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„Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also aus Leiden.“ (Arthur Schoppenhauer) „Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“ (Henry Ford) „Man nimmt sich mit, wohin man geht.“ (Ernst Block)

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„Alles Wollen entspringt aus

Bedürfnis, also aus Mangel,

also aus Leiden.“

(Arthur Schoppenhauer)

„Wer immer tut, w

as er

schon kann, bleibt immer

das, was er schon ist.

(Henry Ford)„Man nimmt sic

h mit, wohin

man geht.“ (Ernst Block)

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4. Modell der Identitätsbedürfnisse nach Vern RedekopVern Redekop identifizierte in seiner Arbeit zu Konflikten fünf Identitätsbedürfnisse, die sowohl in internationalen Konflikten zwischen Völkern wie auch in Konflikten zwischen Einzelpersonen Gültigkeit haben. Offensichtlich ist die Erfüllung dieser Iden-titätsbedürfnisse nötig, dass sich Völker, Gruppen oder Einzelpersonen als vollstän-dig empfinden und in Frieden leben können. Die Nicht-Erfüllung eines dieser Bedürfnisse führt zu aggressiven Handlungen, um eine Erfüllung zu erreichen.

Die Identitätsbedürfnisse umfassen:

die Notwendigkeit, einen Sinn im Leben zu erkennen,

Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, einer Sprache, einem Land zu erleben,

Sicherheit,

die Handlungsfreiheit, sich zwischen Mög-lichkeiten zu entscheiden und auf das Ge-schehen um sich herum Einfluss zu nehmen und

Anerkennung zu erhalten.

Dabei geht er davon aus, dass jeder Mensch diese fünf von ihm festgelegten Bedürf-nisse hat, ungeachtet der Herkunft, der politischen Einstellung, des Geschlechts, der Bildung oder der sozialen Schicht, …

Das Bestechende an dieser Theorie ist die Tatsache, dass sie sowohl in internationa-len Konflikten zwischen Völkern als auch in Konflikten zwischen Einzelpersonen Gültig-keit hat.

Wenn eines dieser Bedürfnisse nicht be-friedigt wird, muss das Individuum darum „kämpfen“. Eine Nicht-Erfüllung eines die-ser Bedürfnisse führt somit zu aggressiven Handlungen, um eine Erfüllung zu errei-chen.

Wie diese Bedürfnisse befriedigt werden, hängt vom Individuum, dem kulturellen Hintergrund,… ab. Die Art der Befriedigung kann destruktiv sein und Konflikte hervor-rufen, z.B. wenn das Bedürfnis nach An-erkennung durch Unterdrückung eines Schwächeren befriedigt wird. Wie stark ein Bedürfnis ist, hängt davon ab, wie leicht verfügbar die Bedürfnisbefriedigung ist.

Vern Redekopist ein kanadischer Konfliktforscher, der weltweit in vielen Krisen- und Kriegsregionen tätig war bzw. ist (Bosnien und Herzegowina, Ruanda, ...) und im Rahmen dieser Arbeit mit der von ihm entwickelten Theorie der fünf Identitätsbedürfnisse arbeitet.

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4.1.1. Die Notwendigkeit, einen Sinn im Leben zu erkennen

Bei diesem Bedürfnis geht es darum, ei-nen Sinn in seinem Leben zu erkennen. Wa-rum steht man morgens auf? Warum möch-te man weiterleben? Wann ist ein Leben ein gutes Leben? Was ist ein Tabu, worüber wird gesprochen? Wann ist man erfolgreich? Was macht eine gute Beziehung aus? Um diese Fragen zu beantworten, ist Sprache not-wendig – es existiert nur das, für das man Worte hat.

Sprache und Kultur bilden dabei einen Rah-men, sodass die Bedeutungswelten von Menschen, die der gleichen Kultur angehö-ren, sich weitgehend decken. In so einer Bedeutungswelt erhält alles einen Grund, es gibt Antworten auf diese Fragen.

Zu dieser Kategorie gehören auch unser Gerechtigkeitssinn, unser Bild von gesun-den Beziehungen, die Idee von Fairness und die Vorstellung von vernünftigen Re-aktionen auf unsere wohlgemeinten Hand-lungen. Auch hier ist zu beobachten, dass Menschen, die einem Kulturkreis angehö-ren, eher ähnliche Vorstellungen dazu ha-ben, als Menschen mit ganz verschiedenem kulturellen Hintergrund.

