A. V. Frank: Waldlichter

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Erscheinungstermin Herbst/Winter 2016 Taschenbuch, ca. 570 Seiten Papierfresserchens MTM-Verlag Magie, Elfen, Mythen, Irland, nach Irland, Irland Tour,

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind

zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2017 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbROberer Schrannenplatz 2, D- 88131 Lindau

Telefon: 08382/[email protected] Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2017

Lektorat: Melanie WittmannHerstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

www.literaturredaktion.deTitelbild: unter Verwendung von Bildern von © arcyd + © Nejron Photo

Adobe Stock lizensiert Druck: Winterwork / Deutschland

ISBN: 978-3-86196-693-7 – Taschenbuch

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Waldlichter

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Die Sonne verschwand gerade hinter den Baumkronen, als sich Nicja auf den Weg zum Rja-lehn machte. Die herrschende Dämmerung be-einträchtigte sie nicht, konnten ihre Augen doch selbst in diesem Licht alles genau erkennen. Allerdings achtete sie überhaupt nicht auf ihre Umgebung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert hatte, sondern konzentrierte sich darauf, das Bild fernzuhalten, wel-ches sie seit einer Woche immerzu im Schlaf quälte. Die Duorc hatten den bestehenden Waffenstillstand gebrochen, Nicjas beste Freundin Mijna auf brutale Weise getötet und danach halb verbrannt. Unter-suchungen hatten gezeigt, dass die Leiche keinen Tropfen Blut mehr im Körper hatte, was Menschen als mögliche Täter ausschloss und nur die schlimmste Schlussfolgerung zuließ. Mit der Nachricht von Mijnas Tod hatten sich auch Angst und Alarmbereitschaft in ihrer Toúta ver-breitet.

Vor vier Jahren hatten erst Kämpfe zwischen den Duorc und den Draugrande stattgefunden und es war dem Feind damals beinahe ge-lungen, sie auszulöschen. Wenn sie nun erneut ihren Sumpf verließen, konnte das nichts Gutes bedeuten. Deshalb hatte man Nicja als My-cidja nun gebeten, sich an das Rja-lehn zu wenden und dort die Fragen zu stellen, die überall die Runde machten. „Sind die Duorc noch stärker geworden? Wird dies unser Ragnarök? Wird Vara uns weiterhin unterstüt-zen? Können wir gegen die Gefahren bestehen?“

Tatsächlich brodelten im Untergrund und in den Dörfern bereits seit längerer Zeit Unruhe und Zwietracht. So waren die Streitigkeiten zwischen einigen Dörfern neu entbrannt und Friedensverhandlungen zwischen ihnen schienen ohne Ergebnis zu verlaufen. Auch ihre eigene Autorität war nicht unangefochten. Es wurde Zeit, dass die Göttinnen ihr einige Antworten gaben.

Nach einer weiteren halben Stunde sah sie endlich den schmalen Ein-gang zum Rja-lehn und ließ sich erschöpft auf einem Stein nieder. Be-vor sie das wunderschöne, perfekt kreisrunde Heiligtum betrat, musste sie sich innerlich reinigen. Also ließ sie ihre aufgewühlten Gedanken

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ungestört in ihrem Kopf herumwirbeln, bis diese sich beruhigt hatten. Sie blieb noch eine Weile auf dem Stein sitzen, fühlte die Natur um sich herum und wurde eins mit ihr.

Als sie völlig ruhig und entspannt war, stand sie auf und zwängte sich durch die dünne Spalte, die den Eingang bildete. Das Rja-lehn wurde von einem Ring aus Bergen umgeben, die, auch wenn man flie-gen konnte, nicht zu überwinden waren, denn sie waren höher als die Wolken und von wilden Tieren bevölkert, denen selbst die Mutigsten ihres Volkes fernblieben. In diesen Bergen gab es acht Nischen, alle etwa gleich groß, und in jeder stand ein natürliches Podest, auf dem eine Schale ruhte. Die Nische, die dem Eingang des Heiligtums ge-genüberlag, war schwarz. Dort gab es das große Orakel von Vara, der Gesamtheit der Göttinnen. Links und rechts davon lagen die Höhlen der sieben Göttinnen. In der Mitte des Kreises aus Orakeln stand ein Obelisk, der aus allen Edelsteinen, die die Welt kannte, bestand. Sie waren miteinander verwachsen und kaum voneinander zu unterschei-den, doch aus den Schriften ihrer Vorfahren wusste Nicja, dass das nicht immer so gewesen war.

Als die ersten Draugrande hier angekommen waren und diese Stelle vorgefunden hatten, schafften sie von allen Edelsteinen der Welt ein Exemplar herbei und errichteten mithilfe ihrer Magie diesen Obelis-ken. Dieser bündelte von da an die Kräfte der Natur und schützte alles, den ganzen Wald samt den Siedlungen der Draugrande.

Eines Tages aber wollte ein diebischer Sidhe einige der Steine stehlen. Doch als er durch den Spalt gekrochen war, sah er, dass die Nischen, die bisher normale Vertiefungen gewesen waren, angefangen hatten, die Farben der Göttinnen anzunehmen. Aus dem Obelisken hatten sich einzelne Edelsteine gelöst, sich verändert und waren durch den Willen der Göttinnen in die Nischen gelangt, wo sie seitdem die Ora-kelschalen bildeten.

In der Höhle links des großen Orakels bildete ein Karneol die Schale Midjis’, der Göttin der Liebe und des Lebens. Die gesamte Einbuch-tung strömte ein gelbes Leuchten aus. Daneben befand sich das Orakel der Billingra, deren Stein das Katzenauge war, welcher wie der Rest der Höhlung ein braunes Schimmern aussandte. Kein Leuchten ging hingegen von der Nische der Lifrana, der Göttin der Auferstehung und der Pflanzen aus, die einzig von immergrünen Kletterpflanzen bewohnt wurde. Inmitten dieser Pflanzen stand eine wunderschöne Schale aus Smaragd. Blawdes Schrein, der fast direkt neben dem Ein-

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gang lag, verströmte ein intensives violettes Licht und beherbergte eine Amethystschale. Genau gegenüber leuchtete das tödliche Blau von Nykras Höhle, deren Stein der Lapislazuli war. Das weiße Leuchten aus der nächsten Nische war kaum wahrnehmbar, doch die Aura von Pesrentrae, der Kriegsgöttin und Herrin der Schmerzen, war deutlich zu spüren. Die Kühle dieses Ortes schnitt einem in die Haut wie die Diamanten, die zu Pesrentrae gehörten. In der Höhle der Ethlirikdoma hingegen war es stets warm und das rötliche Licht der Göttin der Wut und Leidenschaft, deren Schale aus einem Granat bestand, war ange-nehm wie Sonnenstrahlen.

