkeiten der Mönche abgesetzt war, umfaßte unter anderem den schon erwähnten mehrgeschossi- gen, wohl zinnenbewehrten Wohnturm. In dessen Erdgeschoß befinden sich die Silvesterkapelle und ein Vorraum; im ersten Obergeschoß erstreckt sich eine aula, ein großer gotischer Saal 30.

    II.

    Der Silvesterkapelle geht ein Raum voran, der vermutlich als Sakristei ge- nutzt worden ist 31. Dort befindet sich nämlich ein liturgischer Kalender an der südlichen, westlichen und nördlichen Seitenwand, der im Jahre 1632 über- tüncht und bei Restaurierungsarbeiten im Jahre 1912 wieder entdeckt worden ist". Dies ist keinesfalls ungewöhnlich, denn aus anderen Kapellen oder Kir- chen Roms und Mittelitaliens sind derartige mittelalterliche Wandkalender er- halten, auch im eigentlichen Sakralraum 33.

    vale e moderna, Roma 1939 [Neudruck: Foligno 1984], S. 324; Rione I- dlorrti, parte III (Guide rionali di Roma, 2), a cura di Liliana BARROERO, Roma 1982, S. 18-22; siehe mit weiteren Hinwei- sen zum stadtrömischen Besitz der Conti TttuatsER (Anm. 25), S. 77,81,88.89,220.

    19 Zu Giovanni Conti: Marc DYI: AIANS, "Conti, Giovanni": Dizionario biografico degli Italia- ni, XXVIII, Roma 1983, S. 411-413; T uhtsER (Anm. 25), S. 86-95,266-268,285-289.355f.

    30 Ausführlich zur Wohnarchitektur in Rom vom 10. bis zum 13. Jahrhundert: Etienne HUBERT, Espace urbain ei habitat ä Rome du Xe siecle ä la fin du XIlIe siecle (Collection de 1'Ecole francaise de Rome, 135 / Nuovi studi storici, 7), Rome 1990, S. 179-213.

    )e Vgl. KLAUSER (Anm. 2), S. 40 (hier allerdings als Sakristei der Kirche SS. Quattro Coronati aufgefaßt). Auf den Vorraum der Silvesterkapelle geht John Mitchell nicht ein (vgl. MrrCHELL [Anm. 9], S. 15-32).

    32 Der Wandkalender ist ediert von K1AusER (Anm. 2), S. 18-34. Ein Teil der Schriftzüge, die im Jahre 1935 noch lesbar waren, ist inzwischen beschädigt oder völlig verblaßt. Deshalb wird im folgenden stets auf die Edition Bezug genommen. Eine baldige Restaurierung des Vorraumes wäre wünschenswert und könnte den noch erhaltenen Schriftbestand des Kalenders sichern.

    rr Zum Beispiel aus S. Maria (Pierre JOUNEL, Le culte des saints dare les basiliques du La- tran ei du Vatican au douzieme siecle [Collection de 1'Ecole francaise de Rome, 26], Rome 1977, S. 21f., Mitteilung nur der verzeichneten Papstnamen auf S. 170f., Edition des gesamten Kalen- ders auf S. 413-416) und S. Saba auf dem Aventin. aus dem Kloster Tre Fontane vor den Toren Roms, der Kirche SS. Trinitä auf dem Monte Autore in der Nähe von Subiaco und der Kapelle S. Pellegrino der Abtei Bominaco in den Abruzzen, 30 km südöstlich von L'Aquila gelegen (nach U, röme BASCHET, Lieu sacrd, lieu d'images. Les fresques de Bominaco [Abruzzes, 12631: Themes, parcours, fonctious [Images ä l'appui, 5], Paris-Rome 1991, Verweise auf diese Wandkalender S. 81 Anm. 127, Edition des Kalenders von S. Pellegrino auf S. 195-200). Siehe zudem Jacques

    I

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 15

    Was den Kalender vor der Silvesterkapelle betrifft, sind auf jeder der drei genannten Wände die Festnamen von vier Monaten des Kirchenjahres aufge- tragen worden. Der Kalender beginnt an der Südseite. Die östliche Seiten- wand erstreckt sich dort, wo einst das rechte Seitenschiff der spätantiken bezie- hungsweise frühmittelalterlichen Basilika begann. Die 'Einträge der Monate Juli und September sind in Gänze verlorengegangen, nur die Feste im Monat November sind fast vollständig erhalten; bei den restlichenMonaten fehlen zu- mindest einige Zeilen. Die Neumondzahl, der Sonntagsbuchstabe, die Datie- rung gemäß dem altrömischen Stil und das zu begehende Kirchenfest sind als Kapitalbuchstaben in vier Kolumnen eingetragen worden, die unterschiedlich breit waren. Vermutlich überragten Heiligenbilder im Brustformat die recht- eckigen Monatsfelder 34. ,

    Sehr wahrscheinlich ist der arkadenförmig eingerahmte Kalender, 'der in einer Höhe von etwa 2,40m ansetzt, bis zur Einweihung der Kapelle ange- bracht worden. Die Schriftzüge in roter und schwarzer Farbe weisen ihn dem 13. Jahrhundert zu. Gemäß den verzeichneten Heiligen ist er nach 1235 zu da- tieren. Denn unter dem 19. November findet sich der Name Elisabeths von Thüringen. Ihre Kanonisation nahm bekanntlich Gregor IX. am 27. Mai 1235 in Perugia vor35. Keiner der von Innozenz IV. Heiliggesprochenen begegnet im Kalender der Sakristei, was sich auf den erhaltenen oder rekonstruierbaren Teil bezieht: weder Edmund von Abingdon oder Canterbury (Fest am 16. No- vember), den der Papst am 16. Dezember 1246 - die entsprechende Bulle da- tiert vom 11. Januar 1247 - in der Kathedrale von Lyon kanonisierte, noch Margareta von Schottland (10. Juni) und Stanislaus von Krakau (8. Mai). De- ren Heiligsprechungen fanden in den Jahren 1251 und 1253 statt. Welches Heiligen am 29. April, am Festtag des 1253 kanonisierten Petrus Martyr, ge- dacht wurde, läßt sich nicht mehr feststellen. Denn der erhaltene Teil des Ka- lenders reicht nur bis zum 28. April. Auch der Name Claras von Assisi, die Alexander 1V. an Mariä Himmelfahrt 1255 kanonisierte, taucht nicht im Ka- lender der Sakristei auf. Deshalb geht man sicherlich nicht fehl, wenn man die- sen allein aufgrund der Heiligenfeste zwischen 1235 und 1254/5 datiert 36

    Der heortologische Befund läßt sich noch präzisieren. Daß der Kalender «als besonders zuverlässiger Hüter des altrömischen Festbestandes» zu gelten hat, ist bereits herausgestellt worden 37. Darüber hinaus fallen die relativ zahl- reichen Einträge heiliger Päpste auf. Wenn man beispielsweise die lesbaren Einträge an 11 Tagen des Monats April - der erhaltene Teil des Kalenders reicht vom 7. bis zum 28. - heranzieht, so sind allein an sieben Tagen Namen von römischen Bischöfen angegeben. Insgesamt sind hier sogar 10 heilige Päp-

    DuBois/Jean-Loup L IArriu , Sources et ntethodes de l7hagiographie medicvale, Paris 1993,

    S. 138.140 (mit weiteren bibliographischen Hinweisen). " KuwsER (Anm. 2), S. 18. )S Ein Verzeichnis der Heiligsprechungen im 13. Jahrhundert ebd., S. 39. '" Vgl. BuCHOWIECKI (Anm. 5), 111, S. 700 (saus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts»). 31 KL usER (Anm. 2). S. 35.

  • 16 ANDREAS SOHN

    ste, keineswegs nur aus den ersten drei Jahrhunderten, verzeichnete! Eine ähnliche, jedoch nicht so stark ausgeprägte Tendenz ergibt sich für den Monat November. Von den 30 Tagen des November sind sechs ohne Festangabe, an drei weiteren Tagen können die Einträge nicht entziffert werden. Die beiden hohen Kirchenfeste Allerheiligen und des Apostels Andreas am 1. und 30. November fehlen selbstverständlich nicht; der B. November soll dem Geden- ken der Patrone der Klosterkirche SS. Quattro Coronati gewidmet sein. Wenn man diese Feste berücksichtigt, verbleiben 18 Tage. Hiervon soll an fünf Tagen heiliger Päpste gedacht werdenJ9; außerdem soll am 9. und 18. November die Weihe der Lateranbasilika und der Peterskirche in der Liturgie gefeiert werden 40

    Darüber hinaus ist bemerkenswert, daß der Kalender in der Sakristei auch Einträge eher selten gedachter Päpste enthält. Dies bezieht sich beispiels- weise auf Benedikt H. (24. April) und noch mehr auf Siricius (26. November), der bekanntlich stärker als sein unmittelbarer Vorgänger Damasus I. (366- 384) den Primatsanspruch der römischen Kirche vertrat und als erster Papst Dekretalen erlassen haben soll und seine letzte Ruhestätte an der Seite Silve- sters I. in der Priscilla-Katakombe fand". Sowohl des Vorgängers Siricius' als

