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    subjektivität

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    Subjektivität – das therapeutisch-soteriologische Paradigma in der indischen

    und griechischen Philosophie

    19

    Foucault auf ChinesischTranskulturelle Kritik und Philosophie der Kultivie-

    rung

    37

    Das ungenannte »Subjekt«Die Ambiguität einer Konstruktion des Altchine-

    sischen: Nachdenken über Sprechen und Handeln im

    Gongsunlongzi und Yinwenzi

    61

    Moralsubjekt und ErkenntnissubjektZu einer kategorialen Unterscheidung im Denken des

    modernen Konfuzianismus

    83

    . .

     Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen,

    wie man handeln soll 

    99

    Die schwere Last der Komplementarität Antwort auf Innocent I. Asouzus Kritik an der inter-

    kulturellen Philosophie

    112

    136

    137

       a   s   i   a   t   i   s   c   h

      -   e   u   r   o   p    ä   i   s   c   h   e

       k   o   n   s   t   e   l   l   a   t   i

       o   n   e   n

        s    u    b    j    e    k    t

        i    v    i    t     ä    t

        f    o    r    u    m

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    polylog

    Richard A. H. King unterrichtet

    am Institut für Philosophie der

    Ludwig-Maximilians-Universi-

    tät, München

    Wenn wir richtig handeln, folgen wir danneiner Norm, von der gesagt werden kann,dass sie als objektive Wirklichkeit feststeht?

    Gibt es Fakten in dieser Welt, die bestimmteHandlungen gebieten und andere untersagen?Christine Korsgaard nennt dies die normative Der Übersetzer dankt Rafael Suter für hilfreicheTipps. Frühere Versionen dieser Arbeit wurden an derWuhan Universität im Rahmen der . Konferenzder International Society for Chinese Philosophy undbeim Forum für Asiatische Philosophie, Akademie

    der Wissenschaften, Wien vorgetragen. Mein Dankgilt Prof. Guo Qiyong 郭齐勇, Rolf Eberfeld undMarkus Schmücker als Organisatoren dieser Ver-anstaltungen und den Teilnehmenden für ihre hilf-reichen Diskussionsbeiträge.Eine Bemerkung zu den Texten: Für Xunzi: Xunzi,Harvard Yenching Institute Series, Supplement ,Beijing zit. als HY  pian  und Nummer der Zei-le; John K: Xunzi, A Translation and Study of

    Frage, die aufbricht, wenn wir nach der Quel-le der Normativität fragen. Ich möchte diesemProblem nachgehen, indem ich Aristotelesund Xun Kuang (荀况), »Meister Xun« (Xun

    zi), den dritten konfuzianischen Denker nachKonfuzius und Menzius, dessen Werk erhalten

    the Complete Works. III Vols. Stanford University Press:Stanford , , zit. als K; alle Überset-zungen stammen vom Autor. Für Aristotles:  Aristote-lis Ethica Nicomachea, ed. I. Bywater Oxford Univer-sity Press: Oxford . Alle Angaben zu Aristotelesbeziehen sich auf diesen Text, außer es wird ein an-deres Werk angegeben. Es wird nach der deutschen

    Übersetzung von Olof G zitiert. Christine M.K: The Sources of Normativity , CambridgeUniversity Press: Cambridge , Lecture ,:»When you want to know what a philosopher’s theo-ry of normativity is, you must place yourself in theposition of an agent on whom morality is making adifficult claim. You then ask the philosopher: must Ireally do this? Why must I do it? And his answer is hisanswer to the normative question.«

    . .

    Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll

    Übersetzung aus dem Englischen Karl Baier 

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    Nun ist für eine komparative

    Philosophie die Voraussetzung,

    dass jemand die Wahrheit von

    Normen als Gegenständen der

    Erkenntnis behaupten kann,nicht unproblematisch, denn

    die Verbindung von Wissen und

    Wahrheit ist im alten China

    überhaupt nicht fest verankert.

    blieb, miteinander vergleiche. Beide glauben,dass Normen zum »Mobiliar« unserer Weltgehören, und sind deshalb zu den Realistenzu zählen. Die vorliegende Arbeit legt beson-

    deres Gewicht auf die verschiedene Form, dieihr normativer Realismus annimmt.Es soll gezeigt werden, dass beide Denker

    ein kognitives Element beim Fällen von Ent-scheidungen annehmen. Wenn es zu einemNormen-Realisten gehört, dass für ihn dieNormen, die seine Entscheidungen leiten, ei-nen Teil der Welt bilden, dann sind sie auch

    mögliche Erkenntnisgegenstände. Nun kannfür die gr iechischen Denker, und auch für dasmoderne westliche Denken, nur eine Wahr-heit Gegenstand des Wissens sein. Zu sagen,dass Normen Gegenstände des Wissens sind,impliziert also, dass Normen wahr sein kön-nen. Deshalb gehört zum Realismus des Aris-toteles ein wenigstens minimales Verhältnis

    zur Wahrheit.³ Nun ist für eine komparativePhilosophie die Voraussetzung, dass jemanddie Wahrheit von Normen als  Gegenständender Erkenntnis behaupten kann, nicht unpro-blematisch, denn die Verbindung von Wissenund Wahrheit ist im alten China überhauptnicht fest verankert.⁴  Stattdessen haben wir

    Vgl. zur Beziehung von Realismus und Wahr-

    heit in der Ethik Sabine L: Aristotelian Ethicsand the enlargement of thought. In: Robert H(Hg.): Aristotle and moral realism. UCL Press: London , –, hier ; Anthony W. P: Aristote-lian Virtue and Practical Judgement. In: ChristopherG (Hg.): Virtue, Norms and Objectivity , Oxford Uni-versity Press: Oxford , –, hier –. Es geht hier darum, ob Xun Kuang ein Kon-zept von Wahrheit verwendet, wenn er den Weg als

    es mit dem Wissen des Weges (道 dao) zutun. Für Xun Kuang, ist der Weg »der Wegder Könige der Frühzeit» und eine Weise zuherrschen.⁵ Er besteht v. a. in Riten, welche

    die Hierarchien in der Familie und am Hoffestlegen. Der »Weg« hat für ihn autoritativeGeltung, denn er denkt, dass es nur dieseneinen Weg gibt, auf dem Menschen in Har-monie zusammenleben und ihre unausrott-baren Wünsche erfüllen können. Der Weg derKönige der Frühzeit ist jedoch nicht einfachbloß Tradition, denn Xun Kuang denkt, dass

    Norm diskutiert, nicht ob das alte Chinesisch dieMittel hatte um Wahrheits-Konzepte zu formulie-ren, denn ohne Zweifel gab es diese Mittel. Vgl. z. B.den Vergleich zwischen Xun Kuang und AristotelesMetaphysik Q in Christoph H, JosephN: Science and Civilisation in China,  VolumeVIII: Language and Logic, Cambridge UniversityPress: Cambridge , –, hier ; G.E.R.L:  Ancient Worlds, Modern reflections. Philosphi-cal Perspectives on Greek and Chinese Science and Culture.Cambridge University Press: Cambridge : Ch. Searching for Truth, hier . Während Aristoteles sichdarum bemüht, in Gestalt einer Korrespondenztheo-rie formal zu definieren, welche Aussagen wahr sind,ist Xun Kuang an der Beziehung zwischen einer Artvon Charakter und dem Sagen dessen, was der Fallist, interessiert: HY II  K .:是謂是,非謂非曰直。»Zu sagen, dass, das, was ist (oder was richtig ist),

    ist, und zu sagen, dass das, was nicht ist (oder nichtrichtig ist), nicht ist (nicht richtig ist), das nennt manAufrichtigkeit.« 是 shi und非   fei sind doppeldeutigin Bezug auf der »Fall sein/nicht der Fall sein« und»recht/unrecht« sein. Siehe dazu auch Fn. . Zum Begriff des Wegs in Xunzi vgl. Paul R. G-: Rituals of the Way. The Philosophy of Xunzi. OpenCourt Press: La Salle, IL : Ch. : Language andthe Way, bes. –.

