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Nachrichten aus der Chemie| 62 | Juli I August 2014 | www.gdch.de/nachrichten
BJournalV
Anregungen zur Diskussion
Zukunft der Chemie. Perspektiven auf
die Welt von morgen.
Hrsg. von Roland Mohr, Hannes Uti-
kal. F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformation,
Frankfurt am Main, 2013. 256 Seiten,
brosch. 34,90 Euro.
ISBN 978–3–89981–788–1
b weckt
hohe Erwartungen – das Werk er-
füllt diese in vollem Umfang.
Warum ein weiteres Buch zur Zu-
kunft der Chemie? Bereits nach den
einleitenden Artikeln der Herausge-
ber ist die Antwort offenkundig: Sie
wiederholen nicht die oft gehörte
Predigt von den segensreichen Pro-
dukten der Chemie oder stimmen in
das Klagelied von der mangelnden
Technologieakzeptanz in Deutsch-
land ein. Vielmehr entspricht das
Buch einem Marktplatz von Ideen
und Visionen und einem Orchester
von Meinungen und Perspektiven.
Das Konzept des Buchs orientiert
sich am Leitbild der Interaktion „der
Chemie“ (hier immer sowohl als
Wissenschaft als auch als Industrie-
branche verstanden) mit der Gesell-
schaft im ergebnisoffenen Diskurs.
Die Herausgeber wählten hierbei die
von der Royal Society of Chemistry
formulierten zehn Herausforderun-
gen als Themen: Medikamente und
Therapien, Diagnostik, Erhaltung na-
türlicher Ressourcen, landwirtschaft-
liche Produktivität, Biomasse, Trink-
Rezensionenwasser, Energieumwandlung und
-speicherung, Kernenergie, Solar-
energie, nachhaltiges Produktde-
sign. Das ist zwar nicht neu, aber
durchaus berechtigt. Zu diesen The-
menfeldern wurden etwa 30 Auto-
ren eingeladen, Kurzbeiträge zu
schreiben.
Die Artikel liegen stilistisch ir-
gendwo zwischen Fachbeiträgen,
Kommentaren und Essays – viele er-
innern an die Beiträge der Rubrik
„Fremde Federn“ der Frankfurter All-
gemeinen Zeitung. Zu Wort kommen
Manager wie Marijn Dekkers, Politi-
ker wie Günter Oettinger, Wissen-
schaftler wie Theodor Dingermann.
Michael Braungart schreibt über
nachhaltiges Produktdesign, Eike
Weber über Solarenergie, Hans
Joachim Schellnhuber über die Er-
haltung knapper natürlicher Res-
sourcen. Dazu kommen Technikso-
ziologen, Philosophen, Journalisten
sowie Vertreter von Stiftungen und
Vereinen. Zu loben ist das Gespür
der Herausgeber für Authentizität
und Relevanz bei der Auswahl der
Autoren – die erwähnten stehen
exemplarisch für das gesamte Auto-
renkollektiv.
Es überrascht nicht, dass die Ein-
zelbeiträge von unterschiedlicher
Qualität sind. In der Gesamtheit bie-
tet das Werk aber eine Fülle an Fak-
ten, Meinungsäußerungen, Perspek-
tiven und Einsichten. Und wohltu-
end oft liest man zu einem Themen-
feld kontroverse Meinungen – der
Anspruch des Buchs ist es nach den
Worten der Herausgeber nicht, ferti-
ge Lösungen zu liefern, sondern eine
Diskussion zu initiieren. So spielt es
auch nur eine untergeordnete Rolle,
ob man die eine oder andere (poli-
tisch gefärbte) Position einzelner Au-
toren teilt oder nicht.
Um keine falschen Hoffnungen
zu wecken: Von der Rolle der Chemie
als Problemlöserin ist in vielen Bei-
trägen des Buchs nicht die Rede. Zu-
dem sind die meisten Autoren keine
Chemiker – das Werk entspringt also
gewissermaßen fremden Federn.
Dies mag auf den ersten Blick ent-
täuschen. Der treffendere Titel die-
ses Buchs wäre somit sein Untertitel
„Perspektiven auf die Welt von mor-
gen“. Das durchweg gelungene Kon-
zept der Herausgeber sieht aber ge-
rade vor, dass sich die Chemie im
Dialog mit der Gesellschaft ein Stück
weit zurücknimmt. Gerade dadurch
gelingt es ihnen, die möglichen Lö-
sungsbeiträge der Chemie zu Schick-
salsfragen der Menschheit – das Vor-
wort verweist auf die Milleniums -
ziele der UN – umso glaubhafter zu
vermitteln.
