Annemarie Schimmel Muhammad

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ANNEMARIE SCHIMMEL MUHAMMAD

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KOM

PAKT

DIEDERICHS

ANNEMARIE

SCHIMMEL

MUHAMMAD

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Der Text dieses Bandes aus der Reihe »Diederichs kom-pakt« basiert auf einer früheren Veröffentlichung (1981) von Annemarie Schimmel über Muhammad bei Diede-

richs: Und Muhammad ist Sein Prophet – Die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit 

Die Deutsche Bibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeSchimmel, Annemarie:

 Muhammad / Annemarie Schimmel. – Kreuzlingen ;

 München : Hugendubel, 2002(Diederichs kompakt)ISBN 3-7205-2343-8

© Heinrich Hugendubel Verlag,Kreuzlingen / München 2002

 Alle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Zembsch’ Werkstatt, München

 Textredaktion: Nina Rößler, MünchenProduktion: Maximiliane Seidl

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer,Germering

Druck und Bindung: Huber, Dießen

Printed in Germany ISBN 3-7205-2343-8

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INHALT

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. D AS LEBEN MUHAMMADS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Der Beginn der Offenbarungen . . . . . . . . . . . . . 11

 Auswanderung nach Medina . . . . . . . . . . . . . . . 13 Muhammads Nachfolger: Die Kalifen . . . . . . . . 17

2. MUHAMMAD, DAS »SCHÖNE V ORBILD« . . . . . . . . 20Überlieferung seiner Lebensweise . . . . . . . . . . . 20

 Muhammads äußere Schönheit . . . . . . . . . . . . . 25Die ethische Haltung Muhammads . . . . . . . . . . 29

 Muhammads Verhältnis zu Frauen . . . . . . . . . . 30 Verbindung von Religion und Politik  . . . . . . . . 32

3. LEGENDEN UND W UNDER . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Öffnung der Brust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Das Wunder der Mondspaltung . . . . . . . . . . . . 36Der Prophet als umm≥  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36Barmherzigkeit für die Welten . . . . . . . . . . . . . 38

Der Fürsprecher seiner Gemeinde . . . . . . . . . . 39Der Segen über den Propheten . . . . . . . . . . . . . 40

 Weitere Wunder Muhammads . . . . . . . . . . . . . 42

4. DIE SÜNDLOSIGKEIT DES PROPHETEN . . . . . . . . . 46Die Eigenschaften des Propheten . . . . . . . . . . . 47

 Muhammads Sündenfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . 48

5. DIE N AMEN DES PROPHETEN . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Muhammad, Mahmud und Ahmad . . . . . . . . . . 51 Von seinen Gläubigen ihm zugedachte Namen 52 Mystische und kabbalistische Spekulationen . . . 55

6. D AS LICHT MUHAMMADS UNDSEINE V EREHRUNG IN DER M YSTIK  . . . . . . . . . . . 57

Die Lichtmetaphysik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Die vorzeitliche Stellung Muhammads . . . . . . . 59

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7. MUHAMMADS GEBURTSTAGSFEST . . . . . . . . . . . . 63Das Feiern von Muhammads

Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

 Wunder bei der Geburt Muhammads . . . . . . . 658. DIE HIMMELSREISE DES PROPHETEN . . . . . . . . . 68

Körperliche oder geistige Reise? . . . . . . . . . . . 69Überragender Rang Muhammads . . . . . . . . . . 70

9. LOBLIEDER AUF DEN PROPHETEN . . . . . . . . . . . . 74Hassan ibn Thabit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74Die Burda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

10.DER MUHAMMADANISCHE PFAD . . . . . . . . . . . . . 79 Ahmad Sirhindi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Die neue œar≥qa mu∑ammadiyya-Bewegung . . . 83

 A NMERKUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

BEGRIFFSGLOSSAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88N AMENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94ZUR A UTORIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

K  ASTENTEXTE

 Muhammads Stammbaum . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Muhammad und der Koran . . . . . . . . . . . . . . . 12

Die Lebensdaten Muhammads im Überblick . 15

Sunna und ∑ad≥th . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Sufis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Laul≤ka laul≤ka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Naqschbandiyya-Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

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EINFÜHRUNG

 Von früh an hat mich das Unverständnis bekümmert, mitdem die westliche Welt der Gestalt des Propheten Mu-hammad gegenüberstand – nicht nur der Durchschnitts-bürger, sondern auch viele Orientalisten, die in ›histori-scher Kritik‹ dazu neigten, die negativen Qualitäten

  Muhammads herauszuarbeiten. Dazu zählen auch jenemittelalterlichen Fabeln, in denen der das Abendland unddie christliche Kultur bedrohende Islam verzerrt darge-stellt wurde. Reaktionen gegen die türkischen Gastarbei-ter, gegen arabische Terroristen, gegen den so genanntenFundamentalismus gehören zu diesem Negativbild ebenso

 wie die Unfähigkeit, in unserer pluralistischen Gesellschaft

eine fremde Religion ihrem eigenen Wahrheitsgehalt ent-sprechend anzuerkennen. Zunehmende Säkularisierungmacht es vielen Menschen offenbar unmöglich, Ehrfurcht

 vor etwas zu empfinden, das anderen heilig ist.  Muhammad ist für die Muslime Vaterfigur, der ver-

ehrte Älteste der menschlichen Familie, in dem die Of-fenbarungen aller früheren Propheten gipfeln, derjenige,