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    Der Intellektualismus ist

    natürlich ein hervorstechender

    Charakterzug griechischer

    Ethik. Doch waren die Chinesen

    genauso, wenn auch auf andereWeise, an Erkenntnis interes-

    siert.

    es Gründe für die Gültigkeit dieser Form desZusammenlebens gibt. Er beinhaltet also einWissen, das in der Form von Riten tradiertwurde, in denen sich die Herrschaftsform

    verkörpert.Es mag erstaunen, dass hier Aristotelesund Xun Kuang als moralische Realisten mit-einander verglichen werden, wenn man be-denkt, dass der aristotelische Realismus aufder menschlichen Natur beruht, währendXun Kuang für seine Auffassung berühmt ist,dass »die menschliche Natur schlecht ist» (性

    惡).⁶ In dieser Hinsicht könnte der Gegensatzzwischen beiden Denkern kaum größer sein.Aristoteles gründet seine Ansicht darüber,was gut ist, in einem gewissen Ausmaß auf diemenschliche Natur, während gerade sie es ist,die für Yun Xi für das verantwortlich ist, wasüberwunden werden muss.

    Natürlich ist das Bild, das ich soeben prä-

    sentierte, eine Karikatur beider Denker.Bei genauerer Betrachtung ist es nicht diemenschliche Natur, ob man sie nun als gutoder schlecht ansetzt, die uns Zugang zu denQuellen der Normativität gibt. Sie erlaubt esnicht einmal, die Tugenden zu deduzieren, dieman haben sollte.⁷ Es ist das Erkennen der Si-

    Zur Interpretation seines Natur-Begriffs siehe

    Eric Hutton: Does Xunzi have a consistent theory of hu-man nature?, in: T. C. K III and Philip. J. I- (Hg.): Virtue, Nature, and Moral Agency in the Xunzi.Hackett: Indianapolis , –. Vgl. z.B. Timothy C: ‘The Good Man isthe Measure of all Things’, in: Christopher G (Hg.):Virtue, Norms and Objectivity , Oxford University Press:Oxford , –, hier –.

    tuation des Handelnden, das für Aristotelesden absolut ausschlaggebenden Zugang zurNormativität darstellt, nicht die menschlicheNatur im Allgemeinen. Es gibt keine argu-

    mentative Linie vom aristotelischen Konzeptmenschlicher Natur zu dem, was ein Akteur ineiner gegebenen Situation tun sollte. Deshalbist ein Vergleich mit Xun Kuang in Bezug aufden kognitiven Aspekt der Handlung möglich,auch wenn der eine die menschliche Natur fürgut und der andere für schlecht erachtet.

    Der Intellektualismus ist natürlich ein

    hervorstechender Charakterzug griechischerEthik. Doch waren die Chinesen genauso,wenn auch auf andere Weise, an Erkenntnisinteressiert.⁸ Deshalb entsteht die Frage, wieihre Zugangsweisen sich in dieser Hinsicht zu-

    Christoph H: Concepts of knowledge inancient Chinese thought, in: Hans L, Gregor P(Hg.): Epistemological Issues in Classical Chinese Philosophy,SUNY Press: Albany , –, hier S. : »TheChinese might never entertain any belief concerninga statement. He might never claim to know anythingregarding a statement. He might only know aboutthings. The only thing he might do is learn to treatX as Y, and if he does so successfully, he will use theword zhi, know   to indicate this success.« Xun Kuangmacht eine sehr interessante Unterscheidung zwi-schen Erkenntnisvermögen und aktuellem Wissen in

    Chapter XXII Berichtigung der Namen:所以知之在人者謂之知;知有所合謂之智。»Das in Menschen,durch das man weiß, wird Erkennen genannt; unddas am Erkennen, das korrespondiert, nenne Wis-sen.» (HY XXII , K. .b). Ein weiterer Text überdas Erkennen ist HY II , K .:是是非非謂之知,非是是非謂之愚。»Zu denken, dass das, was (recht)ist, nicht (recht) ist, oder dass, das was nicht (recht)ist, (recht) ist, ist Dummheit«.

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    »Das Unglück aller Menschen

    liegt darin, dass sie in einem

    Punkt verblendet und im Dunkel

    über die große Ordnung sind.

    Wenn das berichtigt wird,kehren sie zum Zusammenhang

    zurück.«

    Xun Kuang

    einander verhalten. Der vorliegende Aufsatzist ein kleiner Beitrag zu diesem großen The-ma. Unsere beiden Philosophen wurden aufvielfache Weise und von vielen Interpreten

    miteinander verglichen.⁹ Ich beschränke michauf den angegebenen Aspekt und eine kleineZahl von Texten. Außerdem setze ich, ohnees zu beweisen, voraus, dass die Frage nachden Quellen der Normativität etwas ist, dassowohl Aristoteles wie auch Xun Yang inte-ressiert. Doch nun zu einigen Texten.

    . Ich möchte mit Xun Kuang beginnen und michauf das Kapitel XXI解蔽  Jiebi »Auflösung vonVerblendungen« beschränken. Dieser Textstellt verschiedene Faktoren dar, die das Fällenvon Entscheidungen verdunkeln oder behin-dern und gibt Xun Kuang Gelegenheit, seinen

    eigenen Standpunkt zu präsentieren, indem erden »Weg der Könige der Frühzeit« anwen-det.⁰ Ein großer Teil des Kapitels beschäftigt

    Vgl. dazu die Hinweise in Eric L. H: MoralReasoning in Aristotle and Xunzi, in: Journal of ChinesePhilosophy / () –, hier: . . SowieAntonio S. C: The ethical significance of shame: in-sights of Aristotle and Xunzi,  in: Philosophy East and

    West / () – und A. C: Human Na-ture, Ritual, And History: Studies In Xunzi And ChinesePhilosophy (Studies in Philosophy and the History ofPhilosophy). Catholic University of America Press:Washington . Vgl. HY XVII –, K .. Wir werden se-hen, dass die Entscheidungen, um die es hier geht,hauptsächlich politische sind, und dass Ethik und Po-litik ein Kontinuum bilden.

    sich mit den Verblendungen, mit denen ver-schiedene Arten von Menschen behaftet sind.Zwei Gruppen ragen heraus: die herrschendenPrinzen und Xun Kuangs Rivalen als Ratgeber

    am Hof (HY XXI –, K .), z. B. dieMohisten mit ihrer Konzentration auf denNutzen (hier 用  yong, »Gebrauch« genannt).Xun Kuangs Konkurrenten als Ratgeber amHof werden als verblendet hingestellt, weil siebruchstückhafte Lehren verkünden und nichtden ganzen Weg der Könige der Frühzeit. Esgibt verschiedene Aspekte dieses Weges: z. B.

