Organisatorische Resultanten

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Organisatorische Resultanten. Studien an Doppelplanarien. II. Von Paul Steinmann, Basel. Mit 7 Figuren im Text. Eingegangen am 15. Januar 1910. DaB bei der Bildung yon Doppelplanarien nieht einheitliehe Gestaltungsprinzipien, sondern Kombinationen, Resultanten (vgl. dieses Arehiv. XXVII. 1909. S. 21) wirksam sind, haben mir neuerdings verschiedene Experimente gezeigt, yon denen ich im folgenden einige bespreehen mSehte. Sehon van DUYNE l) und MORGAN 2) haben festgestellt, dab Pla- narien, deren Hinterende longitudinal in zwei gleiehe Halften ge- spalten wird, unter Umstanden, d. h. immer dann, wenn der Ein- sehnitt sieh bis zur Kopfgegend erstreckt, im Winkel zwischen den Sehwanzen nach hinten gerichtete KSpfe bilden (vgl. Fig. 2 a), und zwar in den einen Fallen zwei solche Regenerate, in den andern nur ein einziges. Woher kommen diese Gebilde? Mit welchen Partien des KSr- pets gehSren sic morphologiseh und physiologisch zusammen? Durch welche Faktoren wird ihr Kopfcharakter bestimmt? Diese yon vA~ DUYNE und MORGAS nicht weiter erSrterten Fragen suehte ich dutch Variation der Schnitttiefe zu 15sen. Versueh 1. SehnittfUhrung: Sehnitt in der Symmetrieebene vom Hinter- ende bis zur RUsselwurzel (Fig. 1). t) VAN DUYNE, J., Uber Heteromorphose bei Planarien. PFLU@ERfl Arch. LXIV. 1896. 2) MORGAN, T. H., Regeneration (MOSZKOWSKY). Leipzig 1907. (Vgl. aueh fl'Uhere Arbeiten.)

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Organisatorische Resultanten. S t u d i e n an D o p p e l p l a n a r i e n .

II.

V o n

Paul Ste inmann, Basel.

Mit 7 Figuren im Text.

Eingegangen am 15. Januar 1910.

DaB bei der Bildung yon Doppelplanarien nieht einheitliehe Gestaltungsprinzipien, sondern Kombinationen, Resultanten (vgl. dieses Arehiv. XXVII. 1909. S. 21) wirksam sind, haben mir neuerdings verschiedene Experimente gezeigt, yon denen ich im folgenden einige bespreehen mSehte.

Sehon van DUYNE l) und MORGAN 2) haben festgestellt, dab Pla- narien, deren Hinterende longitudinal in zwei gleiehe Halften ge- spalten wird, unter Umstanden, d. h. immer dann, wenn der Ein- sehnitt sieh bis zur Kopfgegend erstreckt, im Winkel zwischen den Sehwanzen nach hinten gerichtete KSpfe bilden (vgl. Fig. 2 a), und zwar in den einen Fallen zwei solche Regenerate, in den andern nur ein einziges.

Woher kommen diese Gebilde? Mit welchen Partien des KSr- pets gehSren sic morphologiseh und physiologisch zusammen? Durch welche Faktoren wird ihr Kopfcharakter bestimmt?

Diese yon vA~ DUYNE und MORGAS nicht weiter erSrterten Fragen suehte ich dutch Variation der Schnitttiefe zu 15sen.

Versueh 1.

Sehn i t t fUhrung : Sehnitt in der Symmetrieebene vom Hinter- ende bis zur RUsselwurzel (Fig. 1).

t) VAN DUYNE, J., Uber Heteromorphose bei Planarien. PFLU@ERfl Arch. LXIV. 1896.

2) MORGAN, T. H., Regeneration (MOSZKOWSKY). Leipzig 1907. (Vgl. aueh fl'Uhere Arbeiten.)

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R e g e n e r a t i o n s d a u e r ! 20 Tage. Resu l t a t : Im Schnittwinkel entsteht ein indifferenter Regene-

rationszapfen (Fig. la) 1).

Versuch 2.

S c h n i t t f i i h r u n g : Schnitt wie oben, jedoch yore Hinterende bis in die Niihe des Kopfes (Fig. 2).

R e g e n e r a t i o n s d a u e r : Wie oben. Resu l t a t : Best~tigung der Resultate MORGA~S und vAs DUYNES.

Im Schnittwinkel entsteht ein nach hinten gerichteter Kopf (Fig. 2 a)~).

Fig. la . Fig. 2. Fig. 1.

