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Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten

BJournalV

Geschichten aus dem wissen-schaftlich-industriellen Komplex

Die Machiavellis der Wissenschaft: Das

Netzwerk des Leugnens. Von Naomi

Oreskes, Erik M. Conway. Wiley-VCH,

Weinheim, 2014 . 389 Seiten, geb.

24,90 Euro.

ISBN 978–3–5274–1211–2

b Es war der US-Präsident Dwight

D. Eisenhower, der in seiner letzten

Rede als Präsident im Jahr 1961 vor

den Gefahren des militärisch-indus-

triellen Komplexes in den USA warn-

te. Dieser Begriff meint die enge Ver-

flechtung von Industrie, Militärs und

Politikern, oft über das US-typische

Instrument der Think Tanks, den

Denkfabriken, die oft nicht mehr

sind als akademisch-seriös verbräm-

te Lobbymaschinerien.

Wie tief sich die Wissenschaft in

diesen militärisch-industriellen

Komplex verstrickt hat, ge- und

missbraucht wird, schildern Naomi

Oreskes, Professorin für Wissen-

schaftsgeschichte an der University

of California, San Diego, und Erik M.

Conway, Wissenschaftshistoriker am

California Institute of Technology.

Das Werk, für das die beiden mehre-

re Jahre recherchierten, erschien in

den USA im Jahr 2010 unter dem Ti-

tel „Merchants of Doubt“ und sorgte

für einiges Aufsehen. Die Autoren

stießen bei ihren Recherchen auf er-

staunliche Parallelen: angefangen

von der Vernebelungstaktik der Ta-

Rezensionenbakindustrie, die bis in die 1990er

Jahre hinein die Gefahren des Rau-

chens – wider besseres Wissen – ver-

harmloste, über die Kampagnen,

welche die Existenz des Ozonlochs

und der Klimaerwärmung leugnete

beziehungsweise leugnen.

Sobald sich wissenschaftlicher

Konsens abzeichnete, wurden die

Methoden der in die Minderheiten-

position geratenen Macchiavellis der

Wissenschaft rabiater.

Die Autoren stellen dazu die The-

se auf, dass das Netzwerk des Leug-

nens in den untersuchten Fällen so

stark wurde, weil diese Fälle der

Ideologie der (unregulierten) freien

Marktwirtschaft, die in den USA be-

sonders viele und einflussreiche An-

hänger hat, widersprechen. Saurer

Regen, Passivrauchen, Ozonloch und

Erderwärmung haben nach Oreskes

und Conway alle mit Marktversagen

zu tun. Diese Beiprodukte des indus-

triellen Fortschritts sind, wie Ökono-

men sagen, negative externe Effekte.

Deren Kosten fließen nicht in die Bi-

lanzen der Verursacher ein, stattdes-

sen muss die Allgemeinheit dafür

aufkommen. Der freie Markt wirkt

hier also nicht selbstregulierend,

sondern im Gegenteil: Er verstärkt

die Probleme. Einzig der Gesetzge-

ber könnte gegensteuern.

Für Ideologen der freien Markt-

wirtschaft ist dies ein Graus. Aus die-

sem Grund bekämpfen sie den Über-

bringer der schlechten Nachricht, al-

so die Wissenschaft.

Eine Schwäche des Buches ist der

naive Blick auf die Wissenschaft. Sie

ist aus Sicht der Autoren stets neu-

tral, die Instrumente der Selbstkon-

trolle – also Peer Reviews, sauberes

Zitieren, Verifikation und Falsifikati-

on von Daten usw. – funktionieren

im Großen und Ganzen. Dagegen

haben sich die Macchiavellis der

Wissenschaft – das sind laut Ores-

kes/Conway „diejenigen, die ihre

Karriere mit dem Erforschen von Fak-

ten begannen“ und „mit der Be-

kämpfung von Fakten endeten“ – in

die Welt der Ideologie und Politik be-

geben. Das ist zu einfach gedacht.

Auch Oreskes und Conway sind nicht

neutral, auch sie haben einen Stand-

punkt, von dem sie ihre Leser über-

zeugen wollen. Demokratie sucht

nun mal nicht nach Wahrheit son-

dern nach Mehrheit.

Dennoch ist Die Macchiavellis der

Wissenschaft unbedingt lesenswert.