Klaus Griesar, Seeheim-Jugenheim
b Der Titel des Sammelbands w
b Kurz vorgestellt
Thema EnergiewendeKampf um Strom. Mythen, Macht
und Monopole. Von Claudia Kem-
fert. Murmann-Verlag, Hamburg,
2013. 142 Seiten, brosch. 16,90
Euro. ISBN 978–3–86774–257–3
Die Autorin, Leiterin der Abtei-
lung Energie, Verkehr, Umwelt
am Deutschen Institut für Wirt-
schaftsforschung in Berlin, dis-
kutiert Thesen zu erneuerbaren
Energien sowie zur Verfügbar-
keit und zum Preis des elektri-
schen Stroms in Deutschland.
Noch ein Beitrag zum Thema EnergiewendeUmdenken. Clevere Lösungen zur
Energiezukunft. Von Christian
Synwoldt. Wiley-VCH, Wein-
heim, 2013. 247 Seiten,
geb. 24,90 Euro.
ISBN 978–3–527–33392–9
Erdöl und Erdgas, Kernenergie
und Kohle sowie die Stromer-
zeugung aus Sonne und Wind
sowie deren technische Mach-
barkeit und Wirtschaftlichkeit
sind die Themen dieses Buchs.
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794 BJournalV Bücher
Wertvolles Nachschlagewerk
Polymere. Synthese, Eigenschaften
und Anwendungen.
Von Sebastian Koltzenburg, Michael
Maskos, Oskar Nuyken. Springer Spek-
trum, Berlin, Heidelberg, 2014.
607 Seiten, geb. 79,99 Euro.
ISBN 978–3–642–34772–6
b Um erfolgreich in und mit der ma-
kromolekularen Chemie zu arbeiten,
sind gleichermaßen chemische, ana-
lytische, physikalische, ingenieurtech-
nische sowie weitere fachübergrei-
fende Aspekte zu berücksichtigen.
Neue Lehrbücher für makromolekula-
re Chemie müssen sich daran messen
lassen, ob sie diese Anforderung er-
füllen. Das Lehrbuch von Koltzenburg,
Maskos und Nuyken geht sogar noch
weit darüber hinaus.
Doch der Reihe nach. Das Lehrbuch
richtet sich an Einsteiger und Fortge-
schrittene in der makromolekularen
Chemie gleichermaßen. Gliederung
und Tiefe der einzelnen Kapitel sind
so, dass man das Buch wie eine Mo-
nografie mit Freude liest oder nur ein-
zelne Themen nachschlägt. Dabei
fällt angenehm auf, dass das Buch auf
weiterführende Literatur verweist. Ein
besonderes Bonbon für die Leser sind
die mit Bedacht ausgewählten Expe-
rimentalbeispiele, die auf der langjäh-
rigen praktischen Erfahrung der Auto-
ren beruhen und dem Leser beim Ver-
ständnis oder einfach beim Nachvoll-
ziehen des Stoffs helfen. Wirklich sehr
gelungen.
Weitere Glanzlichter des Buchs
sind die Kapitel „Polymere und Um-
welt“ und „Aktuelle Trends in den Po-
lymerwissenschaften“, die zwar nicht
erschöpfend sein können, aber gerade
Studierende zu neuen wissenschaftli-
chen Arbeiten anregen. Damit gelingt
es diesem Lehrbuch, einerseits eine
Brücke zu den aktuellen wissen-
schaftlichen Arbeiten zur makromole-
kularen Chemie zu schlagen und an-
dererseits den interdisziplinären An-
spruch des Fachs zu unterstreichen.
Die einführenden Kapitel sind klas-
sisch und logisch gegliedert und be-
ginnen mit einer Einführung und Be-
griffsbestimmung. Es folgen Betrach-
tungen zu Polymeren in Lösung, zur
Molmassenbestimmung und zu Poly-
meren im festen Zustand. Besonders
schön ist die Unterteilung in teilkris-
talline und amorphe Polymere, die
synthetisch wie eigenschaftsbezogen
so wichtig ist, aber von Neulingen
nicht immer so wahrgenommen wird.
Polymere als Werkstoffe runden diese
einführenden Kapitel ab.
Im Anschluss folgen synthetische
Zugänge zu Polymeren. Es beginnt mit
Stufenwachstumspolymerisation, wo-
rauf Kettenwachstumspolymerisatio-
nen folgen, entsprechend ihrer Bedeu-
tung nehmen sie breiten Raum ein.
Sehr schön ist, dass die synthetisch an-
spruchsvollen ringöffnenden Polymeri-
sationen ein extra Kapitel einnehmen,
ebenso wie die Copolymerisationen.