    Macht, Nutzen, Wünsche. Beachtet man nureinen von ihnen, so blockiert man den Zugangzum Weg als Ganzem. Der Text beginnt:凡人之患,蔽於一曲,而闇於大理。治則復經,

    兩疑則惑矣。天下無二道,聖人無兩心。 Ich übersetze: »Das Unglück aller Menschenliegt darin, dass sie in einem Punkt verblen-det und im Dunkel über die große Ordnung

    sind. Wenn das berichtigt wird, kehren siezum Zusammenhang zurück. Doch wenn siedurch Zweifel mit sich uneins sind, werden siein die Irre geführt. Das Reich hat nicht zweiWege und der Weise hat nicht zwei Herzen.«(HY XXI , K .) Jeder der Aspekte, aufden sich die verschiedenen Ratgeber konzen-trieren, wird von Xunzi ein Weg genannt, der

    aber schlecht ist, weil er nur einen Aspekt der»Großen Ordnung« darstellt und blind machtfür das Ganze. Diese »Große Ordnung« ist dieOrdnung der Dinge, die als Norm der Herr-

    Wie bei vielen Diskussionen im Yunzi handelt essich um die Entwicklung eines traditionellen konfu-zianischen Themas. Vgl. Lunyu XVI I .

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    »Wenn das Herz nicht gebraucht

    wird, dann sieht das Auge nicht

    das Schwarz und Weiß, das es

    vor sich hat, das Ohr hör t nicht

    Donner und Trommelschlag

    neben ihm: Wieviel mehr mit

     jemand, d er verble ndet is t?«

    Xun Kuang

    schaft fungiert. Man kann sie de facto mit dem»Weg der Könige der Frühzeit« identifizieren.

    Durch die Erwähnung des Reiches (天下tianxia) und des Weisen ist klar, dass wir es

    mit dem Kontext des Herrschens zu tun ha-ben. Es geht also darum, zu handeln. Natür-lich gibt es Konzepte des Herrschens im altenChina, die es in gewissem Sinn vorwiegend alsNicht-Tun betrachten. Aber das ist hier nichtder Fall. Eines von den Beispielen die XunKuang gibt, ist Jie aus der Xia Dynastie. SeinUrteilsvermögen wurde durch seine Geliebte

    Mo Xi (末喜

    ) und einen Ratgeber Si Guan (斯

    觀) getrübt (HY XXI –, K .), so dass erden Ratgeber Guan Longfeng »nicht erkann-te» (關龍逢), d. h. die seine Verdienste nichtwürdigte. Deshalb war sein Geist irregeführtund sein Verhalten chaotisch (亂其行 luan qixing). Wir haben hier die explizite Erwähnungvon Verhalten.

    Zu Beginn des Textes wird noch ein an-deres Beispiel dafür gegeben, wie man da-rin versagen kann, offensichtliche Dinge zuregistrieren, wenn das »Herz« (心 xin) ausdem Spiel bleibt: 心不使焉,則白黑在前而目不見,雷鼓在側而耳不聞,況於蔽者乎?(HY XXI –, K .). »Wenn das Herznicht gebraucht wird, dann sieht das Auge

    nicht das Schwarz und Weiß, das es vor sichhat, das Ohr hört nicht Donner und Trommel-schlag neben ihm: Wieviel mehr mit jemand,der verblendet ist?« Wie aus diesem Text undvielen anderen klar hervorgeht, ist das Herz

    Yu Yue folgend in Bezug auf das使 des Texts mitKnoblock und Burton Watson: The Basic Writings ofHsün Tzu, Columbia University: New York .

    verantwortlich für die Erkenntnis. In gleicherWeise verhindert die Verblendung das Wahr-nehmen von Dingen in unmittelbarer Nähe,die man normalerweise registrieren würde.

    Deshalb ist es offensichtlich, dass eine Formvon Erkenntnis nötig ist, um die Verblendungzu überwinden oder »aufzulösen«.

    In den ersten Zeilen dieses Kapitels habenwir, wie gezeigt, zwei zentrale Konzepte, na-mentlich die Große Ordnung (大理 dali) undWeg (道 dao). Der verblendete Zustand allerMenschen resultiert aus der Blindheit gegenü-

    ber der Großen Ordnung. Nun haben offenbardie Große Ordnung und der Weg eine ver-gleichbare Stellung in Xun Kuangs Auffassungdavon, was man erkennt, wenn man nichtverblendet ist. In diesem Sinn ist der Weg dieGroße Ordnung.³  Doch sagt uns das nochnicht viel darüber, was der Weg selbst ist.Leser des Xun Kuang erwarten von ihm als

    Konfuzianer natürlich, dass der Weg in die-sem Fall den Weg der Früheren Könige meint,der Riten vorschreibt. Xun Kuang denkt nicht,dass alle Dinge eine einzige Norm haben, unddass alles, was wir zu tun haben, sich darinerschöpft, dieser Norm zu folgen. Eher hat

     jede und jeder von uns eine eigene, spezielleNorm, bedingt durch den Umstand, dass wir

    Wünsche haben, die nur in einer hierarchischorganisierten Gesellschaft befriedigt werdenkönnen. Man beachte den Abschnitt von Ka-pitel XXI, in dem Xun Kuang Konfuzius alsden einzigen Denker einführt, der nicht unter

    Vgl. Eric L. H: Moral Reasoning in Aristotleand Xunzi (Fn.) und Paul R. Goldin: Rituals of the Way,(Fn. ), .

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    Xun Kuang

    Verblendungen litt, im Gegensatz zu den ande-ren Ratgebern:孔子仁知且不蔽,故學亂術足以為先王者也。一家得周道,舉而用之,

    不蔽於成積也。»Kongzi war wohlmeinend,

    weise und unbefangen; deshalb ist die Metho-de gegen das Chaos (luanshu), die er lernte, ge-nug, um [ihn wie] die Könige der Frühzeit zumachen. Eine [einzige] Familie ( jia) erkannteden Weg von Zhou (zhuodao), führte ihn einund gebrauchte ihn; und sie wurde nicht ver-blendet durch ihre eigene Perfektion und Lei-stung (chengji).« (HY XXI , K III .).

    Dieser Text erlaubt uns, den Weg zu iden-tifizieren, den Xun Kuang übernimmt, undvon dem er glaubt, er müsse bekannt gemachtwerden, so dass er in Entscheidungsfällen alsNorm fungieren kann. Konfuzius und seine»Familie«, d. h. eine Abstammungslinie vonSchülern, die möglicherweise auch biologischvoneinander abstammen, anerkennen den

    »Zhoudao». Dieser Ausdruck ist mehrdeu-tig. Er kann, so wie ich übersetzte, »Weg desZhou» bedeuten, das meint den Weg desjeni-gen Staates, der, bis zur Vereinigung des Rei-ches unter dem ersten Herrscher Qin, nomi-nelles Oberhaupt der verschiedenen Staatenwar. Ich glaube, das ist die richtige Art, dasWort in diesem Kontext zu verstehen. Aber

    es ist genauso möglich, 周道 Zhou dao mit»universellem Weg» zu übersetzen. Derspringende Punkt dieser Übersetzung würdesein, dass dieser Weg, anders als der seinerRivalen Mo Di, Song Xing, Shen Dao, ShenBuhai, Hu Shi und Zhuang Zu, universal ist,d. h. nicht eingeschränkt auf einen Aspekt derSituation und deshalb auch das Handeln nicht

    behindernd. Der Weg des Zhou ist, dadurchausgezeichnet, dass er, und zwar aufgrund derRiten, alle Gesichtspunkte der anderen Wegeumfasst.⁴