dessen Beispiel man folgen muss, wie man dem Beispieldes geliebten Vaters folgt. Seine Gegenwart wird erfah-ren, wenn der Segen Gottes über ihn herabgefleht wird;sein Name trägt segnende Kraft in sich; der Besuch seinesGrabes in Medina hat Millionen von Menschen seelischerhoben, und Dichter aller Zungen haben ihre Sehnsuchtnach diesem Platze gesungen. Und wenn er durch die Jahrhunderte als Fürsprecher am Tage des Gerichts er-scheint, auf dessen Liebe man sich verlassen kann, sosieht der moderne Politiker in ihm den Gründer einerKultur, in der religiöse Hingabe (denn das heißt ›Islam‹)und Wirken in der Welt unlösbar verbunden sind, einenpolitischen Führer, der Gleichheit und Brüderlichkeit ge-predigt hat.

 Verständnis für die religiösen Gefühle anderer Men-schen, die man nicht mit verächtlich-überheblicher 7

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Handbewegung als ›mittelalterlich‹ oder ›fundamentalis-tisch‹ abtun darf – das sollten wir lernen. Vielleicht kanndieses Buch über die Gestalt Muhammads helfen, Werte

des Islams zu erkennen, von denen auch der Gebildetekaum etwas ahnt.

Bonn, Mai 2002 Annemarie Schimmel

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1. DAS LEBEN MUHAMMADS

Die Lebensgeschichte Muhammads ist uns aus verschie-denen Quellen bekannt. Einmal enthält der Koran man-cherlei Hinweise auf Ereignisse in seinem Leben sowieim Leben der jungen muslimischen Gemeinde; sodann wurden seine Aussprüche gesammelt und im Laufe der

  Jahrhunderte zusammengefasst. Diese Aussprüche undBerichte, ∑ad≥th, helfen, die Lebensgeschichte und dieHaltung Muhammads bis zu einem gewissen Grade zurekonstruieren. Auch die Gedichte Hassan ibn Thabits,des medinesischen Dichters, der die wichtigsten Ereig-nisse im Leben der Gemeinde und des Propheten besangund die Gegner der Muslime schmähte, sind wichtige

Quellen. Berichte über die Kriegszüge des Propheten da-tieren in die früheste Zeit zurück, und schon bald begannman, seine Biografie, s≥ra, zu schreiben. Das Werk Ibn Is-haqs, redigiert von Ibn Hischam, ist zur Grundlage allerspäteren  s≥ra-Werke geworden. Dass sich dabei zahlrei-che Legenden ankristallisierten, versteht sich von selbst –es sind ja solche Legenden, aus denen man das Charisma

des religiösen Führers besser erkennt als aus trockenenFakten. Man kann Muhammads Kurzbiografie, unterEinbeziehung des oben genannten Materials, etwa fol-gendermaßen darstellen:

KINDHEIT UND JUGEND

 Muhammad wurde in einem Zweige der in Mekka herr-schenden Sippe Quraisch geboren – nach islamischer Be-rechnung im Juni 569 (so M. Hamidullah).1 Seine Familie  waren hoch angesehene, aber verarmte Patrizier. Sein Vater, ‘Abdallah, starb vor seiner Geburt, seine Mutter, Amina, als er noch ein Kind war. Zunächst sorgte eine  Amme, Halima, für den Knaben, und die Bemerkung,dass er ihr einst abhanden kam, wird von späteren Dich- 9

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tern in ein wundersames Zeugnis seiner Größe umge-formt:

Sei nicht besorgt – er geht dir nicht verloren:Er ist es, in dem die ganze Welt verloren geht!

(Mathnaw≥ IV 976)

Ob das Wunder der Brustöffnung (s.u.) an dieser Stelleeinzusetzen ist, ist nicht klar. Muhammad wurde dannunter den Schutz seines Oheims Abu Talib gestellt, des-

sen Sohn Ali einer seiner ersten Anhänger werden sollte. Abu Talib nahm Muhammad, sobald er alt genug war, auf eine Karawanenreise nach Syrien mit; dabei soll er denchristlichen Mönch Bahira getroffen haben, der in ihmden künftigen Propheten erkannte und das »Siegel desProphetentums«, ein Muttermal oder eine Geschwulstzwischen seinen Schulterblättern, sah. Muhammad soll

damals etwa zwölf Jahre alt gewesen sein. In den folgen-den Jahren widmete Muhammad sich – wie zahlreiche Mekkaner – dem Handel.

Zu dieser Zeit stellte Arabien keine politische Einheitdar; die Araber waren in nomadische und sesshafte, nord-

10

MUHAMMADS STAMMBAUM

‘Abd al-Muttalib (†580)

Abu Talib (†619) ‘Abdallah ∞ Amina

A’ischa ∞ Muhammad (569–632) ∞ Chadidscha (†619)

‘Ali ∞ Fatima al-Qasim (starb im Säuglingsalter)(†661) (607–632) 2 weitere Söhne (starben ebenfalls

im Säuglingsalter)

Hasan – Husain – Zainat 3 weitere Töchter(†670) (†680) (älter als Fatima)

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und südarabische Stämme zersplittert, die häufig mitei-nander in Fehde lagen. Mekka war nicht nur wirtschaftli-ches, sondern auch religiöses Zentrum der arabischen

 Welt. Die große Mehrheit der Araber hatte recht vage,eher magische religiöse Vorstellungen. Insbesondereglaubten sie nicht an ein Leben nach dem Tod. Es wur-den unter anderem mehrere weibliche Gottheiten wie al-Lat, ‘Uzza und Manat verehrt. Doch gab es durchaus die Vorstellung, dass sie als Töchter einem obersten Gott –al-ilah bzw. Allah – untergeordnet seien: ein Begriff, der

  weder Plural – noch weibliche Form kennt, also unge-schlechtlich ist.