    78 Es sind die Namen folgender Päpste eingetragen (ebd.. S. 24): Leo 1. (440.461) am 11. April, Julius I. (337-352) am 12., Anicet (155-166) am 17., Soter (166-175), Gaius (283-296) und Agapet 1. (535-536) am 22., Benedikt 11. (684-685) am 24., Cletus (79-90/92) und Marcellinus (296-304) am 27. sowie Anastasius 1. (399-401). Den Namen ist das Epitheton . sanctus" vorange- stellt, die Amtsbezeichnung «papa» und gegebenenfalls "marty . nachgestellt, jeweils im Genitiv und als Abbreviatur. Ein Beispiel (22. ): «SCI. SOTHERIS PP. ET Ni. GAIl PP. ET M. AGAPITI. (ebd., S. 24). Die restlichen Heiligenfeste beziehen sich auf Tiburtius und Valerianus (14. ), Georg (23. ), den Evangelisten Markus (25. ), Vitalis (28. ). Außerdem ist die "Litania maior» am 25. April verzeichnet. An diesem Tag war in Rom eine Bittprozession üblich, die an die Stelle einer heidni- schen Vorgängerform getreten war, um Schaden von den Getreidefeldern abzuwenden (JOUNEL [Anm. 33], S. 233; Andreas HEINZ, "Bittprozession": Lexikon für Theologie und Kirche. II, Frei- burg 31994, Sp. 512f. ). Vgl. zur Entwicklung der kultischen Verehrung heiliger Päpste in Rom: JOUNEL (Anm. 33), S. 169-181; die Aufstellung . Tabelle IV: Heilige Päpste im römischen Kultge- dächtnis» bei Bernhard ScilistittFLPFENNmG, "Heilige Päpste - päpstliche Kanonisationspolitik", in Jürgen PETERSOIIN (Hg. ), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (Vorträge und For- schungen, 42), Sigmaringen 1994, S. 97-100. Unter den vom Vf. ausgewerteten Kalendarien ist der «nur noch fragmentarisch erhalten(e). Wandkalender in der Sakristei der Silvesterkapelle nicht berücksichtigt (vgl. ebd., S. 91 Anm. 89).

    ;v Es sind folgende Päpste verzeichnet (KLAUSER [Anm. 2]. S. 31): Martin 1. (649-653) am 12. November, Pontian (230-235) am 19., Gelasius I. (492-496) am 21., Clemens 1. (90/92.99/101? ) am 23., Siricius (384-399) am 26.

    Zu beiden Kirchweihfesten: JouNEL (Anm. 33), S. 305-307,31 lf.. 380f., 403. Siricius ist als Bischof und Confessor verzeichnet: «[... SCI. ] SIRICII EPI. ET CONF..

    (KLAUBER [Anm. 2], S. 31). Eine Anmerkung in der Edition von Theodor Klauser ist zu korrigie- ren: «Papst Siricius kommt in liturgischen Texten sonst m. E. nicht vor.... (ebd.. S. 33). Siehe nur SCHIMMELPFENNIG (Anm. 38), S. 98 (dort Vereise auf sein Gelenken in Rom, auch das Bonedikts II. ). Zur ersten Grabstätte des Siricius, dessen sterbliche Überreste Paschalis 1. (817-824) nach S. Prassede überführen ließ: BORGGLTE (Anm. 6), S. 39.41,116. - Einem Versehen des den Kalen- der auftragenden Malers dürfte es zuzuschreiben sein, daß am 17. Dezember zu lesen ist: *SCI. IGNATII PP. ET MR.. (KtnusER [Anm. 2), S. 33). Einen Papst namens Ignatius hat es nie gege- ben. Hier ist Ignatius von Antiochien gemeint, dessen Name zudem an seinem eigentlichen Fest- tag, dem 1. Februar, vermerkt ist, und zwar als Märtyrer (ebd., S. 21). Am 17. Dezember konnte sein Translationsfest begangen werden. Vgl. JOUNFI. (Anm. 33), S. 221. - Ebenfalls wurde der heilige Bischof Hilarius von Poitiers (t 367) am 13. Januar versehentlich mit der päpstlichen Amts-

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 17

    auch des Nachfolgers Anastasius' I. (399-401) sollte in der Silvesterkapelle ge- dacht werden 42. Interessanterweise beziehen sich die Einträge auf heilige Päp- ste aus der Zeit bis zum ausgehenden siebten Jahrhundert und entsprechen damit in etwa der Praxis der Festoffizien, die während des 12. und 13. Jahr- hunderts in der Lateranbasilika und in der Kapelle des Papstes begangen wur- den 43. Die aus dem siebten Jahrhundert verzeichneten römischen Bischöfe sind Martin I. (649-653) und Benedikt H. (684-685). Daß der heilige Silvester, der bekanntlich im römischen Kultgedächtnis allseits fest verwurzelt war, im liturgischen Wandkalender der Sakristei der nach ihm benannten Kapelle am 31. Dezember nicht fehlt, überrascht in keiner Weise.

    Insgesamt zeigt sich, daß dieser Wandkalender nach den erhaltenen Ein- trägen eine bemerkenswerte Nähe zu den Heiligenfesten der Lateranbasilika und der Kapelle des Papstes aufweist. Dies gilt es im Blick auf das Silvesterora- torium als Ganzes und den Freskenzyklus zu beachten.

    Ein Eintrag an der südlichen Seitenwand, der am 24. April unmittelbar auf den Namen Benedikts H. folgt, verdient besondere Aufmerksamkeit. Es handelt sich um einen Obiit-Vermerk, im übrigen den einzig erhaltenen des Wandkalenders. Marc Dyk-mans hat im Jahre 1978 einen bislang kaum be- achteten Identifizierungsvorschlag gemacht, den er in seinem Beitrag über die römischen Necrologien gewissermaßen en passant unterbreitet hat. Da- nach sollte der Eintrag wie folgt gelesen werden: Obiit R(iccardus) Comes pa(zer) S(tephani cardinialis) 44. Somit ist die Angabe des Kalenders auf den Vater des Kardinals Stephan, Riccardo Conti, zu beziehen, der zusammen mit seiner Familie aus der Geschichte des Papsttums und des sogenannten Kirchenstaates seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert bekannt ist 45. Der ei- gentliche Aufstieg dieses Adelsgeschlechts begann, als Lothar von Segni im Jahre 1198 die cathedra Petri bestieg. Als Innozenz III. (1198-1216) förderte er nachhaltig seine Vervandten, übertrug ihnen Schlüsselpositionen im Pa- trimoniwn sancti Petri und erhob sie zu kirchlichen Würden bis hin zum

    bezeichnung («S. HILARI PP.. ) gekennzeichnet (KLAusen [Anm. 2], S. 20). Vielleicht war es zu einer Verwechslung mit Papst Hilar(i)us (461-468) gekommen, dessen Fest auf den 28. Februar fiel. Vgl. JouNEI. (Anm. 33), S. 303.

    ' Die Einträge sind unter dem 27. April und 11. Dezember erfolgt (KLAUSER [Anm. 2], S. 24, 33). Siehe auch Jou.,; EL (Anm. 33), S. 172; SCHL\LMELPFENNIC (Anm. 38), S. 98.

    " Vgl. Stephen J. P. VxN Dun:, The Ordinal of the Papal Court from Innocent III to Boniface VIII and Related Documents (Spicilegium Friburgense, 22), Fribourg 1975, S. 31-85; JOUNEL (Anm. 33), S. 355-404; SCHLMLUELPFENNIG (Anm. 38), S. 93.

    f! Marc Dy't:. st& s, "Les obituaires romains. Une definition suivie dune vue d'ensemble": Studi nnedietýali, ser. 3', 19 (1978) 633. Vgl. unter anderem KLAUSER (Anm. 2), S. 25 («Hinter PP. folgt eine Reihe von Buchstaben, deren zweifelsfreie Lesung und Deutung mir nicht gelungen ist... ).

    " Zum Adelsgeschlecht Conti: Marc Drt:. stx%; s, "D'Innocent HI a Boniface VIII. Histoire des Conti et des Annibaldi": Bulletin de l'Itutitut Historique Belge de Route 45 (1975) 19-211; Raoul ? 61x1; SELU, "Conti": Lexikon des Alittelalters, HI, München-Zürich 1986, Sp. 196f.; THUMSER (Anm. 25), S. 75-97; Sandro CAROCCI, Baroni di Roma (Collection de 1'$cole francaise de Rome, 181 / Istituto storico italiano peril medio evo, Nuovi studi storici, 23), Rome 1993, S. 371-380; Riccardo Conti siehe zudem Marc DY&%tA s, "Conti, Riccardo": Dizionario biografico degli Italia- ni, XXVIII, Roma 1983, S. 466-468.

  • 18 ANDREAS SOHN

    Kardinalat. Diese Förderung galt auch seinem leiblichen Bruder Riccardo, der unter anderem als Graf von Sora die päpstliche Herrschaft im südlichen Kirchenstaat absichern sollte. Von dieser gräflichen Würde leitet sich der Fa- milienname Comes oder Conti ab.