     Jiebi beinhaltet eine faszinierende undschwierige Darstellung des Herzens, und da-mit von Xun Kuangs Psychologie. Aber meinThema ist die Natur und der Status des Er-kenntnisobjekts, nicht der Erkenntnisappa-rat. Ich möchte deshalb kurz darauf eingehen,wie nach Xun Kuang Verblendung verhindertwerden kann. Dazu ist eine Interpretation der

    berühmten Stelle nötig, in der er sagt, dassder Weg eine Waage (衡 heng) ist. Bevor wiruns der Stelle selbst zuwenden, sind einigeWorte zum Kontext hilfreich. Die Waage zubenutzen ist das Vorrecht des Weisen (聖人 sheng ren). Von ihm wird gesagt, dass er kei-ne Vielzahl von Eigenschaften hat (Zu- undAbneigungen z. B.), wobei vermutlich solche

    gemeint sind, die seine Entscheidung durch-einander bringen könnten. Es wird haupt-sächlich das Auswählen von Menschen (取人qu ren) thematisiert. Die Frage ist, wie manals Herrscher, vielleicht auch als Minister, dierichtigen Leute für eine bestimmte Aufgabeaussucht (wie aus HY XXI –, K .b, cersichtlich). Es handelt sich um eine politische

    Handlung, bei der Verblendung vermiedenwird, indem man die richtigen Normen oderMaße verwendet. Das Maß, schlage ich vor, istder Weg.⁵ Anders gesagt, die Herrscher be-

    HY XVII –, K .. Nicht das Ziel oder telos: der Weg wird nicht alsErgebnis des Handeln angestrebt, sondern schreibtvor, wie vorzugehen ist. Vgl. 知道察,知道行,體

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    »Deshalb ist es für das Herz

    nicht erlaubt den Weg nicht zu

    kennen«

    Xun Kuang

    nutzen den Weg, um die Entscheidung zu fäl-len, wer auszuwählen ist. Die Menschen, dieausgewählt werden, entsprechen der Normund eignen sich deshalb dafür, am Herrschen

    teilzunehmen. Nun der Text:兼陳萬物而中

    縣衡焉。是故眾異不得相蔽以亂其倫也。

    何謂衡?曰:道。故心不可以不知道;心不

    知道,則不可道,而可非道。Ich übersetze:»Er ordnet die zehntausend Dinge und err ich-tet die Waage in ihrer Mitte. Deshalb vermages die Vielzahl von Differenzen nicht, die Be-ziehungen (lun) (von einem Ding zum anderen)

    zu behindern und durcheinander zu bringen(luan). Was ist die Waage? Ich sage: Der Weg.Deshalb ist es für das Herz nicht erlaubt (buke) den Weg nicht zu kennen (zhi dao): Wenndas Herz den Weg nicht kennt, dann denkt es,dass er unerlaubt ist, und dass, was nicht derWeg, erlaubt ist.« (HY XXI , K .a, b).

    Der gesamte Entscheidungsprozess kann in

    zwei Stufen unterteilt werden. Die erste wirdin der zitierten Passage beschrieben und diezweite in der folgenden. Beginnen wir mitStufe eins: Die zehntausend Dinge werdenin Ordnung gebracht und die Waage in ihrerMitte errichtet.⁶  Vermutlich heißt das, dass

    道者也。虛壹而靜,謂之大清明。»Den Weg ken-nen und Einblick nehmen, den Weg kennen und han-

    deln: das ist das Verkörpern des Weges.« (HY .,K..d) Knoblock (K.a) gibt 中縣衡焉 sehr kompli-ziert wieder mit: »causes himself to exactly matchhow each settles on the suspended balance.« W:The Basic Writings of Hsün Tzu  (siehe Fn. ), isteher eine Interpretation der Stelle, als eine Überset-zung: »searches and examines all things and weighsthem impartially in a balance« ().

    die relevanten Faktoren (vor allem die Men-schen) so angeordnet werden, dass die Waagebenutzt werden kann, um zwischen ihnen ab-zuwägen. Xun Kuang will zeigen, dass beim

    wechselseitigen Abwägen der Dinge ihre vie-len Verschiedenheiten nicht Verblendung her-vorrufen und damit die Dinge untereinanderin Unordnung bringen. Wesentlich ist, dasswir hier einen Prozess des Unterscheidens derDinge auf der Basis ihrer Verschiedenheitenhaben. Ich möchte die Unterschiede zwischenden Dingen betonen, die wahrgenommen

    werden müssen, und zweitens, dass es eineOrdnung (倫 lun) unter ihnen gibt. Wichtig inunserem Kontext ist bloß, dass das Erkennendie Verschiedenheiten bewahrt.

    Wie die Waage benutzt wird, um die Din-ge abzuwägen, ist unklar. Aber es ist ziemlichdeutlich, dass der Herrscher keine Gesetzehat, wie sie Xun Kuangs Rivalen aus dem ei-

    nen Faktor, der für sie jeweils relevant ist, seies Nutzen, Verlangen, Gesetz, Kunst, Sprich-wörter oder der Himmel, ableiten. Stattdes-sen müssen all diese Aspekte, und vielleichtnoch mehr, vom Herrscher berücksichtigtwerden, der dem Weg folgt. Bringt man siealle zur Geltung und benutzt die Waage, dannbedeutet das, dass es kein einzelnes Kriteri-

    um für die Entscheidung gibt. Es ist also eineEntscheidung, aber ohne Regeln⁷, die eserlauben würden, die verschiedenen (unver-einbaren) Werte gegeneinander abzuwägen.Wie wir sehen werden, hat diese Zurückwei-

    Hutton hat dies in seinem Vergleich von Aristo-teles und Xunzi (siehe Fn. ) überzeugend herausge-arbeitet. S iehe v. a. Hutton a. a. O., , .

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    In unserem Text wird gesagt,

    dass wir unter der Verpflichtung

    stehen den Weg zu kennen. Was

    für eine Verpflichtung ist das?

    Wenn der Weg mit Ethik zu tun

    hat, dann kann dieses Sollen

    kein ethisches sein.

    sung von Regeln zu Gunsten der vom Weisendurchgeführten Abwägung aller Faktoren derSituation Ähnlichkeiten mit der Auffassungdes Aristoteles von einer rationalen Vorschr ift,deren Anwendung eine in praktischen Belan-gen weise Person verlangt.

    Es ist auch nicht die Rede davon, die An-wendung dieser Prozedur sich selbst oderanderen gegenüber zu rechtfertigen. In un-serem Text wird gesagt, dass wir unter derVerpflichtung stehen den Weg zu kennen.Was für eine Verpflichtung ist das? Wenn der

    Weg mit Ethik zu tun hat, dann kann diesesSollen kein ethisches sein, will man Zirkula-rität vermeiden. Das Argument, dass der Weghier ethisch ist, kann folgendermaßen erläu-tert werden. Die Entscheidung über Ratgeberoder Lehrer am Hof ist eine in einem weitenSinn politische und spielt eine Schlüsselrollefür das künftige Wohlergehen des Staates oder

    der belehrten Menschen. Dieses Wohlergehenkann ethisch genannt werden. Aber worin dieVerpflichtung besteht, den Weg zu kennen,ist unklar. Offensichtlich können wir auf derBasis dieses Wissens unterscheiden, was demWeg folgt und was nicht.