DER BEGINN DER OFFENBARUNGEN

 Muhammads ältere Handelsherrin, Chadidscha, heiratete

ihn, als er etwa 25 Jahre alt war. Sie gebar Muhammad vier Töchter und ein oder zwei früh verstorbene Söhne.Die Ehe Muhammads mit Chadidscha war sehr glücklich;die mütterliche Frau hatte Verständnis für die religiösenErlebnisse, die Muhammad etwa in seinem vierzigstenLebensjahr überkamen. Er hatte sich schon für eine Zeitlang zu Meditationszwecken in die nahe Mekka gelegene

Höhle Hira zurückgezogen, als die erste Offenbarung ihnüberfiel, die ihn erschreckend erkennen ließ, dass sichhier Gott offenbarte, der ihm befahl, seine Mitbürger zueinem reinen, unbedingten Glauben zu rufen. »Die Of-fenbarung kommt manchmal wie das Klingeln einerSchelle, das ist die schmerzhafteste Art. Wenn es aufhört,habe ich behalten, was gesagt worden ist. Manchmal ist esein Engel, der wie ein Mensch zu mir spricht, und ich be-halte, was er sagt.« So beschreibt der Prophet seine Of-fenbarungen.

Die Mekkaner verehrten eine Vielzahl von Gottheiten,deren Bilder sich zum Teil in der Kaaba befanden; die Wallfahrten zu diesem Platze, verbunden mit den jährli-chen Messen und Märkten, waren ein zentraler Teil dermekkanischen Wirtschaftsordnung. Soweit man aus denliterarischen Zeugnissen schließen kann, war das tiefere 11

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religiöse Leben weder bei den arabischen Stämmen nochbei den mekkanischen Kaufleuten besonders stark entwi-ckelt; Fatalismus war weit verbreitet und drückt sich in

der Poesie oftmals aus. Es gab einige jüdische, z.T. nicht-orthodoxe Siedlungen in der Arabischen Halbinsel, auchchristliche Gruppierungen, da die sich an Arabien an-schließenden Gebiete Syrien, Mesopotamien und Ägyp-ten von Christen verschiedenster Bekenntnisse bewohnt  waren, so dass Monophysiten, Nestorianer und andereSplittergruppen den Arabern durchaus bekannt waren.

 Auch gab es einzelne Sucher, die einen reineren Glaubenals den in Arabien vorherrschenden ersehnten; sie werdenals ∑an≥f  bezeichnet, und Muhammad kannte sie durchdie Verwandtschaft seiner Frau: im Koran erscheinen sieals die Vertreter der reinen Religion Abrahams.

Die Botschaft, die Muhammad etwa ab 610 erhielt,sprach von Gott als dem Schöpfer und Richter, der die

  Menschen eines Tages vor seinen Richterstuhl fordern wird, wenn sie sich nicht den Geboten der Nächstenliebe,Gerechtigkeit und Ehrlichkeit unterwerfen. Die Schre-

12

MUHAMMAD UND DER KORAN

Koran, arab. »Vortrag, Lesung«, Zusammenstellung der durch den EngelGabriel übermittelten gesammelten Offenbarungen Allahs an Muham-mad in 114 durch den Kalifen ‘Othman ( reg. 644–656) in absteigenderLänge nach geordneten Suren, eingeleitet von der F≤ti∑a, dem »Vaterun-ser des Islams«.Die erste Offenbarung erreichte Muhammad während des Monats Ra-madan im Jahr 610 in der Höhle Hira;der Engel Gabriel befahl ihm zu le-sen. Jedes Mal, wenn Muhammad eine Offenbarung empfing, teilte er ih-

ren Wortlaut mit. Er sorgte dafür, dass die Verse von seinen Sekretärenschriftlich auf den verschiedensten Materialien festgehalten wurden. Dasich die Offenbarungen bis zum Tode des Propheten über 22 Jahre hinzo-gen, kam es immer wieder zu Ergänzungen.Der Koran ist das heilige Buch des Islam,da er das »inlibrierte«, Buch ge-wordene Wort Gottes darstellt, so wie Jesus für die Christen das »inkar-nierte«, fleischgewordene Wort Gottes ist. Gemäß dem Glauben der

Muslime sind diese Offenbarungen die Wiedergabe einer im Himmel be-findlichen Urschrift.

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cken des Jüngsten Tages wurden in den früheren Suren(Kapiteln) des Korans in packenden, kurzen, wie ge-peitschten, reimenden Sätzen verkündet. Die Mekkaner,

diesseitsgläubig wie sie waren, konnten keinen Sinn in ei-ner Auferstehung der Toten finden; aber die Offenbarun-gen, die Muhammad immer wieder erhielt, zeigten ihnen,dass ja auch die scheinbar tote Erde im Frühjahr wiederfrisches Grün hervorbringt und dass das Wunder derEmpfängnis und Geburt nicht geringer ist als das derleiblichen Auferstehung.