    Zuletzt ist Riccardo Conti in einer Bulle vom 5. April 1226 belegt; nach sei- nem Ableben teilten die Söhne am 3. Mai 1226 die geerbten Güter unter sich auf 46. Der Obiit-Vermerk im Wandkalender vor der Silvesterkapelle fügt sich insofern kohärent in die bislang bekannte Chronologie ein. Daß ein besonders

    enges Verhältnis Riccardo Conti mit seinem Sohn Stephan verbunden hat,

    zeigte sich mehrmals, mit am deutlichsten während der ereignisreichen Mona- te, die auf die Kaiserkrönung Friedrichs II. am 22. November 1220 in Sankt Peter folgten. Innozenz III. hatte seinem Bruder Riccardo die strategisch be- deutsame Grafschaft Sora - gleichsam ein breiter Sperriegel zwischen dem Kirchenstaat und dem Regno - im Jahre 1208 anvertrauen lassen 4T. Dieser hatte die Grafschaft zu sichern, unter anderem gegen die eroberungslustigen Vorfahren und Verwandten des heiligen Thomas von Aquin. Als die Truppen Friedrichs II. im Januar 1221 in die Grafschaft einmarschiert waren, oblag dem Kardinal Stefano Conti, dem Sohn Riccardos, die Verteidigung des hoch-

    gelegenen Rocca d'Arce. Doch angesichts der Überlegenheit des Gegners ordne- te der Kardinal noch im Januar 1221 oder bald darauf an, Rocca d'Arce den

    staufischen Truppenverbänden zu übergeben 4S. Dieser territoriale Verlust soll- te nicht der einzige Rückschlag für das Adelsgeschlecht Conti während des Pon- tifikats Honorius' III. (1216-1227) bleiben.

    Wie der Kalender in der Sakristei der Silvesterkapelle ausweist, sollte nach dem Willen des Kardinals Stefano Conti am 24. April eines jeden Jahres das liturgische Andenken an seinen Vater bewahrt werden. Der Obiit-Vermerk

    stellt weitaus mehr als nur eine interessante zeitliche Angabe zum Ableben Ric-

    cardo Contis dar. Beachtenswert erscheint in diesem Zusammenhang zudem die Memorialstiftung seines Sohnes vom Dezember des Jahres 1253. Dieser

    sollte ein Jahr später sterben. Der Kardinal, der spätestens seit dem Jahre 1208 in Frankreich bepfründet war und unter anderem ein Kanonikat an der Pariser Kathedralkirche Notre-Dame innehatte, stiftete seinen dortigen Mit- brüdern eine größere Geldsumme, insgesamt 160 Pariser Pfund: ad distribu-

    cionem faciendam in anniversario felicis inemorie Innocentii, pape III, et sui, in ecclesia Parisiensi, annuatim perpetuo celebrando49. Die Domkanoni-

    46 TilUMSER (Anm. 25), S. 85f. 47 Ausführlich hierzu: MACCARRONE (Anm. 25), S. 181-204. 48 Ryccardi de sancto Germano uotarii clironica (Rerum ltalicarum Scriptores, nuova edizi(>

    ne, 7,2), a cura di Carlo Alberto GARUFI, Bologna 1938, S. 93. Zur Eroberung der Grafschaft Sora durch Truppen Friedrichs II.: MAccAiuto: ̀E (Anm. 25), S. 209-211.

    49 Benjamin GuiiAnn, Cartulaire de I'cglise Notre-Dana de Paris, 11 (Collection de docu- ments incdits sur l'histoire de France, premiere serie: Histoire politique. Collection des cartulaires de France, 5), Paris 1850, S. 456. Das . magnum pastorale» der iathedralkirchc enthält ein Ver- zeichnis der zu begehenden Anniversarfeiern:. liber vigcsimus. Status et ordinationes ccclesie Pa- risiensis et anniversaria multorum. Item, instrumenta de quibusdam rebus Parisüs et alibi sitis..

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 19

    ker sollten also das Anniversargedenken an seinen Oheim, Innozenz III., und an ihn selbst in der Kathedralkrche begehen. 100 Pariser Pfund ließ der Kar- dinal durch den Cellerar des Chorherrenstifts Sainte-Genevieve dem Domkapi- tel aushändigen. Das restliche Geld kam aus dem Erlös, den Stefano Conti aus dem Verkauf seines Kanonikerhauses in claustro Parisiensi erzielt hatte-, '. Das Obituar des Domkapitels verzeichnet unter dem Todestag des Papstes In-

    nozenz III. die Memorialstiftung des Kardinals pro cuius anima et sua pro- pria und die Geldsummen, die anläßlich der Gedenkfeiern, der Vigil und der Messe, den anwesenden Kanonikern und Altardienern sowie matriculariis vero laicis zukommen sollten: den letzteren 12 denarii, den ersteren 2 soli- dis'. Außerdem ist dem Obituareintrag zu entnehmen, daß der Kardinal ein goldenes Kreuz mit einem silbernen Fuß dem Domkapitel von Notre-Dame

    schenkte52. Weitere Memorialstiftungen sind von Stefano Conti nicht über- liefert.

    Seine enge, ja lebenslange Bindung an seinen Oheim Innozenz III., die

    sich in der Sorge um dessen mentoria manifestiert und in der Stiftung eines gemeinsamen Gedenkens in der Pariser Kathedralkirche verdichtet, erscheint in der Retrospektive durchaus verständlich. Das Adelsgeschlecht Conti ver- dankte seinem Abkömmling auf dem Papststuhl in der Tat viel, denn er hatte dessen Aufstieg an der römischen Kurie, in der Ewigen Stadt und im Kirchen-

    staat geebnet. In der päpstlichen Gunst hatte besonders Stefano Conti gestan- den. Nachdem er in Paris und vielleicht auch in Bologna studiert hatte, förder-

    te der Papst seinen Neffen, kreierte ihn sogar zum Kardinaldiakon von S. Adriano und vertraute ihm eine herausgehobene Ehren- und Vertrauensstel- lung im Kollegium der Purpurträger an. Das besondere Vertrauen, das dieser bei Innozenz III. genoß, zeigte sich sehr deutlich auf der letzten Reise des Pap-

    stes nach Umbrien im Jahre 1216, zum Beispiel bei der Kreuzzugspredigt in Orvieto 53. Eine solche bevorzugte Stellung sollte Stefano Conti allerdings

    Hierunter ist die Stiftung des Kardinals Stefano Conti verzeichnet. Zu seinen Pfründen: MALECZEK, Papst (Anm. 25), S. 197. Das erste Benefiz, das er erlangen konnte, war anscheinend ein Kanoni- kat in Bayeux. Sein Oheim Innozenz 111. war seit den Tagen seines Studiums Paris eng verbun- den. Im Verlauf seines Pontifikats sind vielfache Bindungen und Beziehungen zu Paris und Frank- reich spürbar (Raymonde FoRE\7u. E, Le pape innocent III et la France [Päpste und Papsttum, 26]. Stuttgart 1992).

    5,0 GuEtt ütn (t-. ie Anm. 49), S. 456. Siehe zum Kanonikerhaus Stefano Contis ebd., S. 413. " Dens. (wie Anm. 49), IV (Collection de documents incdits sur l'histoire de France, premiere

    serie: Histoire politique. Collection des cartulaires de France, 7), Paris 1850, S. 114: «Eodem die [= XVI kal. augusti], obiit pie recordationis Innocencius, papa tercius; ... Stephanus

    de Sancto Adriano, quondam sedis apostolice cardinalis, dedit nobis centum et sexaginta libras Parisiensium, que polite fuerunt in emtione granchie versus Rosetum, que quondam fuit domicelle Flore». Hier ist noch die erste kardinalizische Titelkirche Stefano Contis angegeben, nämlich S. Adriano. Seine gestiftete Geldsumme hatte das Domkapitel verwandt, um eine Grangie bei Rozay-en-Brie, ch. -1. de cant., dep. Seine-et-Marne, zu erwerben. Rozay-en-Brie liegt etwa 50 km südöstlich von Paris. Von den Einkünften der Grangie sollten die zu entrichtenden Beträge anläßlich des Anniversarge- denkens beglichen werden (ebd. ).

    s: Ebd.:. Dedit etiam idem Stephanus nobis unam crucem auream cum pede argenteo». Sr Siehe hierzu AlAcc nnoXE (Anm. 25), S. 124-126,132-135,142, ein aufschlußreicher Be-

    richt eines Chronisten auf S. 8f.

  • 20 ANDREAS SOHN

    unter Honorius III. verlieren. Sein Stern stieg wieder zu Zeiten Gregors IX., der ihn im Jahre 1228 zum Kardinalpriester von S. Maria in Cosmedin promo- vierte, ein Jahr später zum Erzpriester von Sankt Peter bestellte und ihn 1235 als Unterhändler einen Friedensschluß zwischen dem päpstlichen Stuhl und den Römern vermitteln ließ-'.