I: Fig. 2a. Fig. 2b.

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B e m e r k u n g : Der Versuch gelingt bei Planaria gonocephala sehwer, da die Mehrzahl der Doppeltiere nach einiger Zeit das eine ihrer Hinterenden abschnUren. Das Regenerationsgeschehen an einem solchen Amputat kann verschieden verlaufen. Infolge der stark gesti3rten Polarit~tsverh~ltnisse entstehen Monstra der komplizierte- sten Art. Sie zeigen uns jedoch trotzdem gewisse GesetzmaBigkeiten (Fig. 2 b).

Versuch 3.

S c h n i t t f U h r u n g wie oben; jedoch nur yon der Schwanzspitze bis zur Mitte zwischen letzterer und der RUssellippe (Fig. 3).

R e g e n e r a t i o n s d a u e r : Wie oben. R e s u l t a t : Im Winkel entsteht ein dritter Schwanz (Fig. 3a)11.

a) Bei l~ingerer Regenerationsdauer werden diese Supplemenfiirteile mehr oder weniger raseh zuriickgebildet.

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In t e rp re t a t i on : Unsre drei Versuehe beweisen zunaehst, dab nicht nur in den Fallen, in welchen der Spaltsehnitt bis in die Kopf- gegend reicht, yore Sehnittwinkel aus Wucherungen, Regenerate, entstehen, sondern auch bei weniger tiefen Einschnitten. Sehnittserien dutch solehe Doppeltiere zeigen, dab sieh das Regenerationsgesehehen nicht auf die Spalt- Fig. 3. Fig. 3a. halften beschrankt, sondern dab aueh in den benaehbarten Partien des Vorderendes Verande- rungen vor sieh gehen.

Man k(innte aus dieser Beobaehtung den /

SehluB ziehen, dab sowohl Vorderende als Hin- | terenden sieh an der Bildung des Winkelregene- J rats beteiligen.

Diese Anffassung widerspricht den Annah- / I ] men MoRoA•s (07), der die im Sehnittwinkel auftretenden Ki~pfe als ~Supplementi~rkiipfe der selbstandig gewordenen Hinterenden, betraehtet wissen m~chte (S. 195). Dutch die Annahme, dab das Regenerat durch eine organisatorisehe Resultante differen- ziert wird, deren eine Komponente dem Vorderende, deren andre der Spalthalfte angehSrt, erkliirt sieh die Verschiedenheit unsrer drei ersten Resultate auf einfache Weise. Das Regenerat wiirde unter dem EinfiuB des Vorderendes znm Sehwanz, unter dem der Hinter- enden zum Kopf. Ist daher der Einsehnitt tief~ so wird dadureh die kopfbildende Komponente starker; das Resultat ist ein Kopfi Ein kurzer Einsehnitt maeht die sehwanzbildende Komponente griiBer; daher erhKlt das Regenerat Schwanzcharaktere. Bei sehr tiefen Schnitten kann aul~erdem vom Kopf her ein heteromorphisehes Mo- ment kopfbildend wirken. Leider sind die entscheidenden Ver- suehe (2) schwierig auszufUhren und gelingen in seltensten Fallen. Ein andres, ebenfalls fiir nnsre Auffassung sprechendes Experiment hat mehr Aussieht auf Erfolg.

Versuch 4.

Schn i t t f uh rung : ~khnlich wie in Versuch 1. Der Sehnitt be- ginnt nachst der RUsselwurzel, verlauft jedoch nieht in der Sym- metrieebene, sondern trennt ein groBes, breiteres SchwanzstUek yon einem kleineren {Fig. 4).

R e g e n e r a t i o n s d a u e r : 20 Tage. Resul ta t : Am grSl~eren Hinterteil entsteht ein sehr deutlieher

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Kopf mit selbstiindigem RUssel, an der kleineren Spalthlilfte unter- bleibt die Bildung eines Hyperregenerates (Fig. 4a).

I n t e r p r e t a t i o n : Versueh 4 liil~t sich auf Versuch 1 zurUck- fuhren. Wi~hrend jedoch in letzterem die kopfbildende Komponente

Fig. 4. Fig. 4 a.

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der Spalthalfte der schwanzbildenden des Vorderendes nieht aufkommt, vermag das gr~Bere und breitere Hinterende in Ver- such 4 seia Kopfbildungsbestreben geltend zu machen. Interessant ist an dem Resul- tat die Verschiebung des RUssels des Sup- plement~rkopfes, sowie die Verschiedenheit der beiden Augen (Fig'. 4a), Erscheinungen, auf die ich bei sp~terer Gelegenheit zurUck- kommen werde.