4.1.2. Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu erleben

Es geht um gemeinsame Ziele, Werte, Tra-ditionen, Ansichten, Scherze, Tabus, Ideen, gesellschaftliche Normen und religiöse Din-ge. Die Vorstellung, dass Menschen eine ge-meinsame Bestimmung haben, die über die Lebenszeit hinausgeht, schafft Verbunden-heit.

Beispiele:

Ein Clique von Teenagern, die die gleiche Mode tragen, den gleichen „Slang“ spre-chen, die gleiche Musik hören, den gleichen „Schmäh“ laufen haben, ...

Die Kulturvereine von MigrantInnen, in de-nen sich Menschen mit derselben Herkunft regelmäßig treffen und ihre Traditionen und Bräuche pflegen.

4.1. Die einzelnen Identitätsbedürfnisse

Auch ein Lehrerkollegium ist ein Beispiel für Zugehörigkeit: es geht dabei nicht da-rum, immer der gleichen Ansicht zu sein, sondern dass man als PädagogIn einer Schu-le weiß, wohin man gehört.

4.1.3. Sicherheit zu fühlen

Damit wird die physische, emotionale, spi-rituelle und wirtschaftliche Sicherheit an-gesprochen. Menschenrechte, die Rolle der Polizei und der Schutz vor Willkür, aber auch die Sicherheit durch Beziehungen sind Beispiele in diesem Bereich.

Beispiele:

Die Sicherheit, nicht willkürlich auf der Straße verhaftet oder ohne Prozess wegge-sperrt zu werden

Die Sicherheit, den Job behalten zu kön-nen, um Geld für die Familie zu verdienen

Die Sicherheit, dass meine Mutter mich von der Schule/vom Kindergarten abholen kommt

Die Sicherheit, dass es nach dem Tod noch etwas gibt…

4.1.4. Anerkennung zu erhalten

Wir brauchen Wertschätzung für das, was wir tun und wer wir sind.

Bespiele:

Anerkennung für eine/n GastgeberIn, der/die groß aufkocht

Anerkennung für ein Kind, dem gerade et-was gelungen ist

Anerkennung für eine/n PädagogIn, der/die sich für die Klasse einsetzt und einen tollen Unterricht gestaltet

Anerkennung für die Meisterung der schwie-rigen Situation einer Familie mit Migrati-onshintergrund

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Beispiele:

Die Freiheit eines/einer PädagoIn, in einem gewissen Ausmaß Lerninhalte und Metho-den selbst zu bestimmen

Die Freiheit eines Angestellten, gewisse Entscheidungen, die relevant für das Pro-jekt etc. sind, in Eigenverantwortung zu treffen

Die Freiheit von Kindern, wählen zu kön-nen, was sie tun/anziehen/essen möchten

4.1.5.Handlungsfreiheitzuempfinden

Der Mensch braucht die Möglichkeit, be-deutsame Handlungen zu setzen und selbst über seine Handlungen zu entscheiden. Er muss seine Handlungen frei wählen und be-stimmen können. Dazu braucht er eine ge-wisse Kontrolle über die direkte Umwelt.

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4.2. Bedürfnisse und Gefühle

dekop mit dem Gefühl der Demütigung ver-bindet.

4.2.5. Handlungsfreiheit

Können wir etwas selbst entscheiden und diese Entscheidung hat Gewicht, dann ent-steht Motivation, das heißt, dass was wir meinen, wollen und tun hat Wert und be-wirkt auch etwas. Im Gegensatz dazu emp-findet ein Mensch, der nicht das Gefühl hat, Einfluss auf seine Umwelt nehmen zu kön-nen Ohnmacht. Es kann sogar soweit kom-men, dass er Depressionen entwickelt.

Die einzelnen Identitätsbedürfnisse sind sehr eng mit konkreten Gefühlsreaktionen verbunden. Während positive Gefühle in unserem Kulturkreis oft mit dem Gefühl der „Freude“ zusammengefasst werden, unter-scheidet Redekop sowohl im Bereich der positiven als auch der negativen Gefühle differenzierter und führt genau an, wel-che Gefühle jeweils bei Befriedigung bzw. Nicht-Befriedigung eines Bedürfnisses ent-stehen.

Daher ist es wichtig, die Nuancen unserer Gefühlswelt kennen zu lernen und benen-nen zu können, um adäquate Rückmel-dungen geben zu können.