Nach der Behandlung der Synthe-
sen von Polymeren werden wichtige
Polymere vorgestellt, polymeranaloge
Reaktionen, wichtige technische Ver-
fahren zur Polymersynthese und
Grundlagen der Kunststoffverarbei-
tung. Es folgen spezielle Kapitel zu
Elastomeren, funktionalen und flüssig-
kristallinen Polymeren sowie die ein-
gangs erwähnten besonderen Kapitel.
Das Buch von Koltzenburg, Maskos
und Nuyken sollte in keinem Bücher-
regal einer Universitätsbibliothek, von
Studierenden und Lehrenden der ma-
kromolekularen Chemie fehlen. Es
eignet sich aber auch als Nachschla-
gewerk für Einsteiger in der Industrie
oder für mittelständische Unterneh-
mer, die sich mit Polymeren beschäf-
tigen. Denn die vielen kleineren Fra-
gen, die beim Umgang mit Polymeren
aufkommen, lassen sich damit recht
schnell beantworten.
Andreas Greiner, Bayreuth
Strukturierte Artikel sammlung
Computational Molecular Science.
Hrsg. von Peter R. Schreiner,
Wesley D. Allen, Modesto Orozco,
Walter Thiel, Peter Willett. 6 Bände.
John Wiley & Sons, Hoboken/NJ, USA,
2014. 3456 Seiten, geb.
Ab 909,30 Euro.
ISBN 978–0–470–72307–4
b Im Jahr 1998 erschien die erste
Generation eines umfassenden
Nachschlagewerks für die Compu-
terchemie, die „Encyclopedia of
Computational Chemistry“ von Paul
von Ragué Schleyer in fünf Bänden
mit 3580 Seiten. In der im Jahr 2003
folgenden Generation konzentrierte
sich Johnny Gasteiger mit dem
„Handbook of Chemoinformatics“ in
vier Bänden und 1870 Seiten vor al-
lem auf die Chemoinformatik. Das
neueste Handbuch, das sechsbändi-
ge Computational Molecular Science
(CMS), setzt erneut Maßstäbe. Im
Gegensatz zu den Vorgängerwerken,
ist das CMS-Handbuch als Druckver-
sion aus der Zusammenfassung der
„Wiley Interdisciplinary Reviews:
Computational Molecular Science“
(WIREs: Comput. Mol. Sci.) entstan-
den und enthält die Beiträge von
2009 bis 2013. Der Inhalt des Buchs
ist wie die Onlineversion in folgende
Themen und Bände gegliedert:
„ Computer and Information Sci-
ence“ enthält Techniken und Anwen-
dungen, welche die Chemoinforma-
tik einsetzt, zum Beispiel künstliche
Intelligenz, Patentinformation, se-
mantisches Web, Datamining, Syn-
thesedesign etc. „Electronic Structu-
re Theory“ deckt quantenchemische
Methoden, ab initio und DFT ab. „ Si-
mulation Methods“ befasst sich mit
b Im Jahr 1998 erschien die er
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795Bücher BJournalV
Molekülmechanik, Moleküldynamik
und Monte-Carlo-Methoden. Der
Band „Software“ beschreibt kom-
merzielle und Shareware-Software-
pakete für molekulare Berechnun-
gen und Modellierungen. „Structure
and Mechanism“ fokussiert auf
Computeranwendungen in Bioche-
mie und Biophysik, Materialwissen-
schaften, Quantenchemie und Reak-
tionsmechanismen. „ Theoretical and
Physical Chemistry“ enthält Beiträge
zur Reaktionsdynamik und -kinetik
sowie zur Spektroskopie.
Leider sind manche Zuordnungen
der Artikel zu den Themen und Bän-
den der Druckversion nicht identisch
mit der Onlineversion, etwa die Bei-
träge zum Zirkulardichroismus. Den-
noch sind die Themen gut struktu-
riert und zugeordnet. Durch die wei-
tere Typisierung der Artikel nach
dem Schwierigkeitsgrad, kann der
Leser sie vorab einordnen: Overviews
sind Artikel zum ersten Einstieg in
ein Thema. Advanced Reviews sind
die typischen wissenschaftlichen
Übersichtsartikel für Fortgeschritte-
ne. Focus Articles sind meist kurze,
technische Beiträge zu aktuellen
Problemen oder zur Forschung. Soft-
ware Reviews behandeln spezifische,
häufig benutzte Softwarepakete und
deren Anwendungsbereiche und Ein-
satzmöglichkeiten. Opinions geben
persönliche Sichtweisen der Wissen-
schaftler wider.