    Ob nicht nur der Vater Stefano Contis, sondern auch sein Oheim Inno- zenz III. im Kalender der Sakristei der Silvesterkapelle verzeichnet war, läßt sich nicht mehr feststellen. Denn die Einträge des Monats Juli - der Papst ver- starb am 16. Juli 1216 - sind in Gänze verlorengegangen. Jedenfalls verdient deutlich herausgestellt zu werden, daß sich Stefano Conti offensichtlich am stärksten seinem Vater und seinem Oheim verbunden fühlte, wie der Obiiz- Vermerk im Kalendar der Sakristei der römischen Silvesterkapelle und die Memorialstiftung in Paris bezeugen. Hierauf wird bei der Interpretation des Freskenzyklus zurückzukommen sein.

    III.

    Daß der Kardinal mit seiner Kapelle Größeres im Sinne hatte, zeigen die Wahl des Patroziniums und des Konsekrators sowie die umfangreiche und ex- zellente Reliquienausstattung an, die bislang nicht näher beachtet worden ist". Stefano Conti setzte sich deutlich vom Reliquienprogramm ab, das Papst Leo IV. für seine ehemalige kardinalizische Titelkirche SS. Quattro Coronati gewählt hatte 56. Gemäß den schon erwähnten epigraphischen Zeugnissen be- stimmte der Neffe Innozenz' III. Silvester I. zum Patron und ließ Reliquien dieses Heiligen in die Kapelle überführen S7. Diese Wahl ist zunächst in zweifa- cher Hinsicht interessant: Zum einen wurde Silvester I. nach längerer Zeit wie- der eine Kapelle beziehungsweise ein Gotteshaus in Rom geweiht, zum ande- ren gab es seit dem siebten Jahrhundert im nahen Lateranpalast, in der päpst- lichen Hauptresidenz, ein ihm konsekriertes Oratorium. Die nächsten Silve- sterkirchen befanden beziehungsweise befinden sich in einiger Entfernung vom Celio. Den starken Bezug auf das Papsttum, den Stefano Conti offensicht- lich anstrebte, verstärkte die Translation von Reliquien der heiligen Päpste Lu- cius (253-254) und Bonifatius I. (418-422) sowie vor allem Linus. Dieser war immerhin der erste Nachfolger des heiligen Petrus gemäß der Tradition und der Papstkataloge. Sogar Reliquien vom Heiligen Kreuz - die invenlio crucis ist auf einem Fresko dargestellt - ließ der Kardinal hierhin überführen. Außerdem vervollständigen Reliquien der Märtyrer Januarius, Theodorus und Hippolyt, Nereus und Achilleus, der heiligen drei Jünglinge und der Märtyrerin-

    s' Zu den Karrierestationen Stefano Contis siehe oben, bibliographische Verweise unter An 25. 7"

    Vgl. zum Beispiel Mrrctteu. (Anm. 9), S. 15-32. 56 FORCELLA (Anm. 14), S. 289 Nr. 717. 57 Ebd., S. 290 Nr. 718 und 719.

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 21

    nen Maria und Martha die Ausstattung; der Altar barg noch weitere der Mär- tyrer Papias und Maurus, des Bekenners Alexius sowie der Jungfrauen Lucia, Praxedis, Prudentia, Dorothea und Exuperantia. Ein derartiges Reliquienpro- gramm paßt nicht zu einem einfachen Oratorium im Turm eines römischen Adeligen.

    Die Wahl des Konsekrators war der von Stefano Conti gewünschten Be- deutung der Kapelle angemessen. Auf seine Bitten hin weihte sein Verwandter Rinaldo da Jenne und zugleich der ranghöchste Purpurträger nach dem kardi- nalizischen Ordo, den Innozenz IV. zurückgelassen hatte, die Kapelle am Frei- tag vor dem Palmsonntag, also am 22. März 1247, ein 58. Später sollte der Kardinalbischof von Ostia und Velletri als Alexander IV. (1254-1261) Innozenz IV. nachfolgen.

    Daß die Kirchweihe weder an einem Sonntag, den die Synode von Zara- goza im Jahre 691 hierfür vorgeschrieben hatte, noch an einem besonderen Heiligenfest59 erfolgte, ist auffällig, wurde in Beiträgen zur Kapelle jedoch nicht thematisiert. Was die Konsekration anbelangt, so hatte Innozenz Ill. freilich in einem Schreiben an den Bischof von Cambrai im Jahre 1210 zuge- standen, für die Kirchweihe auch einen anderen Tag wählen zu können. Wil- helm Durandus von Mende (t 1296) erklärte sie in seinem Rationale divi- norurn officiorum als an jedem Tag für zulässig, doch sprach er sich deutlich zugunsten eines Heiligenfestes und noch mehr eines Sonntages aus 60. Eine Er- klärung für die Wahl des Konsekrationstages ließe sich indes beibringen, wenn man den in der Inschrift genannten Ablaß in diesem Zusammenhang berück- sichtigt, was bislang in der Forschungsliteratur noch nicht geschehen ist. Die Indulgenz von 40 Tagen sollte OMNIBVS CHRISTI FIDELIBVS AD ISTAM CAPELLAM VENIENTIBVS gewährt werden, und zwar IN DICTA SEXTA FERIA VEL SEPTEM DIEBVS SEQ VENTIB VS 61. Damit konnten alle Christ- gläubigen im Jahre 1247 den Ablaß erhalten, die am Konsekrationstag oder in den nachfolgenden sieben Tagen die Kapelle aufsuchten. Der Text der Inschrift ist wohl so aufzufassen, daß der Ablaß weder ausschließlich auf das Jahr 1247 noch auf den 22. März eines jeden Jahres festgelegt ist, sondern jähr 1ich vom Freitag vor dem Palmsonntag, FERIA VI ANTE PALMAS, bis zum Kar- freitag erworben werden konnte 62. Die Indulgenz war keineswegs gering be-

    s" Zum Konsekrator. PmtavIcu 1 BAGUAN1 (Anm. 25), I, S. 41-60. Siehe zum Datum der Kon- sekration oben.

    59 Vgl. AA SS ýlfartii, III, Venetiis 1736, S. 365-439. 60 Siehe hierzu Pierre-Marie G1', "L'hppothese lotharingienne et la diffusion des tropes", in

    Wulf ART/Gunilla BIORKV'AU., Recherches uouvelles sur les tropes liturgiques. Recueil d'etudes. Corpus Troporum (Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia, 36), Stock- holm 1993, S. 232 Anm. 10.

    FottcF. u, A (Anm. 14), S. 290 Nr. 719 (zitiert ohne Abbreviaturen). Vgl. ebd., S. 290 Nr. 718 und 719. Dem entspricht, daß die «dedicatio» der Kapelle im Ka- lender der Sakristei am 22. März nicht verzeichnet ist, was man anderenfalls hätte erwarten kön-

    nen. - Wie mir Herr Professor P. Dr. Pius Engelbert OSB (Rom) in seinem Brief vom 1. Novem- ber 1996, für den ich ihm herzlich danke, schreibt, teilt er die hier vorgetragene Auffassung zum Ablaß.

  • 22 ANDREAS SOHN

    messen. So gewährte beispielsweise Innozenz IV. allen, die bei Predigten der Dominikaner zur Absetzungssentenz Friedrichs H. zugegen sein sollten, eine 40tägige Indulgenz 63.

    Offensichtlich war der Bauherr, der Kardinal Stefano Conti, bemüht gewe- sen, die Weihe vor Beginn der Karwoche vornehmen zu lassen und keinen spä- teren Termin, zum Beispiel in der nachösterlichen Zeit, anzustreben. Wenn er beabsichtigt hätte, die Silvesterkapelle einer möglichst großen Zahl an Gläubigen zugänglich zu machen, hätte er in liturgischer Hinsicht keinen besseren Termin wählen können. Denn in der Lateranbasilika fanden die herausragenden Gottes- dienste zwischen dem Palmsonntag und Ostern statt, die gewöhnlich der Papst mit dem Kapitel seiner Bischofskirche, den Würdenträgern seines Palastes, Kle- rikern und Gläubigen aus der Stadt Rom und weit darüber hinaus hielt. So war die Kirche der päpstlichen Lateranresidenz für die Liturgie am Palmsonntag und Gründonnerstag sowie am Kaisamstag vorgesehen; die Feier im Gedenken an das Leiden Christi, also am Karfreitag, 'wurde in S. Croce in Gerusalemme, also einer Kirche, die noch in der Nähe des Campus Lateranensis liegt, begangen" . Daher war der gewählte Zeitraum, in dem die Indulgenz im Silvesteroratorium erworben werden konnte, äußerst günstig: Dieser reichte ja vom Freitag vor dem Palmsonntag bis zum Karfreitag. Gerade in der Karwoche, also zum Höhe- punkt des Kirchenjahres, war im allgemeinen mit einem großen Strom von Gläubigen aus der Stadt Rom und von Pilgern aus der gesamten Christenheit, der sich dann über den Celio ergoß, zu rechnen. Für all diese lag SS. Quattro Coronati ausgesprochen günstig am Wege.