4.2.1. Sinn

Im Bereich des Sinns reagiert der Mensch im positiven Sinne mit Zufriedenheit (ich weiß, wer ich bin und ich sehe einen Zweck in meinem Leben). Im negativen Fall erfüllt uns Zorn, wie wir ihn kennen, wenn wir mit Ungerechtigkeit konfrontiert sind.

4.2.2. Zugehörigkeit

Wenn ein Mensch zu einer Gruppe, einem Land, … gehört, dann „ist er wer“ und ver-spürt Geborgenheit. Wird diese Zugehörig-keit verweigert, erlebt er Trauer. Sehr klar spürbar ist dieses Gefühl beim Verlust eines nahen Angehörigen.

4.2.3. Sicherheit

Fühlen wir uns sicher, entwickeln wir die nötige Zuversicht, um Dinge in Angriff zu nehmen. Im Gegensatz dazu bewirkt Unsi-cherheit ein Gefühl der Angst, die uns hin-dert, frei zu handeln.

4.2.4. Anerkennung

Die Würde des Menschen ist in unserer Kul-tur sehr eng mit allen Arten von Titeln und Funktionsbezeichnungen verbunden. Spü-ren wir Hochachtung vor unserer Stellung, Arbeit etc. haben wir das Gefühl, etwas er-reicht zu haben und empfinden Stolz. Miss-achtet jemand unsere Person, so fühlen wir uns unzulänglich und minderwertig, was Re-

(Identitätsbedürfnisse nach Redekop)

Oft gibt es auch Mischgefühle: z.B. werden die Gründe für einen sozialen Ausschluss als ungerecht empfunden und es folgen Ge-fühle der Trauer und des Zorns. Oft überde-ckt der Zorn die primären Gefühle und es ist schwer, diese zu entdecken. Derartige Ge-fühlsbündel sind schwer zu entschlüsseln, da sie eigene Dynamiken entwickeln.

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Bedeutung für die pädagogische Praxis:

Berichten aus der Praxis von PädagogInnen verschiedenster Schultypen und –stufen konn-ten wir entnehmen, dass immer mehr Kinder unter einem deutlichen Mangel an „Gefühls-Vokabular“ leiden. Entweder ist alles „cool“ oder eben „uncool“. In diesem Zusammen-hang ist „leiden“ ganz bewusst gewählt, da man etwas, für das man kein entsprechendes Wort hat, nur sehr schwierig kommunizie-ren kann. Die Kinder fühlen zwar etwas „im Bauch krummeln“, können sich aber nicht entsprechend mitteilen bzw. verbalisieren, dass sie traurig, enttäuscht, stolz, glücklich, gekränkt, entspannt, verletzt, … sind. Die Er-weiterung des eigenen Gefühls-Wortschatzes führt zugleich dazu, auch die non-verbalen Gefühlsäußerungen der Mitmenschen anders oder überhaupt erstmals wahrzunehmen.

Methoden und Spiele:

In den Übungen zum Thema Gefühle: „Ein Dino zeigt Gefühle“, geht es darum, Ge-fühle wahrzunehmen, zu benennen, zu zei-gen, auszusprechen…

Übungen zum Thema „Identität“ ebenfalls im Kapitel Methoden und Spiele.

Wird ein Bedürfnis erfüllt bzw. nicht erfüllt hat es auf die Gefühlswelt Auswirkungen. Um diese Theorie mit Beispielen aus der Praxis zu untermauern befragten wir Teil-nehmerInnen in verschiedene Workshops, was ganz konkret in ihrem Leben passieren müsste, um diese Gefühle auszulösen.

Bedürfnis: Sinn

Gefühl bei Befriedigung:

Zufriedenheit

Beispiele:Workshop muslimischer Frauen

wenn alle anderen Bedürfnisse gedeckt sind

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

wenn die anderen Ziele erreicht sind

Freiheit, Gesundheit

Workshop mit PädagogInnen

nach einem langen Schultag zurückblicken und zufrieden sein

sich wohl fühlen

wenn was gelingt

Lebensbalance

wenn ich mich geliebt fühle

Arbeit mit Kindern

Gefühl bei Nicht-Befriedigung:

Zorn

Beispiele:Workshop muslimischer Frauen

wenn nicht alle Bedürfnisse gedeckt sind

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

unfaire, ungerechte Behandlung

nicht akzeptieren der Menschenrechte

Workshop mit PädagogInnen

nach einem langen Schultag zurückblicken und enttäuscht sein

Beziehung zerbricht

Arbeit mit Kindern

das Kind empfindet etwas sehr ungerecht

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Bedürfnis: Zugehörigkeit

Gefühl bei Befriedigung:

Geborgenheit

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

beim Unterricht in der Moschee

beim Frauentag in Moschee

liebe/nette Lehrerin

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

nicht in der Familie, sondern in selbst ge-wählten Kreisen

Freunde

Familie

Akzeptanz

Workshop mit PädagogInnen

bei meiner Familie

wenn ich mit einer Freundin ein gutes Ge-spräch führen

wenn ich weiß, ich bin willkommen

Arbeit mit Kindern

dazugehören zur Clique/Bande

wissen, zu welchem Land, zu welcher Kul-tur man „gehört“ (relevant bei Kindern mit Migrationshintergrund)

Gefühl bei Nicht-Befriedigung:

Trauer

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

als Ausländerin beschimpft werden

Workshop mit Gaststudierenden un-terschiedlicher Herkunft

in einer neuen Kultur leben, die Spra-che noch nicht zu beherrschen

Enttäuchungen erleben

Workshop mit PädagogInnen

Ich fühle mich allein (umgezogen in eine andere Stadt

es versteht mich niemand

Beziehung zerbricht

Arbeit mit Kindern

Verlust eines lieben Menschen

Ausgrenzung aus der Gruppe

neuer Wohnort, neue Schulklasse, …

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Bedürfnis: Sicherheit

Gefühl bei Befriedigung:

Zuversicht

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

keine finanziellen Probleme

Job

Respekt von den Mitmenschen

Wohnung

mit den Kindern ist alles ok

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

Freiheit

finanzielle Sicherheit, Miete bezahlen kön-nen

gültige Papiere, Arbeitsbewilligung

Vertrauen haben

bei Menschen, die ich liebe

wenn ich an die Zukunft denke

Workshop mit PädagogInnen

wenn ich einer Lösung entgegen blicke

wenn ich von allem ausreichend habe

Arbeit mit Kindern

das Kind ist sich sicher, dass die Mama am Nachmittag wieder kommt und kann das angebotene Programm im Kindergarten an-nehmen und genießen

Gefühl bei Nicht-Befriedigung:

Angst

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

man wird auf der Straße angespuckt

Ungleichbehandlung/man bekommt nicht die gleichen Rechte

ungültige Papiere

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

keine gute Arbeit zu finden

finanzielle Probleme

Ungewissheit

Angst haben, auf die Straße zu gehen

keine netten Menschen in der Nähe zu haben

Workshop mit PädagogInnen

nicht zu wissen, wie meine Job-Situation im Herbst ausschaut

wenn ich körperlich bedroht werde

wenn ich einen mir nahen Menschen verliere

dass meinem Kind etwas passiert

dass ich versage

Angst finanzielle Unabhängigkeit zu verlie-ren

Arbeit mit Kindern

es passiert immer wieder, dass ein Kind nicht (rechtzeitig) abgeholt wird, quasi „übrig bleibt“. Es ist den ganzen Tag nervös und fiebert dem Nachmittag entge-gen.

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Bedürfnis: Anerkennung

Gefühl bei Befriedigung:

Stolz

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

wenn ich Deutsch gelernt habe

Erfolg der Kinder in der Schule

wenn die Kinder gut erzogen sind und fol-gen

nach gelungener Diskussion zu merken, dass bei anderen Vorurteile abgebaut werden

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

Gute Ausbildung

Mein Job ist getan, meine Ziele erfüllt

Lohn/Gehalt zu bekommen

Workshop mit PädagogInnen

wenn ich meine Pläne verwirkliche

abklatschen nach einem guten Fußballspiel

wenn ich für eine Prüfung lerne und diese gut gelingt

auf Geleistetes

Stolz auf meine Familie

Lob von Kollegen

Arbeit mit Kindern

Anerkennung einer Leistung durch andere

etwas dann doch zu schaffen, was zuerst ganz schwierig erschien

Gefühl bei Nicht-Befriedigung:

Demütigung

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

angespuckt werden

Wohnungssuche (schwierig, weil Ausländer)

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

Fehler machen

sich mit anderen vergleichen und schlech-ter zu sein

wenn ich sehr gute Arbeit geleistet habe, aber der Lehrer denkt, dass jemand anderes das gemacht hat

arbeitslos zu sein

Workshop mit PädagogInnen

Meinung wird nicht gehört

jemand macht sich über mich lustig

mein Wert, meine Leistung wird nicht anerkannt

Arbeit mit Kindern

wenn Kinder zu spüren bekommen, dass sie minderwertig sind („du Zwerg“, „das schaffst du nie“, …)

keine Beachtung schenken

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Bedürfnis: Handlungsfreiheit