Diese Gliederung macht das CMS
für eine breite Leserschaft interes-
sant, nicht nur für Wissenschaftler,
sondern auch für Studenten. Auf-
grund des Preises wird der Buchband
allerdings hauptsächlich in Biblio-
theken zu finden sein. Abgesehen
davon, stellt sich die Frage, warum
überhaupt eine gedruckte Version
notwendig war. Die Onlineplattform
ist ebenso übersichtlich und stellt in
den Übersichtsseiten sogar mehr In-
formation zu den Artikeln zur Verfü-
gung als das gedruckte Inhaltsver-
zeichnis, darunter die Typisierung
und auch das Erscheinungsjahr.
Dennoch macht es viel Spaß, in
dieser Sammlung hochkarätiger
Artikel zu schmökern.
Thomas Engel, München
Streitschrift für die Chemie
Deutschland braucht Chemie.
Von Karl-Ludwig Kley. Deutsche Ver-
lags-Anstalt, München. 144 Seiten,
geb. 16,99 Euro.
ISBN 978–3–421–04660–4
Als E-Book kostenfrei über
www.vci.de.
ISBN 978–3–641–14179–0
b Deutschland braucht Chemie.
Das ist wohl allen Lesern der Nach-
richten aus der Chemie klar. Sehen
es auch die breite Bevölkerung und
alle in der Politik Verantwortlichen
so? Die Chemie und insbesondere
die Chemieindustrie gelten nicht
immer als notwendiges Glied der
Wertschöpfungskette und Basis
unseres Wohlstands. Das weiß
Karl-Ludwig Kley als Vorsitzender
der Geschäftsführung von Merck
und Präsident des Verbands der
Chemischen Industrie (VCI) und
schreibt deshalb in der Einleitung
seines Büchleins: „Die industrielle
Chemie ist mit ihren Produkten ein
Garant für hohe Lebensqualität ...
Das soll auch in Zukunft so blei-
ben.“
Das Buch ist keine wissenschaft-
liche Arbeit, es ist eine Streitschrift
für die Chemie und bezieht auch
bei kontroversen Themen klar Posi-
tion, selbst wenn diese nicht mehr-
heitsfähig ist. Mehrheitsfähig ist
der Maßstab, den Karl-Ludwig Kley
zur Bewertung von Zukunftsalter-
nativen anlegt, nämlich der Drei-
klang Ökologie, Ökonomie und So-
ziales.
Das Buch eignet sich nicht dafür,
Zahlen und Fakten zu verifizieren, da
es weitgehend auf Quellenangaben
verzichtet. Aber es ist eine gute
Sammlung von Argumenten, die Ak-
zeptanz unserer Industrie zu verbes-
sern.
Die Geschichte ist eine an-
schauliche Basis. Deshalb be-
schreibt das erste Kapitel, wie
Deutschland das Land der Chemie
wurde und bis heute geblieben ist.
Dabei vergisst Karl-Ludwig Kley
nicht, neben den Glanzlichtern die
negativen Punkte aus der Ge-
schichte anzusprechen. Dann fol-
gen Beispiele, weshalb die Chemie
unser Leben bestimmt und warum
eine Spaltung der Chemie in Gut
und Böse absurd ist.
Das vierte Kapitel erklärt, wa-
rum Lebensqualität und Chemie
zusammengehören. Klare indus-
triepolitische Positionen stehen im
fünften Kapitel, das eine Rückbe-
sinnung auf die soziale Marktwirt-
schaft anmahnt. Die besondere
Bedeutung des Verbunds am
Standort Deutschland stellt der
Autor anschließend heraus. Auch
das Thema Energiewende aus der
Sicht der Chemieindustrie fehlt
nicht.
Ein wichtiger Punkt, der die Che-
mie im Vergleich zu anderen Bran-
chen krisensicherer macht, ist die
Sozialpartnerschaft. Eine Herausfor-
derung ist das Thema Risiko. Im
neunten Kapitel wird erklärt, warum
der Chemie trotz der großen Unfälle
in der Vergangenheit vertraut wer-
den sollte.
Abschließend stellt Karl-Ludwig
Kley die Forschung und Entwicklung
von der Grundlagenforschung bis
zur Anwendung in den Mittelpunkt.
Seine These ist, Innovationen sind
der Schlüssel zum Fortschritt. Das ist
sicher breiter Konsens.
Man muss nicht allen Thesen zu-
stimmen. Es lohnt sich aber, die eige-
ne Sicht der Dinge an diesem Buch
zu spiegeln und gegebenenfalls
neue Argumente kennen zu lernen.
Damit dies viele Leser tun, ist es kos-
tenfrei als E-Book von der VCI-Home-
page herunterladbar.
Michael Dröscher, Dorsten
b Deutschland braucht Chem