    Eine weitere zeitliche Koinzidenz in liturgischer Hinsicht könnte hinzuge- kommen sein, sofern die römische Stationsliturgie wie in Jahrzehnten und Jahr- hunderten zuvor gefeiert worden wäre. Doch scheint die vom Papst befolgte Li- turgie seit den Tagen Innozenz' III. mehr und mehr auf den eigentlichen Palast- bereich beziehungsweise Residenzbezirk begrenzt worden zu sein 63. Jedenfalls sah die bis zum 13. Jahrhundert praktizierte römische Stationsliturgie am Frei- tag vor Palmsonntag eine statio in der Nähe von SS. Quattro Coronati vor, nämlich in der Kirche S. Stefano Rotondo auf dem Cello 66.

    63 Gerhard BAA}: EN, "Die Verhandlungen von Cluny (1245) und der Kampf Innocenz' IV. gegen Friedrich II. ": Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 50 (1994) 578f.

    64 BLAAuw (Anm. 22), I, S. 290-308, U. S. 806. Die Festgottesdienste am Ostersonntag und Ostermontag wurden in S. Maria Maggiore und der Petersbasiliika gehalten (ebd., I, S. 435f., II, S. 806).

    65 Bernhard Schimmelpfennig hat dies wiederholt herausgestellt. Siehe beispielsweise Bern. hard SCHIMMELPFENNIG, "Die Bedeutung Roms im päpstlichen Zeremoniell": Rain int hohen Alit- telalter (Anm. 25), S. 47-61; Dens., "Der Palast als Stadtersatz. Funktionale und zeremonielle Be- deutung der Papstpaläste in Avignon und im Vatikan", in Werner PAIIAtzch; I (Hg. ), Zeremoniell und Raum (1200-1600). 4. Symposium der Residenzenkonnmission der Akademie der Wissen- schaften zn Göttingen, in Zusammenarbeit mit denn Deutschen historischen Institut Paris und der Universität Potsdam, Potsdam, 25. -27. September 1994, Sigmaringen 1997 (im Druck). 66 BLAAuw (Anm. 22), II, S. 806. Zur Lage von S. Stefano Rotondo siehe LA. NctAN: (Anm. 20), Pläne Nr. 30 und 36. Am Tag zuvor war die Stationsliturgie in der Kirche S. Apollinare, im Rione Ponte zwischen dem antiken Stadion des Domulan beziehungsweise der Piazza Navona und dem Tiber gelegen, zu begehen (siehe ebd., Plan Nr. 15).

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI

    IV.

    23

    Bislang sind keine Quellen aufzufinden, welche uns Auskunft über die Bauarbeiten an der Residenz im allgemeinen und an der Silvesterkapelle im besonderen, über die Finanzierung, die Handwerker und Künstler sowie die Motive für die Auswahl der Fresken geben könnten. Von Kunsthistorikern, die sich des Stilvergleiches als Methode bedienten, ist der Zyklus mit dem söge- nannten zweiten Meister von Anagni, auch als «Maestro Ornatista» bezeichnet, in Verbindung gebracht worden 67. Auf ihn gehen Fresken in der Krypta des dortigen Domes zurück, die Miklös Boskovits um 1231 datiert hat 68. Demsel- ben Werkstattbeis sind Fresken in SS. Giovanni e Paolo in Rom und in S. Nic- colö in Filettino, etwa 45 km nordöstlich von Anagni in den Abbruzzen gele- gen, zugeordnet worden 69. Im allgemeinen ist der byzantinische Stil des Zy- klus im Silvesteroratorium herausgestellt und demzufolge mit anderen Fres- ken oder Mosaikdarstellungen insbesondere in Süditalien zusammengesehen worden; so wird oft angenommen, daß der ausführende Künstler aus Südita- lien kam 70. Zuweilen findet sich die Annahme, daß dieser zuvor an den Mosai- ken in S. Marco in Venedig gearbeitet hat 71. Die Fresken der Silvesterkapelle sind auch in einem größeren Zusammenhang mit den Mosaiken aus dem aus- gehenden 12. Jahrhundert gesehen worden, welche die Kathedrale von Mon- reale in Sizilien schmücken. John Mitchell hat hierbei auf die Einflüsse sizi- lischer Mosaizisten in Latium in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hinge- wiesen 72. Hier müssen wir uns vorerst mit der Aussage begnügen, daß Stefa- no Conti den Auftrag für die Residenzbauten einschließlich der Kapelle erteilt und höchstwahrscheinlich über deren Ausschmückung mit Fresken in themati- scher und stilistischer Hinsicht entschieden hat. Nach der communis opiuio der historischen und kunsthistorischen Forschung entstand der Zyklus vor dem Konsekrationstag. Die Fresken zählen zweifellos zu denjenigen aus dem Mit- telalter, die in wissenschaftlichen Monographien und Schulbüchern mit am meisten abgebildet worden sind 73.

    6' Otto DEstus, Romanische Wand»talerei, München 1968, S. 57f., 125-127; F. F. W. N. HUGENHOLTZ, "The Anagni Frescoes -A. Manifesto. A historical investigation": Mededelingen van hei Nederlands btstituni to Rotzte 41 (1979) 139-172; Miklos BOSKoVrrs, "Gli affreschi del duomo di Anagni: un capitolo di pittura romana": Para gone. Arte, XXX/357 (1979) 3-41, besonders 9f.

    6b Bostovrrs (Anm. 67), S. 10. Vgl. HUGE. \HOLTL (Anm. 67), S. 146f. 09 GoLzio/ZA. \'DER (Anm. 10), S. 191; DEatus (Anm. 67), S. 127; Bosxovrrs (Anm. 67), S. 9f. 70 Antonio Aluwoz, "La cappella di S. Silvestro al SS. Quattro Coronae e le recenti scoperte":

    Nuovo Bttllettitto di Archeologia Cristiana 19 (1913) 209; Federico HERMANIN, "La leggenda di Costantino imperatore nella chiesa di S. Silvestro a Tivoli": ebd., S. 186; KLAUSER (Anm. 2), S. 13; Bucno%%iECta (Anm. 5), 111, S. 704.

    " Gotzlo/ZANDER (Anm. 10), S. 191; vgl. Guglielmo MATrHIAE, Pittura rontatta del Medioe- vo, 11, Roma 1966, S. 150 (. L'impronta bizantineggiante, di origine veneta, e evidente... »). 72 hirrctlELL (Anm. 9), S. 30-32.

    " Es kommt mitunter sogar vor, daß eine Abbildung eines dieser Fresken den Umschlag eines Buches ziert, ohne daß der Verfasser an irgendeiner Stelle auf den Zyklus oder die Kapelle eingeht, wie jüngst das Beispiel von Colin Morris und seiner anregenden Monographie «The Papal Monarchy» mit fast 700 Seiten zeigt: Colin MORRIS, The Papal Monarchy. The Westens Church from 1050 to 1250 (Oxford History of the Christian Church), Oxford 1991.

  • 24 ANDREAS SOHN

    Das kleine, einschiffige und tonnengewölbte Silvesteroratorium, welches ohne die später hinzugefügte Apsis 9,15 m lang und 4,80 m breit war, betrat man im Mittelalter durch den genannten Vorraum ". Im Zuge der von 1912 bis 1914 durchgeführten Restaurierungsarbeiten wurde der ursprüngliche Ein- gang, der 1,37 m in der Breite und 2,70 m in der Höhe mißt, wieder freige- legt 75. Ein kosmatesker Fußboden, opus Alexandriru ni, schmückt die Kapel- le. Als sie an die Bruderschaft der Bildhauer und Steinmetzen im Jahre 1570 gelangte, wurde ein Seitenportal geschaffen und eine Apsis angebaut 76. Über der Eingangstür ist eine Szene des Weltgerichts mit dem thronenden Christus an der inneren Westwand angebracht, wie es im Mittelalter üblich war (siehe Abb. 2) 77. In der mittleren Wandzone verläuft der Freskenzyklus entlang der westlichen, nördlichen und südlichen Wand. Wie die Altarwand gestaltet war, muß offenbleiben 78. Die einzelnen Fresken sind voneinander durch einen senk- rechten Ornamentstreifen abgetrennt. Die Inschriftenzeile unter ihnen ist fast völlig unleserlich". Darunter befinden sich etwa in Augenhöhe Medaillonbü- sten mit nimbierten Patriarchen, Königen, Richtern und Propheten aus dem Alten Testament. Diese Medaillons sind zumeist erheblich beschädigt, die Na- menszüge und die Spruchbänder in ihren Händen sind größtenteils nicht mehr erhalten. Die Büsten mit den Propheten Ezechiel, Jonas und Michäas an der Nordwand weisen einen relativ guten Erhaltungszustand auf. Die Identifizie- rung des Propheten Ezechiel erlaubt der noch sichtbare Restbestand des Textes des Spruchbandes (Ez 1,1), bei Jonas und Michäas ist jeweils der Name noch lesbar.