Der diebische Sidhe jedoch ließ sich selbst durch diese Macht-demonstration nicht beeindrucken und stahl die größten und wert-vollsten der Steine. Als er jedoch mit seiner Beute verschwinden wollte, standen vor dem Eingang die anderen Allyn. Diese hatten von den Göttinnen einen Warnruf bekommen und waren rasch herbeigeeilt. Sie verbannten ihn und brachten die Steine zurück an ihre Plätze. Als diese die anderen berührten, verschmolzen und verwuchsen sie erneut zu dem Obelisken, den Nicja nun vor sich sah. Seitdem herrschten Mycidjae der Göttinnen über den Stamm.

Nun war Nicja diejenige, die über die anderen Draugrande herrschen musste und für deren Wohlergehen verantwortlich war. Die Göttinnen hatten etwas in ihr erkannt, das ihr selbst nach so vielen Jahren immer noch schleierhaft und unbekannt war. Kalter Wind schlug ihr ins Ge-sicht und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Leise mit sich schimp-fend wandte sie sich der schwarzen Höhle zu. Dass ihre Gedanken auch immer abschweifen mussten!

Sie betrat die Orakelhöhle und wurde sofort von Finsternis umfan-gen, doch davon ließ sie sich nicht beunruhigen, sie ging einfach wei-ter, bis sie spürte, dass sie genau vor der Obsidianschale stand. Dann begann sie ein uraltes Gedicht zu rezitieren, ließ ihre Magie fließen und erweckte somit das Orakel.

„Allwissend, wie ihr seidjetzt und alle Zeit,rufen wir euch sieben,euch, die uns lieben.Ob Hilfe oder Rat,bei jeder einzelnen Tatstandet ihr mir bei,

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nun es auch so sei.Jetzt rufen wir euch her,nach Rat verlangt es uns sehr.Helft uns in diesen Tagenin allen Lebenslagen!“

Auf einmal begann die Obsidianschale, zu glühen und zu vibrieren. Nicja sah staunend zu, wie von der Decke Wasser in den Farben der Göttinnen tropfte und in die Schale fiel. Dieses Schauspiel war jedes Mal Ehrfurcht gebietend. Wie ein Regenbogen schimmerte das Wasser und die Höhle, vorher so düster, war jetzt hell erleuchtet. Dann ertönte eine leise Stimme, doch Nicja konnte nicht sagen, ob sie aus den Fel-sen, aus der Schale oder aus ihrem Kopf kam.

„Wir sind da und werden dir deine Fragen so gut wie möglich beant-worten, Tochter.“

Nicja war überrascht, dass Lifrana zuerst sprach, ihre persönliche Schutzgöttin. Normalerweise eröffnete Midjis ein Orakel. Sie antwor-tete schnell: „Mijna wurde zu euch befohlen. Deshalb sind die Drau-grande unruhig und verunsichert. Sie fürchten, dass ihnen Vara zürnt. Sie befürchten außerdem einen erneuten Krieg zwischen uns und den Duorc, den wir nicht gewinnen können. Wird es dazu kommen?“

Diesmal antwortete Midjis. Es dauerte eine Weile, bis Nicja verstand, was die Göttin gesagt hatte, denn ihre Stimme bestand aus vielen ver-schiedenen Stimmen. „Vertrauen, Liebe und Schmerz sind eins in diesen Tagen, doch sobald nur eines davon fehlt und der Bund der drei vergeht, wird die Dunkle sich die größten Geschenke einverleiben und alles ins Chaos stürzen.“

Nicja erschauerte. „Sind die Duorc also die Verantwortlichen für Mijnas Tod? Werden sie erneut angreifen? Haben sie neue Stärke er-langt?“, fragte sie schnell weiter, denn sie merkte, wie sehr es an ihren Kräften zehrte, die direkte Verbindung zu den Göttinnen aufrechtzuer-halten.

Nun antwortete Nykra mit einer Stimme, die der tosenden See glich: „Jene Wesen, die sich weigerten, zu mir zu kommen, brachten mir nun Mjina. Und sie wird nicht die Letzte gewesen sein. Auch du wirst bald Verluste ertragen müssen. Und durch die Kräfte eines alten Widersachers sind sie stärker als je zuvor.“

„Was können wir dagegen tun? Können wir überhaupt etwas unter-nehmen? Oder sind wir hilflos?“, fragte Nicja erschüttert.

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Blawde begann mit einer erstaunlichen Antwort: „Einer der euren wird Hilfe finden bei denen, die ihr fürchtet.“

Billingra fuhr fort: „Doch müsst ihr sie noch formen und in ihr auch die Gefahr erkennen.“

Nykra beendete: „Sonst wird sie euch vielleicht vernichten statt retten.“ Beunruhigt bemerkte Nicja, wie oft Nykra, die Göttin des Todes,

sprach. Ein weiteres schlechtes Omen? Dann jedoch erlosch das Licht und sie blieb allein in der Dunkelheit zurück, mit Ängsten, die nun zur Gewissheit geworden waren.

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Ich schloss die Tür auf und begrüßte lauthals den leeren Flur. Einen Moment blieb es still, dann kam eine Antwort aus dem Wohnzimmer.

„Hallo Victoria. Dein Essen steht auf der Anrichte, du kannst es dir warm machen, wir haben schon gegessen“, begrüßte mich meine Mut-ter Helen. Ausnahmsweise hörte man ihren schottischen Akzent kaum, also musste sie sich sehr auf etwas konzentrieren.

Ich zog zunächst die schwarzen Pumps aus, in die ich mich gequält hatte. Ich hasste diese Schuhe, denn sie drückten und kniffen die ganze Zeit, doch leider gab es eine Kleiderordnung bei den Vorträgen. Ich schlurfte auf der Nylonstrumpfhose in die Küche und schob den Nu-delauflauf in die Mikrowelle.

Während mein Essen warm wurde, warf ich einen Blick ins Wohn-zimmer und sah, was meine Mutter so beschäftigte. Sie ließ unseren Film laufen und betrachtete interessiert unsere Erkenntnisse. Die Do-kumentation zeigte die Folgen der Ölverschmutzung der Meere für die Fische. Ich war im Vorsitz einer Umweltschutzorganisation, der wir den Namen Pan gegeben hatten, nach dem griechischen Naturgott. Gerade eben hatte ich unseren neuen Film vorgestellt und dazu er-gänzende Fakten genannt. Deshalb auch die verfluchten Pumps, aber was tat man nicht alles für die Tiere.

In der Küche piepste die Mikrowelle und ich riss mich von dem An-blick der tot angespülten Fische los, um meinen knurrenden Magen zu besänftigen. Dabei wäre ich fast in meinen Vater hineingelaufen, der plötzlich hinter mir im Flur stand.

„Hi Dad“, begrüßte ich ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich an ihm vorbei in die Küche drückte. Er folgte mir und setzte sich zu mir an den Tisch.

„Und wie war eure Vorstellung? Hat sie die Menschen erreicht?“, er-kundigte er sich.