Es fokussiert zwar fast ausschließlich

auf die öffentliche Debatte und poli-

tische Situation in den USA, die be-

schriebenen Mechanismen sind aber

universell. Und manchmal erschre-

ckend.

Christian Remenyi, Frankfurt

Neue Denkweise für Stoffkreisläufe

Intelligente Verschwendung. The

Upcycle: Auf dem Weg in eine neue

Überflussgesellschaft.

Von Michael Braungart, William

McDonough. Oekom-Verlag, Mün-

chen, 2013. 208 Seiten, brosch.

17,95 Euro.

ISBN 978–3–86581–316–9

b Der Chemiker Michael Braungart

[Nachr. Chem. 2014, 62, 37] und der

Architekt William McDo nough plä-

dieren für die Einführung techni-

scher Stoffkreisläufe nach dem Vor-

bild biologischer Kreisläufe. Wenn in

einem solchen Kreislauf die Qualität

b E d US P ä id t D

b D Ch ik Mi h l B

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Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten

1206 BJournalV Bücher

der beteiligten Materialien nicht

sinkt – sich also ein Kunststoff für

Getränkeflaschen auch beim zwei-

ten Gebrauch noch für diesen Ein-

satz eignet – dann bezeichnen die

Autoren dies als „Upcycling“. Sie fol-

gern, dass dies nachfolgenden Gene-

rationen ein verschwenderisches Le-

ben ermöglicht, da sich Ressourcen

ja nicht verbrauchen.

Voraussetzung für diese techni-

schen Kreisläufe sind qualitativ hoch-

wertige Ausgangsstoffe und eine in-

telligente Produktentwicklung. Vor-

zeigeprodukte von Braungart und

McDonough sind Sportschuhe, Tep-

piche, Verpackungsmaterialien der

amerikanischen Post und einiges

mehr. Viele der Materialien für sol-

che Produkte sind ausgesprochen

komplex zusammengesetzt, enthal-

ten manchmal Tausende verschiede-

ner Chemikalien, die nicht alle für

die Qualität des Produktes aus-

schlaggebend sind. Die Reduktion

dieser Komplexität ist weitere Vo-

raussetzung für Stoffkreisläufe, bei

denen Rohstoffe durch Mehrfachver-

wendung nicht an Wert verlieren.

Die Neuentwicklung von bereits

existierenden Produkten unter Be-

rücksichtigung der von den Autoren

als „Wiege-zur-Wiege“-Konzept be-

zeichneten Denkweise erfordert che-

mische Kreativität. Auch die Suche

nach neuen Ausgangsstoffen, die

vielleicht nur ein Zehntel der heuti-

gen Komponenten enthalten, ohne

an Funktionalität zu verlieren, geht

nicht ohne Chemie. Das gilt ebenso

für das Aufspüren von unerwünsch-

ten Chemikalien, die sich beim Up-

cycling anreichern könnten und die

wir vielleicht ohnehin nicht in unse-

ren Produkten haben wollen. Anti-

monoxide in Flaschen für säurehalti-

ge Getränke sind ein Beispiel. Ohne

Chemiekenntnis wird auch die Ent-

wicklung völlig neuer Produkte nicht

gelingen, wenn man solche ersetzen

möchte, die sich nicht einfach opti-

mieren lassen.

Die Autoren deuten in ihrem

Buch auch an, dass es weitgehende

Folgen haben wird, wenn unsere Ge-

sellschaft auf die von ihnen empfoh-

lene Denk-, Produktions- und Nut-

zungsweise umsteigt: Auch das

Marketing für einen Sportschuh, der

nach Gebrauch gegen einen neuen

eingetauscht werden kann, weil der

Hersteller die Bestandteile des

Schuhs vollständig wieder nutzt und

sie daher als Wertstoff auffasst, wird

neuartig sein, denn Kundenbindung

ist in das Gebrauchsmodell bereits

eingebaut. Eine chemische Indus-

trie, die komponentenarme Aus-

gangsstoffe, etwa Polymere mit we-

nigen Additiven herstellt, erzeugt

qualitativ hochwertigere, intelligen-

tere Produkte und erzielt damit –

vielleicht – höhere Preise auf dem

Weltmarkt. In einer Zeit, in der die

Konkurrenz aus anderen Ländern die

Preise für so genannte Commodities

drückt und sich die chemische In-

dustrie in Deutschland starkem Ver-

änderungsdruck ausgesetzt sieht,

könnte das ein Weg sein, um Wett-

bewerbsvorteile zu erzielen.