Die Spannungen zwischen Muhammad und führenden Mekkanern wuchsen, und eine Gruppe seiner Anhänger wanderte nach Abessinien (Äthiopien) aus, weil der dortpraktizierte christliche Glaube dem Islam am nächsten zustehen schien.

AUSWANDERUNG NACH MEDIN A

Im Jahr 619 verlor Muhammad seine treue Gattin Cha-didscha und seinen Onkel Abu Talib, der, wenn er auchden neuen Glauben nicht angenommen hatte, doch im-mer seine schützende Hand über den Neffen gehaltenhatte. Auf Einladung einer Delegation aus dem nördlich

gelegenen Jathrib wanderte Muhammad mit seinen Ge-treuen dorthin aus, und die Stadt wurde bald als Madina,»die Stadt (des Propheten)«, bekannt. Der Zeitpunkt der

 Hidschra, »Auswanderung« (622), bildet den Beginn derislamischen Zeitrechnung. Die Legende liebt es, darauf hinzuweisen, wie Muhammad und sein alter treuerFreund Abu Bakr, von den Mekkanern verfolgt, sich ineiner Höhle verbargen, wo eine Spinne ihr Netz über denEingang spann, so dass niemand hier einen Zufluchtsort vermutete (vergleiche Sura 9/40), und der persische Aus-druck  y≤r-i gh≤r , »Freund der Höhle«, bedeutet die engs-te Verbundenheit zweier Menschen.

In Medina war Muhammad gerufen, die politischenProbleme der aus verschiedenen Gruppen bestehendenStadt zu lösen. Es gelang ihm, eine Gemeindeordnung zuschaffen, die auch die  Muhadschirun, die »Fluchtgenos- 13

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sen«, und die Ansar , die medinensischen »Helfer«, einbe-zog und die zur Basis späterer islamischer Verwaltung wurde. Eine Schlacht bei Badr mit den Mekkanern (624)

endete mit einem Sieg der muslimischen Minderheit; ca.312 Muslime besiegten ungefähr 950 mekkanische Krie-ger: Hier liegt eines der entscheidenden Bestätigungs- wunder für die junge Gemeinde. Die Hand voll Kiesel-steine, die Muhammad gegen die Gegner schleuderte,entschied den Kampf, und der Koran (Sura 8/17) verkün-dete in Bezug auf diese Tat: »Nicht du warfest, als du

  warfst, sondern Gott warf« – eine Aussage, die zurGrundlage zahlreicher Spekulationen wurde. Mit Badr war der eigentliche Durchbruch gelungen, und der Namedieser Schlacht steht in der späteren Literatur für dasgroße Ereignis im Leben der jungen Gemeinde. Dass dieein Jahr später bei Uhud stattfindende Schlacht nicht dengleichen Erfolg hatte, besagte wenig. Die Mekkaner ver-

suchten dann, Medina zu belagern, doch da auf Rat einespersischen Muslims ein Graben ausgehoben wurde, zo-gen sie, nicht an Belagerungstechniken gewöhnt, erfolg-los ab. Ein Jahr später, 628, versuchte Muhammad erst-mals die Pilgerfahrt nach Mekka zu vollziehen, erreichte  jedoch nur den Abschluss eines Vertrages, in dem die Mekkaner ihn als gleichberechtigten Partner anerkann-

ten. In der gleichen Zeit wurden einige jüdische Siedlun-gen in der Umgebung von Medina zerstört. Die Juden von Medina lehnten es zu Muhammads Enttäuschung ab,die von ihm mitgeteilten Offenbarungen als Vollendungder Tora anzusehen. Die ablehnende Haltung der Juden,zusammen mit der wachsenden Rückwendung der Musli-me nach Mekka, führten dazu, dass die Gebetsrichtungder Muslime, die früher nach Jerusalem gewiesen hatte,nun nach Mekka zu dem Zentralheiligtum der Kaaba ge-  wendet wurde. Damit rückte das Ziel, die heilige Hei-matstadt zurückzugewinnen, immer stärker in den Mit-telpunkt von Muhammads Politik, und 630 konnte er in  Mekka einziehen, wo er seinen Gegnern verzieh. DieKaaba wurde aller Idole entkleidet und blieb von da andas bildlose Zentrum des Kultes, zu dem sich die Gläubi-gen in aller Welt fünfmal täglich im Gebet wenden und14

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das sie bei der Pilgerfahrt im letzten Mondmonat des isla-mischen Jahres feierlich im rituellen Gewande umkrei-sen.

  Muhammad kehrte wieder nach Medina zurück, woseine Familie lebte. Er hatte nach dem Tode Chadidschasmehrfach geheiratet; die blutjunge A’ischa, die Tochterseines Freundes Abu Bakr, war seine Lieblingsfrau; einigeseiner Frauen waren die Witwen von im Kampf gefalle-nen Muslimen; auch eine koptische Sklavin gebar ihm ei-nen Sohn, der jedoch bald nach der Geburt starb. Das

Recht, mehr als die sonst dem Gläubigen zugestandene Anzahl von vier Frauen zu ehelichen, hatte ihm die Of-fenbarung verliehen, wie sich auch Hinweise auf häusli-che Probleme in den späteren Suren des Korans finden.