    Eine Rekonstruktion des alttestamentlichen Registers in beträchtlichen Teilen ermöglichen Nachzeichnungen des Malers Antonio Eclissi in einer Hand- schrift aus dem Jahre 1637, die in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt wird. Es handelt sich um den Codex Series nova 331181. An-

    70 Eine ausführliche Beschreibung des Silvesteroratoriums bei Bucito%tiiEcKl (Anm. 5), III. S. 702-706.

    " Mutloz (Anm. 70), S. 208. " Das Seitenportal trägt die Inschrift:. STATVARIORVM ET LAPICIDARVi11 CORPVS

    ANNO MDLXX. » " Beat BRENK, "Weltgericht": Lexikon der christlichen Ikonographie, 111. Freiburg 1972,

    Sp. 513-520. '° Es ist spekulativ, wenn Walther Buchowviecki den bildlichen Verlust . auf drei weitere Bilder

    des Zyklus» schätzt (BucHOwmECKa [Anm. 5], III, S. 703). 79 Vom 'titulus' unter dem sechsten Fresko haben sich Buchstabenreste der Namen Silvester

    und Konstantin bis heute erhalten, von demjenigen unter dem siebten Fresko ebenso Buchstaben- reste des Namens Silvester.

    eo Walther Buchowiecki wies im dritten Band seines Handbuches der Kirchen Roms, erschie- nen im Jahre 1974, auf diese Handschrift in der Österreichischen Nationalbibliothek hin (BUCHOWIECKI [Anm. 5], III, S. 704f. ). Jüngst zu dieser Handschrift mit Beobachtungen aus kunst- historischer Sicht und zu einer Kreuzigungsdarstellung, die eine gewisse Divitia im Jahre 1248 für die Klosterkirche SS. Quattro Coronati gestiftet hatte und die schon irrtümlicherweise dem Ora- torium zugeschrieben worden ist: Johannes ZAHLTE\, "Barocke Freskenkopien aus SS. Quattro Coronati in Rom: Der Zyklus der Silvesterkapelle und eine verlorene Kreuzigungsdarstellung": Römisches Jahrbuch der Bibliotheca fleriziana 29 (1994) 19.43. Die Angaben von Walther Bu- chowiecki werden hier nicht erwähnt. Weder dieser noch Johannes Zahlten teilen die von Antonio Eclissi verzeichneten Texte auf den Schriftbändern im unteren Register sollständig mit. Kein 1 Iin-

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 25

    tonio Eclissi war für den Kurialbeamten Cassiano dal Pozzo (1588-1657) und den Kardinal Francesco Barberini (1597-1679), einem Nepoten des Papstes Ur- ban VIII. (1623-1644), tätig.

    Gemäß den Nachzeichnungen Eclissis beläuft sich die Zahl der Medaillon- büsten auf zumindest 30 und nicht auf 22, wie bislang angenommen wurde81. Jeweils 12 Niedaillonbüsten waren an der nördlichen und südlichen Wand an- gebracht, ferner vier an der westlichen Mauer, dazu zwei an der östlichen Sei- te. Wegen des späteren Apsisbaues kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Reihe der alttestamentlichen Gestalten an dieser Stelle fortsetzte. Das unterste Register auf der Eingangswand besteht aus zwei kompositorisch ein- ander gegenübergestellten Gruppen: Unter dem Weltgericht befinden sich links die Erzväter Abraham und Isaak, rechts die Könige David und Salomon, das heißt zur Linken desjenigen, der die Kapelle betritt. Abraham hält das Spruchband TRES VIDIT ET UNVM ADORAVIT in seinen Händen 82. Eine göttliche Verheißung ist bei Isaak wiedergegeben: IN SEMINE TVO BENEDI- CET OMNES GENTES (wohl Geit 26,4) 83. Zu dieser Personengruppe gehört noch die Medaillonbüste mit Jakob, die erste auf der angrenzenden südlichen Wand. Daß Jakob dargestellt war, ist dem beigegebenen Spruchband - der Namenszug war schon im 17. Jahrhundert verlorengegangen - zu entneh- men: NON AVFERETVR SCEPTRVM DE IUDA ET DVX DE F[EMORE EIUS]84. Es handelt sich um einen Segensspruch Jakobs (Gen 49,10). Die drei

    weis auf die Handschrift findet sich bei MrTCHEIJ. (Anm. 9), S. 15-32. Bei seiner Interpretation des Bildprogramms blieb das untere Register mit den alttestamentlichen Darstellungen unberücksich- tigt. Zu Antonio Eclissi: Andrea G. DE MARCHI, "Eclissi (Eclisse), Antonio»: Dizionario biografico degli Italimri, XLII, Roma 1993. S. 281f.

    " ZAHLTE' (Anm. 80), S. 23. Die Zahl 22 bei MuRoz (Anm. 70), S. 207; ebenfalls noch bei BucuoNlEcKI (Anm. 5). III, S. 704. Zur Anordnung der von Antonio Eclissi identifizierten Medail- lonbüsten siehe seine Einträge auf einem Kapellengrundriß: Österreichische Nationalbibliothek, \I ien, Codex Series nova 3311, fol. 2. Bei dieser Skizze ist ihm allerdings ein kleines Versehen unterlaufen: So fehlt zwischen den Darstellungen der Propheten Nahum und Sophonias der Hin- weis auf Habakuk. Daß dieser hier in der Kapelle abgebildet war, ergibt sich aus der vom Maler strikt befolgten Reihenfolge bei den nachgezeichneten Medaillonbüsten (vgl. ebd., fol. 20-22). Die ersten neun Medaillonbüsten zeigen demnach Isaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel, Oseas, Johel, Amos, Jonas und Michiias. Wie bereits erwähnt wurde, sind die Namen der beiden zuletzt ge- nannten Propheten noch lesbar. An der Position 10 befand sich wohl Nahum. Von dieser Medail- lonbüste sind noch schwache Farbreste sichtbar, die nächste ist in Gänze verlorengegangen. Die Reihe der Prophetendarstellungen an der Nordwand setzte sich mit Habakuk und Sophonias fort. Zu Zeiten Eclissis waren der Name des Propheten und der Text des entrollten Spruchbandes auf dem ersten Medaillon der Altarseite völlig verblichen. Ansonsten war die Büste erhalten. Die Nach- zeichnung des römischen Malers kann noch zu einem Teil mit dem heutigen Bildbestand vergli- chen werden.

    u Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 3. Text: Dominica in Quinquagesima. Responsorium nach der Lectio II (Breviarium Monasticum Sumntorunt Pon- ti fieren: ctera recogriittttn, I. Turin-Rom 1963, S. 338). - Antonio Eclissi unterscheidet bei seinen Transkriptionen V und U. Die Texte sind im folgenden mit diesen Varianten wiedergegeben.

    " Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 4. Nicht genannt bei ZAHLTEN (Anm. 80), S. 22.

    " Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 5. Unerwähnt bei BUCHO41EcIi (Anm. 5), 111, S. 5; Hinweis auf Jakob von ZAHLTEN (Anm. 80), S. 31 (mit Fragezei- chen). \Venn Johannes Zahlten Texte der Spruchbänder mitteilt, fährt er die zugrunde liegende Schriftstelle im Alten Testament nicht an (vgl. ebd., S. 22-32).

  • 26 ANDREAS SOHN

    Erzväter Abraham, Isaak und Jakob sind bei Gerichtsdarstellungen oft abgebil- det85. Auf der anderen Seite der Eingangstür findet sich bei David die von Gott gegebene Zusage: DE FRVCTV UENTRIS TVI PONAM SVPER SEDEM MEAM (Ps 132,11)86. Salomon ist die Mahnung in den Mund gelegt, die sich vornehmlich an die Herrscher dieser Welt richtet: DILIGITE IVSTITIAM QUI IVDICATIS TERRAM87. Hiermit beginnt das Buch der Weisheit (1,1). Wäh- rend die sonstigen alttestamentlichen Gestalten - von einer Ausnahme abge- sehen - barhäuptig sind oder eine herabwallende turbanartige Kopfbedek- kung haben, tragen David und Salomon eine Krone, hingegen Abraham, Isaak und Jakob die Mitra, wohl in Anlehnung an Exodus 29,9 8'. An der Nordwand folgen die Medaillons mit den vier großen Propheten und acht sogenannten kleinen von Oseas bis Sophonias. Nur bei den großen Propheten Isaias, Jere- mias und Ezechiel sind die Texte der Spruchbänder in Gänze bekannt 89. Auf die vier großen Propheten folgen die acht kleinen Propheten in dieser Reihen- folge, bei denen der Text auf den Spruchbändern schon im 17. Jahrhundert völlig verblichen war: Oseas, Joel, Amos, Jonas, Michäas (Micha), Nahum, Ha- bakuk und Sophonias90. Von der nächsten Medaillonbüste, die sich wohl an der angrenzenden linken Altarseite - von dem die Kapelle Betretenden aus gesehen - befunden hat, konnte Antonio Eclissi weder den Schriftzug des Na- mens noch den Text des Spruchbandes überliefern 91. An der Parallelstelle auf der rechten Altarseite war die entsprechende Darstellung schon damals ver- lorengegangen. Bei der nächst folgenden Medaillonbüste haben sich die beiden letzten Buchstaben des Namens erhalten: AS92. Da sich die beiden Schriftzei-

    81 Siehe nur Beat BRENK, "Weltgericht": Lexikon der christlichen lkonnographie, IV, Frei- burg 1972, Sp. 516,519.

    86 Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fo1.9. 87 Ebd., fol. 10. 88 Hierzu siehe Bernhard SIRCH, Der Ursprung der bischöflichen Mitra und päpstlichen

    Tiara (Kirchengeschichtliche Quellen und Studien, 8), Sankt Ottilien 1975, S. 1-47. 89 Österreichische Nationalbibliothek. Wien, Codex Series nova 3311, fol. 11 (Isaias-.