Die Argumentation von Braun-

gart und McDonough ist ausgespro-

chen einsichtig und bietet nebenbei

einen charmanten Ausweg aus der

unattraktiven „Wir müssen uns ein-

schränken, wenn die Ressourcen für

alle reichen sollen“-Denkweise. Ver-

schwendung statt Sparen – wer

würde sich da verweigern?

Kommen wir zu dem Buch: Es

führt wortreich und mit vielen Bei-

spielen aus, was oben zusammen-

gefasst steht. Die Ansprache der Le-

ser ist persönlich und bemüht sich

um Anknüpfungspunkte aus der

Alltagwelt. Es ist vielleicht nicht ei-

nes jeden Geschmack, so viele Wör-

ter und Wiederholungen lesen zu

müssen, um die Botschaft zu ver-

stehen. Zweifellos ist der Stil wenig

präzise, und der Text klingt missio-

narischer, als es nötig wäre – zu-

mindest für uns Naturwissenschaft-

ler. Aber das sollte uns nicht daran

hindern, über diese Mission nach-

zudenken.

Barbara Albert, Darmstadt

b Kurz vorgestellt

IG Farben und die FilmherstellungStudien zur Geschichte der Filmfa-

brik Wolfen und der IG Farbindus-

trie AG in Mitteldeutschland. Bo-

chumer Studien zur Technik- und

Umweltgeschichte Band 2.

Hrsg. von Rainer Karlsch, Helmut

Maier. Klartext-Verlag, Essen,

2014. 268 Seiten, brosch.

34,95 Euro.

ISBN 978–3–8375–0840–6

Der Studienband knüpft an die

Forschungen zur Geschichte der

Filmfabrik Wolfen an. Die Autoren

diskutieren Fragen zur Zyklon-

B-Produktion im zweiten Welt-

krieg, dem Erbe der IG Farben in

Deutschland sowie zu deren Pro-

tagonisten. Auch Kamera-Marke-

ting, die Agfa-Geschichte in Lever-

kusen und Wolfen nach dem Krieg

sowie die Sanierungsprobleme der

Standorte Bitterfeld und Wolfen

durch die Treuhandanstalt nach

der Wende kommen zur Sprache.

Forschung im Wandel der ZeitPromoting the Planck Club:

How Defiant Youth, Irreverent

Researchers and Liberated Univer-

sities Can Foster Prosperity Indefi-

nitely.

Hrsg. von Donald W. Baben. Wiley,

Hoboken, New Jersey, USA, 2014.

238 Seiten, brosch. 48,60 Euro.

ISBN 978–1–118–54642–0

Das Werk beleuchtet die Ge-

schichten einiger Wissenschaftler

wie Max Planck oder Michael Fa-

raday, deren Arbeiten radikale Er-

kenntnisse und Neuerungen her-

vorbrachten. Der Autor erläutert

die Rahmenbedingungen, die sol-

che erlaubten: wissenschaftliche

Community sowie ein Förde-

rungs- und Publikationssystem. Er

stellt Vergleiche mit den heutigen

Bedingungen an und diskutiert,

welche Voraussetzungen gute

und unabhängige Forschung

braucht.

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1207Bücher BJournalV

Über den Tellerrand hinaus gedacht

Wissen macht schlau. Große Themen

leicht erzählt. Von Wilfried H. Linden-

zweig. Wiley-VCH, Weinheim, 2014.

366 Seiten, geb. 24,90 Euro.

ISBN 978–3–527–33750–7

E-Book: 21,99 Euro.

ISBN 978–3–527–68409–0

b Wissen macht schlau – der Titel

ist in diesem Buch Programm. Der

Autor Wilfried Lindenzweig, nach ei-

gener Angabe „Physiker und Mana-

ger im produktiven Unruhestand“,

hat in diesem Werk gefühlt sein ge-

sammeltes Wissen niedergeschrie-

ben. Der Autor nimmt weit reichende

Fragen als Ausgangspunkt für seine

unterhaltsame Wissensvermittlung.