Denn die koranischen Offenbarungen hatten nie aufge-hört. Während sie zu Beginn von Muhammads Laufbahn

  von den Schrecken des Gerichtes, von der Allmacht deseinen und einzigen anbetungswürdigen Gottes sprechen,enthalten sie in der mittleren Krisenperiode viele Hinwei-se auf die Leiden früherer Propheten, die dazu dienen sol-len, Muhammad selbst in seinem Kampf zu stärken. DieErwähnung der aus biblischer Tradition stammenden Fi-guren wie Moses, David, Joseph, Salomo und Jesus in ei-

nem von der christlich-jüdischen Tradition abweichendenKontext hat bei westlichen Forschern immer wieder die

15

DIE LEBENSDATEN MUHAMMADS IM ÜBERBLICK

569 Muhammad wird in Mekka geboren

etwa 594 Heirat mit Chadidscha610 Beginn der koranischen Offenbarungen in der Höhle Hira619 Tod Chadidschas und Abu Talibs622 Hidschra, Auswanderung von Mekka nach Medina, Beginn

der islamischen Zeitrechnung; Heirat mit A’ischa624 Sieg der Muslime gegen die Mekkaner in der Schlacht von

Badr

630 friedlicher Einzug in Mekka632 Tod Muhammads in Medina

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Frage nach den Quellen der Offenbarung aufkommen las-sen, und während eine umfangreiche Literatur über Mu-hammads bewusste oder unbewusste Entlehnungen aus

der jüdischen, christlichen (nestorianischen oder mono-physitischen) Überlieferung besteht, sind diese Geschich-ten für den Muslim nur ein weiterer Beweis dafür, dass derKoran tatsächlich Gottes Wort ist – denn der Prophet

 Muhammad, der im Koran als umm≥ bezeichnet wird (wasdie islamische Tradition in der Regel als »des Lesens undSchreibens unkundig« interpretiert), konnte ja diese Er-

zählungen nirgendwo gelesen haben: wie hätte er sie be-nutzen können, wenn sie nicht inspiriert waren? Wie demauch sei, im Koran dienen die Geschichten der früherenPropheten, die mit Adam beginnen, als Paradigmata fürdas Leben des Propheten, und wie die früheren Völker,die ihren gottgesandten Warnern nicht glaubten, vernich-tet wurden, so droht auch den Mekkanern Vernichtung,

  wenn sie die von Muhammad verkündete Botschaft desHerrn nicht anerkennen.

In Medina wird dann der Islam institutionalisiert, undder Inhalt der Offenbarungen ist oftmals zeitbezogen und

  wendet sich politischen und sozialen Fragen zu, wie siesich aus der Rolle Muhammads als Staatsführer ergaben.Er selbst wird den Gläubigen als »schönes Modell« (Sura

33/21) hingestellt, und sie werden ermahnt, ihm zu folgenund sein Beispiel nachzuahmen, wie sie auch erfahren,dass er ra∑matan lil‘≤lam≥n, als »Erbarmung für die Wel-ten« (Sura 21/107), gesandt worden ist und dass Gott unddie Engel Segensformeln über ihn sprechen (Sura 33/56).

Im Jahre 632 leitete Muhammad die Wallfahrt nach Mekka, und die Art, wie er sie vollführte, blieb richtung- weisend bis zum heutigen Tage. Wenige Wochen danachstarb er am 8. Juni 632 im Haus seiner Lieblingsfrau A’i-scha. Sein Grab in Medina wurde zu einem Zentrum desreligiösen Lebens, selbst wenn rigorose Theologen wieIbn Taimiyya im Mittelalter oder die Wahhabiten im 18.und 19. Jahrhundert gegen die Wallfahrt nach Medina ei-ferten. Der Pilgrim, der vor dem Grabe steht, wird, auf   Muhammads Abschiedspredigt Bezug nehmend, spre-chen:16

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Ich bezeuge, daß du der Gesandte Gottes bist. Du hastdie Botschaft mitgeteilt. Du hast den Auftrag erfüllt.Du hast deine Gemeinde beraten und das Dunkel er-

hellt und Ruhm über die Finsternis gegossen und Wor-te des Weisheit gesprochen.2

MUHAMMADS NACHFOLGER:DIE KALIFEN

  Muhammad hatte keinen Nachfolger bestimmt. SeinSchwiegervater Abu Bakr wurde sein erster Nachfolger,chal≥fa, »Kalif«. Ihm folgte 634 der mächtige, streitbar-gerechte ‘Omar al-Faruq, und nach dessen Ermordung644 wurde ein Mitglied des mekkanischen Adels, ‘Oth-man, Kalif. Ihm wird die Redaktion des Korans in der jetzt noch gültigen Form von 114 in absteigender Länge

geordneten Suren, eingeleitet von der F≤ti∑a, dem »Va-terunser des Islams«, zugeschrieben. Als ‘Othman 656ebenfalls ermordet wurde, folgte ihm Ali ibn Abi Talib(‘Ali), der Vetter und Schwiegersohn Muhammads: er istes, dem die Schiiten ( sch≥‘at ‘Al≥ , »Partei Alis«) Loyalitätzollen, und er und seine Nachkommen von der Prophe-tentochter Fatima, vor allem aber seine Söhne Hasan

und Husain, sind Zentralfiguren schiitischer Frömmig-keit. Der schiitische Glaube ist heute vor allem in Iran vertreten.