Ich sah kurz auf, bevor ich weiteraß. „Die wenigen Leute, die sich von ihren bequemen Sesseln lösen konnten, um uns zuzuhören, wirkten zwar allesamt sehr schockiert und mitgenommen, doch es würde mich

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wundern, wenn auch nur einer davon etwas tun würde. Manchmal verliere ich wirklich den Glauben an die Wirksamkeit unserer Sache“, erklärte ich zwischen zwei Bissen.

„Ja, es ist schwer, Menschen aus ihrer Blase der Bequemlichkeit herauszulocken, aber ich denke, mit diesem Film könnt ihr einiges erreichen, er ist wirklich gut geworden. Es hat mich gewundert, dass Elisabeth praktisch alles allein erzählt hat, ich dachte, sie sei nur für den Schnitt des Films verantwortlich?“

Meine Miene verfinsterte sich schlagartig, als die Sprache auf Elisa-beth kam. „Sie hat sämtliche Texte nachgesprochen und dann diese Version für den Film genommen. Sie muss sich schließlich ordentlich in Szene setzen ... Dabei ist sie nicht einmal im Vorstand. Das wird noch Folgen haben, da kannst du sicher sein! Du glaubst nicht, wie schwer es mir gefallen ist, mir nichts anmerken zu lassen, als ich vorhin vor ungefähr 60 Leuten feststellen musste, was sie gemacht hat. Und wenn die Leute dann nach vorne kamen, um mit uns zu reden, dann war die Ansprechpartnerin natürlich immer Elisabeth.“

Mein Vater drückte mir beruhigend den Arm.„Stefan, komm und sieh dir das an!“, rief da meine Mutter aus dem

Wohnzimmer und mein Vater erhob sich schmunzelnd.„Schatz, ich habe den Film doch schon gesehen“, rief er, während er

sich zu ihr gesellte. Immer noch wütend verdrückte ich den Rest des Auflaufs und ging

nach oben in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Ich fühlte mich sofort besser, als ich aus dem engen Kostüm rauskam und wieder in Jeans und T-Shirt steckte. Allerdings ging ich danach nicht sofort wie-der runter, sondern nahm aus meiner Tasche das Formular, das mich schon die ganze Zeit beschäftigte. Es beinhaltete Informationen und die Anmeldung für eine Reise in den Westen Irlands. Anmeldeschluss war morgen.

Die Reise war für den gesamten Vorstand von Pan organisiert wor-den, als Dankeschön für unser Engagement bei der Produktion des Films. Ziel war eine kleine Feriensiedlung in einer Kleinstadt namens Grettersane – ein Name, der meinen Eltern Bauchschmerzen bereiten würde. Alles hing mit meiner älteren Schwester Vetana zusammen. Vor vier Jahren war sie in einem Wald bei Grettersane verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Ein halbes Jahr später war sie für tot erklärt worden.

Mein Blick fiel auf ein Bild, das uns beide als Kinder zeigte. Wie ich

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hatte sie hellbraune Haare gehabt, doch ihre waren ganz glatt gewesen, während meine sich wild und unsymmetrisch wellten. Sie trug auf dem Bild ihr sonnenblumengelbes Sommerkleid und hatte ihren Arm um meine schmalen Schultern gelegt. Das Bild war vor zehn Jahren ent-standen, zu einer Zeit, in der ich sie über alle Maßen vergöttert hatte, wie man an meinem bewundernden Blick auf dem Bild erkannte. Noch heute bewunderte ich sie, auch wenn ich sie dafür verfluchte, dass sie nicht zurückgekehrt war. Für die Traurigkeit, die seitdem immer in den Augen meiner Eltern nistete und die mich immerwährend umfangen hielt, selbst wenn ich inzwischen viel besser damit umgehen konnte.

Vier Jahre waren vergangen – Jahre, in denen ich alles gegeben hat-te, um meine Eltern stolz zu machen und in die Fußstapfen meiner Schwester zu treten – und noch immer quälten mich Albträume. Jede verfluchte Nacht befand ich mich in einem Wald und suchte nach mei-ner Schwester, fragte sie, wie sie gestorben war und wo ich sie finden konnte.

Beinahe zwanghaft fanden meine Füße immer den Weg zu einer großen Eiche, aus der ihre Stimme zu kommen schien, die verkündete: „Es wird eine Zeit kommen, da du mich finden wirst, also hör auf zu trau-ern und lebe dein Leben. Vergiss nie: Wenn Bäume singen, Blätter steigen und du siehst das Licht deines Herzens, dann sei vorbereitet auf ...“ Das Ende ihres Satzes ging immer im Tosen eines sich nähernden Sturmes unter und ich erwachte schweißgebadet.

Nun, inzwischen nicht mehr, inzwischen schreckte ich mit einem Knoten in meinem Magen auf, der mich mahnte, dass die Zeit verrann und ich etwas unternehmen musste. Nur leider war bisher nie eine Gelegenheit greifbar gewesen, um etwas zu unternehmen, um sowohl dem Tod meiner Schwester wie auch diesem Traum auf die Schliche zu kommen. Bis jetzt. Nun – mit diesem Formular in meinen Händen ‒ war des Rätsels Lösung so nahe wie nie zuvor, doch die Angst vor den Tränen meiner Eltern versperrte mir den Weg.

Ich wollte ihnen unter keinen Umständen solche Schmerzen berei-ten, wie Vetana es getan hatte, ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie all das erneut durchleben mussten, nachdem sie extra um-gezogen waren, um nicht mehr so sehr an ihre älteste Tochter erinnert zu werden. Manchmal schien es mir fast so, als hätten sie sie vergessen, doch dann kam stets ein Augenblick, in dem ihre Abwesenheit greifbar zwischen uns stand, und ich kam mir gefühllos vor, etwas Derartiges auch nur in Betracht gezogen zu haben.

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Mein Handy riss mich aus meinen Gedanken, indem es mir eine Nachricht meines Freunds John anzeigte, der fragte, ob ich zu ihm kommen wolle. Ich antwortete schnell, dass ich mich auf den Weg machen würde, zog mir einen Pullover über das T-Shirt und legte das Formular auf meinen Schreibtisch.

Unten gab ich meinen Eltern kurz Bescheid, was sie allerdings kaum bemerkten, weil sie gebannt Elisabeths Ausführungen über die weltweite Ölverschmutzung der Meere lauschten – die natürlich mit meinen Worten vorgetragen wurden. Zähneknirschend schnappte ich meinen Autoschlüssel und fuhr zu John. Der war ebenfalls im Vorstand von Pan und die treibende Kraft hinter der Filmproduktion gewesen. Ich war schon gespannt darauf, was er zu Elisabeths neuester Intrige sagte. Aber vielleicht war es ihm auch egal, er unterstützte sie bereits seit einiger Zeit und schien überhaupt nicht mitzubekommen, wie sehr er mich damit verletzte.