In Kapiteln wie „Eine Frage der

Dosis“, „Die Bedeutung der Zeit“

oder „Wege der Wissenschaft“ be-

trachtet der Autor Epochen, Kulturen

und Einzelpersonen, setzt sich mit

Wissenschafts- und Erkenntnistheo-

rie auseinander und lässt die „Wei-

sen“ dieser Welt, unter ihnen Aristo-

teles, Goethe und Einstein, in Zitaten

zu Wort kommen. Er will das Be-

wusstsein des Lesers schärfen, in-

dem er den Stand des Wissens erläu-

tert und in den geschichtlichen Kon-

text setzt. Vom Anfang bis zum Ende

der Welt kommen weitere „große

Themen“ zur Sprache, die die

Menschheit beweg(t)en – betrachtet

aus verschiedenen Blickwinkeln: his-

torisch-kulturell, wissenschaftlich,

politisch und wirtschaftlich. Dabei

schwingt immer eine Grundfrage

mit: Wie geht die Menschheit, gehen

wir mit Wissen um?

In Kapitel vier geht es zum Bei-

spiel um Gold. Seit jeher fasziniert

das Edelmetall den Menschen. Der

Autor berichtet, wofür es im Laufe

der Geschichte verwendet wurde,

welche Bedeutung ihm zukam und

wie es Auf- und Abschwung von

Kulturen bedingte. Er erklärt die

Reinigung des Materials, seine che-

mischen und physikalischen Eigen-

schaften, erläutert seine extrater-

restrische Herkunft und die Verla-

gerung des Goldrausches ins All.

Der Autor kommt vom Kult über

den Wirtschaftsfaktor zu Wirt-

schaftlichkeit und Bonität heutiger

Finanzsysteme sowie zum Phäno-

men Wirtschaftskrise. Er öffnet

dem Leser auch die Augen für die

wachsende Bedeutung seltener Er-

den und landet schließlich bei der

Quacksalberei, um in der Kernphy-

sik, der Alchemie von heute, zu en-

den. Beim Umblättern einer Seite

kann der Leser nur selten voraussa-

gen, was ihn auf der folgenden er-

warten wird.

Eng zusammenhängend und un-

tereinander verknüpft – wenn auch

nicht immer auf den ersten Blick zu

erkennen – strickt der Autor einen

Wissensschatz, zumeist gut doku-

mentiert und zum Teil bebildert, be-

gleitet von Anekdoten und erhei-

ternden Vergleichen. Es ist kein

Buch, das man an einem Abend

durchliest. Man muss sich Muße da-

für haben, auch wenn die lebendige

Sprache und die Sicht aus verschie-

denen Blickwinkeln das Verständnis

erleichtern. Es ist kein typisches

Sachbuch, es ist kein Fachbuch, auch

kein Roman, es ist eben ein Wissens-

buch, ein kleines Wissensaggregat,

wenn man so will. Im Grunde aber

ein Buch für jeden. Denn jeder kann

hier Neues erfahren – seien es gan-

ze Kapitel, Einzelaspekte, eine neue

Perspektive auf das eine oder ande-

re oder ein passendes Goethezitat,

denn den streut der Autor gerne

ein. Wer neugierig ist und die Welt

gern infrage stellt, der wird sich an

dem Buch erfreuen. Denkanstöße

garantiert.

Anne Hachmann, Frankfurt

Wissensgeschichte statt Wissenschaftsgeschichte?

Stoffe in Bewegung. Beiträge zu einer

Wissensgeschichte der materiellen

Welt.

Hrsg. von Kijan Espahangizi, Barbara

Orland. Verlag diaphanes, Zürich-Ber-

lin, 2014. 288 Seiten, brosch.

29,95 Euro.

ISBN 978–3–03734–661–7

b Der vorliegende Band enthält

13 Essays von 14 Geisteswissen-

schaftlern zum Thema „bewegte

Stoffe“. Im Einführungsbeitrag äu-

ßern die beiden Herausgeber „Über-

legungen zu einer Wissensgeschich-

te der materiellen Welt“, welche die

herkömmliche Wissenschaftsge-

schichte ablösen will. Neben dem

Stoff soll nun die Stoffbewegung im

Mittelpunkt einer modernen Wis-

sensgeschichte stehen. Die Autoren

vertreten die Auffassung, „dass sich

genau in dem Zwischenraum von

dynamischem Stoffgeschehen ei-

nerseits und Materietheorie ande-

rerseits … kulturelle, epistemische,

technologische Infrastrukturen, Ver-

mittlungsinstanzen und Überset-

zungsformen der Moderne heraus-

bilden, ...“ Stoffwechsel statt Stoff,

Stoffstrom und Materialfluss sowie

Konvergenz und Dissipation der

materiellen Welt sind Beispiele für

Anker im propagierten Konzept. Die

Essays liefern quasi Fallstudien da-

zu. Sie schließen folgende Themen-

komplexe ein: „Bewegung der Ele-

mente“ (Sabine Baier: Alchemisti-

sche Schöpfung und chemische

Analyse durch stoffliche Bewegung;