    Wie gesagt, besteht der Entscheidungs-prozess aus zwei Stufen. Wir haben die erste

    kennengelernt, die darin besteht, den Weg alsWaage zu verwenden, um die zur Wahl stehen-den Optionen abzuwägen. Nun wenden wiruns Stufe zwei in der darauffolgenden Passagedes Textes zu. Es handelt sich um die ebensoberühmte, oben schon erwähnte Stelle, diemit virtuoser Psychologie die Qualitäten desHerzens erklärt. Sie sind für das Thema rele-

    vant, denn es ist das Herz, das den Weg kennt.Um ihn zu kennen, muss es drei Qualitätenhaben: Leere (虚 xu), Einheit (壹  yi) und Stil-le (静 jing) (HY XXI , K .d). Wir brau-chen jetzt nicht die Theorie des Herzens zuentfalten.⁸  Worauf es mir ankommt, wurdebereits deutlich: Es gibt einen Maßstab, dender Weise oder Herrscher (聖人 sheng ren)kennt, wenn er eine Entscheidung fällt. Die-ser Maßstab ist der Weg, der eine Vielzahl vonWerten umfasst. Er ist deshalb, wie wir gese-hen haben, nicht einfach eine die Entscheidung

    bestimmende Regel. Denn jede mögliche Re-gel würde nicht alle möglichen Perspektivenumfassen, die der Weg enthält. Eine spätereStelle im Buch Jiebi (HY XXI , K ,b) im-pliziert, dass nur einige Arten von Menschenund darunter v. a.君子  junzi, die Edlen, sichauf den Weg konzentrieren und nicht auf par-tikuläre Angelegenheiten. Es geht dabei offen-

    sichtlich mehr darum, den Kontext, in demdie Dinge situiert sind, zu erfassen, als dieseselbst. Dort wird gesagt, dass es dem Edlenzukommt, eins mit dem Weg werden zu kön-nen, nicht bloß dem Weisen wie in unsererPassage über die Eigenschaften des Herzens(HY XXI , K. .a). Immer noch hängtdie Entscheidung auch vom Herzen ab, d. h.

    vom Wissen des Handelnden. Das zeigt, dasswir mit Handlung in einem ziemlich weiten

    Siehe Eric L. H: Virtue and Reason in Xunzi.PhD Dissertation, Stanford . Ch. III. Piecing To-

     gether the Dao: Moral Epistemology in Xunzi A: Ich pflich-te Hutton darin bei, dass Leere, Einheit und Stille»kinds of perfection arising out of ritual cultivation«() darstellen.

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    Aber mit Sicherheit gilt, dass

    sowohl nach Ansicht von Xun

    Kuang als auch von Aristoteles

    die Handlungen, die ein

    gutes Leben begründen oder

    entscheidend zu ihm beitragen,

    die Struktur der Wahl zwischen

    Alternativen haben.

    Sinn zu tun haben, indem eine umfassendereKategorie von Handelnden einbezogen wird,nämlich »die Edlen» und nicht bloß der Herr-scher. Obwohl Xun Kuang also über eine ganzbestimmten Fall von Handlung (Auswählenvon Untergebenen) spricht, scheint es mirmöglich, ihn zu verallgemeinern und zu sagen,dass er denkt, dass alles, was wir tun, vomHerzen abhängt.

    Ich möchte jetzt einige Schlüsse aus dieserTheorie der Handlung ziehen. Drei Punktesind wichtig und stellen Parallelen zu Aristo-

    teles dar. Erstens, was getan wird, hängt nichtausschließlich, aber, wenigstens in den zen-tralen Fällen, entscheidend vom Handelndenab. Für Aristoteles entspringt die Handlungebenfalls dem Charakter und der Erkenntnisdes Handelnden. Zweitens fungiert der Wegals Maßstab ohne doch eine restriktive, aus-formulierbare Norm zu sein. Er ist vielmehr

    flexibel und kann auf verschiedene Situationenangewandt werden. Darin ist er der aristote-lischen phronêsis vergleichbar, die nicht einfachdie kognitive Fähigkeit Regeln anzuwendenist, sondern ebenfalls die Erfahrung impli-ziert, die nötig ist, um die individuelle Situa-tion einzuschätzen. Und schließlich gibt esAlternativen, die zur Wahl stehen. Das Herz

    wägt sie ab, wobei der Weg als Waage benutztwird. Für Aristoteles stehen dem Handelndenebenfalls genuine Alternativen offen. Es magzu weit gehen zu sagen, dass damit alle For-men von Handlung in unserem Sinn, nämlichgrob gesprochen, alles, was Personen tun, er-fasst wird. Aber mit Sicherheit gilt, dass so-wohl nach Ansicht von Xun Kuang als auch

    von Aristoteles die Handlungen, die ein gutesLeben begründen oder entscheidend zu ihmbeitragen, die Struktur der Wahl zwischenAlternativen haben.

    Wir sind von einer Diskussion der Bezie-hung zwischen Erkenntnis und Wirklichkeitausgegangen und haben jetzt gesehen, dassXun Kuang denkt, wir sollten den Weg wis-sen. Was für Konsequenzen kann man darausfür den Status des Weges ziehen? Xun Kuangspricht nicht von Wahrheit⁹, noch beziehtsich die interessante Psychologie, die  Jiebi be-

    schreibt, auf die Wahrheit. Aber möglicher-weise stellt das kein Hindernis für eine rea-listische Lesart von Xunzi dar. Es gibt alles inallem keinen Grund zu denken, dass der Wegeine reine Erfindung ist, schon gar nicht eineder gerade eben vor die Wahl gestellten Per-son. Natürlich geht aus Kapitel XXII, 性恶 Xing’ e, hervor, dass die Riten und darum auch

    der Weg in gewissem Sinn das Produkt einerAktivität 偽  wèi, und, so gesehen, erfundensind. Aber das Wesentliche an diesen Erfin-dungen ist, dass sie eine menschliche Lebens-weise zur Darstellung bringen, die, während

    Im Gegensatz zu Knoblocks Übersetzung desersten Satzes des Kapitels, der oben zitiert und über-setzt wurde: »It is the common flaw of men to be

    blinded by some small point of the truth« sowie vonHY XX I :此蔽塞之禍也。 »Such are the misfor-tunes of blindness and being closed to the truth« in K.. und zu Watsons Übersetzung von HYXXI 豈不蔽於一曲,而失正求也哉!  in Basic Writings(Fn. ), : »Is this not what it means to be obsessedby a small corner of truth and fail in the search forproper ways?« sowie in ähnlicher Weise gegen seineÜbersetzung der das Kapitel eröffnenden Worte.

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    sie weder vom Himmel noch von der Naturvorgeschrieben ist, doch die einzige Weisedarstellt, in der Menschen miteinander lebenkönnen. Nur durch sie können Menschen daserlangen, was Xun Kuang das nennt, »dem

     jeder immer als gut zustimmte: eine intakteOrdnung und eine friedliche Regierung.» (凡古今天下之所謂善者,正理平治也。HYXXIII , K . a). Nun ist die Regierungs-form, die ihm dabei vorschwebt, nach unserenBegriffen ein extrem autoritärer Staat und eserheben sich eine Reihe von Fragen, die bei

    anderer Gelegenheit diskutiert werden müs-sen; so z. B. warum Xun Kuang denkt, dasssie die einzige Weise ist, in der Menschenfriedlich koexistieren können.

    Xun Kuangs Ansicht vom menschlichen Han-

    deln wurde in aller Kürze sk izziert. Wenn wiruns nun Aristoteles und zwar ausschließlichseiner Nikomachischen Ethik zuwenden, dannmüssen wir zu Beginn festhalten, dass es wiebei Xun Kuang keinen einzelnen Begriff gibt,der die Bandbreite der Bedeutung des Begriffs»Handlung» deckt. Wir würden sagen, dasssowohl das Hervorbringen (   poiêsis)

    wie auch praxis   Handlungen sind, ebensolche, die ein Ergebnis jenseits ihrer selbsthervorbringen, und solche, die dies nicht tun.Aristoteles hat keinen Ausdruck für die Gat-tung, von der diese beiden HandlungsformenArten sind.⁰ Aber beide sind bei ihm für ein

    Vgl. VI , b–; zum aristotelischenBegriff der Handlung siehe John A:  Aristotle

    gutes menschliches Leben notwendig: DieHervorbringungen der Künste, poiêsis, tragenzu ihm bei, während     »gutes Han-deln», dafür konstitutiv ist.