Fünf Minuten später fuhr ich bei ihm vor und klopfte an die Tür sei-nes kleinen Wohnwagens, der auf dem Grundstück seiner Eltern stand. Er hatte sich dort einquartiert, um unabhängiger sein zu können, was allerdings nur dazu geführt hatte, dass er häufiger kleine Partys feierte, denn zum Essen und Wäschewaschen ging er immer noch zu seinen Eltern.

Er öffnete mir die Tür und ließ mich ein. Der Geruch nach Alkohol lag in der Luft und ich entdeckte ein paar leere Schnapsflaschen auf dem Boden.

„Hast du gestern Abend gefeiert?“, fragte ich erstaunt. Er kratzte sich verlegen am Nacken und räumte die Flaschen schnell

weg. „Ja, nur mit ein paar Leuten. Wir haben den Erfolg unseres Films gefeiert.“

„Einen Film, für den ich mir den Arsch abgefroren habe, um dann he-rausgeschnitten zu werden ... Eine Feier ohne mich“, dachte ich zynisch und hatte Lust, umzudrehen und wieder zu gehen.

„Hey Baby, tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe, aber ich wusste ja, dass du dich heute konzentrieren musstest, um ihn vor-stellen zu können. Und da dachte ich, dass eine Party für dich nicht das Richtige wäre.“ Er kam zu mir und schloss mich in seine Arme. Etwas steif erwiderte ich die Umarmung und schluckte meinen Ärger herunter. „Und wie lief es?“

Ich berichtete knapp von der Vorstellung, während er mir Wasser in ein sauberes Glas einschenkte und sich neben mich auf die Couch

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setzte. Er nickte zu meinen Worten und schien mit mir einer Mei-nung zu sein. Als ich allerdings von Elisabeth anfangen wollte, unter-brach er mich und wechselte das Thema – leider ging es um die Fahrt nach Grettersane, was mich auch tatsächlich komplett von Elisabeth abbrachte. Er offenbarte mir, dass niemand Zeit hätte und von mir erwartet wurde, dass ich mitfuhr, da aus der eigentlich zwanglosen Frei-zeit eine neue Aktion für Pan gemacht worden war – und zwar ohne mich zu informieren, obwohl das eine Sache für den Vorstand gewesen wäre. Als ich ihn darauf ansprach, druckste er verlegen herum.

„Na ja, wir mussten gestern auch noch ein paar ernste Sachen be-sprechen und haben festgestellt, dass du in unsere Organisation schon länger nichts mehr eingebracht hast. Bei dem Film mussten wir alles nachsprechen lassen, weil man dich nicht verstanden hat, und auch sonst hast du schon länger nichts mehr getan, was dich für den Vor-stand qualifizieren würde, weshalb ich dir sagen muss, dass du offiziell nicht mehr im Vorstand von Pan sitzt. Wenn du allerdings mit guten Ergebnissen von deiner Reise zurückkommst, nehmen wir dich sofort wieder auf. So lange bleibt dein Platz natürlich unbesetzt.“ Er wollte auf mich zugehen und mich küssen, doch ich wich zurück.

„Deshalb sollte ich zu dir kommen, damit du mir das sagen kannst?“, fragte ich benommen. Ich spürte, wie langsam die Wut in mir heran-wuchs, und wollte vorher abklären, ob sie auch wirklich gerechtfertigt war.

„Na ja, ich hab mich mit den anderen beraten und Elisabeth meinte, so wäre es vielleicht das Beste.“

„Elisabeth?! Seit wann hat sie denn ein Mitspracherecht?“„Hey, ganz ruhig! Immerhin hat sie sich dazu bereit erklärt, deine

ganzen Texte nachzusprechen, und damit den Film gerettet. Da ist es doch nur gerechtfertigt, wenn man sie mitbestimmen lässt. Was ist nur los mit dir, Victoria? Du benimmst dich schon seit Wochen total selt-sam.“

Ich öffnete den Mund zu einer empörten Antwort, verschloss ihn dann aber schnell wieder. Das hatte alles keinen Sinn, vielleicht würde ich etwas erreichen, wenn ich mich wieder beruhigt hatte. Also griff ich energisch nach meinem Schlüssel – wobei ich mir die Finger anstieß, was mich noch wütender machte – und stürmte aus seinem Wohn-wagen hinaus, setzte mich in mein Auto und fuhr fort. John stand in der Tür und blickte mir nach.

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Zu Hause angekommen legte ich erst mal den Kopf aufs Lenkrad, um mich zu beruhigen. Ich musste irgendwie an meinen Eltern vorbei-kommen, ohne dass sie Verdacht schöpften und mich aushorchten. Es dauerte bestimmt eine Viertelstunde, bis sich mein Herzschlag und mein Atem beruhigt hatten und ich dazu in der Lage war, unbeein-druckt auszusehen. Das wütende Funkeln in meinen Augen ließ sich zwar nicht ganz abschalten, aber noch länger wollte ich nicht warten. Bemüht lässig schloss ich die Haustür auf und betrat den Flur. Schon als ich die beiden vor mir stehen sah – blass, mit geröteten Augen und einem Blatt Papier in Dads Händen – ahnte ich Schreckliches. Und tatsächlich, es war das Formular für die Reise nach Grettersane.

„Victoria McOrdnay, was fällt dir ein, uns das zu verheimlichen?“, grollte mein Vater und wedelte mit dem Blatt Papier. Das gräuliche Weiß seines Gesichts verwandelte sich in erschreckender Schnelligkeit in ein dunkles Purpurrot.

„Ich wollte es nicht verheimlichen. Außerdem, was spricht schon da-gegen?“, fragte ich aggressiv. So viel zu der Viertelstunde, in der ich versucht hatte, meinen Zorn herunterzuschlucken.

„Was dagegen spricht?“, fragte meine Mum mit schwacher Stimme und wurde noch bleicher. Sie stützte sich mit der Hand an der Wand ab und atmete schwer, die ersten verräterischen Tränen rannen über ihr Gesicht.

„Was soll das?“, herrschte mich nun mein Vater wieder an. „Du willst in dieses verfluchte Dorf fahren und feiern? Ein Dorf, in dem deine Schwester gestorben ist? Hast du so wenig Respekt vor ihrem Anden-ken? Es kommt mir fast so vor, als hättest du sie komplett vergessen. Wie konntest du auch nur einen Augenblick darüber nachdenken, da mitzufahren?“ Er war auf mich zugetreten und funkelte mich zornig an, während meine Mum hinter ihm leise schluchzte.