Daniela Hahn: Teilchen-Bewegun-

b Wi ht hl d T

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1208 BJournalV Bücher

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gen), „Arbeit am Austausch“ (Bar-

bara Orland: Die Erfindung des

Stoffwechsels; Paul Burkett und

John Bellamy Foster: Stoffwechsel,

Energie und Entropie in Marx‘ Kritik

der Politischen Ökonomie; Christian

Reiß und Mareike Vennen: Das

Aquarium als Experimentalraum

(proto-)ökologischen Wissens),

„Ökonomie des Transits“ (Heike We-

ber: Den Stoffkreislauf am Laufen

halten; Kijan Esphahangizi: Stoff-

trajektorien. Die kriegswichtige Mo-

bilmachung des Rohstoffs Bor; Lea

Haller: Rohstoffe verschieben), „In-

frastrukturen des Transports“ (Ben-

jamin Steininger: Pipeline; Monika

Dommann: Zwischen Eisenbahn

und Lager. Eine Archäologie der

Rampe) und „Eigendynamiken der

Stoffe“ (Vera Wolff: Lackflüsse. Willi

Baumeisters und Oskar Schlemmers

japonistische Materialästhetik aus

der Lackfabrik; Jens Soentgen: Dissi-

pation).

Die einzelnen Beiträge sind sorg-

fältig recherchiert und enthalten

viele Quellenangaben. Letztere wur-

den als Fußnoten angelegt und sind

dadurch sehr leserfreundlich. Am

Ende des Buches werden die einzel-

nen Autoren vorgestellt. Bedauerli-

cherweise befinden sich unter ih-

nen keine aktiven Naturwissen-

schaftler.

Herausgeber und Autoren haben

sich mit der vorliegenden Arbeit das

Ziel gestellt, die dynamische Kom-

ponente der Wissenschaftsentwick-

lung besser zu erfassen, weil diese

nach ihrer Ansicht in der traditio-

nellen Wissenschaftsgeschichts-

schreibung vernachlässigt wird. Ein

solcher Ansatz sollte auch darauf

orientieren, die bestehende Kluft

zwischen Natur-und Geisteswissen-

schaften überwinden zu helfen. Er

wird daran gemessen werden, was

er zur Lösung dieses Problems leis-

tet.

Horst Remane, Leipzig

Spaß in Küche und Kinderzimmer

... bis die Brause brodelt. 50 Experimen-

te. Für: Küche, Bad & Kindezimmer.

Von Daniel Tatarsky. Carlsen-Verlag,

Hamburg, 2014. 112 Seiten, geb.

12,90 Euro.

ISBN 978–3–55125–037–7

Das Experimente-Lab für Kinder.

52 familiengerechte Versuche aus dem

Küchenschrank.

Von Liz Lee Heinecke. Edition Michael

Fischer, Igling, 2014. 144 Seiten,

brosch. 16,99 Euro.

ISBN 978–3–86355–246–6

b Inzwischen sind eine ganze Men-

ge Bücher auf dem Markt, die Kinder

zum Experimentieren anregen und

ihnen so Naturwissenschaften nahe

bringen sollen. Darunter sind viele,

welche die Kinder direkt ansprechen,

und jedes Jahr erscheinen neue. Die

Experimente bleiben im Wesentli-

chen die Gleichen: Rotkohlsaft ist im-

mer dabei, Chromatographie auf Fil-

terpapier auch; Feuerlöscher aus

Backpulver und Essig sowie die Wir-

kung von Spülmittel auf die Oberflä-

chenspannung von Wasser dürfen

ebenfalls in keiner Neuerscheinung

fehlen. Die Bücher unterscheiden

sich vor allem in Aufmachung, Eintei-

lung und Design, manchmal auch im

Tiefgang. Nun sind – passend zum

Weihnachtsgeschäft – zwei weitere

hinzugekommen, beide sind beson-

ders ansprechend gestaltet.