    Nach Aristoteles gibt es drei Bedingungen,die vom Handelnden erfüllt sein müssen,damit eine Handlung als tugendhaft geltenkann:

         

     

           

       

             

          

    »Im Bereich der Tugenden geschieht etwasnicht schon dann auf gerechte oder beson-nene Weise, wenn die Tat sich irgendwie ver-hält, sondern erst wenn auch der Handelndein einer entsprechenden Verfassung handelt:

    erstens wissentlich, dann auf Grund einerEntscheidung, und zwar einer solchen um derSache selbst willen, und drittens wenn er imHandeln sicher und ohne Wanken ist.« (II a–)

    Um ethisch relevant zu sein, müssen Hand-lungen Gegenstand von Lob oder Tadel, d. h.

    on Action, in: A. O. R (Hg.): Essays on Aristotle’s

    Ethics, University of California Press: Berkeley ;und (auch für weiterführende Literatur) R. A. H.K: Changing things. Aristotle on action and the capaci-ty for action in Metaphysics Q . In: Dynamis. Autour dela Puissance chez Aristote. Ed. M. C, A.

     J, D. L, P-M. M; éditions Peeters,collection »Aristote. Traductions et Etudes«, Paris.. VI a, b, b.

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    »Im Bereich der Tugenden

    geschieht etwas nicht schon

    dann auf gerechte oder

    besonnene Weise, wenn die Tat

    sich irgendwie verhält, sondern

    erst wenn auch der Handelnde

    in einer entsprechenden

    Verfassung handelt: erstens

    wissentlich, dann auf Grund

    einer Entscheidung, und zwar

    einer solchen um der Sache

    selbst willen, und drittens wenn

    er im Handeln sicher und ohne

    Wanken ist.«

    Aristoteles

    dem Handelnden zurechenbar sein. Das be-deutet, so Aristoteles, dass der Ursprung derHandlung in den Personen selbst liegt. Nachder berühmten aristotelischen Formulierungist das die Art von Ursprung, die ein Menschist.  Hierin liegt die erste Parallele, die ichzu Xunzi ziehen möchte: Wir haben gesehen,dass für ihn ebenfalls die Handlung vom Han-delnden abhängt.

    Was wir nach Aristoteles wissen, wenn wirhandeln, wird klarer, wenn wir Handlungenbetrachten, die wir vollziehen, ohne es wirk-lich zu wollen. Handlungen, die der Handeln-de nicht als solche wählen würde, nennt Ari-stoteles gemischt (III –). Die Situation, oderunvollständiges Wissen von ihr, lässt uns et-was Unakzeptables tun: Beispielsweise wennetwas, das wir sagten, ein Geheimnis war,oder jemand verletzte und dieser jemand meinVater war (NE a, a), oder wenn

    ein Sturm uns zwingt, die Ladung über Bordzu werfen. In diesen Fällen ist immer noch derHandelnde die Ursache der Handlung, dennsie geht auf eine Wahl zurück, die wir getrof-fen haben (NE a). Zwei Gründe könnendazu beitragen, dass eine solche Handlungunfreiwillig ist: Unwissenheit oder Gewalt.Sie kann unfreiwillig sein, wenn wir nicht ihr

    Grund sind, das heißt, wenn wir gezwungenwerden, sie zu tun. Oder sie ist unfreiwillig,weil wir nicht wissen, was wir tun. Aristo-teles gibt eine Liste von Faktoren an, die manwissen sollte: Was sie ist, in welcher Bezie-hung sie erfolgt, in was, mit was, aus welchemGrund und nach welcher Art.

    II I , a, , b, VI b–.

    Klarerweise haben wir es hier mit einemzentralen Konzept in Bezug auf unser Themazu tun. Aristoteles sagt, dass wir uns irrenkönnen, wenn wir eine Entscheidung treffen.Bis jetzt haben wir es anscheinend eher mitTatsachen zu tun gehabt, als mit handlungslei-tenden Normen. Aber für Aristoteles enthältsowohl das Wissen um die Situation wie auchdas Normenwissen einen Wahrheitsanspruch.Für unser gegenwärtiges Thema ist das nor-mative Wissen ausschlaggebender als das Situ-ations-Wissen. Wir können uns der Normen-frage nähern, indem wir eine andere wichtigeUnterscheidung, die Aristoteles diesbezüglichmacht, in Betracht ziehen: die zwischen einerUnwissenheit, die unser Fehler ist, namentlichwenn sie sich auf Normen bezieht, und einerUnwissenheit, die keine Verfehlung darstellt,besonders wenn sie sich auf Fakten bezieht (II I b). So mag es nicht unser Fehler sein,

    dass wir nicht wussten, dass es ein Geheimniswar, das wir allen erzählt haben; aber es wäreunser Fehler, würden wir denken, dass es inOrdnung war, das Geheimnis herum zu er-zählen. Das heißt: Jeder sollte wissen, was dietugendhafte Personde facto weiß. Es gibt keineEntschuldigung dafür, dieses Wissen nicht zubesitzen. Es gibt keine Entschuldigung: Weißt

    Du es nicht, so bist Du böse. Dieses Wissenwird uns in unbedingter Weise abverlangt.Die Unterscheidung zwischen einem allge-

    meinen Wissen von Normen und einzelnenFakten ist auch für den sog. praktischen Syl-logismus von Bedeutung, den Aristoteles inBuch VII ( a) entwickelt, um die Fra-ge der unkontrollierten Handlung   ,

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    »Wir entscheiden uns für das,

    von dem wir am sichersten

    wissen, dass es gut ist«

    Aristoteles

    akrasia zu diskutieren.³ Wir haben in diesemSchluss ein generelles normatives Urteil, demein partikuläres Urteil über die Situationfolgt:

    P: Alles Süße soll gekostet werden.P: a ist süß.P: a sollte gekostet werden.

    Als Handelnde kennen wir eine universalePrämisse (P) und eine partikuläre (P). Un-wissenheit ist nur bezüglich der partikulärenPrämisse (P) entschuldbar. Für unserenZweck ist es wichtig, dass wir es mit einerForm des Argumentierens zu tun haben. Da-mit das Argument gültig ist, müssen beidePrämissen wahr sein. In anderen Worten, wirmüssen sagen können, dass wir den allgemei-nen normativen Satz kennen, wenn wir kor-rekt handeln wollen.

    Diese Auffassung wird bestätigt, wenn

    man sich dem Konzept der Vorzugswahl( ,  prohairesis) zuwendet. Man ver-steht sie am besten als ein Ereignis, in dem einHandlungsablauf einem anderen vorgezogenwird. Der Handelnde ist also mit Alternativenkonfrontiert. Wie bei Xun Kuang der Weise,der die Alternativen mit dem Weg abwägt,ist auch der aristotelische Mensch der prak-

    tischen Intelligenz, der   

     phronimos,mit Alternativen befasst.Was hat nun die Wahl zwischen Alterna-

    tiven mit der Wahrheit von Normen zu tun?Aristoteles sagt: »Wir entscheiden uns fürdas, von dem wir am sichersten wissen, dass

    Vgl. auch Über die Bewegung der Tiere a–.

    es gut ist« (III a–). Anders gesagt: Esgibt eine Norm (das, »was gut ist«), die wirkennen und die konsequenter Weise wahr ist.Eine Wahl, die auf einer solchen Norm be-ruht, kann richtig sein. Anders als Wünsche,betreffen Wahlakte Dinge, die in unsererMacht stehen (III b) und ausführbarsind (III a, ). Es handelt sich umeinen Prozess des Überlegens, welche Mittelbenutzt werden können, um das Ziel zu er-zielen, ausgehend von einem gegenwärtigenStand der Dinge, über den man verfügen kann(b–, Metaphysik VI I b–).