Ich hingegen war gefährlich ruhig. „Du denkst, ich habe nicht an Vetana gedacht? Ja, Vetana war ihr Name, habt ihr das etwa schon ver-gessen? Ihr seid es doch, die seit vier Jahren ihren Namen nicht mehr nennen, die vor ihm und den damit verbundenen Gedanken geflohen sind! Und nun unterstellst du mir, sie vergessen zu haben?“ Ich schüt-telte fassungslos den Kopf. Leider spürte ich gleichzeitig, wie meine Augen feucht wurden. Ich musste diesen Streit beenden, bevor ich anfing zu weinen, denn dann würde ich ihn bestimmt verlieren. „Ich hatte vor, diese Fahrt zu machen, um Nachforschungen anzustellen, und nicht, um dort wild zu feiern. Doch da mir John gerade offenbart

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hat, dass ich dazu gezwungen bin, diese Reise zu unternehmen, um im Vorstand von Pan zu bleiben, habe ich jetzt überhaupt keine Wahl mehr. Wollt ihr nun vielleicht hören, dass ihr recht hattet, was John angeht, weil ihr mich doch schon die ganze Zeit vor ihm gewarnt habt? Mir den Umgang mit ihm am liebsten verboten hättet? Tja, dann mögt ihr vielleicht recht gehabt haben, aber Fakt ist, dass ich diese Reise allein schon aus dem Grund antreten werde, damit ich weiterhin im Vorstand und mit John zusammen sein kann!“

Mit diesen Worten riss ich meinem Vater das vermaledeite Blatt Pa-pier aus den Händen, schob mich an ihm vorbei, rannte die Treppe hinauf und sperrte mich in meinem Zimmer ein. Dort füllte ich wü-tend die Felder aus, zog einen Briefumschlag aus der Schublade und steckte das Formular hinein. Ich würde es am nächsten Morgen bei Pan abgeben. Dann warf ich mich auf mein Bett und starrte blicklos auf das Bild auf meinem Nachttisch.

Später hätte ich nicht mehr sagen können, was ich in dem Moment dachte. Es waren unzusammenhängende Wort- und Satzfetzen, die sich gleich einer Schlange aneinanderreihten, ohne auch nur einen Hauch von Sinn zu ergeben. Mit einem letzten Blick in die Augen meiner Schwester schlief ich schließlich ein, die Brille noch auf der Nase und das Licht eingeschaltet. Erst als ich erwachte – etwa um zwei Uhr mor-gens – änderte ich diese Umstände und legte mich unter meine warme Decke.

Der Morgen begann mit einem zögernden Klopfen an meiner noch versperrten Tür. Müde tappte ich zu ihr hin und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Die Klinke senkte sich und meine Mum schob ih-ren Kopf in mein Zimmer.

„Guten Morgen“, wünschte sie leise und kam herein, während ich mich in mein Bett zurückfallen ließ. Sie stellte eine Tasse dampfenden Tee auf meinen Nachttisch und setzte sich auf mein Bett.

Abwartend blickte ich sie an und bemerkte dabei die Augenringe und die zerzausten Haare. Sie schien nicht viel Schlaf bekommen zu haben.

„Hör zu, Victoria, zunächst einmal darfst du niemals denken, wir hätten Vetana vergessen. Und dir dasselbe zu unterstellen, war ein Feh-ler, wir wissen natürlich, dass du das nie könntest.“

Ich nickte und warf einen Blick auf das Foto. Dabei fiel mir auf, dass ich diesmal den Traum nicht gehabt hatte, und fragte mich sogleich, was das bedeuten konnte.

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„Du verstehst doch bestimmt, weshalb wir nicht wollen, dass du diese Reise machst, nicht wahr?“

Erneut nickte ich. Natürlich verstand ich ihre Beweggründe – sie hatten dort die eine Tochter verloren und fürchteten nun, auch ihre zweite verlieren zu müssen.

„Wir sind trotzdem damit einverstanden. Unter der Bedingung, dass du uns versprichst zurückzukehren. Lass nicht zu, dass sich das Ganze wiederholt, du würdest uns damit das Herz brechen.“

Wieder konnte ich nur nicken, bevor ich heiser flüsterte: „Ich schwö-re euch, dass ich wiederkomme!“

Eine Woche später verabschiedete ich mich am Flughafen von Edin-burgh von meinen Eltern, die sich um Haltung bemühten. Ich wuss-te, wie schwer es ihnen fallen musste, und war ihnen dankbar dafür. Genauso dankbar war ich John, mit dem ich mich vertragen hatte und der sich für sein rücksichtsloses Verhalten entschuldigt hatte. Doch den größten Dank brachte ich dem entgegen, der dafür verantwortlich war, dass sich mein großer Traum nun erfüllte. Dabei war mir egal, ob es sich um Gott, das Schicksal oder einfach nur die Verwaltung von Pan handelte. Nur die mühsam versteckte Furcht in den Augen meiner Eltern hielt mich auf dem Boden der Tatsachen.

„Mir wird schon nichts passieren!“, beruhigte ich sie ein letztes Mal, umarmte sie und ging durch die Sicherheitskontrolle hinein in das größte Abenteuer meines Lebens, auch wenn ich das damals noch nicht ahnte.

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Lysana wachte mit starken Kopfschmerzen auf. In ihrem Kopf drehte sich alles und auch ihr Zimmer schien ein einziger verwischter Fleck zu sein. Verschlafen richtete sie sich auf, zog ihre Brille an und sog er-schrocken die Luft ein, als sie plötzlich das Gefühl bekam, ihr Kopf stehe in Flammen.

„Was ist mit mir los?“, fragte sie sich verwundert und betastete ihren Kopf. Er fühlte sich an wie immer. Sie runzelte die Stirn. Keine Flam-men und auch keine Messer, die in ihm steckten. „Wieso tut er dann so weh?“

Eine Erinnerung stieg in ihr auf. Laute Musik. Viele feiernde Leute.„Oh“, dachte sie erschrocken. Sie wurde endlich klar im Kopf. „Ist

meine Party so aus dem Ruder gelaufen? Sie sollte doch nur ganz klein und harmlos werden.“

Lysana erinnerte sich jetzt wieder komplett und wünschte sich et-was von dem Nebel, den sie vorhin im Kopf gehabt hatte, zurück. Sie hatte eine riesige Party geschmissen mit Alkohol, lauter Musik und vielen süßen Jungs. Sie wusste noch, dass sie mit einem Wildfremden geknutscht hatte, während ihr Freund ihre beste Freundin begrapscht hatte. Doch es hatte ihr nichts ausgemacht. Sie hatte viel gelacht und Spaß gehabt, war der Star gewesen. Flüchtig erinnerte sie sich an eine Szene, in der sie im Bikini auf einem der Tische getanzt hatte.

Schade nur, dass ihre Eltern früher zurückgekommen waren, die Musik ausgestellt und alle nach Hause geschickt hatten. Sie hatten ge-schrien und den Leuten Whiskeyflaschen hinterhergeworfen, wenn diese nicht schnell genug verschwanden.