Die Verehrung für die Familie des Propheten ist nichtnur religiös wichtig, sondern wurde auch zu einem poli-tisch höchst bedeutenden Faktor in der Islamgeschichte.Die Schiiten vertraten von Anfang an den Gedanken, dass  Ali ibn Abi Talib der einzige legitime Nachfolger desPropheten sei, der ihn im letzten Jahr seines Lebens am Teich Ghadir Chumm eingesetzt habe. Aber Alis ältererSohn von Fatima, Hasan, wurde nach seines Vaters Er-mordung 661 von der nun an die Macht kommendenomayyadischen Dynastie abgefunden und starb einigeZeit später, wahrscheinlich an Gift; der jüngere Sohn unddritte Imam der Schia, Husain, zog im Herbst 680 denomayyadischen Regierungstruppen im Irak entgegen und 17

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 wurde mit dem größten Teil seiner Anhänger am 10. Mu-harram (10. Oktober) 680 bei Kerbela getötet. Dieses Er-eignis bildet den Ausgangspunkt für die Passions-Fröm-

migkeit der Schiiten, die ihren Niederschlag schon frühin Poesie und Prosa, in späterer Zeit auch in dramati-schen Darstellungen des Leidens von Imam Husain undseiner Familie gefunden hat.

 Von Husains Sohn Zainul‘abidin leiten sich dann die verschiedenen schiitischen Strömungen ab: die Fünfer-schiiten erkennen Zaid, den fünften Imam, als abschlie-

ßenden Leiter der Gemeinde an und stehen in vielerHinsicht den Sunniten sehr nahe; die Siebenerschiitenoder Ismailis vertreten in ihren verschiedenen Zweigeneine esoterische Interpretation des Islam, während dieZwölferschia über Ismails Bruder Musa al-Kazim biszum zwölften Imam weitergeht, der 873 verschwundensein soll und eines Tages zurückkehren wird, »um die

Erde mit Gerechtigkeit zu erfüllen, wie sie jetzt mitUngerechtigkeit erfüllt ist«. Diese Gruppe bildet seit1501 die Staatsreligion in Iran. Die Schiiten erkennenmit Muhammad nicht blutsverwandte Kalifen, darunterdie ersten drei (Abu Bakr, ‘Omar und ‘Othman), nichtan.

 Aber auch die Sunniten, »die Leute der prophetischen

 Tradition und der Gemeinschaft«, verehren die Familiedes Propheten tief, und die sayyids oder schar≥f , die Nach-fahren Alis und Fatimas, und unter ihnen wiederum be-sonders die Nachkommen Husains, werden noch heutein vielen Gebieten mit höchster Ehrfurcht behandelt.Das Gefühl, dass in den  sayyid -Familien noch etwas vonder baraka, der Segenskraft des Propheten, erhalten ist,hat zu dieser Verehrung geführt, die vor allem in Indo-Pakistan noch ganz lebendig ist. Während die wichtige –oft auch politisch entscheidende – Rolle der  sayyids  biszum heutigen Tage fortdauert, sind andere Gestalten ausder Umgebung des Propheten zu Symbolen bestimmterSeelenhaltungen oder Trägern bestimmter Ideologiengeworden. Abu Lahab, ein Onkel Muhammads und seinErzwidersacher, ist, wie seine Frau, ein Beispiel für denUngläubigen, der sich gegen die von Muhammad ver-18

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kündete neue Ordnung stemmt und alles tut, um demPropheten den Weg zu verstellen (s. Sura 111). Zu denpositiven Gestalten gehört Bilal, Muhammads abessini-

scher Gebetsrufer, der manches Mal vom Propheten ge-beten wurde: »Erquicke uns mit dem Ruf zum Gebet!«,denn das Gebet erinnerte den Propheten an seine Him-melsreise. Bilal, der Äthiopier, der früh zum Islam über-trat und von seinem mekkanischen Dienstherrn deswe-gen gefoltert wurde, bis Abu Bakr ihn freikaufte, wurde inder volkstümlichen Tradition zum Symbol der Schwar-

zen, die in den Islam aufgenommen und dadurch mit demfrei geborenen Muslim gleichgestellt werden. Besonders wichtig ist die Rolle Salman al-Farisis unter den Anhän-gern des Propheten. Er, ein persischer Barbier, schlosssich dem Propheten an und wurde deshalb in der späterenesoterischen Auslegung zum Symbol der in den Islamadoptierten Perser, zum Muster all jener, die sich dem Is-

lam anschließen und auch ihre eigenen Kenntnisse zurBereicherung des Islams mitbringen (Salman hatte denGraben ziehen lassen, der die Medinenser bei der Belage-rung rettete). Als Barbier wurde er zum Patron derHandwerker, zum ersten der zahlreichen Zunftheiligenim Islam.