    Aristoteles definiert  prohairesis  als Überle-gung, die zu einer Entscheidung oder einemUrteil führt (III a–): Wir wäh-len den Weg, der am sichersten gut ist. DieEntscheidung ist ein Streben (  orexis)nach dem Ergebnis, das der Überlegung ent-spricht, und betrifft die Mittel, durch die ein

    bestimmtes Ergebnis erreicht werden kann.Er verbindet diese Elemente seines Konzeptsin der Formel »das überlegende Streben nachden Dingen, die in unserer Macht stehen» (II I a). In etwas anderen Begriffen könnteman sagen, dass der Handelnde in der erstenPerson agiert, indem er die Optionen, die sie/er hat, abwägt. In gewisser Weise werden nur

    Dinge, die das Ergebnis betreffen, bedacht,aber sie kommen im Verein mit den Zielen inBetracht, die aus einer gegebenen Situationerreichbar sind.

    Bevor daraus einige Schlüsse für die Fra-ge nach dem Status der Entscheidung gezo-gen werden, noch eine kurze Anmerkung zueinem anderen oft diskutierten Punkt: Kann

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    Nichtsdestoweniger ist Xun

    Kuangs Weg kein bloßes Ideal. Es

    handelt sich um eine wirkliche

    geschichtliche Leistung, der man

    anhängen oder die man verlieren

    kann, und die deshalb einen

    Anspruch auf Wirklichkeit hat.

    man auch die Zwecke überlegen? Ich glaube,dass es unmöglich ist, Mittel ohne Zweckeabzuwägen. Die verfügbaren Mittel sugge-rieren, diktieren, empfehlen oder verbietenbestimmte Zwecke. Die Mittelabschätzungselektiert mehr oder weniger streng die Zwe-cke. Man hat von einem bestimmten Stand derDinge, der in der eigenen Macht steht, auszu-gehen und deshalb müssen Mittel und Zwecke,oder besser: was sich auf die Zwecke bezieht(  , ta pros ta telê   ) und Zwe-cke (, telê, III b–) miteinanderüberlegt werden. Zwecke können nicht un-abhängig von den gegebenen Wegen, sie zuerreichen, reflektiert werden.⁴  Die Auffas-sungsgabe in Bezug auf sie ist eine Frage desCharakters (VI a).

    Wie steht es hier mit dem Normen-Realis-mus? Wie bekannt, ist das Wissen der prak-tischen Klugheit ( , phrônesis) keine sy-

    stematische Wissenschaft, die mit Dingen zutun hat, die unveränderlich sind. Aristotelesdenkt, dass man im Abwägen gut sein kann,wenn man es richtig macht, d. h. wenn dieZiele, die man ins Auge fasst, solche sind, dieein tugendhafter Charakter verfolgt. Währender bekanntlich nicht der Auffassung ist, dassTugenden Erkenntnis sind, müssen sie doch

    von Wissen begleitet sein (VI b–). Aus diesem Grund bin ich nicht der Auffassung,dass die Reflexion sich in der Ethik primär um dieKonstitution der eudaimonia, d. h. des guten Lebensdreht, für die David Wiggins eintritt und die EricHutton in seinem Vergleich von Xun Kuang und Ari-stoteles (siehe Fn. ) heranzieht. Vgl. David W:Deliberation and Practical Reason, in: A. O. R(Hg.): Essays on Aristotle’s Ethics (Fn.), -.

    Sie müssen nicht bloß tun, was die Erkenntnisanzeigt, sondern sie müssen dem Diktat dernormativen Erkenntnis gegenüber empfäng-lich oder fügsam sein. Er definiert praktischeKlugheit als wahre Disposition in Bezug aufmenschliche Güter, begleitet von einer ratio-nalen Vorschrift und verbunden mit Handeln(VI b–):        

     .Es gäbe viel zu dieser intellektuellen Tugend

    zu sagen. Der Umstand, dass sie wahr ist, weist jedenfalls darauf hin, dass Aristoteles denkt,dass sie auf die Wirklichkeit hingeordnet ist.Das ist der Kern seines Realismus hinsichtlichder Normen. Denken im Allgemeinen hat dieFunktion wahr zu sein. Theoretisches Denkenerfüllt seine Funktion, wenn es wahr ist. Prak-tisches Denken muss wahr sein und darüber hi-naus mit dem rechten Verlangen übereinstim-

    men (VI a–).⁵  Im Gegensatz dazudenkt Xun Kuang nicht, dass der Weg wahr ist,selbst wenn man ihn wissen kann. Wie zu Be-ginn unserer Untersuchung angedeutet, ist dieVerbindung von Wahrheit und Erkenntnis imchinesischen Denken nicht so gut verwurzeltwie bei den Griechen. Nichtsdestoweniger istXun Kuangs Weg kein bloßes Ideal. Es handelt

    sich um eine wirkliche geschichtliche Leistung,der man anhängen oder die man verlieren kann,und die deshalb einen Anspruch auf Wirklich-keit hat.

    Ein Thema, das ebenfal ls behandelt gehörte, istdie Beziehung zwischen Denken und Wahrnehmenin der aristotelischen Ethik. Vgl. VI , b undAnthony Price: Aristotelian Virtue (Fn. ), –.

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    Hat es etwas von einem

    unakzeptablen Paradox zu

    behaupten, dass Aristoteles und

    Xun Kuang moralische

    Realisten sind?

    Außerdem sahen wir, dass bei Xun Kuangdie Entscheidungen primär politische Ent-scheidungen sind. Bis jetzt begegneten wirbei Aristoteles hauptsächlich Entscheidungen,die von Individuen aufgrund ihres Charaktersgetroffen werden und den Optionen, die inihrer besonderen Situation für sie verfügbarsind. Aber es gibt einen weiteren Kontextder Aristotelischen Ethik, sowohl was auto-nome zivile Verbände (Staatsgebilde) anlangtwie auch kleinere soziale Einheiten. Hier be-steht eine weitere Parallele zu Xunzi. BeideDenker sehen das richtige Handeln in einempolitischen Kontext, wenn auch auf verschie-dene Weise. Sicher, für Aristoteles ist es dasIndividuum, das tugendhaft und als solchesOrt des guten Lebens ist. Es ist sein Charak-ter, der ihm ermöglicht, ein glückliches Lebenzu führen. Aber wenigstens drei voneinanderunabhängige Überlegungen führen zu der An-

    nahme, dass das glückliche Individuum beiAristoteles als Teil einer glücklichen Gemein-schaft gedacht wird. Erstens ist seine Ethik fürgut erzogene junge Männer (sic!) geschrieben,die sehr wahrscheinlich einmal zu Politikernwerden.⁶  Der zweite Punkt hängt mit demersten eng zusammen. Die geistige Fähig-keit sein eigenes Leben auf richtige Weise zu

    führen ( phronêsis) ist identisch mit politischerKompetenz, wenn auch in der Ausübung (imSein, das heißt, meiner Meinung nach, imVollzug) von ihr unterschieden (VI b– 

    Zu den Schülern, auf die die Ethik abzielt, vgl.M. F. B:  Aristotle on learning to be good , in:A. O. R (Hg.): Essays on Aristotle’s Ethics (Fn. ),-.

    a): in praktischer Hinsicht weise ( phroni-mos) zu sein, ist jeweils dasselbe, bringt aberverschiedene Wirkungen im Privatleben undin der Gemeinschaft hervor. Das deutet aufeine fundamentale Affi nität zwischen Ethikund Politik im aristotelischen Denken hin.Und schließlich diskutiert die NikomachischeEthik keine politischen Aspekte⁷, weil, wiedas letzte Kapitel (X, ) darlegt, vorgesehenist, dass der Schüler erst nach dem Studiumder Ethik zur Politik fortschreiten soll.