Ein unrühmliches Ende für eine tolle Party. Sie wusste, dass sie, so-lange sie noch nicht volljährig war, niemals so etwas hätte veranstalten dürfen. Aber sie war doch schließlich kein Baby mehr! Und seit wann scherte sie sich um das, was ihre Eltern sagten? Sie verdankte ihnen zwar eine Menge, zum Beispiel dass sie die Schulkönigin war, dass sie viel Kohle hatte, die sie für unnötige Sachen aus dem Fenster werfen konnte, und ein luxuriöses Leben, aber das war doch kein Grund, ih-

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nen zu gehorchen. Sie war schließlich keine Dienerin. Es reichte schon, dass sie den doofen Lehrern zuhören und folgen musste. Da brauchte sie so etwas nicht auch noch zu Hause.

Stöhnend rappelte sich Lysana, die es nicht ausstehen konnte, mit ihrem vollen Namen angesprochen zu werden, und daher Ana bevor-zugte, auf, ging zu ihrem Waschbecken, fingerte sich die Kontaktlinsen in die Augen und betrachtete sich in ihrem Spiegel. Dort sah sie ein Mädchen mit blonden Haaren, die einen rötlichen Stich hatten und sich anmutig fast bis zur Hüfte lockten, dunkelgrünen Augen und sehr heller Haut. Sie grinste spöttisch. Selbst ohne das Geld ihrer Eltern wäre sie, allein durch ihr Aussehen, die Nummer eins in der Schule geworden, da war sie sich sicher.

Sie ging zu ihrem überdimensionalen Schrank, suchte etwas darin herum und zog schließlich eine Röhrenjeans und ein tief ausgeschnit-tenes hellblaues Sweatshirt an. Sie schminkte sich, bürstete sich die Locken, bis diese richtig fielen, und ging in den Salon.

Sie wohnte in einer Stadtvilla mitten in Dublin und liebte es dort. Im Salon gab es ein paar schicke Sessel mit passenden Beistelltischen. Alles war in Hellblau und Weiß gehalten. Zum Glück war niemand zu sehen, denn ihre trübsinnigen Gedanken hatte sie erfolgreich verdrängt und ihre Laune war trotz des Katers blendend. Sie ging weiter in die Küche, dort holte sie sich ein Schmerzmittel für ihren verkaterten Kopf und machte sich Frühstück.

Seit einer Woche hatte sie nun bereits Ferien und verbrachte die Tage mit schlafen und chatten, die Nächte mit diversen Jungs und auf Partys. So gefiel ihr das Leben. Auch wenn die letzte Nacht, also, ihre Party wirklich eher entspannt sein sollte, war es doch erheblich witziger geworden, nachdem die Jungs aus der Nachbarschaft uneingeladen da-zugekommen waren. Sie hatten Whiskey mitgebracht, und da ihnen der eigene Vorrat gerade ausgegangen war, durften sie bleiben.

Nachdem Ana das Schmerzmittel eingenommen hatte, kehrte sie mit einem vollen Frühstückstablett auf ihr Zimmer im dritten Stock zurück. Besonders viel Hunger hatte sie eigentlich nicht, schließlich musste sie auf ihre Figur achten, aber trotzdem hatte sie sich eine Tasse Kaffee, ein Glas Orangensaft, zwei Croissants und andere Leckereien (wie zum Beispiel Kaviar und Olivenbaguettes) mitgenommen.

Sie aß und trank nur etwa die Hälfte von allem und legte sich dann wieder auf ihr Bett. Sie war gerade am Einschlafen, als ihr Telefon klin-gelte, und fürchtete schon, es seien ihre Eltern, die meinten, sie solle

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zu ihnen kommen, aber es war bloß ihr Freund Mike. Der, der gestern Abend an Chloé herumgefummelt hatte.

„Hey Mike, hast du deinen Kater schon ausgeschlafen?“, fragte sie verwirrt. Denn er hatte gestern definitiv mehr intus gehabt als sie und sie hatte den ihren noch überhaupt nicht ausgeschlafen.

„Nein, wie könnte ich? Dafür müsste ich wohl noch eine Woche schlafen“, bestätigte er ihren Verdacht mit verschlafener Stimme. „Aber ich wollte dir sagen, dass ich jetzt mit Cloé gehe. Sorry, aber die hat echt mehr drauf als du. Und ich schlafe jetzt weiter, bevor mein Kopf explodiert. Bye!“

Diese Worte schockten Ana dann doch etwas. Aufgrund einer Party, die sie veranstaltet hatte, machte er mit ihr Schluss? Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr Vorteile erkannte sie. Sie stand ohnehin schon lange nicht mehr auf ihn. „Jetzt kann ich wenigstens den Süßen von gestern Abend anrufen ... Nun ja, mach ich lieber später“, dachte sie, als ihr Kopf wieder anfing zu schmerzen. Sie warf das Tele-fon von sich, drehte sich um und schlief wieder ein.

Ihr Traum war allerdings etwas seltsam, vor allem da sie sonst nie träumte oder sich zumindest nie daran erinnerte. Sie war in einem Wald. Das allein war schon seltsam. Sie war bisher noch nie in einem Wald gewesen, der so verwildert und dreckig war. Einmal war sie in einem künstlich angelegten Hain gewesen, aber dort hatten die Bäume in Reih und Glied gestanden und es hatte weder Gestrüpp noch Dreck gegeben. Sie bevorzugte Strand und Meer.

Vorsichtig schaute sie sich um. Sie sah bloß Bäume, Flechten und Farne, sie hörte nur das Surren von Insekten und ein paar einzelne Vogelrufe in der Ferne. Doch es war nicht das übliche Gezwitscher, das sie vernahm, es waren helle Stimmen, die riefen: „Sie kommen, sie kommen!“

Sie hörte auch einen Vogel schreien: „Wenn sie nicht siegen, dann sterben wir alle!“

Auch das war definitiv seltsam. Ein Vogel, der prophezeite, alle wür-den sterben? Ihrem Hirn musste es mies gehen, damit es sich so etwas ausdachte.

Sie wollte zu dem Vogel laufen, wollte wissen, wer mit sie gemeint war, aber sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Dann hörte sie Wasser-rauschen, das rasch anschwoll. Sie wirbelte herum und sah, dass eine riesige Welle auf sie zuschoss. Mitten im Wald.

Musste sie sich noch denken, dass das seltsam war? Nein! Also wirk-lich, eine Welle mitten im Wald. In dem Moment schwor sie sich, sich

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in näherer Zukunft vom Whiskey fernzuhalten. Aber nicht nur der Traum war seltsam, auch die Form des Traums kannte sie nicht. Es schien, als würde sie sich selbst zusehen und dabei noch einigermaßen rational denken. Äußerst verwirrend.