Da ist zum einen ... bis die Brause

brodelt, ein schmales Büchlein, das

ein wenig wie ein Comic daher-

kommt: mit einfachen Zeichnungen,

Warnhinweisen in Sprechblasen,

Pfeilen, „Wusch“ und „Peng“. Die Sei-

ten bleiben dabei stets übersichtlich,

jeder Versuch steht auf einer Dop-

pelseite, die Experimente sind

schnörkellos, erfordern selten mehr

oder exotischeres Material, als in ei-

nem Durchschnittshaushalt sowieso

vorhanden ist.

Die Anleitungstexte und Skizzen

sind gut verständlich, die Experi-

mente funktionieren auch ohne Er-

wachsenenhilfe. Kinder, die lesen

können, legen sofort los und sind

den ganzen Nachmittag beschäftigt.

Sparsame Aufsichtspersonen hin-

dern die ihnen anvertrauten Jungfor-

scher allerdings daran, die Abde-

ckung von der Lautsprecherbox zu

ziehen oder 100 Milliliter Bio-Ahorn-

sirup unter Flüssigseife zu schichten.

Nicht alle Versuche sind in erster

Linie chemisch oder physikalisch,

manche spielen auch mit unserer

Wahrnehmung. Zu jedem Versuch

gibt es einen Kasten –„Der wissen-

schaftliche Kram“ überschrieben –

der den Hintergrund erläutert. Die

Fakten sind zwar korrekt, aber ob

Kinder, die noch keinen Chemie-

oder Physikunterricht haben, diese

sehr knapp gehaltenen Erläuterun-

gen verstehen, ist zu bezweifeln. Da-

zu kommt jeweils noch ein „Hättest

Du das gewusst“ mit Kuriositäten

am Rande, Details aus der Wissen-

schaftsgeschichte oder auch weiter-

gehenden Erläuterungen, zum Bei-

spiel zum Luftdruck, für all die neu-

gierigen Leser, die noch mehr erfah-

ren möchten.

Ansonsten ist eine Ordnung oder

Einteilung der Versuche nach The-

men nicht zu erkennen: Chemie, Me-

chanik, Optik, Versuche mit Flüssig-

keiten, Münzen, Streichhölzern sind

bunt durcheinandergewürfelt, aber

möglicherweise stört das nur die

akademisch verbildete Mutter. Kin-

der ab etwa acht, besser ab zehn

Jahren haben trotzdem ihren Spaß.

„Cool“, sagte mein 10-jähriger

Sohn über das Buch, nachdem er ei-

ne Brauserakete gegen die Badezim-

merdecke gejagt und Wasser zum

b I i h i d i M

Page 5: Rezensionen

Vitaminbrausetablette aus dem Dro-

geriemarkt funktioniert genauso

gut.

Über das Experimente-Lab freuen

sich eher geduldige Kinder ab zehn

Jahren die gerne ausführlicher expe-

rimentieren, liebevolle Verzierungen

schätzen und vor dem Experiment

auch mal etwas mehr Text lesen. Die

Versuche selbst eignen sich zwar

auch für jüngere Kinder, aber ohne

Hilfe von Älteren werden sie mit

dem Buch vermutlich nicht weiter-

kommen.

Frauke Zbikowski, Frankfurt

Schweben gebracht hatte. Das trifft

es vermutlich am besten.

Ausführlicher und ambitionierter

ist das Experimente-Lab der amerika-

nischen Mikrobiologin Liz Lee Hein-

ecke. In Deutschland ist das Buch in

der Edition Michael Fischer erschie-

nen, ein Verlag, der sonst aus-

schließlich Kunst- und Handarbeits-

bücher im Programm hat. Und so ist

das Buch als Kreativ-Buch für Kinder

deklariert. Das ist an sich nicht ver-

kehrt – warum sollten immer nur

Basteln und Malen kreativ sein.