    :

    Hat es etwas von einem unakzeptablen Para-dox zu behaupten, dass Aristoteles und XunKuang moralische Realisten sind? Die Pro-blematik des moralischen Realismus ist beibeiden Denkern kompliziert.⁸  Aristoteles

    glaubt einerseits nicht wie Platon andas

     Gute,denkt aber andererseits ein Gutes, das vonMenschen erreicht werden kann, indem sie

    Diesen Punkt führte H:  Aristotle andXunzi  (Fn. ), als Grund dafür an, dass Aristo-teles die sozialen Aspekte des guten Lebens außerAcht läßt. Es ist beachtlich, dass selbst im Text derNikomachischen Ethik drei von zehn Büchern zwi-

    schenmenschliche Beziehungen behandeln: zwei dieFreundschaft (VIII und IX) und eines Gerechtigkeit(V). Zu Aristoteles siehe die Beiträge in Robert H- (Hg.):  Aristotle on moral realism, UCL Press:London . Zu Xun Kuangs Wahrheitsverständnisund sein Verhältnis zum Handeln vgl. L:  AncientWorlds, Modern reflections. (Fn. ), , H,N: Science and Civilisation in China (Fn. ), .

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    subjektivität Aristoteles und Xun Kuang über das Wissen, wie man handeln soll 

    polylog

    »Die Tugend ist also ein

    Verhalten der Entscheidung, be-

    gründet in der Mitte im Bezug

    auf uns, einer Mitte, die durch

    Vernunft bestimmt wird und

    danach, wie sie der Verständige

    bestimmen würde.«

    Aristoteles

    ihr ergon vollbringen, eine Aktivität der Seele,die zumindest nicht ohne Rationalität ist (I b–a). Xun Kuang argumentiertausführlich, dass die Regulierung des mensch-lichen Lebens weder von der menschlichenNatur (性  xìng) abhängt, noch vom Himmel(天 tiān), sondern eher von偽 wèi, dem Tunder weisen Könige, Riten ins Leben gerufenzu haben.⁹ Doch sind diese Riten einmal eta-bliert, so sind sie sowohl instrumentell wieauch konstitutiv für ein gutes Leben notwen-dig. Man kann sich in Bezug auf sie irren oderrichtig liegen.³⁰

    Um etwas Licht in diese schwierige Fra-ge zu bringen, möchte ich mit der aristote-lischen Definition von Tugend abschließen(II b–a): »Die Tugend ist alsoein Verhalten der Entscheidung, begründet inder Mitte im Bezug auf uns, einer Mitte, diedurch Vernunft bestimmt wird und danach,wie sie der Verständige bestimmen würde.«Ich kann nur zwei Punkte aufgreifen und mitXun Kuang vergleichen. In den letzten Jahrenwurde der Formulierung »durch Vernunftbestimmt« viel Aufmerksamkeit geschenkt,denn man nimmt, zu Recht, wie ich meine,an, dass Aristoteles Gesetzen nicht die zentra-le Rolle beimisst, die sie in kantianischen oder

    utilitaristischen Moraltheorien haben. Des- Siehe z.B. K .a, HY XVII., K .a, HYXXIII.. Antonio S. C: Ethical Argumentation. A Studyin Hsün Tzu’s Moral Epistemology . University of HawaiiPress: Honolulu, meint, dass理 li, »Ordnung«,in Xun Zi als Grundprinzip verstanden werden muss;Hutton: Virtue and Reason (Fn. ), – bringt Ge-genargumente.

    halb hat die vernünftige Bestimmung hier kei-nen Gesetzescharakter. Aber sie muss, würdeich urgieren, wahr sein. Das impliziert, dassdie Normen, die Tugenden leiten, die Nor-men, die für diese Dispositionen konstitutivsind, wirklich sind.

    In Jie bi möchte Xun Kuang zeigen, dass esmöglich ist, auf den richtigen oder falschenWeg geleitet zu werden, und zwar, wie ichbehaupten möchte, besonders durch Entschei-dungen. Es ist wichtig, dass es möglich ist,sich in solchen Prozessen zu irren. Irrtümerkönnen verhindert werden, indem man demWeg folgt. Wie immer man den Weg versteht

     – für mich scheint es sich um den Weg der Kö-nige der Vorzeit zu handeln –, er ist etwas, dasman ergreifen und dem gegenüber man nichtverblendet sein soll.³  Wie Xun Kuang sagt:心知道,然後可道;可道然後守道以禁非

    道。»Das Herz kennt den Weg. Nur wenn dasHerz den Weg kennt, heißt es den Weg gut.Nur wenn es den Weg gutheißt, kann es amWeg festhalten und verhindern, was dem Wegwiderspricht.« (HY XXI –, K .c)

    Der Weg ist also jedenfalls erkennbar.Dieses Erkennen ist eine notwendige Bedin-

    »Nor can Xunzi hold that the mind can act on

    an approval based on perception of irreducible moralproperties, because he does not think there are suchproperties.« (David B. W: Xunzi on Moral Motiva-tion, in: Chinese Language, Thought and Culture. Nivisonand His Critics. Ed. By Philip J. I, Open CourtPress, , La Salle, I l.: . p. ) Ich st imme dem zu,bin aber zugleich der Auffassung, dass moralischer In-tuitionismus nicht die einzige Art des Normen-Rea-lismus darstellt. Aristoteles ist ein Beispiel dafür.

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    subjektivität

    . . :

    polylog

    gung dafür, Normen anzuerkennen.³  (Hierstellen sich wichtige Fragen in Bezug auf Ele-mente der Erziehung und wie sie sich zumErkennen verhalten.) Ist das dao  eine Propo-sition oder etwas, das propositionale Strukturhat? Wenn man es kennt, kennt man dannbestimmte Normen, oder ist das Wissen vonihm mehr wie das Kennen einer Person (con-naître, nicht savoir )? Wie auch immer wir dasBild von der Waage konstruieren, es scheintkeinen Raum für die argumentative Rechtfer-tigung dieses Modells im Gespräch mit ande-

    Zur Bedeutung von Anerkennung (可 ke) imGegensatz zum Wünschen (欲 yu) bei Xun Kuangsiehe Bryan V N: Mengzi and Xunzi: TwoViews of Human Agency , in: T. C. K III and Philip J. I (Hg.): Virtue, Nature, and Moral Agency inthe Xunzi, Hackett: Indianapolis , –, hier–.

    ren und sich selbst zu geben. Xun Kuang istnicht durch dieses sehr sokratische Anliegenmotiviert. Trotzdem ist der Weg ganz klar einMaßstab, den man erkennen kann. Vermut-lich gibt es Experten, die einem Anleitungengeben können. Immerhin war Yun Kuang einRatgeber am Hof.

    Wie also können wir nach Xun Kuang undAristoteles wissen, wie wir uns zu verhaltenhaben? Wir haben Alternativen, die gegen-einander abzuwiegen sind. Dieses Abwägenhängt von uns als den Handelnden ab unddie Wahl wird von Normen geleitet, die wirerkennen. Für Aristoteles sind die Normenwahr, für Xun Kuang sind sie im Lauf der Ge-schichte entstanden. Für beide stehen solcheEntscheidungen in einem politischen Kontext.