Sie schrie auf, versuchte verzweifelt wegzurennen. Natürlich konnte sie es nicht und so drehte sie sich wieder zu der Welle um. Sie war nun direkt vor ihr, die Bäume waren nicht mehr zu sehen. Es war alles nur noch blau. Dann schlug sie über ihr zusammen. Doch sie wachte nicht auf oder starb im Traum oder so etwas.

Nein, sie fühlte sich wohl im Wasser und hörte eine Stimme murmeln, zu leise, als dass Ana sie hätte verstehen können. Sie strengte sich mehr an und schnappte ein Wort auf. „Nykra.“ Mehr nicht.

Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, aber es blieb ihr auch gar nicht die Zeit, richtig nachzudenken, denn das Wasser verschwand. Es si-ckerte in den Waldboden ein. Sie erhaschte noch einen Blick auf den Wald, der diesmal voller Leben zu sein schien, dann wachte sie auf.

Sie lag zitternd in ihrem großen Bett. Es war bisher erst einmal pas-siert, dass sie sich an einen Traum erinnern konnte, und das war schon lange her. Vor vier Jahren, im zarten Alter von 13 Jahren, hatte sie einmal geträumt.

In diesem Traum war sie von einem Wolfsrudel angegriffen worden, alles große Tiere mit grauem oder weißem Pelz und weißen Augen. Sie schnappten nach ihr und knurrten, versuchten näher zu kommen, aber irgendetwas schien sie daran zu hindern. Doch dann war da ein riesiger Wolf erschienen, größer noch als die anderen, und auf sie zu-gekommen. Die anderen hatten ihm Platz gemacht und waren vor ihm zurückgewichen, als ob er eine ansteckende Krankheit gehabt hätte. Auch sie hatte versucht, Abstand zwischen die Bestie und sich zu brin-gen, doch hinter ihr hatten die Wölfe wieder geknurrt und nach ihr geschnappt. Dann war ihr aufgefallen, dass der Riesenwolf schwarz war. Ein einziges schwarzes Tier. Sie wusste, dass das etwas zu bedeuten hatte, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Er überschritt die unsichtbare Grenze, die sie zuvor vor den anderen geschützt hatte, mühelos und blieb genau vor ihr stehen.

Sie schaute ihm ängstlich in die Augen, die ebenfalls schwarz waren, und hörte auf zu zittern. In diesen Augen lagen Anteilnahme und Ver-ständnis. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und berührte den Wolf am Kopf. Sie hatte keine Angst mehr. Er hatte ganz zartes Fell,

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schnaubte, schmiegte den Kopf kurz in ihre Hand und verschwand dann mit dem Rest des Rudels wieder im Wald.

Als sie damals erwacht war, hatte ihr Vater an ihrem Bett gestanden und ihr gesagt, dass ihre Mutter im Krankenhaus läge. Sie habe mitten in der Nacht einen Schlaganfall oder Ähnliches gehabt. Ängstlich war sie in ihrem Bett geblieben und hatte gehofft, ihre Mutter würde heil und munter wiederkommen.

Ihre Hoffnung hatte sich erfüllt. Doch sie verband jenen Anfall ihrer Mutter stets mit ihrem Traum. Sie wusste bis jetzt nicht, was es mit dem eigenartigen Wolf auf sich gehabt hatte, hatte das Ereignis einfach verdrängt. Aber nun hatte sie wieder geträumt. Was war wohl diesmal passiert?

Auf wackeligen Beinen erhob sie sich, ging zu ihrem Tisch und aß den Rest ihres Frühstücks. Danach fühlte sie sich so wach, dass sie ihren Eltern unter die Augen treten konnte, auch wenn das mit einem Selbstmordkommando zu vergleichen war. Doch sie musste das einfach tun, sie musste wissen, ob alles in Ordnung war.

Also nahm sie das Tablett, brachte es in die Küche und machte sich auf den Weg zum Schlafzimmer ihrer Eltern.

Ihre Mutter Christine war dunkelhäutig, hatte schwarzes Haar und schwarze Augen. Sie war ziemlich klein. Ihr Vater Martin hingegen war blond, hatte blaue Augen und war ziemlich groß. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie sie eigentlich grünäugig, rötlich blond und von mittlerer Statur sein konnte. Wieso ihre Haut nicht dunkler war, ähn-lich der von Christine. Aber letztendlich war es auch egal.

Sie klopfte an und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Als sich die Tür langsam öffnete, war sie schon kurz vorm Hyperventilie-ren.

Verschlafen schaute ihre Mutter sie an. „Was gibt es, dass du uns nicht mal ausschlafen lässt, nachdem du gestern diese Lärmbelästigung veranstaltet hast?“

„Ja, sie ist noch böse“, dachte Ana, zwar nicht schuldbewusst, aber nervös. Sie wusste, dass sie es diesmal übertrieben hatte.

„Ich wollte nur wissen, ob mit euch alles in Ordnung ist“, antwortete sie und erhaschte einen Blick auf ihren Vater, der schnarchend im Bett lag.

Ihre Mutter runzelte die Stirn und sah sie prüfend an. „Hast du ge-träumt?“, fragte sie äußerst scharfsinnig. Ana hatte ihr damals davon erzählt und versprochen, immer sofort zu ihr zu kommen, sollte sie

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jemals wieder träumen. Und sie hielt sich dran. „Ja, habe ich. Eine Welle überrollte mich. Mitten im Wald“, antwortete sie leise, um ihren Vater nicht zu wecken.

Die Runzeln in der Stirn ihrer Mutter wurden tiefer. „Uns geht es gut, aber danke, dass du trotzdem zu mir gekommen bist. Ich schätze deine Sorge.“ Sie lächelte ihre Tochter an, drehte sich um und schloss die Tür wieder hinter sich.

Ana blieb davor stehen und starrte die verschlossene Pforte ungläu-big an. Das hatte geklungen, als ob sie bei einer Psychiaterin in eine Sitzung geplatzt wäre. Genauso kalt und berechnend hatte ihre Mutter geklungen und dreingeblickt.

Ana wirbelte herum und stürmte zurück in ihr Zimmer. Dabei dachte sie: „Entschuldigung, dass ich euren hochfeinen Schlaf gestört habe. Es tut mir leid, dass ich mich auch mal nach Elternliebe gesehnt habe. Entschuldigung, dass ich mir Sorgen gemacht habe!“ Sie hätte es gerne herausgeschrien, hielt sich aber zurück.

Als sie in ihrem Zimmer angekommen war, trat sie mit voller Wucht gegen ihre Matratze. Dann ließ sie sich auf dieselbe sinken und weinte. Dafür hasste sie ihre Eltern noch mehr. Dafür, dass sie sie zum Weinen brachten.

Typisch! Es war so typisch für ihre Eltern. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie angefangen hatten, so kalt ihr gegenüber zu werden.

Es waren heiße Tränen voller Wut, die sie vergoss, und sie wünschte sich auf einmal nichts sehnlicher, als von ihnen wegzukommen.