Schließlich soll aus denjenigen Frommen, die in der

mystischen Muhammad-Biografie eine besondere Rollespielen, Uwais al-Qarani erwähnt werden, der im Jemenlebte und, ohne den Propheten je gesehen zu haben, sichzum Islam bekehrte. Muhammad soll von ihm gesagt ha-ben: »Wahrlich, ich spüre den Hauch des Allerbarmersaus Jemen zu mir kommen«, und in der mystischen Tra-dition ist Uwais derjenige, der ohne irdischen Meister indie Mysterien eingeweiht wurde: ein uwaisi -Mystiker hatkeinen irdischen Lehrer, sondern ist von Gott oder demgeheimnisvollen Chidr in die Geheimnisse des Pfadeseingeweiht worden. Und so lebendig sind diese Figurenin der Tradition der islamischen Länder, dass noch im 20. Jahrhundert ein Urdu-Dichter (Urdu ist eine neuindischeSprache, die Amtssprache von Pakistan) sein dem Pro-pheten ganz ergebenes Herz und seine liebende Seele mitBilal und Uwais vergleichen kann. 19

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2. MUHAMMAD, DAS»SCHÖNE VORBILD«

ÜBERLIEFERUNG SEINERLEBENSWEISE

 Muhammad hat niemals behauptet, irgendwelche über-menschlichen Fähigkeiten zu besitzen. Er wollte nichts

sein als »ein Diener, dem offenbart worden ist«, und wennman ihn aufforderte, Wunder zu vollbringen, so wies erauf den Koran hin – dass er ihn seinem Volke in klarerarabischer Sprache verkündet hatte, war das einzige gro-ße Wunder seiner Laufbahn. Der Koran stellte fest, dasser an Menschen wie Dschinnen gesandt war, und man-cherlei Anspielungen auf geheimnisvolle Ereignisse dien-

ten den Kommentatoren und volkstümlichen Predigerndazu, den Propheten mit zahlreichen Wundergeschich-ten zu umgeben. Es sind diese Erzählungen, die den ei-gentlichen Kern der hohen und volkstümlichen Litera-tur, vor allem aber der Poesie bilden, wie sie im Laufe der Jahrhunderte über Muhammad geschrieben wurde. Aberder Prophet selbst wusste, dass er nur der Mittler des

  Auftrages war, und die Schönheit des Korans war ihmund seinen Anhängern Beweis für dessen göttliche Her-kunft.

 Wenn seine mekkanischen Landsleute ihn aufforder-ten, seine Sendung durch Wunder zu beglaubigen, so wurde ihm eingegeben (Sura 17/90):

 Wahrlich, wenn sich auch Menschen und Dschinnenzusammentäten, um einen Koran wie diesen hervorzu-bringen, sie brächten keinen gleichen hervor, auch

 wenn die einen den anderen beistünden.

Denn so eloquent die Araber auch sein mochten, so per-fektioniert ihre großartige Dichtung war – selbst ihnen war es unmöglich, eine Offenbarung zu verkünden, diesich dem Koran vergleichen ließ. Diese zentrale Stellungdes Korans in der islamischen Heilsgeschichte steht phä-20

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nomenologisch parallel zu der Stellung Christi im Chris-tentum – das inkarnierte, Fleisch gewordene Gotteswortim Christentum entspricht dem inlibrierten (so Harri

 Wolfson), Buch gewordenen Gotteswort im Islam. Es istdaher nicht zulässig – jedenfalls theologisch und phäno-menologisch nicht –, Muhammad und Jesus zu verglei-chen. Muhammad wusste und wurde durch die korani-sche Offenbarung immer wieder daran gemahnt, dass ernur ein Mensch war, dessen einziger Vorzug darin be-stand, dass ihm die Offenbarung zuteil geworden war.

»Sprich: Ich bin nur ein Mensch wie Ihr; geoffenbart ward mir, daß euer Gott ein einziger Gott ist«, heißt es inSura 41/5, und bei anderer Gelegenheit wird ihm einge-geben: »Sprich: Und nicht sage ich zu euch: ›Bei mir sindGottes Schätze‹, auch nicht ›Ich weiß das Verborgene‹,auch sage ich nicht ›Ich bin ein Engel‹« (Sura 6/50).

  Was ihm geschieht, ist nichts anderes als die unver-

diente, unerklärliche frei wählende Gnade Gottes. Und  wenn ihn die Mekkaner fragten, wann denn nun dieStunde des Gerichtes eintreffen würde, die er mit so glü-henden Worten verkündet hatte und deren Schreckenimmer wieder ausgemalt wurden, so musste er ständig wiederholen, dass auch er von dem Zeitpunkt ihres Ein-treffens nichts wisse, sondern nur ein Warner sei, der die-

  jenigen erwecke, welche die »Stunde« fürchten (Sura79/42 u.a.).

 Trotzdem aber finden sich im Koran Stellen, die auf seine exzeptionelle Rolle hindeuten: er ist als »Barmher-zigkeit für die Welten« gesandt (Sura 21/107), und Gottund die Engel segnen ihn (Sura 33/56). Denn er ist»wahrlich von edler Natur« (Sura 68/4). Mehrfach findetsich der Befehl: »Gehorchet Gott und gehorcht SeinemGesandten!« oder ähnliche Formulierungen. Aus diesenund vergleichbaren Sätzen im Koran entwickelte sichbald eine weit über das Normalmaß hinausgehende Ver-ehrung des Propheten, und kleine koranische Hinweise wurden im Laufe der Zeit zu wundersamen Erzählungenund Legenden ausgesponnen, die das Bild des histori-schen Muhammad mehr und mehr mit einem buntenLichtschleier umwoben. 21

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Es scheint zunächst der Gehorsam zu sein, den mandem Propheten schuldet, der eine wichtige, vielleicht so-gar die zentrale Rolle in der Entwicklung der islamischen