    «EGREDIETVR VIRGA DE RADICE YESSE., Jes 11,1). 12 (Jeremias: «PRIVSQVAM TE FOR- MAREM IN VTERO NOVI TE ET PROPHETAM IN GENTIBVS DEDI TE., Jer 1,5), 13 (Eze- chiel: «APERTI SVNT CELI ET VIDI VISIONES DEL, Ez 1,1). Der Eingangsvers des 11. Kapi- tels des Buches Isaias oder Jesaya findet sich häufig in mittelalterlichen Legenden beziehungs. weise Inschriften (Francoise GAY, "Les prophctes du Xle au XIIIe s. [Epigraphic]": Cahiers de civilisation medicvale 30 [1987] 36If., 366). Wenn auf dem Spruchband von Daniel «CVM VE- NERIT... » gestanden hat (vgl. ZAHLTEN [Anm. 80], S. 22), ist wohl zu ergänzen «SANCTVS SANCTORVM CESSABIT VNCTIO" (siehe GAY [wie oben in dieser Anm. ], S. 362,364). Vgl. Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 14. Der biblische Vers aus dem Buch Daniel (9,24) war "texte le plus courant darns les inscriptions" (GAY [wie oben in dieser Anm. ], S. 364).

    90 Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 15-22 (nur mit den Schriftzügen der Prophetennamen).

    9' Ebd., fol. 23. 92 Vgl. ebd., fol. 8. Johannes Zahlten vermutet eine Abbildung des Königs Osias (ZAnt. TEN

    [Anm. 80], S. 30). Siehe zu diesem König von Juda aus dem 8. Jahrhundert vor Christus und sei- ner ikonographischen Darstellung: Severin GRrtl, "Azarja": Lexikon für Theologie und Kirche, I Freiburg 21957, Sp. 1158; Jürgen PAutA'lerner Busar, "Ozias": Lexikon der christlichen Jkono- graphie, III, Freiburg 1971, Sp. 362. Es könnte sich auch um den Enkel Azarjas, Ahas, gehandelt haben (Georg HaNTSCHEL, "Ahas": Lexikon für Theologie und Kirche, 1, Freiburg 31993, Sp.

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 27

    chen zur Rechten des Kopfes - vom Betrachter aus gesehen - befinden, sind auf der anderen Seite zwei oder drei Buchstaben zu ergänzen. Jedenfalls han- delt es sich aufgrund der Beigabe einer Krone um die Darstellung eines Kö- nigs. Von den 12 Medaillonbüsten der südlichen Wand lassen sich nur zwei si- cher identifizieren: Ezechias und Samuel an der Position 11 und 5, gezählt von der Eingangsseite aus 93. Im Jahre 1637 waren die Schriftzüge der vier Medail- lonbüsten zwischen den Abbildungen des Jakob und des Samuel bereits unle- serlich. Das Renaissanceportal, das im Jahre 1570 gebaut wurde, um einen direkten Zugang zur Kapelle vom Atrium aus zu ermöglichen, zerstörte drei Medaillons. Das nächste Medaillon zeigt Ezechias. Insofern bleibt offen, wel- che zehn Darstellungen aus dem Alten Testament noch die Südwand zierten. Am ehesten ist an weitere Gestalten aus den Personengruppen der Könige, Richter und Propheten zu denken'+.

    Somit sind die Fresken zu Silvester und Konstantin in einen ikonographi- schen Kontext eingebunden, der von der grundlegenden Geschichte des Alten Testaments und dem eschatologischen Endpunkt allen Seins, dem Jüngsten Gericht, bestimmt ist. Zwischen der alttestamentlichen Vergangenheit und der ins Eschatologisch verlagerten Zukunft ist die visualisierte Papstgeschichte an- gesiedelt, die freilich in die Gegenwart des Duecento verweist. Das Gerichtsmo- tiv des obersten Registers auf der Eingangsseite wird nochmals aufgenommen, wenn Salomon die Mahnung an die weltlichen Herrscher dieser Welt aus- spricht: Diligite iustitiam qui iudicatis terrarn Damit ist ein Anspruch an die Herrschaftspraxis aufgestellt, der auch für die staufischen Könige und Kai- ser galt.

    V. Nicht selten sind die Fresken in einem Atemzug mit Silvesterdarstellungen

    in anderen Kirchen und Klöstern genannt und mit diesen - etwa von Federico Hermanin - insgesamt als Zeichen des «amore popolare dalla leggenda ama- tissima» aufgefaßt worden 96: so zum Beispiel mit denen in S. Silvestro in Ti- voli aus dem Pontifikat Innozenz' 1][[. 97, mit den gegen 1300 entstandenen

    264). Dieser herrschte zusammen mit seinem Großvater von etwa 743 bis 735 vor Christus und regierte dann allein bis 728.

    'r Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Codex Series nova 3311, fol. 6,7, vgl. 2. " Den Kreis der sogenannten kleinen Propheten würden Abdias, Äggäus, Zacharias und Ma-

    lachias vervollständigen. Weitere dargestellte Richter könnten neben Samuel Gideon, Jephta und Samson sein. Könige wie Saul, Roboam und Jeroboam könnten aufgenommen worden sein. Ent- sprechende Vermutungen bei ZAHLTEN (Anm. 80), S. 30. Vgl. GAY (Anm. 89), S. 359; Ursula NiLCex/Marcdll REs E, "Propheten. Prophetie. C. Ikonographie der biblischen Propheten": Lexi- kon des Mittelalters, VII, München 1995, Sp. 257-259.

    'S Siehe oben. " HErutA. ' ix (Anm. 70), S. 181-203, Zitat auf S. 188. Das Zitat spiegelt den Tenor des Beitra-

    ges wider. " Ebd., S. 181-203; Hanspeter L*. z, Die romanischen Wandmalereien voll San Silvestro in

    Troll. Ein römisches Apsisprogranun der Zeit hinozenz III. (Europäische Hochschulschriften, Rei- he 28: Kunstgeschichte, 22). Bern-Frankfurt/Main-New York 1983, siehe besonders S. 103-125.

  • 28 ANDREAS SOHN

    Fresken in S. Piero a Grado bei Pisa9b, die nach einem Zyklus im Portikus der konstantinischen Petersbasilika aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ausgeführt sind 99, mit den Szenen auf dem Architrav der zerstörten Kirche S. Silvestro in Pisa (heute im Camposanto) oder auf einem Glasfenster in der Ka- thedrale von Chartres aus dem 13. Jahrhundert oder in der Kapelle S. Croce der Bankiersfamilie Bardi zu Florenz aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhun- derts10°. So mögen diese bildlichen Zeugnisse insgesamt anzeigen, wie verbrei- tet der Silvesterkult in Italien und darüber hinaus war, vor allem im Kirchen- staat beziehungsweise in Latium. Das Besondere der szenischen Darstellung in SS. Quattro Coronati konnte allerdings so leicht in den Hintergrund rücken. Ein Vergleich mit den wohl wenige Jahre zuvor entstandenen Fresken in S. Silvestro in Tivoli vermag jedoch zum Proprium des Zyklus zu führen.

    Die Apsis in Tivoli besteht aus vier Bildzonen: In der obersten ist eine tra- ditio legis dargestellt, darunter schreiten zwölf Lämmer auf das Gotteslamm in der Mitte zu. Die dritte Zone zeigt Maria mit dem thronenden Christus, um- geben von Johannes dem Täufer, Johannes dem Evangelisten und den zwölf Propheten. Ganz unten erscheinen vier Szenen der Silvesterlegende: zunächst diejenige mit den Müttern und Kindern, deren Blut den Kaiser von der Lepra heilen soll, dann die Taufe im Lateran, der Disput Silvesters mit den Juden und schließlich das Drachenwunder. Im Unterschied hierzu beherrscht die Dar- stellung in SS. Quattro Coronati das Innere des Sakralraumes und besteht nicht aus vier Einzelszenen, sondern aus einer narrativen Bildfolge. Am ge- wichtigsten ist jedoch hervorzuheben, daß der Zyklus nicht allein auf der Silve- sterlegende, acius (beati) Silvestri, sondern auch auf der Konstantinischen Schenkung beruht und beide ikonographisch miteinander verbindet. Daher er- gibt sich eine kirchenpolitische Dimension der bildlichen Programmatik hin- sichtlich des Verhältnisses von Papsttum und Kaisertum; diese Dimension ist in Tivoli so nicht greifbar.