Erneut klingelte ihr Telefon. Sie hatte sich gerade wieder beruhigt und trocknete ihre Tränen. Wütend schaute sie den Apparat an und be-schloss, nicht dranzugehen. Sie ignorierte das Läuten und dachte lieber über Mike nach.

Auch wenn sie ihn nicht mehr liebte, so wollte sie ihn trotzdem als Freund behalten. Er kannte sie gut. Er wusste, dass das ganze coole Verhalten bloß aufgesetzt war, wie sehr sie sich nach einer gewissen Normalität sehnte. Sie waren Freunde seit der achten Klasse. Damals war sie mit einem Typen aus der zehnten gegangen, und als der sie verprügeln wollte, war Mike dazwischengegangen. Seit diesem Augen-blick waren sie geradezu unzertrennlich gewesen und seit einem halben Jahr offiziell zusammen. Es tat ihr weh, von ihm ersetzt worden zu sein. Aber so war das Leben eben.

Sie seufzte. Doch leider ließ ihr Telefon sich nicht ignorieren, es klin-

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gelte beharrlich weiter. Sie wusste, wer dran war. Und sie wusste auch, dass es zu einem Streit kommen würde. Mal wieder.

Also hob sie ab und prompt ertönte die Stimme ihres Vaters. „Kommst du bitte in den Salon?“ Sie ließ sich nicht von seinem sanften Tonfall täuschen.

„Mir bleibt ja eh keine Wahl“, schnauzte sie ihn an und legte auf. Sie wischte sich noch einmal über die Augen, vergewisserte sich, dass

man nicht sah, dass sie geweint hatte, und schlenderte dann betont langsam in den Salon. Dort warteten ihre Eltern bereits auf sie, beide sahen noch äußerst verschlafen aus.

Ihre Mutter begann: „Lysana, wieso hast du uns nicht gefragt, ob du diese Party veranstalten darfst?“ Sie schien die Frage ernst zu meinen.

Ana lachte trocken auf. „Weil ich wusste, dass ihr es mir verbieten würdet.“

Ihr Vater nickte und sagte dabei: „Stimmt, denn wir wollen nicht, dass du so viel trinkst. Hattest du heute Morgen einen schönen Kater? Normalerweise bringt der die jungen Saufbolde wieder zur Vernunft, aber so scheint es bei dir nicht zu sein. Noch dazu wollen wir keine Party in unserem Haus, die außerdem so laut ist. Also waren wir ge-zwungen, gewisse Maßnahmen zu ergreifen.“

Hier unterbrach sie ihn. „Maßnahmen? Ich bin 17, ich darf doch wohl selbst über mein Leben bestimmen! Es ist mir egal, was ihr euch jetzt schon wieder ausgedacht habt, ich werde es nicht machen.“

„Und ob du das machen wirst! Dir wird keine andere Wahl bleiben, weil du ansonsten unter die Brücke ziehen und dir dein Leben mit Al-kohol kaputt machen kannst.“ Die Idee, die ihre Mutter da ansprach, klang verlockend. Dann würde sie wenigstens nicht länger unter dem elterlichen Joch stehen. Aber gleichzeitig hätte sie so keinen Cent mehr, und wenn ihr etwas wichtiger war als Alkohol und Unabhängigkeit, dann war es Geld. „Was soll ich überhaupt machen?“, fragte sie, um ihre Nachdenklichkeit zu überspielen. Sie sollten nicht merken, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, ihr Leben hinzuschmeißen.

„Du sollst für den Rest des Sommers in den Westen auf Urlaub ge-hen. Es gibt dort Ferienwohnungen für Leute in deinem Alter und akzeptable Hausregeln. Wenn du die dann auch nicht befolgst, schi-cken wir dich wirklich unter die Brücke. Wir wissen nicht mehr, was wir sonst noch tun sollen mit dir.“ Das kam wieder von ihrer Mutter. Sie machte ganz große Augen, doch Ana war sich nicht sicher, ob sich Wut oder Trauer darin spiegelte.

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„Was sind das denn für Regeln?“, fragte sie vorsichtig. Generell hatte sie nichts dagegen, hier mal rauszukommen, aber bei Regeln sollte man besser Vorsicht walten lassen, vor allem wenn ihre Eltern sie toll fanden.

„Alkohol nur unter Aufsicht, keine Drogen, keine körperlichen Annäherungen jeder Art, Bettruhe um 24 Uhr und kein Randalieren. Außerdem ist es ein kleines Kaff, nennt sich allerdings Kleinstadt, di-rekt am Wald. Landluft wird dir guttun.“

Ana bekam Atemnot. „Es ist nicht zufällig ein Kloster, in das ihr mich da schickt?“, fragte sie mit erstickter Stimme. Das war schlimmer als alles, was sie sich vorgestellt hatte.

„Nein, es ist eine respektable Ferienwohnsiedlung in Grettersane, einer Kleinstadt in der Nähe von Roundstone, wie ich schon sagte“, gab ihre Mutter ruhig zurück.

„Niemals!!!“, schrie Ana, drehte sich um und rannte aus dem Haus. Leider wurde sie von ihrem Vater, der ihr hinterhergesprintet war, ab-gefangen und wieder in die Eingangshalle gezerrt.

Er sah ihr tief in die Augen und sagte: „Hör zu, es ist wirklich nur zu deinem Besten. Und so schlimm ist es dort auch nicht, es ist eine schöne Umgebung, da kannst du mal etwas anderes außer dem Stadt-leben kennenlernen.“ Sie wehrte sich noch immer, aber er ließ sie nicht los. „Es ist egal, ob du willst oder nicht, dein Flug ist gebucht und deine Mutter ist bereits hochgegangen, um deinen Koffer zu packen. Und morgen sitzt du schon im Flieger.“

Nun war sie stumm, ihre Augen waren schreckgeweitet. Ihr Vater ließ sie los, doch sie blieb weiterhin bewegungslos stehen, konnte sich nicht rühren. Mit aller Macht bekämpfte sie die Tränen. „Ich werde abgeschoben, ich bin nicht gewollt, ich komm ins Kloster, ich werde abge-schoben, ich bin nicht gewollt ...“, klang es wie eine hängen gebliebene Schallplatte in ihrem Kopf.

Die folgenden Stunden zogen an ihr vorbei, ohne dass sie sich später hätte erinnern können, was sie in der Zeit gemacht hatte.

Der Morgen kam viel zu schnell, sie stieg in das Auto ihres Vaters, hinten im Kofferraum ihr großer Koffer, genug darin für den ganzen Sommer. Verschwommen hörte sie das Treiben am Flughafen von Dublin, ging durch die Sicherheitskontrollen, verabschiedete sich me-chanisch von ihren Eltern.

Erst als sie ins Flugzeug einstieg, wurde ihr bewusst, dass sich ihr größter Wunsch soeben erfüllte. Sie war der Kontrolle ihrer Eltern ent-