Gefühl bei Befriedigung:

Motivation

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

wenn man nicht alles den Chef fragen muss

deutschlernen, um mit den Kindergarten-pädagogInnen/LehrerInnen, Ärzten usw. zu sprechen

erfolgreich in der Arbeit

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

wenn ich bei der Arbeit mitgestalten kann

durch gute Ziele

Reisen, neue Kulturen, Freizeit

Workshop mit PädagogInnen

ich kann im Beruf und Privatleben selbst entscheiden

wenn ich Inhalte im Unterricht selbst be-stimmen

wenn mir Eltern von SchülerInnen etwas zu-trauen

positives Arbeitsklima

Arbeit mit Kindern

dem Kind wird ein Entscheidungsspielraum eingeräumt, es darf mitentscheiden

seine Meinung ist wichtig

Gefühl bei Nicht-Befriedigung:

Ohnmacht

Beispiele:

Workshop muslimischer Frauen

System (Asylgesetz)

ständige Absagen bei Bewerbungen

Workshop mit Gaststudierenden unter-schiedlicher Herkunft

Beschränkung der Handlungsfreiheit

keine Chance bekommen zu sprechen

bei der Arbeit Dinge zu machen, hinter die ich nicht stehe

Workshop mit PädagogInnen

negative Vorurteile

Hilflosigkeit

man möchte helfen – Hilfe wird nicht angenommen

Ich kann nichts mehr tun/die Sache nicht mehr aufhalten

Arbeit mit Kindern

wenn es trotz mehrmaligen Versuches nicht gehört werde

wenn es die Schuhe etc. angezogen bekommt, obwohl es das schon selber könnte

wenn über seinen Kopf hinweg entschieden wird

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4.3. Identitätsbedürfnisse im kulturellen Kontext

In vielen Fällen kommt auch noch die Sor-ge um eine wirtschaftliche Existenz hinzu. Dass ein Mensch in einer derartigen Situati-on auch gefühlsmäßig stark unter Druck ist, ist leicht nachzuvollziehen. Vermutlich ist es auch dieser Stress, der alltägliche Kon-flikte mit MigrantInnen, die noch nicht aus-reichend in die Aufnahmegesellschaft in-tegriert sind, oftmals emotionaler oder schwieriger erscheinen lassen.

Wenn in Situationen gleiche oder ähnliche Bewertungsmaßstäbe angesetzt werden, wird auch die Annerkennung ähnlich ausse-hen. Migrantinnen erleben oft, dass ihr Ver-halten in einer Situation anders „bewertet“ wird als in einer anderen, das macht sie un-sicher.

Beispiele: Wenn z.B. in einer Situation die Kleidung als angemessen und stimmig er-lebt wird, in einer anderen Situation jedoch dazu führt, als AußenseiterIn gesehen zu werden. Hier bleibt das Bedürfnis nach Zu-gehörigkeit unerfüllt. Weitere Beispiele wä-ren Höflichkeit und Arbeitsstil.

Die Kultur bestimmt, welche Formen der Befriedigung für die einzelnen Bereiche zur Verfügung stehen und auch akzeptabel sind. Dadurch kann es vorkommen, dass eine Mehrheit bzw. Minderheit für den jeweils anderen nicht akzeptable „Erfüller“ für diese Bedürfnisse zur Verfügung stellt bzw. für den anderen nicht akzeptable Handlun-gen zur Bedürfnisbefriedigung setzt.

Innerhalb einer monokulturellen Gesell-schaft herrscht im Bereich des Sinns grund-legende Übereinstimmung. Die europäische Norm sind jedoch Mehrheitsgesellschaften, in der die Brüche der „kulturellen Sinn-welten“ spürbar werden.

MigrantInnen aus sehr unterschiedlichen Kulturen kämpfen also im Grunde damit, sich in einer neuen Gesellschaft, deren Werte und Ordnungen ihnen nicht „nor-mal“ (so wie sie nach ihrem Empfinden sein sollten) erscheinen, zurechtzufinden. Wenn dann noch die Sprachbarriere dazu-kommt, ist auch ohne einen Konflikt die He-rausforderung, sich wohl zu fühlen, enorm.

Literatur

Redekop, Vern:From Violence to Blessing. Ottawa: Editions Novalis, 2002.