Auch in diesem Buch steht jeder

Versuch auf einer Doppelseite. Aber

anders als ... bis die Brause brodelt ist

das Experimente-Lab mit vielen Fo-

tos von Kindern und Details illus-

triert. Außerdem werden die Kinder

angeleitet, ein Forschertagebuch zu

führen. Die Versuche sind thema-

tisch unterteilt beispielsweise in

„Chemische Reaktionen mit Kohlen-

säure“ oder (nicht ganz treffend)

„Kristallreaktionen“, „Säuren und Ba-

sen“, „Mikrobiologie“ oder „An-

schauliche Physik“. Dies macht das

Buch übersichtlich. Die Versuche hei-

ßen nicht Versuche sondern „Projek-

te“, und sie sind nicht so schlicht wie

im anderen Buch: Statt für die Brau-

serakete einfach eine Filmdose mit

Wasser zu füllen, eine Brausetablet-

te hinein zu werfen und den Deckel

zu schließen, basteln die Kinder im

Experimente-Lab zunächst aus Papier

eine Rakete und kleben sie am Dös-

chen fest. Sie bauen Vulkane aus Pa-

piertüten und schneiden Fische aus

Karton. Zu jedem Projekt gibt es zu-

dem unter der Überschrift „kreative

Bereicherung“ Vorschläge, weiter zu

experimentieren, die dann ganze

Versuchsreihen nach sich ziehen. Die

wissenschaftlichen Erläuterungen,

die bei keinem der Experimente feh-

len, sind kindgerecht, enthalten das

Wichtigste und sind dabei nicht

ganz so knapp.

Schade ist, dass sich der Überset-

zer nicht die Mühe gemacht hat, das

Buch auf europäische Verhältnisse zu

übertragen: Hierzulande dürfte es

nicht so einfach sein, noch perborat-

haltiges Waschmittel zu erhalten, Bo-

rax darf aufgrund seiner Toxizität ja

1209Bücher BJournalV

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Dezember 2014 | www.gdch.de/nachrichten

schon seit Jahren nicht mehr an Pri-

vatpersonen verkauft werden. Für

den Versuch mit dem gummiartigen

grünen Schleim ist es aber erforder-

lich. Die Maßeinheiten sind Becher

mit 235 mL (Achtung: ein halber Be-

cher enthält 130 mL). Giftefeu und

Gifteiche wachsen hier nicht in freier

Natur – warum sollte ich meine Kin-

der vor einer Exkursion in den Wald

also davor warnen? Und als Treibstof-

fe für die erwähnte Brauserakete neh-

men die Kinder besser nicht das Alka

Seltzer aus dem (sowieso abgeschlos-

senen) Medikamentenschrank – eine

Kreuz worträtsel ChemieVon Hans- Peter Pauly. Kohl-Verlag, Kerpen, 2014. 68 Kopiervorlagen,

brosch. 17,80 Euro. ISBN 978–3–95513–033–06

b Kurz vorgestellt

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1210 BJournalV Bücher

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Für Große und Kleine

Vom Urknall zum Gummibärchen.

Ein Lese- und Experimentierbuch.

Von Roland Full. Wiley-VCH, Wein-

heim, 2014. 280 Seiten, brosch.

17,95 Euro.

ISBN 978–3–86581–316–9

b Das „lange Nachspiel zum kurzen

Vorwort“ nennt Autor Roland Full sein

Buch. In diesem Nachspiel zeigt er sei-

ne didaktischen und unterhaltenden

Fähigkeiten: Der Forscher, Lehrer und

Entertainer führt die Leser im ersten

Teil des Buchs von Modellvorstellun-

gen zum Universum über den Aufbau

eines Atoms bis zur Kulturgeschichte

der Menschheit, die in der Curry-

Wurst zu gipfeln scheint. Full schreibt

für Kinder und Jugendliche, hat aber

auch Erwachsenen etwas zu bieten.

Jedes der 19 Kapitel enthält am

Ende einige Versuche zum jeweiligen

Thema. Dabei geht es häufig recht

physikalisch zu wie beim Nachbau der

Erde als Riesenmagnet mit Suppentel-

ler, Küchenrolle, Nähnadel und einem

Magnetknopf von der Pinwand. Aber

der Autor weiß auch Laboratmosphä-

re zu erzeugen: Beim Nachweis von

Kohlendioxid etwa, der mit Kaffeelöf-

fel, Gurkenglas und Blitzzement ge-

lingt, weist er darauf hin, dass Kalk-

wasser ätzend und eine Schutzbrille

notwendig ist.

Die Versuche verlangen zwar kaum

ausgefallene, aber viele verschiedene

Materialien. So enthalten vier Seiten

im Buch „Geräte und Materialien für

das Labor“. Die sollen die kleinen La-

boranten oder besser noch deren El-

tern im Baumarkt, in der Drogerie und

im Elektronik-Shop kaufen. Alles ist

detailliert mit Preisangaben gelistet.