Frömmigkeit spielte. In dem zweiteiligen Glaubensbe-kenntnis l≤ il≤h ill≤ All≤h, Mu∑ammad ras‰l All≤h, »Es gibtkeine Gottheit außer Gott, und Muhammad ist der Ge-sandte Gottes«, stellt die zweite Hälfte, die den Islam ge- wissermaßen zu einer scharf definierten Religion macht,»eine Aussage über Gottes Aktivität dar« (Wilfred Cant- well Smith): durch die Sendung Seines Propheten offen-

bart sich Gott der Welt. Deswegen wurde Muhammads sunna, seine Lebensweise, zur Richtschnur für die Musli-me. Denn Muhammad ist, wie der Koran sagt, die uswa∑asana, »das schöne Beispiel« (Sura 33/21).1

 Von Generation zu Generation wurden in der Linie derÜberlieferer neue Glieder hinzugefügt, bis man lange

Ketten von Tradenten hatte, die alle in einer fest umris-senen Weise miteinander in Verbindung stehen. Im drit-ten islamischen Jahrhundert, als die großen kanonischen Traditionssammlungen entstanden, mochte ein typisches∑ad≥th etwa diese Form haben:

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SUNNA UND H. ADI-TH

Der Koran und die sunna bilden zusammen die Hauptquellen der islami-schen Glaubens- und Gesetzeslehre. Muhammads sunna besteht aus sei-ner Handlungsweise (fi‘l ), seinen Worten (qaul ) und seinem unausgespro-chenen Gutheißen bestimmter Sachverhalte (taqr≥r ); also aus dervorbildlichen Lebensweise des Propheten, die normativen Wert für diefolgenden Generationen hat.

Deshalb entwickelte sich schon früh die Wissenschaft vom ∑ad≥th. Das∑ad≥th, »Bericht«,enthält eine Bemerkung über einen Ausspruch oder ei-ne Handlungsweise des Propheten, wie sie von einem vertrauenswürdi-gen Gefährten bezeugt und überliefert ist:Die ∂ah≤ba, die Gefährten Mu-hammads, sind dabei die wichtigste Quelle. Ein ∑ad≥th kann sich auf einrituelles Problem beziehen, Fragen der Glaubenslehre behandeln, vonden Jenseitsstrafen sprechen oder ganz einfach das Verhalten des Pro-

pheten beim Essen oder bei anderen Verrichtungen beschreiben.

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 A sagte: ich hörte B sagen, dass er C sagen hörte, dassD überliefert habe, E habe berichtet: F hat gesagt, dassG berichtet habe: Ich hörte von Abu Huraira, »Ich sah

den Propheten dieses oder jenes tun«.Die Prüfung der Traditionen wurde sehr ernst genom-men: denn es handelte sich ja um die wichtigste Quellefür das menschliche Verhalten, das Beispiel des Prophe-ten. Dabei wurde untersucht, ob jeder der Tradenten einzuverlässiger Mann oder eine zuverlässige Frau war, dermit demjenigen, der als sein Gewährsmann genannt

  wird, auch wirklich in Verbindung gestanden habenkönnte, nicht zu jung bei dessen Tod gewesen war oderniemals seinen Wohnort besucht hatte. Wenn alle for-malen Kriterien einer Tradition stimmten, so galt das∑ad≥th als ãa∑≥∑ »gesund, makellos«. Die besten und zu-  verlässigsten Traditionen wurden in der Mitte des 9.  Jahrhunderts von sechs Autoritäten in verschiedenen

 Werken zusammengefasst, unter denen die ãa∑≥∑≤n, »diebeiden Makellosen« genannten Sammlungen Bucharisund Muslims, eine nur dem Koran nachstehende kanoni-sche Geltung erlangten. Aus ihnen informierte man sichüber Sitten und Gebräuche des Propheten, über seineäußere Gestalt wie über seine ethischen Ideale. In späte-rer Zeit wurde mancherorts während des Fastenmonats

Ramadan Bucharis gesamter  ãa∑≥∑   vorgelesen und dieLektüre mit einem großen Fest beendet. Aufgrund dieser  Traditionssammlungen wurden in späteren Jahrhun-derten zahlreiche andere, handlicher angelegte Samm-lungen von Überlieferungen zusammengestellt, dieüberall in der islamischen Welt studiert wurden und dasZentrum der theologischen Ausbildung – neben der Ko-ranauslegung – bildeten. »Das Reisen in Suche nach∑ad≥th« stellte einen wichtigen Zweig des Gelehrtenle-bens dar. Denn die Traditionen sollten mündlich überlie-fert werden, und obgleich schon früh kleinere schriftlicheSammlungen bestanden, war das Ideal doch die mündli-che Weitergabe vom Lehrer an den Schüler. Das Studi-um der Traditionen war eine feierliche Angelegenheit,da es den Gläubigen in eine enge Verbindung zu demPropheten bringt, so wie der Gläubige bei der Lektüre 23

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Annemarie Schimmel

Muhammad

 

Gebundenes Buch, Broschur, ca. 96 Seiten, 10,5 x 18,0 cmISBN: 978-3-7205-2343-1

Diederichs

Erscheinungstermin: August 2002

Muhammad (Mohammed), der Religionsstifter des Islam, wurde im Jahr 569 in Mekka geborenund starb 632 in Medina. Während der letzten 22 Jahre seines Lebens wurden ihm von einemEngel die Offenbarungen Allahs überbracht. Wer war die historische Person Muhammad? Wiehat er die Botschaften Allahs empfangen und den Koran geschaffen? Welche Bedeutung hatteer für die Entwicklung des Islam? Und wie wird Muhammad heute von den Muslimen in allerWelt verehrt?