    98 Jens T. WOLLESEN, Die Fresken von San Piero a Grado bei Pisa. Bad Oepnhausen 1977, S. 89-100,146-148 (zur Datierung); Stefano SODI, La Basilica di San Piero a Grado, Pisa 1996, S. 33-38,59.66.

    99 WOLLESEN (Anm. 98), passim, hier besonders S. 71f., 89-112,146 (ins letzte Pontifkatsjahr Nikolaus' III. [1277-1280] anstatt in die Zeit Urbans IV. [1261-1264] datiert); Alessandro ToMEi, "Le immagini di Pietro c Paolo dal ciclo aposiolico del portico vaticano": Fragmenta picta. AfIre- schi e nnosaici staccaii del ntedioevo romano (Roma, Castel Sant'Angdo, 15 dicembre 1989-18 febbraio 1990), a cura di Maria ANDALDRO/Altssandra Gumou/Antonio Iacorlst/Serena RottASo/ Alessandro ToMEI, Roma 1989, S. 141-146; Alessandro Touul, "Un modello di committenza papa. lc: Niccolö III c Roma": Sancta Sanctorum, Milano [1995], S. 196.

    100 LANZ (Anm. 97), S. 103f.; Sigrid Epp. Kotstantiraz"klen in Rotzt. Die päpstliche luterpre. tation der Geschichte Konstantins des Großen bis zur Gegenreformation (Schriften aus dem In- stitut für Kunstgeschichte der Universität München, 36), München 1988, S. 18-21; Jörg TRAEGER, "Silvester I. ": Lexikon der christlichen Ikonographie, VAI, Freiburg 1990, Sp. 355.357. Die Da- tierung der Silvesterdarstellungen auf dem Architrav der Kirche S. Silvestro in Pisa ist umstritten; die zeitlichen Annahmen reichen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert. Vgl. IinRStXNIS (Anm. 70), S. 184; LANZ (Anm. 97), S. 103 (12. Jahrhundert); Eww (vie oben in dieser Anm. ). S. 181. (10. Jahrhundert); TRAEGER (wie oben in dieser Anm. ). Sp. 355 (13. Jahrhundert). - Auf Einzeldar- stellungen Silvesters beziehungweisc Konstantins ist lucr nicht einzugehen. Siehe dazu ebd.. Sp. 353-355.

  • DIE SILVESTERKAPELLE IN SS. QUATTRO CORONATI 29

    Unter dem Gerichtsmotiv des Silvesteroratoriums erscheint zunächst die Szene der vor Konstantin klagenden Frauen mit ihren Kindern, dann werden das Erscheinen der Apostelfürsten im Traume und das Ausschicken der kaiser- lichen Boten zu Silvester auf dem Monte Soracte dargestellt (siehe hier und zum Folgenden die Abbildungen 2f. ). Auf den nächsten beiden Szenen zeigt Silvester dem Kaiser eine Ikone der Apostelfürsten und tauft ihn nach dessen conversio 1111. An der jetzt folgenden, zentralen Stelle im Zyklus sind zwei sehr bedeutsame Motive aus dem Bericht der Konstantinischen Schenkung einge- fügt. Mit ihnen endet die Bildfolge auf der nördlichen Wand. Gegenüber ist - damit wird der Erzählduktus gemäß der Silvesterlegende wieder aufgenom- men - im Beisein der Mutter Konstantins, Helena, der Disput mit den Juden und das Stierwunder zu sehen. Es folgen die Auffindung des Kreuzes Christi im Heiligen Land und das Drachenwunder.

    Bei der Interpretation des Zyklus ist man leicht geneigt, an die unmittel- baren, tagespolitischen Ereignisse im Verlauf der Jahre 1245 und 1246 zu den- ken 1°2: an die Absetzung Friedrichs U. auf dem Konzil von Lyon am 17. Juli 1245, an die sizilische Verschwörung, welche im März 1246 aufgedeckt wurde, an die auf Veranlassung Innozenz' IV. erfolgte Wahl des thüringischen Land- grafen Heinrich Raspe zum Gegenkönig am 12. Mai 1246 in Veitshöchheim, an sein Ableben am 16. Februar 1247, an den Aufruf des Papstes zum Kreuz- zug gegen den Staufer im Frühsommer 1246. Der Abschluß des Freskenzyklus und die Weihe der Silvesterkapelle fallen in die Zeit, welche gemeinhin als «Endkampf» zwischen Papsttum und staufischem Kaisertum, zwischen Inno- zenz IV. und Friedrich H. apostrophiert wird.

    Doch sollte die Interpretation nicht durch die Fixierung auf den unmittel- baren politischýsituativej )Kontext der Jahre 1245 bis 1247 verengt werden Denn die Planung-de idenzbatýten setzte höchstwahrscheinlich bereits im Jahre 1244 ein, de -onzeptuelle-Entwurf für das Bildprogramm in der Silve- sterkapelle dürfte damit eii hi ergehen. So legt sich - nicht zuletzt im Hinblick auf den Auftraggeber - nahe, den Freskenzyklus eher auf dem Hintergrund des Verhältnisses von Papsttum und Kaisertum, von sacerdotium und impe- riunz insbesondere seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert, des von den Päp- sten propagierten Silvesterkults und der ikonographischen Darstellungen zu Konstantin und Silvester vom frühen Mittelalter an sowie der Topographie auf dem Celio zu sehen.

    Wenn man von den erhaltenen und rekonstruierbaren Zyklen zu Kon- stantin und Silvester in Rom ausgeht 103, insbesondere von der ältesten ikono-

    101 Über das originale Bildnis der Apostelfürsten, das Silvester in Händen trug, zu verfügen, beanspruchten sowohl die Lateranbasilika als auch die Peterskirche. Gemäß dem Zeugnis von Jo- hannes Diaconus befand sich dieses Bild über dem Hauptaltar der Salvatorbasilika. Siehe Ingo Hnmaorz, "Der mittelalterliche Fassadenportikus der Lateranbasilika und seine Mosaiken. Kunst und Propaganda am Ende des 12. Jahrhunderts": Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertzia- nna 25 (1989) 81f.

    161 Statt vieler Titel: Bxumv (Anm. 63). S. 531-579. 101 Sofern Silvester-Zyklen in den Kirchen S. Crisogono und S. Martino ai Monti, dem ehe-

  • 30 ANDREAS SOHN

    graphischen Darstellung der Konstantinischen Schenkung im Narthex der La- teranbasilika wahrscheinlich aus dem Pontifikat Clemens' III. (1187-1191)10', so fällt das Besondere dem Betrachter auf: Während dort Konstantin dem thronenden, eine weiße Tiara tragenden Silvester das Constitutun: Constanii- ni in Form einer Schriftrolle überreicht"-, womit es zum erstenmal ikonogra- phisch im Rahmen eines Bildzyklus in der Ewigen Stadt thematisiert wird, ist

    maligen Titulus Equitii, überhaupt bestanden haben mögen, können sie nicht mehr rekonstruiert werden. Vgl. PoiiLKAMP (Anm. 7), S. 94f. Anti. 343,96f. Anm. 353. - In der Kapelle der Petro- nilla, der vermeintlichen Tochter des Apostels Petrus, läßt sich kein Zyklus zu Silvester und Kon- stantin aus der Zeit Pauls I. (757-767) nachweisen. Diese Kapelle w ar aus dem ehemaligen, in se- verischer Zeit gebauten Mausoleum, das später Kaiser Honorius als Grablege für die weströmische Dynastie eingerichtet hatte, entstanden und grenzte an das Querschiff von Sankt Peter an. Vgl. zur Diskussion um den Zyklus in dem Petronillaoratorium Ernst H. Ki rORowlcz, "Constantinus Strator. Marginalien zum Constitutum Constantin": tfulltis. Festschrift 71teodor Klauser (Jahr- buch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 1), hg. von Alfred STumFR u. Alfred HER. 1tANN, Münster 1964, S. 1881., BELTING (Anm. 3), S. 78; Arnold ANGENE. NDT. "Das geistliche Bündnis der Päpste mit den Karolingem (754-796)": Historisches Jahrbuch 100 (1980) 50; BORGOLTE (Anm. 6), S. 110 Anm. 367 (zur Bedeutung der Pctronillakapelle in den Beziehungen zwischen den Päpsten und den karolingischen Herrschern ebd., S. 52,106,108-112). Wann die Darstellun- gen zu Konstantin und damit wohl auch zu Silvester in dem Petronilaoratorium entstanden sind, die ein italienischer Chronist im Jahre 1458 gesehen hat, läßt sich demzufolge noch nicht klären. Siehe Niccola della Tuccia, Cronache di Viterbo e altre cittd, in Ignazio CtA. ttri (Hg. ), Cronache c statuti della ciliä di Viterbo, I (Documenti di storia dtaliana, 5). Firenze 1872, S. 256 (.... ncl qual luogo [nella cappella di Santa Petronilla, d. VG] e pinta anticamente la storia di Costantino impe- ratore ... »).

    Über die dargestellten Szenen in der Petronrllakapclle würden wir gerne etwas Ge- naueres wissen, auch über diejenigen im Silvesteroratorium des Iateranpalastes, das für dessen Neubau unter Si