In Summe sind etwa 90 Euro erforder-

lich. Dazu kommen dann „Materialien

von zu Hause“, darunter Maxiteelich-

ter, Backpapier, eine Vanilleschote und

ein rostiger Nagel. Auch zum sicheren

Arbeiten und zur Entsorgung der Ex-

perimentierreste finden sich Hinwei-

se. „Jüngere Schüler“ sollen die Expe-

rimente vorher mit den Eltern durch-

sprechen. Eine konkrete Altersangabe

fehlt.

Teil zwei des Buchs liefert eine

skurrile Geschichte, in der ein Gummi-

bärchen Krone einer neuen Schöp-

fung ist. Selbstverständlich darf der

Leser am Ende ein paar Gummibär-

chen produzieren.

Insgesamt ist das Buch amüsant

zu lesen – für Kinder ebenso wie für

Erwachsene. Die Versuche sind zum

Teil aufwendig und erfordern wohl

den Beistand Erwachsener und sei es

nur, um einen Platz in der Küche zum

Experimentieren zu finden.

Maren Bulmahn, Frankfurt

Gemerkt!

Eselsbrücken. 400 Merkhilfen und

wie man sich selbst welche baut.

Von Helge Weinrebe. Anaconda, Köln,

2014. 156 Seiten, brosch. 6,95 Euro.

ISBN 978–3–7306–0148–8

b Wissen ist Macht. Daran sollte

man denken, wenn man Helge Wein-

rebes Eselsbrücken liest. Doch wer viel

weiß, kann auch vieles wieder verges-

sen. Der klügste Mensch vergisst. Das

ist auch gut so, denn wer sich jedes

Detail merkt, wird verrückt.

Was tut man aber gegen das Ver-

gessen von wichtigen, aber eben nicht

einprägsamen Fakten? Eine Möglich-

keit ist, sich mit Merkhilfen Wissen zu

veranschaulichen und so im Gedächt-

nis zu verankern. Mit diesen Eselsbrü-

cken beschäftigt sich der Autor auf ei-

ne lockere Art. Er spielt mit Sprache,

nimmt Wörter auseinander, setzt die

Wortteile mit Zahlen und die Zahlen

mit Bildern gleich und fügt schließlich

alles wieder zu einem einprägsamen

Bild zusammen. Diese Wort-Bild-

Kombination ist nur eine Möglichkeit,

sich etwas zu merken. Weinrebe

macht klar, dass es nicht das eine

Merkverfahren gibt, das bei jedem

klappt. Jeder lernt auf seine Weise.

270 Eselsbrücken sammelte der

Autor im Alltag und stellt sie nach

Themen sortiert vor. Von Chemie über

den Haushalt bis hin zur Geschichte

ist alles dabei. Wer beispielsweise im-

mer wieder vergisst, ob Messing aus

Kupfer und Zink oder doch aus Kupfer

und Zinn besteht, der sehe im Stich-

wortverzeichnis nach. Hier findet sich

die passende Eselsbrücke: „Messing

besteht aus Zin[K+K]upfer, Zinn ist

nicht dabei.“ Viele der Eselsbrücken

sind bekannt, manche sind eher zur

Erheiterung des Lesers gedacht.

Weinrebe stellt auch Tricks zum

Basteln von eigenen Merkhilfen vor,

denn die sind noch einprägsamer und

erscheinen einem logischer als die

altbekannten Eselsbrücken. Wer also

wirklich etwas lernen will, der blät-

tert zu den Do-it-yourself-Beispielen

und findet eine Sammlung von Merk-

verfahren.

Helge Weinrebe ist Direktor einer

Grundschule in Baden-Württemberg

und Kinderbuchautor: Das Buch ist lo-

gisch aufgebaut, leicht verständlich

geschrieben und enthält Bilder zur Er-

läuterung. Trotzdem ist das Buch

nicht nur für Schüler geschrieben.

Wer gerne mit Wörtern bastelt und

nie mit dem Lernen aufhören will,

wird Spaß beim Lesen haben.

Das letzte Kapitel fasst alle we-

sentlichen Punkte nochmal auf das

Kürzeste zusammen. Wie man sich

am Ende dann wirklich etwas merkt,

muss jeder selbst für sich herausfin-

den. Ein endgültiges Lernrezept gibt

es nicht. Auch sollte man das Buch

auf keinen Fall mit einem lebensver-

ändernden Ratgeber verwechseln.

Marlene Wietelmann, Frankfurt