U m k e h r u n g der V e r s u c h e 1--3.

Versuch 5.

Schn i t t f t i h rung : Medianer Langsschnitt spaltet das Vorderende; Schwartz bleibt intakt. Spaltschnitt bis zur RUsselwurzel (Fig. 5).

R e g e n e r a t i o n s d a u e r : Wie oben. Resu l ta t : In der N~he des Schnittwinkels wird yon jeder Spalt-

h~lfte ein kleiner Schwanz gebildet (Fig. 5a).

Fig. 5. Fig. 5 a. Fig. 6. Fig. 7 a.

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Vorsuch 6.

Fig'. 7.

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S e h n i t t f t i h r u n g : Wie oben; Spaltschnitt bis in die Schwanz- gegend (Fig. 6/. Der Versueh mil~gltickte, da in allen F~llen die eine der Spalth~ilften autotomiert wird.

Organisatorische Resultanten. II. 173

Versuch 7.

Schn i t t f t ih rung : Wie oben; Spaltscbnitt bis zur Mitre zwisehen Kopfspitze und Rtisselwurzel (Fig. 7).

R e g e n e r a t i o n s d a u e r : Wie oben. Resu l t a t : Im Schnittwinkel unbedeutende Wucherungen (Fig. 7a).

I n t e r p r e t a t i o n : Die Verschiedenheit der Resultate der Versuehs- reihe an Doppelkopfplanarien mit den entspreehenden an Doppel- schwanzplanarien zeigt uns, dab die beiden Pole Kopf und Schwanz auch bezUglich ihres Regenerationsverhaltens sieh sehr verschieden verhalten. Experimente an Vorderenden lassen sich tiberhaupt nie- mals direkt mit u an Hinterenden vergleichen.

Immerhin scheint mir bemerkenswert, dab in Fall 5 die Spalt- halften Schwiinze zu bilden vermSgen, wahrend das in Fall 7 unter- bleibt. Vielleicht spricht dies ftir eine hemmende Wirkung des Hintercndes, die in Fall 7 die Schwanzbildung v(illig zu unterdrUcken vermag.

Mehr mSchte ich aus dieser ltickenhaften Versuchsreihe nicht sehlieBen. Dagegen sind unsre Experimente vielleicht in andrer Be- ziehung yon Bedeutung.

Man hat friiher angenommen, dab von einem Schnittrand aus sich dann ein Kopf bilde, wenn in ihm ein nach vorn gerichtetes freies Schnittende der Hauptnervenstiimme enthalten sei. Ja, BARDEEN halt sich sogar ftir berechtigt~ den SchluB zu ziehen:

~>The direct stimulus to head-formation arises .from an exposed chief coordinating region of the central nervous system. The head is formed with radial symmetry about the tip of the main intestinal branch extending to the cut surface in the vicinity of the exposed nervous system.,

Schon allein die Tatsache~ dab KSpfe im Winkel zwisehen zwei Hinterenden entstehen, in einer Gegend, wo das Centralnervensystem durch den Schnitt iiberhaupt nicht getroffen ist, verbietet eine Ver- allgemeinerung der yon BARDEEN bei einigen Experimenten gemach- ten Erfahrungen.

Der differenzierende EinfluB, der das Regenerat zum Kopf macbt, geht nicht yon einem bestimmten Organsystem des Regeneranten aus. Es scheint vielmehr, dab die gesamte KSrpermasse den Charakter der h'eubildung bestimmt, etwa so~ wie in irgend einem Furchungs- stadium die Gesamtheit der Blastomeren auf die einzelne Furchungs- zelle differenzierend einwirkt. Ganz ahnlieh, wie man durch L(isen

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des Kontaktes der Farehungszellen diesen EinfluB modifizieren kann, so dab Doppelbildungen entstehen, so kann man durch Einschnitte in den Planarienk(irper zwei oder mehrere Organisationscentren sehaffen. Solange jedoeh die Trennung nicht vollst~indig ist, solange beh~tlt der Gesamtorganismus seinen EinfiuB auf die Teile bei. Da- dureh kommen jene merkwUrdigen asymmetrisehen Regenerate zu- stande (vgl. Fig. 4a), welche uns aufs beste demonstrieren, dab sieh bei ihrer Bildung zwei Gestaltungsprinzipien kombiniert haben, dab sie durch eine organisatorisehe Resultante differenziert worden sind.